Die Letztbegründung der Welt

 

Ähnlich universell wie der Begriff der Substanz ist der der Welt. Diese stellt die Gesamtheit dessen dar, was ist. Die Welt besteht aus der einen Substanz, genauer gesagt aus der Repetition einer kleinsten Einheit der Substanz, und die je vorhandene Wirklichkeit ist gegeben durch den Zustand oder die Zustandsfunktion der Substanz, die auch als Summe von Zuständen der kleinsten Einheiten verstanden werden kann. Unter einem solchen Zustand kann man sich zum Beispiel eine (Schwingungs-)Anregung der (kleinsten Einheiten der) Substanz vorstellen, oder eine über das ganze Universum verteilte Superposition solcher Anregungen.

Ich lebe in einem komplexen Universum, zu groß, zu langlebig und zu verwirrend, um mir bis ins Letzte begreiflich zu sein. Ich bin Staub, weniger als das; bin nur ein System aus den genannten Schwingungen. Und doch ist diese Welt in vielen Momenten perfekt, wie für mich geschaffen. Sie ist für-mich in meiner Nähe konzentriert; sie bleibt für-mich stehen, wenn sich mein Bewusstsein in den Schlaf verabschiedet oder im Gegenteil für einen Moment auf ein Objekt der Anschauung konzentriert. Ich bin vollkommen versunken in dieses Objekt, gehe auf in seine Wahrnehmung oder Bearbeitung. Der Rest und seine Absurditäten und sonstigen Probleme existieren für meinen Verstand nicht mehr. An diesem Punkt ist die Welt für-mich vollkommen.

Von alters her beschäftigt sich die Philosophie mit dem als Kluft empfundenen Unterschied zwischen Seiendem (kosmos) und Denken (logos) und der Frage, ob das Verhältnis von Denken und Sein ein Gedachtes oder ein Seiendes ist. Die Alternative, ob das Denkende ein materiell Seiendes ist oder das Seiende durch Gedachtes bestimmt wird, hat in der Neuzeit zu den beiden Ausprägungen der Philosophie als Materialismus (Naturalismus) und Idealismus (Positivismus) geführt. Dabei ist zu beachten, dass ein 'Verhältnis' natürlich immer etwas Gedachtes ist, dass jedoch alles Gedachte als Teil unserer Gehirne letztlich zur physikalischen Welt des Seienden gehört.

Denn die Welt, von der ich spreche, ist die reale physikalische Welt. Daneben gibt es in unseren Köpfen Ideen, Gedanken, Imaginationen, durch deren Brille und Inspiration wir die äußere Welt wahrnehmen. Sie sind jedoch eigentlich Teil der physikalischen Welt, insofern sie aus der Gehirnmasse hervorgehen, in welcher Begriffe und Vorstellungen als Moleküle und Ströme realisiert sind. Auch die Gesellschaft gehört in diesen Seinsbereich, insofern sie aus imaginierten, weil ideenmäßigen Verknüpfungen der Gehirne besteht, die von einer Gruppe von Menschen geteilt werden. Die Verknüpfung erfolgt über die Fernwirkung unserer Kommunikation.

In der Konsequenz führen diese Einsichten zu der dem Materialismus zugeneigten Haltung, dass das Denken ein Seiendes und damit Teil der Welt, genauer des materiellen Kosmos ist. Das Denken ist Teil der Welt, wohingegen die Welt nur als Rezipierte Teil des Denkens ist. Allerdings besteht hier eine dialektische Rückkopplung, da die Bewusstseine zwar objektiv nur Wurmfortsätze der Natur, subjektiv aber das Zentrum des von ihnen gemeinschaftlich konstruierten (Kommunikations- und Interpretations-) Weltzusammenhangs sind und auf diesen sowie durch ihr anschließendes Tun auch auf die reale Welt Einfluss nehmen können. Die Frage, inwieweit diese Einflussnahme von unüberschaubaren doch letztlich gesetzmäßigen Läuften der Natur determiniert und die menschliche Freiheit daher eingeschränkt ist, wird später diskutiert.

Weil das Bewusstsein ein großes Gaukelspiel ist, kann man alle Wirklichkeit hinterfragen. Um einen festen Punkt zu gewinnen (der zwar objektiv existiert, den sich der Mensch in seinen Rekonstruktionen des Realen aber künstlich definieren muss), geht man am besten von dem Paradigma aus, dass es eine absolute Totalität der Weltwirklichkeit gibt. Diese ist dadurch definiert, dass sie alles beinhaltet, was ist. Sie stellt eine einzige, große Totalität dar, und insofern mein Körper und Gehirn unentrinnbare Teile dieser Totalität sind, ist sie für mich absolut.

Es sei explizit betont, dass die Wirklichkeit kein System von Begriffen ist, sondern die Begriffe existieren in unseren Köpfen und sind nur Zeiger des Bewusstseins auf willkürlich herausgeschnittene Komponenten dieser Wirklichkeit (oder auf andere Zeiger). Denn die Auswahl einer solchen Komponente setzt bereits eine Grenzziehung durch das Bewusstsein voraus. Erkenntnis besteht nun eben darin, zu sehen, an welchen Stellen diese Grenzziehungen oder Begriffsbildungen zu einem gelungenen Abbild der Wirklichkeit führen.

Dieser Vorgang setzt gewöhnlich voraus, dass der größere Teil der Wirklichkeit gegen die von der Grenze umschlossenen Bereiche in den Hintergrund tritt; siehe die obige Diskussion über Objekte der Anschauung oder auch das Beispiel der Molekülphysik, wo man - neben vielem Anderen - die starke Wechselwirkung der Quarks in den Atomkernen zu Recht vernachlässigen kann.

Die Totalität und Absolutheit der Welt bedeutet nicht, dass sie ein Klumpen Einheitsbrei wäre, sondern die Welt ist ein chaotisches und zugleich strukturiertes Agglomerat von allerlei Anregungsformen, in welchem - besonders im Gefilde des Gesellschaftlichen - Widersprüche durchaus ihren Platz haben.

Obwohl die Existenz das einzige Merkmal der Weltzugehörigkeit ist, ist der Begriff der Welt keineswegs inhaltsleer, so dass man ihn gar, wie Hegelianer behaupten, mit dem Nichts identifizieren könnte. Denn die Welt ist nur samt ihres Inhaltes und ihrer naturgesetzlichen Eigenschaften zu denken.

Nota bene ist hier die Rede von der materiellen Welt, also dem physikalischen Kosmos, d.h. es ist eigentlich das Total der Wirklichkeit gemeint, und nicht jener Weltbegriff, mit dem wir von der Welt der Tiere, der Antike oder der Arbeitswelt sprechen. Falls es mehrere Universen gibt, einschließlich ihrer Inhalte und Entitäten, die wir gar nicht kennen, umschließt mein Weltbegriff auch diese.

Das ganze vorliegende Werk ist eigentlich ausgerichtet auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen und allgemeiner des materiellen Daseins in der sozialen und auch der physikalischen Weltwirklichkeit. Diese bis heute unbeantwortete Frage spielt in der Gedankenwelt der meisten Menschen und auch in der Geschichte der Philosophie eine wichtige Rolle. Dabei wird sie von vielen modernen Philosophen für wenig sinnvoll erachtet, oder für unlösbare Metaphysik. Jenes Urteil teilt sie mit der verwandten Frage nach dem letzten Grund, also ob es eine objektive, d.h. nicht vom Menschen selbst fabrizierte Letztbegründung für unsere Existenz gibt oder geben kann.

Dass unser Denken überhaupt nach der Angabe eines Grundes für das Sein des Seienden verlangt, könnte ungerechtfertigt sein und sich aus der Entwicklungsgeschichte des Gehirns ergeben, welches immerzu nach kausalen Erklärungen verlangt, sowie aus unseren alltäglichen Erfahrungen in unserer eigenen, so kleinen Welt. Wie es der Kosmos-an-sich mit dem Grund seines Existierens hält, ist schlicht unklar. Er könnte womöglich grundlos existieren, akzidentell wie anscheinend alle seine materiellen Anregungen, und auf jeden Fall so, dass wir mit unserer Art des Verstandes den letzten Grund nie finden werden - indem zum Beispiel jeder letzte Grund auf einen tieferliegenden zurückzuführen wäre und so fort. Also ähnlich wie es das neuzeitliche Denken ohnehin gewohnt ist, wenn es von den Atomen zu den Quarks und zu immer kleineren Wesenheiten übergeht, wo das Kleinere die 'Ursache' für das nächst Größere darstellt, das aus ihm zusammengesetzt ist, bis hin zu der Möglichkeit, komplexe biologische und soziale Systeme zu bilden, ohne dass aber jemals ein finaler Grund des materiellen Seins ersichtlich wäre.

Die Theorie des Urknalls sorgt hier psychologisch für eine gewisse Entspannung, nicht weil sie notwendig korrekt ist, sondern weil sie ein Plateau des Wissens erzeugt, von dem aus der Berg weiterer Fragen allzu steil ansteigt. Man kann sich auf das scheinbar einfache Prinzip zurückziehen, dass am Anfang nichts als auf einen einzigen Punkt konzentrierte Energie gewesen ist, aus dem sich alles andere entwickelt hat, wie sich eben Materie durch Umwandlungsprozesse aus reiner Energie entwickeln kann. Was hinter jenem Punkt liegt, ist so schwer zu ergründen, dass diese Frage kaum je gestellt wird. Dabei wird die Verletzung der uralten Einsicht, dass es in der Physik keine mathematischen Singularitäten geben kann, billigend in Kauf genommen.

Statt an einem einzigen singulären Punkt zu beginnen, wird in dem mikroskopischen 'Tetronmodell' des Autors der Urknall durch einen Kondensationsprozess ersetzt, der zu einem elastischen Kontinuum von inneren Tetraedern führt. Die nachgewiesene Expansion des Universums ist dann eine Folge der ursprünglich freigesetzten Kondensationsenergie. In diesem Modell zerfällt die Welt nicht nur in einen sozialen Kosmos (d.h. die Gesellschaft von in der Realität tätigen Bewusstseinen) und einen physikalischen, sondern der physikalische Kosmos selbst besteht aus zwei Gefilden, die den Grund des naturalen Seins ausmachen: (i) der Sphäre von Quasiteilchen-Anregungen wie Quarks, Leptonen, Eichfelder usw, also der normalen Materie, die lorentz-invariante Wellengleichungen erfüllt und (ii) dem Gefilde des aus Tetronmaterie gebildeten elastischen 'Kristalls', auf dem sich die Quasiteilchen bewegen und der eigentlich die 'wahre' Materie, die oben beschriebene Substanz des Kosmos ausmacht. Während diese für Aristoteles eher eine Idee oder eine Art ungeformtes Gestrüpp (hyle) war, existiert sie hier in einem real-materialistischen Sinn, ähnlich einem 3+3 dimensionalen 'Teppich' (ein normaler Teppich ist 2+1 dimensional), als elastisches Kontinuum in einem sechs-dimensionalen Raum. Nota bene, dass jener Teppich uns Menschen als Kontinuum erscheint, weil seine Knoten so klein und nahe benachbart sind (Knotenabstand=Plancklänge). Wegen der bekannten Schwachheit der gravitativen Wechselwirkung ist der Teppich ziemlich flach und seine Elastizität durch eine große Steifigkeit gekennzeichnet.

Dass bei der Abkühlung der Tetronen am Kristallisationspunkt ein sehr dünner Teppich und kein ganz 6-dimensionales Gebilde entstand, hängt mit der Form der Wechselwirkung der Tetronen zusammen, die Tetraeder bilden, welche sich in die drei 'inneren' Dimensionen erstrecken und dort nicht übereinander stapeln lassen. Die Notwendigkeit, eine Tetraederform anzunehmen, ergibt sich, weil die bekannten Quarks und Leptonen in eindeutiger Weise als deren Anregungssystem interpretiert werden können. Darüberhinaus entspricht die Teppichkonstruktion der Tatsache, dass die inneren Strukturen eben nicht so groß sein dürfen, dass man hineinzuschreiten in der Lage wäre, sonst würde der Mensch sie ja mit seinen Sinnen direkt wahrnehmen.

Jene Teppichstruktur mag manchem Leser als ein unschöner Aspekt des Modells erscheinen; sie ist aber unvermeidbar, wenn man bei der Beschreibung der Teilchenwechselwirkungen von den allzu großen abstrakten inneren Symmetriegruppen wegkommen will, die allenthalben in der theoretischen Physik angenommen werden, und stattdessen auf einen materialen Ursprung der beobachteten inneren Symmetrien setzt.

Jene alte Art des Denkens begann schon mit Heisenbergs Vorschlag einer inneren SU(2), d.h. dem Isospin von Proton und Neutron, dem im Gegensatz zum normalen Spin kein realer Raum zugrunde gelegt wurde, setzte sich mit dem Vorschlag der Farb-SU(3) für die starke Wechselwirkung fort und endete mit den (supersymmetrischen) Grand Unification Theorien. Das Tetronmodell funktioniert anders, indem Color und Isospin aus einem realen inneren 3-dimensionalen Raum gewonnen werden, in dem eine unabhängige Dynamik stattfindet. Es ist in seiner Schnörkellosigkeit auch den Superstringmodellen überlegen, die in viel größeren 10- oder 11-dimensionalen Räumen definiert sind und zu äußerst barocken Strukturen und Symmetriegruppen Anlass geben.

Ein anderes Phänomen, für das die theoretische Physik bis heute keine materielle Erklärung liefert, ist die spontane Symmetriebrechung (SSB) der schwachen Wechselwirkung. Im Standardmodell der Elementarteilchen ist diese mehr oder weniger ad hoc realisiert, durch Einführung des sogenannten Higgsbosons in eine Theorie, die vorher nur aus Fermionen und Eichfeldern besteht. Die mathematische Konstruktion ähnelt dem Ginzburg-Landau Modell für die Supraleitung, mit dem Proviso, dass man es in der Teilchenphysik mit lokalen statt globalen Symmetrien zu tun hat. Für die Supraleitung aber ist hinlänglich bekannt, dass sie aufgrund tiefer liegender mikroskopischer Vorgänge, nämlich die Bindung von Elektronen zu Cooperpaaren, zustande kommt. Für die Teilchenphysik wünscht man sich eine analoge Erklärung, und tatsächlich wird im Tetronmodell das Higgsfeld als Anregung von gebundenen Tetron-Antitetron Paaren interpretiert. Die SSB der schwachen SU(2) Isospingruppe ergibt sich aus einem Alignment der inneren Spinvektoren.

Von der Frage nach dem Grund des Seins ist allerdings die nach dem Sinn des Seins zu unterscheiden, weil der Sinn, sofern er existiert, auf einen vom Menschen unabhängigen 'höheren' und zudem eventuell hochgradig vermittelten Zweck bezogen ist. Dennoch gehören beide Fragen zusammen und sind von vielen Metaphysikern zusammen behandelt worden, beispielhaft in der Form der von Aristoteles gestellten Frage nach dem ersten Einheitsgrund allen Seins. Hegel hat in seiner Phänomenologie den ersten Seinsgrund mit dem Absoluten überhaupt identifiziert. Er versteigt sich sogar zu der Behauptung, alles Einzelne habe sein Bestehen nur im Absoluten. Dies ist einmal mehr schlecht abstrakt gedacht, indem die Fülle der Wirklichkeit, die ja eben nicht aus Begriffen besteht, auf etwas Unspezifisches, formlos Begriffliches redu-ziert wird.

Zudem ist das Absolute bei ihm eine idealistische Kategorie. Im Rahmen des naturalistischen Konzepts, das ich vertrete, tritt die oben diskutierte materielle Grundsubstanz der Tetronen an die Stelle des Absoluten. Vorteil: sie hat wohldefinierte spezifische Eigenschaften und verkörpert daher ein echtes Material, aus dem sich ein reales Universum konstruieren lässt. Nachteil: sie erfüllt nicht alle Forderungen, die man an einen letzten Seinsgrund stellen würde, etwa weil sie als physikalische Theorie die metaphysischen Fragen nach Sinn und Seinsgründigkeit nur indirekt adressiert. Sie könnte höchstens in einem schwächeren Sinne der letzte Seinsgrund sein - insofern und falls sie eine tiefste Ebene der Materie repräsentiert.

Leider lässt sich nicht ausschließen, dass unter den bis heute etablierten Seinsebenen noch viele andere verborgen sind, die wir auf der Erde mit allen denkbaren technischen Möglichkeiten niemals decouvrieren können. Zusätzlich reduziert wird das Potenzial der menschlichen Erkenntnisfähigkeit durch die früher besprochene grundlegende Beschränktheit unseres Verstandes und Absurdität unseres Daseins, die jede absolute Erkenntnis, jede Sicherheit des Wissens und überhaupt jede Absolutheit a la Hegel unmöglich machen.

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An verschiedenen Stellen in diesem Werk wird argumentiert, dass es Sinn und Zwecke auch jenseits des Menschen und seiner Vernunft geben kann. Nicht alle Philosophen teilen diese Ansicht. Viele machen den menschlichen Verstand und sein Bewusstsein zum absoluten Zentrum ihres Denkens, oder sie nehmen eine gewissermaßen postmoderne Haltung ein, in der man gelernt zu haben meint, dass es keine intellektuellen Sicherheiten gibt, und dass alle Letztbegründungen und scheinbaren Gewissheiten der Erkenntnis nur innerhalb von vorher verabredeten Axiomensystemen gelten.

Der Systemtheoretiker Luhmann zum Beispiel hat Sinn für nichts anderes als eine Kategorie gehalten, mit der psychische Systeme (Menschen) die Komplexität der sie umgebenden Welt reduzieren, um sich in ihr über Kommunikationsprozesse zusammenzuschließen und gemeinschaftlich orientieren und arbeiten zu können. Sinn ist hier nur für ein individuelles oder gesellschaftliches System definiert, und auch letztlich nur im Hinblick auf die Funktion der Aufrechterhaltung dieses Systems. Obwohl eine solche Definition für viele Bereiche unserer Existenz durchaus überzeugend ist, stellt sie doch einen stark eingeschränkten Denkansatz dar. Um das zu erkennen, muss man den Systemtheoretiker nur fragen, worin der Sinn besteht, gemeinschaftlich zu arbeiten und das System aufrecht zu erhalten. Er wird dann vielleicht sagen: damit es den Menschen materiell gut und möglichst immer besser geht, damit sie sich frei entfalten oder fortpflanzen können o.ä. Im Grunde läuft es auf die sich im Kreis bewegende Behauptung hinaus, der Sinn des Menschen sei der Mensch selbst - im Einklang mit allen philosophischen und soziologischen Strömungen, die den Menschen, sei es als Individuum oder als Gattung für das Maß aller Dinge halten und z.B. der Natur kein eigenständiges Existenzrecht einräumen. Viele dieser Philosophen würden sicherlich darin übereinstimmen, dass der Naturschutz ein hohes Gut ist - jedoch im Rahmen ihrer anthropozentrischen Sicht nur insofern er Leben und Lebensgefühl der Menschen verbessert.

Andere, ebenso unbefriedigende Versuche der Letztbegründung knüpfen an die subjektiv erfahrene Lebenswelt des Menschen an, die als primordiale Sphäre unserer Existenz und also auch des Denkens den Nährboden und angeblich auch die Determinante für jede Art der Letztbegründung darstellt. Abgesehen davon, dass sich viele 'wahrgenommene' physikalische Phänomene heutzutage von der Lebenswelt des Menschen ziemlich weit entfernt haben, landen diese Philosophen mit ihrem Ansatz aber entweder wieder nur bei den irdischen Zwecken und Interessen, die unser Denken zugegebenermaßen oftmals leiten, oder sie meinen eigentlich nur Vergewisserung statt (Letzt)-Begründung. Denn als Beispiele werden meist so scheinbar einleuchtende Gewissheiten wie etwa der Satz vom Widerspruch oder die Unbezweifelbarkeit der Existenz meines Ich betrachtet, weil man wohl meint, dass es für derartige Gewissheiten eine Letztbegründung ja geben müsse. In Wirklichkeit lässt sich die Existenz des eigenen Ich durchaus auch anzweifeln. Außerdem existieren verallgemeinerte Logiken und auch alltägliche Erfahrungen, etwa Streitigkeiten in der Familie, wo der Satz vom Widerspruch nur eine sehr begrenzte Gültigkeit aufweist. Da sie leicht täuschen kann, ist unsere Lebenswelt daher kaum als höchste Letztbegründungsinstanz geeignet.

Es ist bisher unmöglich für unseren beschränkten Verstand zu erkennen, ob es eine letzte Begründung allen Seins gibt, d.h. eine Begründung sowohl des physikalischen Kosmos samt seiner großen und kleinen Bestandteile als auch des menschlichen Bewusstseins selbst, das sich anscheinend nach chemischen Grundsätzen aus biomolekularen Stecksystemen entwickelt hat. Im Grunde geht es um die Frage, was 'dahinter' steht, d.h. aus welcher Weltsubstanz sich alles zusammensetzt, welche Dynamik diese Substanz antreibt zu welchem Ende sie generiert wurde. Solange wir die physikalische Antwort nicht kennen, enthält diese Frage von sich aus eine metaphysische Komponente.

Kant hat versucht, seine 'Transzendentalphilosophie', also die Erkenntnistheorie, als eine oberste Instanz zu inaugurieren, die solche letzte Begründungen liefern kann und daher Vorrang vor allen Wissenschaften haben muss. Gegen Kants Vorgehen lässt sich einwenden, dass gerade die von ihm zu recht hervorgehobenen Folgen der Einschränkungen unserer Erkenntnisfähigkeit dem Erkennen von letzten Gründen - zurückhaltend formuliert - nicht eben förderlich sind. Aus dieser Sicht scheint klar, dass die Konzentration auf die Mög-lichkeitsbedingungen der menschlichen Vernunft und überhaupt der gesamte Bereich der Erkenntnistheorie keinen essentiellen Beitrag zur Letztbegründungsdebatte leisten können.

Anders gesagt ist unser Verstand, welchem wir immerhin die edelsten Erkenntnisse über den Aufbau der Welt und das Verhalten unserer Bewusstseine verdanken, als Letztbegründer wenig tauglich. Die Existenz vernunftbegabter Wesen mag zwar notwendig zum Erkennen letzter Gründe sein, doch hinreichend ist sie allein sicherlich nicht.

Da die Vernunft beschränkt und fehlbar ist, könnte man meinen, Natur und Wirklichkeit gebührten in dieser Causa der Vorrang. Denn diese bleiben in Bezug auf die Prüfung und Verifikation von Erkenntnissen die letzte Instanz, auf die wir uns immer verlassen können. Und damit setzen sie die Skalen der Wahrheit, die für-sich nicht weiter begründet werden müssen.

Dass die Wirklichkeit in dem Sinne unfehlbar ist, weil sie den Ausgang jeden Experimentes diktiert, heißt natürlich nicht, dass sie 'wahr' in einem logischen oder sozialen Sinn wäre. Zudem ist sie oft unmenschlich kalt und wenig empathisch, und sie ordnet sich weder dem menschlichen Sozialkosmos noch seinem analytischen Verstand jemals vollständig unter.

Um hier weiterzukommen, soll zunächst auf den bekannten Unterschied zwischen physikalischer und theoretischer (z.B. mathematisch-logischer) Erkenntnis eingegangen werden. Während die theoretische Erkenntnis nach Belieben Implikationen und Tautologien aus vorgegebenen Axiomensystemen zu generieren vermag, werden die Wege der physikalischen Erkenntnis und Wahrheit zu einem Gutteil von der Natur selbst festgelegt.

Um sie dem menschlichen Verstand zugänglich zu machen, müssen allerdings die Phänomene-an-sich der Natur durch Begriffe erfasst und auf dieser Basis Experimente ersonnen und durchgeführt werden, die den Wissenschaftlern nähere Informationen über jene Erscheinungen geben sollen - ein Vorgang, der immer einen bestimmten Stand der Technik und der Naturerkenntnis voraussetzt. Von Modellvorstellungen gespeiste Begriffe und Pointer sind hier unabdingbar, um die Experimente zu konzipieren und auszuwerten, weil es ja keine bessere Möglichkeit gibt, in und aus unserem Bewusstsein zu gelangen als nach den Regeln und Pfaden des Verstandes. Der Verstand, der sich einst unter den Bedingungen unserer natürlichen Umgebung auf der Erde entwickelt und gefestigt hat, stellt via Experiment Fragen an die Natur, und die Antworten gibt die Natur im Idealfall völlig unabhängig vom Menschen.

Im Kern zielt die Gesamtheit der Experimente darauf, sich der Natur aus verschiedenen Richtungen zu nähern und dadurch eine vollständige und gewissermaßen begriffsunabhängige Wahrheit zu gewinnen, also einen möglichst objektiven Blick auf die Dinge-an-sich. Im Normalfall hängen unsere Schlussfolgerungen allerdings von der Art und Weise ab, wie und mit welchen Hintergrundvorstellungen die Fragen gestellt worden sind.

Zusammen mit bereits vorhandenen Modellen und Hypothesen über den Aufbau der Welt helfen die theoretischen Wissenschaften (Logik, Mathematik und Philosophie) als eine Art formaler Rahmen, die physikalischen Ergebnisse auszuwerten und einzuordnen. Dabei parallelisiert die innere Konsistenz des theoretischen Denkens eine entsprechende Kohärenz und Verlässlichkeit im Verhalten der Natur.

Kraft ihrer Faktizität wird diese in allem immer das letzte Wort behalten, sei es durch die Bestätigung einer bekannten Theorie oder durch überraschende sich aus den experimentellen Ergebnissen ergebende Wendungen. Hierbei ist die Bereitschaft der Forschenden einzufordern, in entscheidenden Situationen auf altbewährtes Modellinventar zu verzichten und neue Sichtweisen zuzulassen.

Ein teilweise berechtigter Einwand gegen die naturalistische Interpretation des wissenschaftlichen Vorgehens kommt daher, dass die Qualität der Naturerkenntnis durch psychosoziale Faktoren beeinflusst werden kann. Dies führt so weit, dass manche Autoren natur- und geisteswissenschaftliche Gesetze für gleichermaßen unpräzise halten. An anderer Stelle in diesem Werk sind allerdings die Unterschiede zwischen physikalischer und geisteswissenschaftlicher Erkenntnis herausgearbeitet worden - als Beispiel seien die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaften, etwa im Bereich der Ökonomie oder der Kultur erwähnt, die einen ganz anderen Charakter haben als die Naturgesetze. Die Beeinflussung der Naturerkenntnis durch psychosoziale Faktoren erfolgt denn auch nicht so, dass unter anderen psychosozialen Bedingungen ganz andere Gesetze herauskommen würden. Sondern es hängt die Aussagekraft eines Experimentes a) von dem historisch erreichten Stand der Begriffsbildung, etwa der Einführung der Quantentherie sowie b) von den technischen Möglichkeiten / dem Stand der Produktivkräfte in der sich ständig höher entwickelnden Gesellschaft ab, und auch c) von dem zur Verfügung stehenden analytisch-mathematischen Handwerkszeug der Wissenschaften und dem sonstigen Weltbild der Forscher.

Neben dem logischen und dem physikalischen gibt es noch einen weiteren Sinn, dem wir dem Begriff der Wahrheit gelegentlich beigeben, nämlich den, in dem wir vom 'wahrhaft' Guten, 'wahrhaft' Schönen o.ä. sprechen. Dies führt in die angewandte Philosophie der Ethik und der ästhetischen Theorien, von denen in diesem Kapitel jedoch nicht weiter die Rede sein soll. Auch muss man Abstand davon nehmen, aus dem Absolutheitsanspruch der Wirklichkeit und der daraus sich ergebenden Konkordanz von Wirklichkeit und Wahrheit im Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnis zu schließen, das 'wahrhaft' Gute oder Schöne lasse sich nur in der Natur finden. Denn Ethik und Ästhetik sind menschliche Kategorien, die mit der Natur nur insofern zu tun haben, als der Mensch ein Naturwesen ist. Er empfindet gewisse natürliche Umgebungen als schön, d.h. ordnet ihnen ein ästhetisches Merkmal zu, weil er oder seine Urahnen gelernt haben, dass sie nicht mit Erfahrungen von Gefahr, sondern von Freude oder Entspannung korreliert sind. Analog ist die ethische Wahrheit in allem Anfang mit dem Überleben (in) der Gemeinschaft korreliert, und also mit jenem anthropozentrischen Sinnbegriff, über den die theoretische Philosophie eigentlich hinausgelangen sollte.

In der modernen Erkenntnistheorie wird oft versucht, die Einsichten von Kant um die diesen an sich entgegenstehenden Bedenken des englischen Pragmatismus und Positivismus in der Nachfolge Humes und Poppers zu erweitern. Diese besagen, es sei nicht möglich, für irgendeine Aussage Letztbegründung zu beanspruchen. Und also sei sicheres Wissen unmöglich.

Darauf ist zu erwidern, dass sich der Letztbegründungsgedanke im Bereich der Metaphysik auf die Dinge-an-sich und auf eine objektive Verortung der menschlichen Rolle im Kosmos bezieht, während er im Bereich der Erkenntnistheorie, wo es nur um die Strukturbedingungen unseres Wissens und Begreifens geht, ohnedies eigentlich nichts verloren hat. Denn was soll Letztbegründung im Bereich der Erkenntnis überhaupt heißen? Dass die überwältigenden Einsichten des Kopernikus in ziemlich weitgehender Form ein absolutes Wissen-an-sich darstellen, ohne aber einen metaphysischen Charakter aufzuweisen, ist spätestens seit den Tagen klar, als die ersten Astronauten die Erde über dem Mond aufgehen sahen. Es handelt sich hier, wie auch bei vielen weniger bedeutenden physikalischen Einsichten, durchaus um sicheres Wissen (sic!), ohne dass aber Letztbegründungsansprüche erhoben werden könnten.

Natürlich lässt sich Hume folgend mit einem gewissen Recht argumentieren, dass gar nichts sicher sei, so wie wir unseres Selbst und der Existenz unseres Bewusstseins auch nie hundertprozentig sicher sein können. Doch geht es bei Wissen und Erkenntnis gar nicht vorrangig um die Frage der äußersten Sicherheit oder Begründung, sondern darum, wie richtig, das heißt, wie genau sie sind.

Letzte Sicherheit in Bezug auf das Wissen wäre allenfalls in gewissen Bereichen der Metaphysik von Bedeutung; die Wissenschaft hat sich darauf zu konzentrieren, Eigenschaften und Verhalten von theoretischen oder materiellen Untersuchungsgegenständen möglichst gut zu verstehen. Wie oben dargelegt, kann man zwar die Dinge-an-sich niemals vollständig begreifen; doch kommen die Bilder, die etwa Kopernikus entworfen hat, indem er die Bewegung von Sonne und Planeten in eine richtige Relation zueinander setzte, dem hier favorisierten absoluten Verstehensideal ziemlich nahe. Der nächste Schritt ist dann die Mathematisierung, um zu einer quantitativen Beschreibung zu gelangen. Hier ist Newton zu nennen, dem es gelang, aus seinem Gravitationsgesetz ma=Kraft=GMm/r2 die Ellipsenbahnen der Planeten abzuleiten.

Man sollte sich jedoch hüten, in dem Prozess der Mathematisierung, genau wie in anderen analytischen Methoden etwa der Logik, mehr als eine wenngleich hocheffiziente und bei komplexen Problemen mitunter ungemein hilfreiche Plausibilisierung und Strukturvereinfachung zu sehen. Die beiden entscheidenden Newtonschen Annahmen,

-die Gravitationskraft linear mit Masse und Raum und

-Kräfte überhaupt linear mit Masse und Beschleunigung

zu korrelieren, sind von bestechender mathematischer Simplizität und physikalischer Plausibilität. Auch andere und sogar fast alle grundlegenden physikalischen Erscheinungen wie etwa der Elektromagnetismus, dessen Lagrangewechselwirkung für ein geladenes Elektron E und ein Photon A sich durch einen Term e*Ebar*Aslash*E beschreiben lässt, wobei e die Stärke der Kopplung angibt, folgen linearen Gesetzmäßigkeiten, und man kann daraus mit Recht auf eine entsprechend simple Eigenschaft und Qualität der Materie schließen.

Dabei ist durchaus denkbar, dass wir die einfache Form dieser Gesetze zum Teil der Tatsache zu verdanken haben, dass eine die Linearität störende Eigenschaft der Einen Substanz, die unserer Welt zugrunde liegt, bei den in unserem Teil des Kosmos wahrnehmbaren Temperaturen/Energien/Abständen praktisch nicht auszumachen ist, i.e. weil diese sehr klein gegen die Planckskala sind.

In den übrigen Wissenschaften ist die Situation etwas anders als in denen von der Natur. Während man in den Geisteswissenschaften meist nicht umhinkommt, ihren historischen Entwicklungsinhalt möglichst vollständig nachzuzeichnen und die dort geltenden Gesetze im Gegenzug einen weniger zwingenden Charakter haben, kann man es sich in Logik und Mathematik formal einfach machen und von festen, wie vom Himmel gefallenen axiomatischen Systemen ausgehen, die nicht hinterfragbare Dogmen repräsentieren, auf die sich eine Theorie widerspruchsfrei, also logisch wahr, aufbauen lässt. Allerdings fehlen dabei die Gründe und die Motivation, warum man gerade dieses und nicht ein anderes Axiomensystem in das Zentrum des Interesses stellt. Auch in der theoretischen Physik gibt es axiomatische Ansätze, doch in ihrer scheinbaren Rigorosität sind sie nicht in der Lage, mehr als nur einfache Sonderfälle zu behandeln, und weichen darüberhinaus der zentralen anscheinend metaphysischen Frage aus, welche Substanz und besonders welcher Sinngrund die Phänomene der Natur letztlich zusammenhält. Außerdem lehnen sich solche Axiomensystem notgedrungen an den aktuellen, mitunter unzureichenden statt an einen absoluten Stand des Wissens an.

So ist denn seit Jahrhunderten das effektivste Vorgehen der Naturwissen-schaften erwiesenermaßen ein anderes: die Suche nach immer neuen Effekten und neuen Ebenen von Kleinheit (und Größe) in der Materie. Zuerst die Atome, dann die Elementarteilchen, und schließlich angesichts der Vielzahl von Quark- und Lepton-Arten möglicherweise noch eine weitere Schicht der Realität, das Tetronkontinuum.

Die Geschichte der Physik ist also die eines ENDlichen Regresses, dessen Endpunkt allerdings trotz seiner Endlichkeit wahrscheinlich nie benannt werden kann, einfach weil uns Menschen auf der Erde die experimentellen Ressourcen fehlen, um die tieferen Schichten der Materie genau genug zu analysieren. Unter anderem in dieser Unsicherheit scheint die METAPHYSISCHE KOMPONENTE ALLER ERKENNTNIS auf. Die von Kritizismus und kritischem Rationalismus gemachte Anmerkung, dass die Fruchtbarkeit einer Theorie im Mittelpunkt stehen sollte statt ihre metaphysische Bedeutung, bleibt unbezweifelt; sie liegt aber auf einer anderen Ebene.

Das gilt auch für Theorien der Psyche und der Gesellschaft, die ohnehin keine immanente Letztbegründung besitzen können, weil menschliches Verhalten von Gehirnvorgängen, von Trieben und Befindlichkeiten, von unseren Genen, unserer Kultur und den immerzu changierenden Interessen und Weltbildern angetrieben wird, denen wir folgen zu müssen meinen, und daher eigentlich kein fester Grund des Ich-Bewusstseins auszumachen ist. In der Soziologie wird versucht, allgemeine Sätze und Theorien für die Dynamik des sozialen Verhaltens aufzustellen (z.B. den Sozialdarwinismus als Triebfeder des o.g. Interessenegoismus). Doch haben diese vielfach den Charakter von qualitativen Näherungen, die nur TENDENZEN statt Prinzipien beschreiben! Eine Tatsache, die u.a. darauf zurückzuführen ist, dass in der biologischen und sozio-kulturellen Entwicklung von Individuen, Gesellschaften und Arten der Zufall eine allzu große Rolle spielt.

Der schon mehrfach erwähnte angelsächsische Pragmatismus hat an dieser Stelle die geringsten Probleme, weil er im engeren Sinne keine theoretische Philosophie von Natur oder Gesellschaft darstellt. Andererseits beharrt er auf der Spitzfindigkeit, dass man sich der Wirklichkeit und Kausalität nie ganz sicher sein könne. Darin liegt eigentlich eine wenngleich ungewollte Anerkennung der Metaphysik, nur dass behauptet wird, man müsse hierbei stehenbleiben und solle eben keine weitergehende Metaphysik treiben. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Wissenschaft selbst nie stehenbleibt und metaphysische Spekulationen immer eine gewisse Rolle spielen. So wird mancher Grundlagenforscher von metaphysikalischen Anwandlungen motiviert und angespornt, auch wenn er am Ende nach erfolgreicher Arbeit meist feststellt, dass seine Resultate im Effekt von ziemlich prosaischer Natur sind.

Jene Art des Pragmatismus will auch nicht einsehen, dass der wissenschaftliche Fortschritt keineswegs immer vernünftig oder geradlinig verläuft. Sondern sie fordert, alle möglichen Behauptungen und Modelle insofern gleich zu behandeln, als alle überprüft und einzig nach ihrer Fruchtbarkeit bzw Erklärungskraft beurteilt werden müssten. Schon richtig, man soll ein offenes Auge für unkonventionelle Ideen haben, doch alle Modelle gleich zu behandeln oder abwegige Hypothesen sogar zu bevorzugen ist ein ziemlich umständliches Prinzip, das an der Wirklichkeit der Forschung außerdem vollständig vorbeigeht. Die meisten Forscher lassen sich von Vorurteilen leiten, oft in Gestalt von allgemein anerkannten, auf dem Marktplatz des Denkens quasi totalitär herrschenden Modellen, eben jenen, die sich eines guten Rufes erfreuen und von einflussreichen Marktteilnehmern gepusht werden. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, wendet man sich von ihnen ab.

Der cleverste Schachzug, um zu einer wahren Koryphäe aufzusteigen, besteht darin, Modelle auf den Markt zu bringen, die sich kaum oder gar nicht verifizieren/falsifizieren lassen. Das ist in der Geschichte der Wissenschaften öfter vorgekommen, und heutzutage wieder weit verbreitet. Nicht unähnlich einem Hollywoodfilm verkaufen sich solche Modelle um so besser, je exotischere Ideen und Träume sie bedienen. Wenn ihnen die Mehrheit der Mitläufer in der Wissenschaftscommunity folgen, kann dies den Fortschritt der Wissenschaft über Jahrzehnte lähmen.

Die Situation ist ziemlich analog zu den Geisteswissenschaften, die ebenfalls von ein paar Klassikern und im Übrigen von jeweils mächtigen Modeströmungen dominiert werden.

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Insgesamt kann man die Frage, ob eine Letztbegründung der menschlichen Existenz durch den Menschen selbst vorgenommen werden kann, zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten. Es ist ein Charakteristikum menschlicher Denkvorgänge, die aus Fragen und Antworten bestehen, dass implizit immer mindestens eine Frage offenbleibt: Warum ist A? Weil B? Warum ist B? Weil C usw. Zum Beispiel kann man A == alle Phänomene der Physik auf B == die Wechselwirkungen zwischen Quarks und Leptonen zurückführen. Woher aber kommt B? Von C? Wie oben angedeutet, ist auch C == die Tetron-Theorie eventuell nur ein solcher Schritt auf diesem endlichen doch anscheinend nie endenden Weg der Erkenntnis. Das nie Endende ist dabei geradezu ein Prinzip der Wissenschaft, die, um sich weiter entwickeln zu können, von Zeit zu Zeit auf eine neue grundlegende Seinsebene vorstoßen muss.

An so einem Wendepunkt gibt es dann im Wesentlichen zwei Möglichkeiten:

-C erscheint vorübergehend als der letzte Grund, doch wird man nach einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf D geführt.

-C ist wirklich der letzte Grund; dies bleibt aber für immer unentscheidbar, entweder aus praktisch-technischen Gründen, weil ein experimentum crucis zu aufwändig wäre, um von der Menschheit ausgeführt zu werden, oder aus natur-ontologischen, weil etwa die Genauigkeit der Messgeräte über die durch die Quantenmechanik bedingte Unschärfe hinausgehen müsste, um C endgültig zu verifizieren, oder weil der Urgrund des Seienden jenseits des von uns wahrgenommenen Ereignishorizontes liegt und indirekte Schlüsse keine eindeutige Antwort liefern, o.ä.

In jedem Fall lohnt es sich, die Frage nach der Letztbegründung unserer Existenz einmal vom Standpunkt der theoretischen Philosophie aus zu betrachten. Zunächst muss man sich darüber klarwerden, dass die speziellen Dinge-an-sich, auf die unser Untersuchungsinteresse jeweils gerichtet ist, vom unqualifizierten 'Etwas' zu unterscheiden sind, einem Begriff, der lediglich als das Gegenteil des Nichts fungiert und dessen Verwendung oft auf die Inadäquatheit einer Fragestellung hindeutet.

Betrachten wir etwa die Frage, ob es 'natürlicher' sei, dass Nichts oder dass Etwas ist. Der Natürlichkeitsbegriff ist hier offenbar nicht ganz passend. Sondern es geht eigentlich um 2 Fragen:

(i) Warum ist nicht Nichts?

(ii) Warum sind diese speziellen Dinge-an-sich da? Oder, anders gefragt, warum und wozu gibt es genau diesen Kosmos, der uns unser Leben ermöglicht?

Beide Fragen (i) und (ii) werden von vielen Wissenschaftlern und Philosophen als metaphysisch verworfen. Stattdessen sucht man nach Antworten auf die Frage

(ii') Wie kann das spezielle Etwas, was ist (also die vorhandenen Dinge-an-sich), funktional beschrieben werden, d.h. nach welchen Gesetzen verhält es sich unter den und den Bedingungen?

Auf diese Weise kommt man zu den Standardmodellen der Physik. Und die nicht-metaphysikalische Philosophie ergänzt dies bestenfalls um Antworten auf die Frage:

(i') Was sind die Bedingungen der Möglichkeit dieser Art von erkennender Beschreibung?

Hauptproblem dabei: selbst wenn man etwas präzise beschreiben und sogar vorhersagen kann, in diesem Fall die Phänomene, die von den speziellen Dingen-an-sich ausgehen, heißt das noch lange nicht, dass man alle ihre Aspekte und insbesondere die tieferliegenden, nicht in die Wahrnehmung springenden, versteht. Sondern es kann sein, dass die gesamte heutige Naturwissenschaft und die Prozesse, die sie untersucht, nur die Oberfläche eines Systems darstellt, deren Tiefenstruktur etwa durch die genannten Tetronen gegeben ist.

Wie bereits erwähnt, sind solche Verhältnisse aus Teilbereichen der Physik wohlbekannt. So kann zum Beispiel das Sieden von Wasser sehr gut durch Landaus Potentialtheorie für Phasenübergänge beschrieben werden, und auch andere Eigenschaften des Wassers lassen sich rein auf makroskopischer Ebene begreifen, ohne dass man wissen müsste, dass es aus Wasserstoff- und Sauerstoffatomen besteht. Andererseits ist aber doch die molekulare Struktur des Wassers eine Eigenschaft, die man gern kennen möchte, weil sie in verfeinerten Experimenten von erheblicher Bedeutung ist.

Man steht hier dem Problem gegenüber, dass nicht nur eine objektiv falsche, sondern auch eine makroskopisch scheinbar perfekte Beschreibung von Phänomenen, die vielleicht noch durch einen faszinierend abstrahierenden Zugang abgerundet, vervollständigt und abgeschlossen wird, den wahren Fortschritt der Erkenntnis verlangsamen würde, falls man bei ihr stehen bliebe - aus dem einfachen Grund, weil ihre Verfechter die Existenz tiefer liegender, molekularer Strukturen a priori leugnen. Und genau dies ist die derzeitige Situation in Bezug auf das Standardmodell der Teilchenphysik.

Selbst der Physiker, wenn er zu solchen tiefer liegenden Strukturen gelangen will, wird also (ii') am Ende ergänzen um die Frage:

(iii) Was ist?

soll heißen, er muss versuchen, die speziellen Dinge-an-sich zu verstehen bis in die untersten Winkel ihrer Existenz. Und es ist dabei durchaus möglich (oder auch nicht, wir wissen es nicht), dass er aus der 'tiefsten', letzten Antwort auf (ii') und (iii) wird ablesen können, was der Urgrund des Daseins ist, dass er also auf eine Antwort auf die Fragen (i) und (ii) geführt wird.