Gesellschaft und Sein

 

Wir sind Geworfene; unsere Existenz ist tragisch, und sie ist absurd. Wir strengen uns an, aber eigentlich wissen wir nicht, wozu. Wir sind empathische Individuen, und müssen in einem weitgehend toten Kosmos überleben, dem jedes Gefühl abgeht und in den auch alle unsere sozialen Gemeinschaften eingebettet sind, ein Kosmos, dessen Sinn uns nicht erklärt wird und der im Raum der Welten aufgehängt ist einfach so, und wir können seine Absurdität mit Händen greifen. Es gibt kein Mittel dagegen, keine Dialektik, die uns mit ihm versöhnen würde.

Wenn wir Glück haben, erleben wir Menschlichkeit im Umgang miteinander; nie aber vergeben die Gesetze der Natur uns eine Schwäche. Sie haben uns zum Tode verurteilt, noch ehe wir geboren werden; und wir können auf ihre Endgültigkeit und Gnadenlosigkeit nur mit Galgenhumor reagieren, oder mit metaphysischen Hoffnungen.

Der Kosmos ohne Gefühle, ohne Plan-für-uns und ohne Heil - da bleiben uns Menschen nur jene Subsysteme, die wir die Alltagswelt nennen sowie die Welt des Geistes, die gesellschaftliche Gemeinschaft unserer Köpfe und der von ihnen gesteuerten Hände. Man kann versuchen, in deren historischer und anthropologischer Entwicklung einen Sinn und einen Fortschritt, eine Teleologie zu erkennen. Man kann Begriffe zur Anwendung bringen, die sich in kosmischen Maßstäben lächerlich ausnehmen mögen, Begriffe wie Ärger, Ekel, Traurigkeit, Glück, Freude und Vertrauen oder Aktienkurse und Arbeitnehmerrechte, die aber zur Beschreibung und Erklärung der Erfahrungen unserer Existenz und unseres Status innerhalb der sozialen Dynamiken gut geeignet sind.

Letzten Endes ist auch unser gesellschaftliches Sein und damit die Basis, auf der unser Ich sich stabilisiert, absurd. Zum einen, weil wir als Individuen und samt unserer Freundeskreise und des ganzen globalen Dorfes doch nur kosmischer Staub sind: das unterminiert jeden utopischen Optimismus spätestens an unserem persönlichen Ende und meist auch schon vorher, wenn das Gefälle zwischen dem Anspruch, etwas darzustellen und unserer materiellen Bedeutungslosigkeit allzu groß wird.

Zum anderen ist sie absurd aufgrund immanenter Seinswidersprüche, die zum Teil mit unserer Abstammung aus dem Tierreich zu tun haben. Für Lebewesen, die immer sehen mussten, wo sie bleiben, sind die Be-wahrung der Natur und etwa der Tierschutz niemals das oberste Paradigma.

Trotz oder gerade wegen unseres Leidens und unserer Not sind wir Individuen, die gesellschaftlich handeln können. In jedem von uns gibt es genau ein Ich-Bewusstsein, das mit anderen Ich-Bewusstseinen kommunizieren und sich mit ihnen auf sprachliche und sonstige Regeln verständigen kann, so dass wir meist ziemlich schnell in der Lage sind, nach entsprechender Abstimmung konzertiert zu handeln. So gewinnt der Mensch viel mehr Einfluss auf seine soziale und natürliche Umwelt als wenn er isoliert vorginge.

Es versteht sich von selbst, dass für ein einzelnes Ich-Bewusstsein nur das existieren kann, was es von der Außenwelt bzw von den Anderen wahrnimmt, sei es durch deren eigenes Handeln und Wirken oder durch das, was ihm von Dritten über sie mitgeteilt wird. Letzteres, also die Rolle von Dritten, ist von essentieller Bedeutung besonders in modernen Gesellschaften, wo die Pläne und Entscheidungen der höheren Kreise den von ihnen Verwalteten wenn überhaupt meist durch die Massenmedien vermittelt werden. Die Herrschenden treten nur selten persönlich an die Beherrschten heran, weil sie von einem Kranz von Höflingen - und die wiederum von einem Teil der Exekutive - umgeben und abgeschirmt sind. Journalisten und Pressesprecher, die für die Kommunikation mit der Außenwelt verantwortlich zeichnen, bestimmen sogar auch umgekehrt das Bild, das die Eliten von den Massen und der allgemeinen Lage und Stimmung im Land oder in den Unternehmen haben.

Die so gegebene einfache Beschreibung auch komplexer Gesellschaften entspricht allerdings einer rein idealistischen Interpretation als Kommunikationssystem, insofern sich alle genannten Prozesse hauptsächlich mental, d.h. in den Köpfen der Beteiligten abspielen. Gesellschaft besteht nach dieser Vorstellung aus einer Summe von geistigen Vorgängen und Interaktionen innerhalb der Menge der individuellen Ich-Bewusstseine, und natürliche Ressourcen werden nur benötigt, um diese Prozesse in Gang zu halten.

Hierbei bleibt unberücksichtigt, dass das Verhalten und sogar der innere Kern unseres Selbst wesentlich von der materiellen Gesamtrealität mitbestimmt werden. Die Natur wirkt in vielerlei Form auf uns ein, und wir wirken auf sie zurück. Sie prägt das Ich-Bewusstsein, das sich gleichermaßen an die Reaktionen der materiellen Umwelt wie der Gesellschaft anzupassen lernt. Und da ohnehin alles, alle Ursachen und Wirkungen, auch die Inneren des Bewusstseins, innerhalb der physikalischen Welt erfolgen, müssen zumindest die maßgeblichen materiellen Einwirkungen auf unsere soziale Umgebung bei der Definition dessen, was Gesellschaft ausmacht, mit einbezogen werden.

Dieser ganzheitliche Ansatz vermeidet die offenkundigen Schwächen einer idealistischen Denkweise, die die Betrachtung gesellschaftlicher Vorgänge auf reine Bewusstseinsprozesse beschränken will. In seinem Rahmen lassen sich verschiedene scheinbar verwickelte Fragen auf relativ einfache Weise beantworten, zum Beispiel die, wie sich soziale Strukturen entwickeln, zu einem System zusammenfügen und wie das Individuum dazu gebracht wird, diese Ordnung mitzutragen und nach ihren Regeln zu funktionieren, und noch vorher die Frage, ob das Handeln der Individuen die gesellschaftlichen Strukturen bestimmt oder umgekehrt.

Ausgangspunkt ist immer die Feststellung, dass soziale Strukturen sowohl aus inneren geistigen als auch aus äußeren materiellen Komponenten bestehen. Eine äußere Komponente ist beispielsweise der Rohrstock in der autoritären Erziehung, die innere ist der psychische Schaden, den der Erzieher damit anrichtet. Eine innere Komponente ist auch das in den Ich-Bewusstseinen abgespeicherte Wissen um die Hierarchien in einer Institution, äußere Komponenten sind Größe, Lage und Einrichtung der Büros von Untergebenen und Führungskräften oder der an die Arbeitnehmer überwiesene Anteil an der Wertschöpfung des Unternehmens. Um solche Strukturen zu realisieren, bedarf es der (zuweilen erzwungenen) Bereitschaft von Menschen, sich an die von der Struktur vorgesehenen Plätze stellen zu lassen.

Sodann muss man beachten, dass in Bezug auf soziale Prozesse die Individuen nichts von der Gesellschaft wirklich Unabhängiges darstellen und dass die Gesellschaft nicht ohne die Individuen gedacht werden kann. Mensch und Gesellschaft bilden ein Beziehungsgeflecht wechselseitiger Abhängigkeiten. Dabei spielen Individuen, die an mehr Verknüpfungspunkten beteiligt sind, gesellschaftlich eine größere Rolle als andere, tragen jedoch oft weniger zur Wertschöpfung bei.

Das so entstehende soziale Geflecht ist demnach Folge der Verschiedenheit der menschlichen Charaktere: der eine schöpft darin Befriedigung, mit seinen Maschinen fast im Alleingang einen großen Acker zu bestellen, ein anderer fühlt sich beim andauernden Kommunizieren innerhalb einer großen Institution mit vielen Arbeitskollegen am wohlsten. Der eine kann, ohne mit der Wimper zu zucken, einem eben noch vergnügt pickenden Huhn den Kopf abschlagen, der andere hält das Leiden eines Tieres, das auf der Straße überfahren wurde, kaum aus. Einer erfreut sich an dem Anblick blühender Bäume und Sträucher, die er zwischen seinen Äckern gepflanzt hat, damit möglichst viele Vögel dort nisten, die meisten anderen treibt die Gier nach Geld, auch noch den letzten Streifen Erde umzupflügen, der ihr Feld von der Straße trennt. Alle aber gehören zur Gesellschaft und tragen zu deren Fortbestand bei.

Die Strukturen selbst lassen sich als geronnenes Handeln interpretieren, so wie die ihnen innewohnende Macht geronnene Gewalt ist. Geronnenes Handeln enthält Anteile, die von vorhergehenden Generationen bereitgestellt wurden und die Grundzüge der gesellschaftlichen Ordnung festlegen, die als Tradition oder Vorbild, oder als Festigkeit des Faktischen die Strukturen psychologisch stabilisieren. Derart wird etwa die amerikanische Demokratie auf absehbare Zeit durch ihre checks and balances stabilisiert, indessen sich in Russland ebenso stabile Systeme von Diktaturen immer aufs neue replizieren (Zarismus, Bolschewismus, Militärdiktatur oder eine sogenannte gelenkte Demokratie).

Ein gutes Beispiel für diese Darlegungen liefern Kultur und Geistesleben einer Gesellschaft. Als eine der Metastrukturen hat die Kultur sowohl materielle als auch geistige Komponenten. Die geistigen setzen sich aus den Mustern und Normen des Denkens, Verstehens, Bewertens und Kommunizierens kultureller Leistungen zusammen; zur materiellen Komponente gehören etwa verbreitete Verhaltensweisen der Bürger sowie auch alle kulturell wichtigen Institutionen wie Theater, Museen, Politik- und Wissenschaftsbetriebe und vieles mehr.

Dieser gesamte Bereich, einschließlich der Ökonomie, der Organisation der Arbeits- und Sozialprozesse, des geistigen und technischen Entwicklungsfortschritts usw kann als Teil des Gesellschaftlichen verstanden werden. Obwohl solche Makrostrukturen mitunter stark auf die Individuen zurückwirken, sind sie dem sozialen Mikrobereich, mit dem wir unsere Betrachtungen in diesem Kapitel begonnen haben, weitgehend entwachsen und haben eine Eigendynamik entwickelt, die zum Teil nicht mehr kontrollierbar ist. Man denke etwa an Börsenabstürze, die letztlich Folge der Wirkung einer großen Zahl von unkoordinierten Einzelaktionen sind. Ein anderes, relativ oft vorkommendes Beispiel stellen Völker dar, die sich von einem Tyrann seinen Willen aufzwingen lassen, so dass am Ende auch diejenigen, die ursprünglich gar nicht bereit waren, ihm zu folgen, die Konsequenzen aus seinem womöglich verbrecherischen Tun mitzutragen haben.

Kultur ist nichts durchweg Positives. Nicht nur aufgrund rigider Traditionen schränkt sie den Freiraum dessen, was einzelne Individuen aushandeln können, von deren Geburt an ein, d.h. die Kultur übt allein durch ihr Vorhandensein Macht über die in die vorhandene Gesellschaft Hineingeborenen aus. Viele Jugendliche machen in der Pubertät eine Phase durch, in der sie sich gegen die vorgegebenen Normen und Werte von Kultur und Gesellschaft zur Wehr setzen, weil diese ihrer selbstbestimmten Ich-Entwicklung entgegenstehen.

Alle Menschen sind sich zwar im Großenganzen ähnlich. Daher können sie sich nicht nur paaren, sondern auch miteinander reden und durch Kommunikationsprozesse (u.a. Abmachungen, Verträge) starke Gemeinschaften bilden. Dabei werden in den Köpfen ständig gemeinsam imaginierte Teilwelten aufgebaut. Jedoch sind die Bindungen in einem Gemeinwesen um so schwächer, je mehr Zwang im Spiel ist. Umgekehrt wirken tradierte Bindungen, die für den freiheitsliebenden Charakter ebenfalls eine Form unbewussten Zwanges darstellen, oft stärker, weil nicht nur der Traditionsbewusste sie durch (eine möglicherweise sogar liebevolle) Erziehung verinnerlicht hat.

Zugleich sind die Menschen aber auch verschieden. Dies garantiert eine Vielfalt in der Gesellschaft, die dem Fortschritt gut tut, wenn etwa ein Außenseiter diejenigen überflügelt, die allzu sehr im Alten verhaftet sind. Innerhalb der gemeinsam imaginierten Welten bildet jedes Ich Teilsichten aus, die vom Durchschnitt der Anderen um einige Nuancen abweichen, und es kommt nicht selten vor, dass sich verschiedene Teile der Gesellschaft weitgehend separate Welten konstruieren. Folge davon sind die sogenannten Parallelgesellschaften, aber auch der Klassenkampf oder gar Bürgerkriege, an denen im Extremfall die ganze Gesellschaft zerbrechen kann.

Am deutlichsten unterscheiden sich vermutlich die Welten von Herrschern und Beherrschten. Dies weniger bezüglich der Bilder, die zur Welterklärung herangezogen werden, als vielmehr im Hinblick auf soziale Kommunikationsvorgänge. Das soll an einem Beispiel erläutert werden. Wie an anderer Stelle dargelegt, wirkt der 'führende', 'namhafte' Intellektuelle, oder auch der sogenannte 'hochkarätige' Wissenschaftler, als Unternehmer seiner selbst, weil er mit seinen Ideen im Gespräch bleiben muss und auf eine Herde von Vermittlern angewiesen ist, Journalisten etwa, die auf dem Umweg über Rezensionen seiner Schriften seinen Namen verbreiten.

Solch ein Mensch nimmt die Welt und ihr Potential-für-ihn ganz anders wahr als jene Arbeiter, die aufgrund mangelhafter soft skills wenig Möglichkeit haben, aktiv und effektiv in den Diskurs, d.h. die Weltsicht und den Zeitgeist einer Gesellschaft einzugreifen. Vielleicht liegt darin der Grund, dass jemand wie Sartre auf die Idee kommt, der menschlichen Freiheit zuzugestehen, sie könne sich scheinbar beliebig über gesellschaftliche Zwänge hinwegsetzen. Genau dieses Schauspiel führen uns Unternehmerpersönlichkeiten unentwegt vor. Sie sind im Kopf anders verschaltet als die Mehrheit der 'Plebejer', und daraus ergeben sich auch in ihrer Philosophie spezifische Schwerpunktsetzungen. Sartre hat zwar später die Rolle der Freiheit relativiert und einen Einfluss durch gesellschaftliche Zwänge zugestanden, doch immer noch aus der Sicht des freien Intellektuellen-Unternehmers.

Es ist doch so: im familiären Umfeld verhält sich jeder fast wie es ihm gefällt, zeigt seine wahren Gefühle, jedenfalls solange die Familie nicht auseinander driftet oder substantielle Streitigkeiten Gefühlsausbrüche zu einem Risiko machen. Je weiter man sich aber von der Familie entfernt und je größer und anonymer die gesellschaftlichen Makrostrukturen, in denen man sich bewegt, um so nebensächlicher und gar abträglicher werden die offene Aussprache und das ungeschminkte Zeigen von Gefühlen. In solchen Umgebungen erscheint es klüger, sein eigenes Ich zu verstecken bzw sogar weitgehend aufzugeben, um zu einer Art Schauspieler zu avancieren, der in der Lage ist, die jeweils geforderte Funktion ohne Reibungsverluste auszufüllen, am besten lachend und bella figura machend. Nicht umsonst spricht man von einer Rolle, in die jemand, der im privaten Kreis ganz anders erscheinen mag, unter den Umgebungsbedingungen einer Institution oder eines Arbeitsprozesses schlüpfen muss. Indem er die Rolle übernimmt und sie aktiv und positiv ausfüllt, legt er einen Teil seines Ichs und seiner Überzeugungen ab, um in den Rängen der Institution aufzugehen.

Man muss allerdings zugeben, dass wohl jeder Mensch eine ontologisch-soziale Differenz verspürt zwischen seinem eigenen wahren Ich und dem, als was die Gesellschaft ihn wahrnimmt. Ontologisch ergibt sich das Minimum dieser Differenz als Différence aufgrund der Absurdität des Daseins, von der jedes Ich-Bewusstsein nur allzu sichere Kenntnis hat, die es dem Anderen, dem es ja genauso geht, im täglichen Umgang und im Angesicht der prosaischen, deprimierend aussichtslosen Realität aber nicht pausenlos vorhalten möchte.

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Gesellschaften sind nicht homogen. Den Unternehmer- und den Arbeiterarchetypen haben wir schon unterschieden, doch darüber hinaus bestehen sie aus Klassen, Einkommens- und Berufsgruppen, es gibt religiöse Unterschiede und solche der Hautfarbe. An den Bruchstellen treten häufig Konflikte auf, besonders wenn sie mit Verteilungsungerechtigkeiten korreliert sind. Nota bene, dass aus Verteilungskämpfen nicht zwingend Aufstände sich entwickeln, sondern seltsamerweise neigen Menschen oft eher dann zu übertriebenen Gewalttätigkeiten, wenn sie sich in ihrer Identität als Mitglied einer Rasse oder einer Meinungsgruppe bedroht sehen. Anscheinend haben Menschen in früheren Zeiten manchmal davon profitiert, wenn sie sich irgendwelchen verrückten Meinungsgruppen anschlossen.

Konflikte sind meistens Interessenskonflikte. Diese 'Interessen' sind nicht immer materieller Natur, sondern können sich auch aufgrund ideologischer, familiärer oder sonstiger Ansprüche ergeben. Auch wenn zuweilen so viel Porzellan zerschlagen wird, dass Ursachen und Folgen eines Konfliktes in einem grotesken Verhältnis zueinander stehen, darf man in den meisten Fällen getrost davon ausgehen, dass die Fallhöhe des Konfliktpotentials außer von hormonellem Übereifer zu einem beträchtlichen Teil letztlich doch von 3 alten Kernfragen bestimmt wird, wer (i) sich den Bauch vollschlagen, (ii) sich fortpflanzen und wer (iii) am Ende die Arbeit machen darf. Andere für sich arbeiten zu lassen, ist ein uralter Wesenszug des Menschen und damit auch seiner Gesellschaften. Früher waren die Unterschichten dafür vorgesehen, heute versuchen es die Eliten eher mit Maschinen und mit der Automatisierung.

Obwohl sie nur selten in Reinform auftreten, unterscheide ich generisch folgende Konflikttypen:
-Wenn in einer Gesellschaft so viele junge Männer und Frauen geboren werden, dass die bestehenden Institutionen keine Verwendung für sie haben, sehen sich diese von der strukturellen Gewalt aus Traditionen, Kultur und Gesetzen eingeengt und wenden sich instinktiv dagegen. Sie machen sich dann gewöhnlich auf die Suche nach neuen Horizonten, also nach Alternativen, die außerhalb des etablierten Systems liegen und diesem womöglich feindselig gegenüber stehen. Im Extremfall entstehen hierdurch Bürgerkriege.
-Auf der anderen Seite entwickelt bei uns eine alternde Gesellschaft, in der die schiere Masse der Rentner die Wahlergebnisse dominiert, auch weil die wenigen Jungen statistisch seltener zur Wahl gehen, ihre ganz eigene Konfliktphänomenologie. Hier kommt es seltener zu Straßenschlachten, man ist sich weitgehend einig in der Ablehnung von Gewaltmethoden, trotzdem besteht eine große und generelle Unzufriedenheit mit der jeweiligen Regierung.
-materielle und soziale Konflikte, Verteilungskämpfe und Konflikte aufgrund von Umweltzerstörung und Zerstörung der Lebensgrundlagen. Verteilungskonflikte sind praktisch immer vorhanden; es ist utopisch, zu meinen, sie würden irgendwann ganz verschwinden.
-ideologische Konflikte: Religion, Rassenwahn, Gleichheitsutopien. Die Anführer wissen oder ahnen meist, dass Träume wie die Gleichheit aller Menschen oder die Reinrassigkeit eines Volkes unerreichbar sind, heizen aber die Konflikte aus egoistischen Motiven weiter an. Seit alters her ist die Funktion von Ideologien janusköpfig. Einerseits befriedigen sie bestimmte Bedürfnisse der Unterprivilegierten, von der Macht Ausgeschlossenen, andererseits sind sie der playing ground für diejenigen, die die Träume und Hoffnungen der Anderen benutzen, um sich selbst Macht und Privilegien zu verschaffen.
-das Streben nach Macht; damit einhergehend das Ausnutzen von Konfliktpotentialen, um die Macht zu erringen.

Wenn man sich die Staaten der Erde ansieht, erkennt man, dass sich Gesellschaften häufiger als Tyrannis organisieren denn als westliche Demokratie. Dass nach einer Phase relativer Freiheit oder auch nach einer Revolte des unzufriedenen Volkes ein Einzelner, der sich darin gefällt, über dem Gesetz zu stehen, nach diktatorischer Macht greift, ist ein immer wiederkehrendes Muster nicht erst seit der Moderne. Um erfolgreich zu sein, muss er in den Institutionen über Anhänger verfügen, die es ebenfalls mit der Demokratie nicht so genau nehmen. In besonders krassen Fällen bringen pathologische Autokraten wie Napoleon oder Hitler ihr Volk dazu, einen Eroberungskrieg gegen die halbe Welt zu starten.