Möglichkeit und Kausalität

 

Wir leben in einer Zeit; wir empfinden Zeit als vergehend; wir sind kurzlebige Kreaturen, in einen eigentlich lebensfeindlichen Kosmos geboren. Uns geht es meist nur in Gesellschaft gut, bei Freunden und gemeinsamer Arbeit, oder in einer Familie, die uns auffängt und über die Sinnlosigkeit unserer Existenz hinwegtröstet.

Doch auch ein Kosmos hat seine Zeit. Der unsere ist 14 Milliarden Jahre alt, und wir Menschen können diese Zeit objektiv messen. Das verdanken wir der ununterbrochenen Zunahme der Entropie in unserem Universum, wo ein statisches System keinerlei Zeit kennen würde.

Wie es räumliche Zusammenhänge von Gebilden gibt, so gibt es zeitliche Zusammenhänge von Ereignissen. Diese können durch Zeitentwicklungsoperatoren beschrieben werden, die es erlauben, aus einem Zustand zur Zeit t1 auf einen Zustand zur Zeit t2 (>t1) zu schließen. Die Physik ist in der Lage, Gesetze aufzustellen, welche die Dynamik, d.h. die Zeitentwicklung eines Systems beschreiben. Damit ein Gesetz in der Natur relevant ist, muss es eine Entsprechung in den Dingen-an-sich haben, die für den kausalen Zusammenhang der Ereignisse sorgt. Hierbei ist zu bemerken, dass dies nur einen Sonderfall der im Kapitel über Erkenntnistheorie diskutierten Dualität von Begrif-fen/Pointern(=in diesem Fall die Gesetze der Physik) und entsprechenden Eigenschaften der Dinge-an-sich darstellt.

Als klassisches Beispiel lässt sich die Schrödingergleichung anführen, in der der Operator für die infinitesimale zeitliche Entwicklung durch die Energie (=sog. Hamiltonoperator) gegeben ist. Die Schrödingergleichung ist zugleich ein Beispiel dafür, dass ein System kausal sein kann, ohne dass es vollständig determiniert ist, da sich zwar der Zustand bzw seine Wellenfunktion nach der Schrödingergleichung berechnen lassen, die Wellenfunktion selbst jedoch eine statistische Größe ist, aus welcher sich nur Aussagen über Mittelwerte von Messergebnissen ergeben. Der Grund für diese denkwürdige Eigenschaft der Quantenmechanik liegt letztlich in der Diskretheit und den mikroskopischen Eigenschaften der zugrunde liegenden Tetronmaterie - genauer: in der Wellennatur ihrer Anregungen.

Allerdings taugt die Schrödingergleichung nicht als Modell für die später zu führende Freiheitsdiskussion, da sich aus ihr über die Determiniertheit der makroskopischen Welt und die Möglichkeiten der menschlichen Freiheit wenig ablesen lässt. Die Schrödingergleichung ist da gültig, wo die quantenmechanischen Prinzipien wirksam sind, also jedenfalls nicht im makroskopischen Bereich (und wohl auch nicht in Regionen des Mikroskopischen unterhalb der Plancklänge, die für die Menschheit nicht zugänglich sind).

Freiheit hat nur bedingt mit physikalischen Gesetzen zu tun. Und wenn, betrifft sie weniger quantenmechanische Mikrozustände als komplexe makroskopische Vielteilchensysteme, in denen der Mensch zwischen Zufällen und Notwendigkeiten, Trieben und Bedürfnissen hin und her changiert und sich seine Freiheit suchen muss (oder was er dafür hält). Um in dem Chaos all seiner Wünsche und Pflichten die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist sein Gehirn in der Lage, sich fiktive Bereiche zu schaffen, in denen es die Auswirkungen einer bestimmten Wahl bedenken kann, d.h. es steht ihm das Konzept der Möglichkeit zur Verfügung.

Möglichkeiten repräsentieren keine alternativen Welten, wie von der Modallogik oft unterstellt, repräsentieren also nichts, was nahezu gleichberechtigt neben der Wirklichkeit stehen würde, sondern sind gedankliche Partialbilder, überzeichnete Skizzen, die sich aus unseren Wirklichkeitserfahrungen entwickeln können, sind Umrisse von erdachten Teilwirklichkeiten.

Es lässt sich ja mit Hilfe von Begriffen und Pointern die Wirklichkeit nicht vollständig abbilden, die viel mehr Verästelungen aufweist als unser Gehirn je verarbeiten kann, sondern wir sind immerzu abhängig von fehlerträchtigen und unsicheren Interpretationen unserer grobkörnigen Wahrnehmungen, und es kann umgekehrt sogar vorkommen, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Modelle der Wirklichkeit als gleichberechtigt anerkennen müssen, einfach weil sich der Kosmos uns dort entzieht, weil er uns trotz großer Anstrengungen dort nicht präzise genug bekannt ist, weil er Experimenten dort schwer zugänglich ist. In dem Sinne sind Modelle, da sie sich nie auf das vollständige Panorama der Realität beziehen können, als erweiterte Möglichkeitskonstruktionen zu betrachten.

Der Kniff des Möglichkeitskonzeptes besteht nämlich darin, sich auf einzelne oder wenige Teilaspekte einer nur akklamativ als vollständig, tatsächlich jedoch nur umrisshaft gedachten 'möglichen Welt' zu konzentrieren, und die Frage, ob sie wahr-wirklich sind oder sein können, zunächst auszublenden. Denn wenn man Möglichkeiten mit ihren Begriffen identifiziert - was bei Zeigern auf Zeiger immer erlaubt ist, die sich realen Objekten ohnehin nur gedanklich und nur als Erkenntniserfahrung mancher ihrer Eigenschaften nähern - können Möglichkeiten durchaus vollständig durch ihre Begriffe erfasst werden, da sie eben nicht mehr als das sind und keine vollständige Wirklichkeit bezeichnen. Es macht daher auch keinen anderen als formalen Sinn, sie im Rahmen einer 'Gesamtheit von möglichen Welten' zu denken. Als Teil des Bewusstseins gehört die Möglichkeit nur in demselben Sinn zur Welt, in dem die Begriffe zur Welt gehören.

Nur als Imagination gehört sie der Welt an, d.h. sie gehört zur Wirklichkeit unserer Vorstellungen, die als Teil des Bewusstseins aus den Gehirnströmen und Substanzen unseres Kopfes hervorgehen, und damit dann indirekt natürlich doch zur physikalischen Wirklichkeit. Anthropologisch ist sie dadurch entstanden, dass das Konzept der Möglichkeit es erlaubt, in die physikalische Welt vorausschauend einzugreifen. Wenn man die Welt als Gesamtheit des materiellen Universums, der menschlichen Körper und der aus Proteinen be-stehenden Projektionen und Fiktivkonstruktionen ihrer Gehirne auffasst, ist sie ein um so komplizierteres System, in dem eben auch die gedankliche Konstruktion unwahrscheinlicher Möglichkeiten, von Traumgebilden und sogar Widersprüchliches Platz hat.

Manchmal wird versucht, den Begriff der Möglichkeit mit dem 'Potential' eines Grundsubstrates in Verbindung zu bringen, das die Gesamtheit aller Möglichkeiten enthält bzw generieren kann. Doch ein solcher Ansatz ist aufgesetzt und oft wenig angemessen, zumal das Grundsubstrat nichts Materielles, sondern etwas rein Geistiges wäre. Außerdem wird menschliches Verhalten zum Teil von höchst unwahrscheinlichen Fantasien und Träumen bestimmt, bei denen entsprechend nur ein kleines, kaum wahrnehmbares Potential wirksam wäre, die aber für unser Bewusstsein und seine psychische Stabilität von enormer Bedeutung sein können.

Möglichkeiten sind etwas rein Gedachtes und bedürfen keines Grundstoffes, jedenfalls nicht mehr als andere gedankliche Konstruktionen. Der einzige und letzte Grundstoff der Welt ist physikalischer Natur, es sind die Tetronen, die das elastische Medium unseres Universums bilden, auf dem sich das Reale bzw die reale Materie in der Form isomagnetischer Quasiteilchen-Anregungen ausbreitet und mit sich in Wechselwirkung tritt. Alles kann jederzeit in Energie umgewandelt werden, doch ist diese Energie in jeder Form letztlich nur Anregung oder Bewegung des Grundstoffes, also Wirklichkeit, nicht nur Potentialität. Wirklichkeit sind alle gegenwärtigen wie künftigen und vergangenen Zustände des Kosmos.

An anderer Stelle in diesem Werk wurde die Vorstellung verworfen, das Nichts habe etwas mit dem Möglichen zu tun. Dabei wurde argumentiert, dass eine solche Vorstellung von der falschen Idee herrührt, das Nichts sei von seiner Natur her so etwas wie das Mögliche - also etwas nicht Existierendes, ein nicht Seiendes und bloß Gedachtes. Stattdessen wurde eine Charakterisierung des Nichts gegeben, welche der eines Grundzustandes in der Physik ähnelt, mit der Folge, dass ein solches Nichts durchaus als etwas materiell Seiendes betrachtet werden kann.

Man muss einfach achtgeben, wie man den Begriff der Möglichkeit verwendet. Falls dieses ein Noch-Nicht kennzeichnet, ist es in meinem Sprachgebrauch nicht nur eine Möglichkeit, sondern in unserer quasi-deterministischen Welt Teil der künftigen Wirklichkeit. Umgekehrt kommt in den Herzen der Menschen manchem nicht-seienden Potenziellen etwas zu, was viel mehr einem im emphatischen Sinne 'vollständigen', wiewohl nur utopisch-eingebildeten, Sein entspricht als jene dürftige und repressive alltägliche Wirklichkeit, welche uns dem Nichts gleich immerzu unversöhnt zurücklässt.

Das Nur-Mögliche und aber Nicht-Wirkliche ist einfach nicht. Als Mögliches ist es nicht unwahr, das wäre die falsche Kategorie, sondern unvollständig, allein weil ihm als etwas nur im Kopf Gedachtes die vielen Details und Haarrisse der physikalischen Wirklichkeit fehlen, die aus einer wandelbaren Substanz von Wellen besteht, deren Träger die Tetronen sind. Während Möglichkeit weder als Antonym von Wirklichem noch von Notwendigem betrachtet werden kann und nur so weit geht wie der Gedanke, der sie denkt (ob er auch von noch so Vielen gedacht wird), ist jedes Detail der Wirklichkeit immer nur NÄHERUNGSWEISE ERFASSBAR und gehört zu jener komplexen Vollständigkeit, die man als Totalität des Kosmos bezeichnen könnte.

Von empiristischen Philosophen wird dies anders gesehen. Sie halten einen physikalischen oder chemischen Prozess für 'vollständig verstanden', wenn man seine kausalen Ursachen, seine sonstigen Voraussetzungen/Bedingungen sowie die Gesetze kennt, nach denen er sich vollzieht.

Betrachten wir den Fall eines empiristisch orientierten Chemikers etwas näher. Seine Ansichten mögen für einen Naturwissenschaftler, der sich auf sein Fachgebiet und hier etwa nur auf eine einzige Art von Reaktion konzentriert, durchaus praktisch, angemessen und vernünftig sein. In der philosophischen Erkenntnistheorie muss sie jedoch als falsch zurückgewiesen werden. Denn was heißt 'vollständig verstanden'? Offenbar ignoriert doch der Chemiker, dass es in den Dingen-an-sich tieferliegende Feinstrukturen gibt, zum Beispiel die Wechselwirkungen der Kerne, relativistische Effekte wie den Lambshift und wahrscheinlich noch viele sehr kleine Effekte von Wechselwirkungen, die der Genauigkeit seiner Experimente entgehen. Sie mögen zwar für den pra-xisorientierten Chemiker in guter Näherung momentan keine Rolle spielen, sind aber für ein vollständiges Verständnis der Wirklichkeit absolut unerlässlich. Wobei Fälle, in denen die Kernwechselwirkungen als Feineffekte die von dem Chemiker betrachtete Reaktion modifizieren und gerade das Interesse anderer Forscher wecken, gar nicht so selten sind.

Mit anderen Worten: der empiristische Chemiker deckt nur genau das begrifflich ab, wovon er spricht bzw sprechen will, nämlich die Chemie(=die von der nichtrelativistischen Schrödingergleichung beschriebene Physik der Atomhüllen). Er reduziert die Natur auf ein endliches begriffliches System, und hat dann auch nur eine endliche Taskliste abzuarbeiten, um zu seinem angeblich vollständigen Verständnis zu gelangen.

Im Grunde handelt es sich bei der empiristischen Naturphilosophie um systemtheoretisches Denken, das sich die Welt als eine Art komplexe Maschine mit endlich vielen Funktionen vorstellt und ihr keine weitere Tiefe zubilligt. In Bezug auf das oben betrachtete System der Chemie mag das ein vernünftiges Vorgehen einer instrumentellen Vernunft sein; es orientiert sich aber allzu sehr an von Menschen künstlich hergestellten kybernetischen Systemen und ist in der Konsequenz nicht weit entfernt von anthropozentrischen Philosophien, die der Natur darum keine große Bedeutung zubilligen, weil sie sie für ein Anhängsel oder gar eine Einbildung des menschlichen Geistes halten.

Man möchte vielleicht einwenden, dass doch zumindest jene Möglichkeiten, die sehr 'nahe' beim Realen liegen, im Hinblick auf die Wirklichkeit etwas Besonderes darstellen. Das ist aber nur richtig, wenn und insofern sie nahe an der Wahrheit über die Wirklichkeit liegen und uns dabei helfen, diese Wirklichkeit richtig einzuschätzen.

Es ist nämlich falsch zu behaupten, dass aus dem Möglichen durch Werden ein Wirkliches werden könnte, denn wie bereits festgestellt, ist das Mögliche etwas rein Gedachtes, und ein Wirkliches kann durch Werden nur aus einem anderen Wirklichen entstehen, oder anders ausgedrückt: ein realer physikalischer Zustand X kann nur aus einem anderen realen Zustand Y hervorgehen, und zwar vermittels einer Zeitentwicklung, die von der Dynamik der Naturgesetze, also von den Eigenschaften des Realen bestimmt wird.

Je nachdem, wie sich die beiden Zustände energetisch zueinander verhalten, muss dabei Energie zugeführt werden, oder es wird Energie frei, und wenn die Zustände nur Teilsysteme des Kosmos beschreiben, kann die Entropie entweder zunehmen oder abnehmen.

Überspitzt lässt sich das Mögliche als eine psychische Kategorie bezeichnen, die für die Wirklichkeit nur insofern eine Rolle spielt, als sie den Menschen in die Lage versetzt, zu planen und sein Handeln durch das Denken in Möglichkeiten über ein bloßes Drauflos-Tun zu erheben. Das heißt, den Möglichkeitsbegriff braucht die Natur nicht, aber der Mensch braucht ihn, weil er sich zwischen Alternativen entscheiden können muss. Denn der menschliche Eingriff kann durch Handeln aus dem gedachten Möglichen etwas Wirkliches machen, das ist ein Aspekt der menschlichen Freiheit. - Dazu später mehr.

Möglichkeiten sind zwar ein Nichts gegenüber der wahren Realität, für uns Menschen sind sie aber von enormer Bedeutung. Der Mensch ist ein Möglichkeitstier, dessen individueller Bewusstseinskosmos aus einem Reich von Möglichkeiten, Träumen und Spekulationen sich zusammensetzt. Das lässt sich nicht nur an jenen Individuen beobachten, von denen man sagt, dass sie 'in ihrer eigenen Welt leben', sondern beispielsweise auch daran, wie gut die Schauspielkunst beim Publikum ankommt. Es gibt Menschen, die den größten Teil ihrer Zeit vor dem Fernsehapparat verbringen, wo ihnen eine schier unendliche Abfolge von Möglichkeitsumständen präsentiert wird, in die sie nur allzu gern eintauchen. Das geht bis hin zu den Nachrichtensendungen, in denen die Berliner Politik rund um die Uhr gut bezahltes Theater aufführt. In diesem Theater werden Möglichkeitskonzepte für Realität verkauft, derart dass die ausgeübte Macht zuweilen kaum noch wahrzunehmen ist.

Möglichkeiten zu konstruieren und zu durchdenken, ist eine Fähigkeit des Geistes. Dabei werden keine alternativen Wirklichkeiten geschaffen, sondern in überlegter, passender Weise Bilder und Modelle als modifizierte Wirklichkeitserfahrungen im Kopf gebildet. Wichtig allerdings - und dadurch wird das Mögliche zu einer Kategorie der sozialen Kommunikation - dass die Bewusstseine vieler Menschen solche Modelle teilen können, etwa in Form von gemeinsamen Plänen für große Projekte, die ein Einzelner nie realisieren könnte.

Zur Sphäre des Möglichen gehören auch kollektive Utopien, auf deren Janusköpfigkeit später noch ausführlicher eingegangen wird. Einerseits liefern sie dem gemeinen Mann Imaginationen, die ihn träumen lassen, die ihn ruhig machen und auf vielleicht unerreichbare, jedoch die Harmonie seiner Gedanken befriedigende Ziele zusteuern lassen, statt an der offenkundigen Absurdität seiner Existenz zu verzweifeln. Andererseits werden sie in vielen Fällen von einer Priesterkaste als Ideologie missbraucht, um die Gesellschaft anführen oder manipulieren zu können.

Wo die einfache Utopie ein einsamer oder gemeinsamer Traum unschuldiger Individuen ist, schaffen mächtige Ideologien einen oft fragwürdigen Zusammenhalt, weil sie auch jene nolens volens mit einbeziehen, die den Traum nie geträumt haben: einige der Priester (volens) und viele Heloten (nolens). Allerdings ist unklar, wie negativ ein solcher Zusammenhalt tatsächlich bewertet werden muss, da er historisch vielfach als tragende Säule menschlicher Gemeinschaften aufgetreten ist, und daher als eines ihrer Charakteristika gelten kann.

Die Häufigkeit, mit der sich solche Strukturen in der Geschichte ergeben haben, lässt jedenfalls vermuten, dass hierbei ein uraltes Genprogramm abläuft, welches die entsprechenden Plagegeister nicht lange nach der 'Erfindung' der jeweiligen Utopie ihre Morgenluft wittern lässt. Die Frage ist, ob sie sich damit nur selber helfen oder ob der Gesellschaft als ganzer auch ein Nutzen entsteht. Ich persönlich schätze den Nutzen für das Volk als eher gering ein, besonders wenn man mit einem Gesellschaftszustand vergleicht, der von den durch die Priesterkaste definierten Zwängen vollständig befreit ist.

Die Ausbeutung der Utopien durch Machthaber aller Art bedeutet nicht, dass der Homo sapiens auf das Prinzip Hoffnung ganz verzichten sollte. Allgemein gilt: anhand der visionierten Möglichkeiten entwickelt der Mensch seine Freiheit mindestens ebenso sehr wie anhand seiner Kritik der Verhältnisse. Dies betrifft sowohl sein gesellschaftliches Handeln, indem er als Homo sociologicus seine soziale Rolle mehr oder weniger bewusst durchspielen und dann zumindest teilweise auch neu definieren kann, wie auch sein Handeln als Homo faber in der Natur, wo er als Erzeuger von Kulturlandschaften, als effektiver und allzu oft rücksichtsloser Ausbeuter natürlicher Ressourcen oder, zum Beispiel in der Luftfahrt, als Überwinder von zuvor für unüberwindlich gehaltenen physikalischen Grenzen auftritt.

Zeit und Werden

Im Folgenden wird argumentiert, dass der schon erwähnte Begriff des 'Werdens', der in verschiedenen Philosophien eine große wenngleich durchaus unterschiedliche Bedeutung besitzt, recht eigentlich redundant ist, weil er unter dem Konzept des Seins in der Zeit subsummiert werden kann.

Im Verständnis der Systemtheorie und der Naturwissenschaft ist Werden (und auch Vergehen) der zeitlich geordnete Übergang von einem Zustand zu einem anderen. Wenn man will und um es vom allgemeineren Begriff der Veränderung durch zeitliche Entwicklung abzuheben, kann man das Werden als eine Entwicklung zu Zuständen mit geringerer Entropie definieren. Ferner bezieht sich Werden als Entstehen oft auf jene besonderen Zustände geringer Entropie, in denen klar sichtbar ein gewisses Seinsplateau erreicht ist, z.B. ein fertiges, neu gebautes Haus. Bemerkenswert ist noch, dass alle diese Konzepte wie auch der später zu diskutierende Begriff der Kausalität eine feste Orientierung des kosmischen Zeitpfeils voraussetzen.

Zeit begegnet dem Menschen im Rahmen seines Daseins in verschiedener Verkleidung: als psychisch-individuelle, als geschichtlich-gesellschaftliche oder als physikalisch exakt messbare Zeit. Letzteres, indem sie durch eine Kette von sich wiederholenden gleichartigen Ereignissen parametrisiert werden kann, zum Beispiel durch das Pendeln einer Uhr. Das heißt, Zeit wird durch das Ablaufen von Prozessen sichtbar, und die Orientierung des Zeitpfeils bedeutet, dass makroskopische Prozesse niemals rückgängig gemacht werden können.

Die Behauptung, der wahre Kern der Zeitorientierung sei allein durch die Entwicklung hin zu einem wahrscheinlichsten Zustand gegeben, erscheint für den Bereich des Makroskopischen durchaus plausibel. Im Mikroskopischen gibt es zwar auch eine Zeit, aber ohne eine ausgezeichnete Orientierung. Das heißt, während makroskopische Prozesse niemals exakt rückwärts ablaufen können, ist dies bei mikroskopischen Prozessen immer möglich, jedenfalls wenn man neben der Orientierung des Zeitpfeils auch die Rolle von Teilchen und Antiteilchen vertauscht (CPT Theorem).

An dieser Stelle ist also eine klare Differenz zwischen Mikro- und Makrowelt zu konstatieren, und es liegt nahe zu vermuten, dass sich solche Unterschiede auch in anderen Bereichen des Daseins auswirken, etwa im Hinblick auf die Qualität der menschlichen Freiheit. Tatsächlich werden wir uns diesen Ansatz später zu eigen machen, um zu argumentieren, dass Freiheit auch in deterministischen Systemen Platz hat, wenn diese nur komplex genug sind, den darin lebenden Gehirnen zu SUGGERIEREN, dass sie zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen können. Das meint, philosophisch gesprochen, dass die Freiheit nicht ein an-sich, sondern ein für-uns ist.

In der dialektischen Logik ist das Werden der allgemeinste Begriff, der für das Prozesshafte und die Veränderbarkeit der Welt steht, die das soziale Leben in dynamischen Gesellschaften so dynamisch machen. In der Hegelschen Logik, die sich seit dem 19. Jahrhundert des Dialektischen bemächtigt hat, ist er sogar so allgemein, dass er eine Einheit von Nichts und Sein zu stiften behauptet.

Die letztgenannte Auffassung darf zu Recht als schlecht abstrakt abgelehnt werden. Dies lässt sich etwa daran erkennen, dass das Prinzip der Energieerhaltung eine direkte Verbindung zwischen Nichts und Sein von vornherein ausschließt.

Einen gewissen Sinn bekommt die behauptete Einheit von Nichts und Sein höchstens dadurch, dass jene Grundzustände von physikalischen Systemen, die im Kapitel über das Nichts als 'qualifizierte' Nichtse interpretiert worden sind, durch 'Werden' in einen angeregten, also einen Seins-Zustand überführt werden können. Diese Art des Werdens ist jedoch kein automatischer Vorgang, sondern setzt ein Hinzufügen von Energie voraus. Notwendige Bedingung ist hier also ein Sein (von Energie), welches dem Werden vorausgeht.

Auf der Ebene des individuellen Bewusstseins geht das Sein ebenfalls dem Nichts voraus, da das Nichten, vulgo Ablehnen, von tradierten Haltungen und Verhaltensmustern für eine pubertierende oder unterdrückte Seele die Befreiung bedeuten kann, dennoch aber ein zuvor bestehendes Etwas - in Form einer entsprechenden psychischen Verfasstheit oder sozialer Rahmenbedingungen - voraussetzt, das dann selbstbestimmt überwunden werden kann.

In einer deterministischen Welt und besonders auch in der allgemeinen Relativitätstheorie, wo zeitliche und räumliche Koordinaten zu einem Raumzeitkontinuum sich vermengen, ist das Werden noch offenkundiger eine untergeordnete Kategorie des Seins, auch darum, weil die Einsteinschen Feldgleichungen in deterministischer Manier die zeitliche Entwicklung aus einem räumlichen Anfangszustand beschreiben. Es ist also das Ganze bestehend aus den räumlichen und materialen Grundbedingungen und ihrer zeitlichen Entwicklung ein einziges Sein, von dem das Werden nur ein Faktor ist.

Hingegen würde in einer Weltsicht, die das langsame Erkalten und die Gleichgültigkeit des Kosmos sowie auch den unvermeidlichen Untergang aller biologischen Arten ignoriert und stattdessen eine wenngleich gebrochene teleologische Entwicklung des Fortschritts in der Geschichte hin zu einer möglicherweise endgültigen Vollkommenheit des Menschengeschlechtes zu erkennen meint, dem Werden als Entstehen und dem damit dialektisch zusammenhängenden Konzept des Vergehens als Untergang verständlicherweise ein hoher Stellenwert beigemessen.

Diese Weltsicht ist allerdings aus bereits mehrfach explizierten Gründen nicht die meine. Wie im Teil über Geschichtsphilosophie dargelegt, mag die Geschichte der Menschheit von Fortschritten geprägt und in Zukunft sogar als eine Universalgeschichte erzählbar sein; keinesfalls ist jedoch daraus ein womöglich transzendentes oder sonstwie geartetes Telos abzulesen, schon gar keines, das eines Tages durch Werden aus dem relativen Nichts unserer Vergangenheit erreicht werden würde. Denkbar ist höchstens eine gelingende Weiterentwicklung der Menschheit hin zu selbstgesteckten Zielen.

Kategorien

Viele der vom Menschen ersonnenen Ideen und (Wunsch)vorstellungen besitzen eine Ewigkeitskomponente - entweder real oder als Illusion. Eine Ewigkeitsillusion kann dadurch zu einer kollektiven Macht werden, dass unsere Gehirne ähnlich ticken, so dass Begriffe und Ideen gewissermaßen von Kopf zu Kopf und immer weiter überspringen können und so den Anschein von Universalität vermitteln - dies selbst dann, wenn sie sich individuell und historisch in entscheidenden Aspekten wandeln.

Der Austausch von Gedanken ist allerdings ein unwandelbares Grundprinzip jeder menschlichen Gemeinschaft. Dafür werden Begriffe benötigt, von denen viele über längere Zeiträume und bereits während Kindheit und Adoleszenz oder über Generationen oder gar stammesgeschichtlich weitergegeben bzw erlernt werden. Manche Begriffe erwachsen mit der Reifung des Hirns, andere erfasst man durch Erfahrungen oder intuitive Aha-Effekte, und wieder andere bringt man sich selbst auf Umwegen bei, oder indem man komplizierte Definitionen studiert, oder man erfindet sie sogar selbst.

Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, dass Begriffe und Ideen in meiner Philosophie nicht nur die Beschränkungen des menschlichen (Kollektiv-) Geistes teilen, den Hegel fälschlich zu einem 'Weltgeist' hypostasiert hat, sondern dass sie immer auch einen nichtsprachlichen, gewissermaßen instinktgesteuerten Anteil besitzen, und zwar nicht allein weil Sprache in einem anderen Teil des Gehirns verarbeitet wird als das teils intuitive Verstehen von Ideen und Zusammenhängen. Sondern der Begriff an sich hat, wie auch jeder Gedanke, eine vorsprachliche Komponente, einen nicht-sprachlichen Keim, und zwar, noch ehe er auf sich bewährende Weise mit Worten präzise formuliert ist. Ist umgekehrt der sprachliche Begriff einmal in der Welt, so vermag er allerdings mit einem Schlag eine ganze gedankliche Modellkonstruktion prägnant zusammenzufassen.

Zu bemerken ist ferner, dass selbst Begriffe mit ausgeprägtem All- oder Ewigkeitsaspekt immer wesentlich von menschlichen Erfahrungen durch-drungen sind, d.h. sie setzen notwendig auf einem Anthropozentrismus auf, von dem sie sich nie endgültig emanzipieren können.

Begriffe und ihre Bedeutung sind wandelbar. Sie existieren hauptsächlich in einer Gesellschaft und in einer Zeit und nur in beschränktem Maße als echte Universalien. In diesem Zugang liegt auch die Antwort auf die Frage, in welchem Sinn bei Begriffen und Ideen überhaupt von Existenz geredet werden kann. Sie existieren in unseren Köpfen als Eiweiße und Ströme, die wir aber nicht als solche wahrnehmen, sondern als Teil unseres Bewusstseins, das auch selber aus ihnen aufgebaut ist. Die Bedeutung, die wir einem Begriff geben, richtet eine imaginäre Verbindung in die äußere Welt ein. Stichwort in diesem Zusammenhang sind die Pointer. Näheres zum Thema Pointer findet sich im Abschnitt über Erkenntnistheorie.

Weder liegen die Begriffe vom Anbeginn vollständig im menschlichen Geist, wie manche Rationalisten meinen, noch haben sie ihren Ursprung allein in der inneren und äußeren Erfahrung (Empirismus). Die allgemeine Fähigkeit zur Begriffsbildung, insbesondere zur Bildung von abstrakten Begriffen, ist uns angeboren - wie ja auch unser Kopf angeboren ist, und alles was in ihm enthalten ist, einschließlich des Verständnisses für räumliche und zeitliche Dimensionen. Doch die Bildung - und auch das Erlernen - eines Begriffes ist ein kreativer Akt, der vom Bewusstsein vollzogen wird. Dieser Vorgang verläuft unabhängig von jeder Materie bzw ist nur in dem Sinne materiell, in dem Hirn und Bewusstsein materiell sind.

Manche Begriffe haben eine Bedeutung, die ohne großartige intellektuelle Anstrengung durch Analogisierung direkt aus der Erfahrung gewonnen werden kann. So sind Größe, Gestalt, Lage, Bewegung usw realen Eigenschaften-an-sich des Räumlichen abgeschaut. Doch die Einführung und das Erlernen solcher Begriffe ist ein eigenständiger Vorgang, der in jedem Menschen separat (und aber in allen Menschen ähnlich) vonstatten geht.

Idealismus und Rationalismus behaupten die Existenz von apriorischen Verstandesbegriffen, die angeblich jeder Erfahrung vorausgehen, d.h. unabhängig von unseren Erfahrungen in jedem menschlichen Gehirn vorhanden sind. Kant hat eine Tafel solcher 'Kategorien' aufgestellt, die er allerdings nicht systematisch oder vollständig herleitet. Beim Studium seiner Texte entsteht vielmehr der Eindruck, er habe womöglich nur seine alte Schulgrammatik vorgeholt und die dortige Klassifizierung der Nebensätze nachgelesen, um zu seiner Liste zu gelangen.

Bei genauerer Analyse der von Kant so genannten apriorischen Kategorien erweisen sich diese Denkstrukturen - wenig überraschend - mit der Natur- und Seins-Erfahrung des Menschen korreliert und im Kern von dieser direkt übernommen. Man betrachte beispielsweise den physikalischen Anschauungsraum, der bereits von Aristoteles als Kategorie eingestuft wurde. Jedoch ist er bei Kant weder ein Ding wie bei Newton, noch haftet er den Dingen als Eigenschaft oder Akzidenz an wie bei Leibniz oder Aristoteles.

Obwohl sie sich zu widersprechen scheinen, sind nach meiner Auffassung die Meinungen aller dieser Denker gleichermaßen sowohl richtig als auch falsch, und zusätzlich bleibt das evolutionsbiologische Argument zu berücksichtigen, dass sich die Rezeption des Raumes durch unser Gehirn stammesgeschichtlich entwickelt hat. Diese gattungs-zeitliche Evolution hat zu einem ziemlich festen Programm für die individual-zeitliche Entwicklung der räumlichen Wahrnehmung (d.h. in unserer Kindheit) geführt, deren Ablauf größtenteils biologisch vorgegeben ist, aber auch wie alle Begriffsrezeptionen eine variable und gar wandlungsfähige Komponente besitzt, so dass der Prozess durch das Programm nie in Gänze vorgegeben ist.

Der Meinung Newtons, der Raum sei ein Ding, lässt sich aus Sicht des Tetronmodells durchaus zustimmen, da das Universum durch ein nicht wahrnehmbares 3-dimensionales elastisches Medium gebildet wird, auf dem sich die Materieteilchen als Anregungen fortbewegen.

Auch die Ansicht, der Raum und sogar die Raumzeit sei ein Akzidenz der Dinge, hat einen wahren Kern, weil das Vorliegen eines Materieteilchens die Krümmung und Beschleunigung des Raumes, d.h. des elastischen Mediums, im Sinne der allgemeinen Relativitätstheorie determiniert. Ganz generell werden solche elastischen Verformungen der Raumzeit durch Energieeinwirkungen jedweder Art induziert.

Die Kategorie des Raumes, die unserem Gehirn beim Denken zur Verfügung steht, entfaltet sich also in einem reichhaltigen Spannungsfeld gebildet von: (i) dem Ding-an-sich des Raumes, (ii) einem biogenetischen Entwicklungsprogramm, nach dessen Durchlauf ein Kleinkind die normale Materie seiner Umgebung als eingebettet in den Raum-an-sich erkennen kann und (iii) der erkenntnistheoretischen 'Kategorie' des Raumes, d.h. dem fertigen inneren Raumkonzept eines entwickelten homo sapiens Intellektes.

Dabei ist zu bemerken, dass die beschriebenen drei Aspekte nicht nur für die Rekonstruktion des Raumes im Gehirn wichtig sind, sondern dahingehend verallgemeinert werden können, dass der Mensch in der Lage ist, innerhalb solcher Spannungsfelder und auf Basis seiner Welterfahrung beliebige allgemeine Begriffe/Pointer und im Verlaufe von vielen Generationen sogar neue Kategorien zu konstituieren.

Das unter (ii) bezeichnete biologische Entwicklungsprogramm ist nämlich von universeller Natur, und es rührt daher, dass sich die Formen unseres Denkens in einem über Jahrzehntausende währenden Selektionsprozess den Vorgaben der Dinge-an-sich angepasst haben. Über diesen Anpassungsprozess an die uns täglich begegnenden Gesetzlichkeiten des An-sich-Seienden haben sie sich auf nicht-analoge Weise in Nukleinsäuren und Proteine eingeprägt und damit unserem Denken angeborenermaßen eine der Realität der Außenwelt 'entsprechende' Strukturierung verliehen, ein Vorgang, der von manchen Autoren etwas unpräzise als 'Spiegelung' bezeichnet wird.

Diese Überlegungen beantworten den manchmal von Rationalisten geäußerten Zweifel, ob Kategorien wie die Anschauungsform des Raumes ein bloß selbstgemachtes Hirngespinst sein könnten; denn die anthropologisch entstandenen Denkformen setzen die entsprechende Struktur-an-sich der äußeren Wirklichkeit natürlich voraus. Sie schreiben nicht der Natur ihre Gesetze vor, sondern entwickeln sich im Gegenteil anhand der äußeren Vorgaben, in dem durch die Notwendigkeit des biologischen Überlebens induzierten Bestreben, dasjenige, was vor und hinter diesen Gesetzen sichtbar bzw verborgen ist, begreifen und möglicherweise für sich nutzbar machen zu können.

Daher braucht dieses Begreifen gar nicht unendlich exakt zu sein, sondern es muss nur effektiv zum biologischen Überleben beitragen, eine Bedingung, die dazu geführt hat, dass niedere Tierarten die 3 Dimensionen des kartesischen Raumes gar nicht vollständig wahrnehmen und wir Menschen von den in Wahrheit vorhandenen mindestens 6 räumlichen Dimensionen nur diejenigen 3 bewusst als räumlich rezipieren, in die der Kosmos sich ausgebreitet hat und in die er sich weiter ausdehnt, während die übrigen 3 nur als 'innere' Dimensionen, d.h. als Träger der Teilchenwechselwirkungen 'wahrgenommen' werden.

Kausalität

Eine für die anstehende Freiheits- und Determinismusdiskussion besonders relevante Kategorie des Denkens ist die Kausalität. Ebenso wie die Rezeption des physikalischen Raumes hat sich auch die Fähigkeit zur Rekonstruktion und bereits zur Wahrnehmung einer kausalen Verknüpfung mit der Reifung unserer Gehirne individuell und kollektiv entwickelt.

Ein Verständnis für Kausalität ist wichtig, wenn mehr angestrebt wird als ein einfaches Sosein in der Zeit, nicht zuletzt, weil unser Verstehen, Handeln und Reagieren dadurch zu etwas Aktivem und Eigenständigem werden können. Dabei setzen Kausalitätsüberlegungen zuallererst ein Zeitempfinden voraus, oder zumindest ein intuitives Begreifen einer zeitlichen Abfolge von Ereignissen.

Die grundsätzlichen Voraussetzungen und unsere Fähigkeit zum Erkennen von Kausalität liegen im Verstand, aber nur ebenso wie die allgemeinen Fähigkeiten zur Bildung von Begriffen. Später schließen wir durch zunehmende Erfahrung auf die Existenz eines kausalen Zusammenhanges. So lernen wir zum Beispiel zu begreifen, dass massive Körper aufgrund der Gravitation immer zur Erde fallen.

Eine kausale Vermutung beginnt normalerweise mit dem Erahnen eines nicht zufälligen Zusammenhanges zwischen zwei aufeinander folgenden Ereignissen, von denen das frühere als Ursache und das spätere als Folge angesehen wird. Das menschliche Hirn prüft oft ungefragt solche Vermutungen und entwickelt, wenn eine davon sich mehrfach bestätigt, daraus eine spontane Idee für einen hintergründigen Zusammenhang zwischen den Geschehnissen. Die Kategorie der Kausalität unterstützt das Denken darin, auf derartige Zusammenhänge zu pointen.

Die Fähigkeit, Kausalität zu erkennen, ist angeboren, wie auch die Lernfähigkeit des Gehirns, das sich in der Kindheit anhand äußerer Einflüsse weiter entwickelt, angeboren ist. Bei der Auswertung und Interpretation realer Ereignisse stellt diese vorgegebene Fähigkeit u.a. eine Kausalitätserwartung zur Verfügung (und verstärkt entsprechende Eindrücke), die uns Menschen dazu bringt, über Korrelationen mit anderen, früheren Ereignissen nachzudenken.

Dass wir uns einer Kausalbeziehung nie ganz sicher sein können, hat allerdings Hume dazu bewogen, die Existenz von Kausalität überhaupt zu leugnen und zu behaupten, streng genommen gebe es nur sensorische Eindrücke von der Welt ohne jeden inneren Zusammenhang.

Konstruktivismus, Positivismus und Empirismus haben dies später zum Anlass genommen, das Kausalitätsprinzip durch einen rein funktionalen Zusammenhang zu ersetzen, der zwei Ereignisse miteinander verbindet, ihre Aufeinanderfolge jedoch nur beschreibt und nicht erklärt. Dabei bleibt im Dunkeln, ob Kausalität sich nur subjektiv aus der Beobachtung regelmäßiger Naturabläufe begründen lässt und warum sie eine so entscheidende Rolle im System der naturwissenschaftlichen Erkenntnis spielt.

Im Gegensatz dazu behauptet die u.a. von mir verfochtene naturalistische Position, dass es die natürlichen Gegenstände selbst sind, welche auf der Basis der Naturgesetze Kausalbeziehungen eingehen, die aufgrund der Fähigkeit des Gehirns, Kausalität zu erkennen, von diesem analysiert werden können. Erkenntnistheoretisch lässt sich das so formulieren, dass die Kausalität zwar eine anthropologisch erworbene Kategorie des menschlichen Geistes ist, dass jedoch die vom Intellekt festgestellten Kausalbeziehungen Pointer sind, die auf etwas Eigenes der Gegenstandsrealität, d.h. der Dinge-an-sich, verweisen.

Eine Kausalitätsvermutung ist nichts anderes als eine Hypothese, dass bestimmte sich wiederholende Ereignisse oder eine Gruppe von ähnlichen Ereignissen eine gemeinsame (Haupt)ursache haben. Sie ist sogar zunächst nicht mehr als ein Vorurteil. Allerdings bei kluger Anwendung bewährt sich dieses Vorurteil und ist dem Humeschen Zweifel überlegen, der uns in letzter Konsequenz nahelegen würde, kausale Einsichten und den ganzen Turm von weitergehenden Schlussfolgerungen, der sich daraus möglicherweise ergibt, zu ignorieren. Warum sollte man fürder über das Wesen der Schwerkraft nachdenken, wenn man alle damit zusammenhängenden Phänomene für erratisch hält, oder bestenfalls für nur feststellbar?

Kausalitätsvermutungen aufzustellen und zu verifizieren hat nicht nur bereits dem prähistorischen Menschen das Leben leichter gemacht, sondern es hat außerdem einen eigenen besonderen Reiz, weil es der Suche nach einer in der Wirklichkeit liegenden tieferen Wahrheit entspricht, und genau darauf legt es die klassische Naturerkenntnis an.

Es ist richtig, dass unser Wissen über die Welt letztlich auf notwendigerweise endlichen Erfahrungen und nicht auf zwingenden Schlüssen basiert. Aber wie sollte es anders sein? Angesichts der Beschränkungen unseres in-der-Welt-Seins kann ein strenger Beweis a priori niemals geführt werden, sondern immer nur eine unvollständige Induktion. Wenn wir konsistent immer wieder dieselben Zusammenhänge feststellen, sobald wir unsere Sensorik einschalten, ziehen wir auf der Basis des uns zur Verfügung stehenden nur endlichen Samples vernünftigerweise immer dieselben Schlüsse, in denen wir sie einer Natureigenschaft zuordnen. Dass wir uns dennoch einer derart festgestellten Gesetzmäßigkeit nie ganz sicher sein können, so what?

Eine absolute Sicherheit in der Erkenntnis ist gar nicht vonnöten. Das Bestehen darauf gehört zu jener Art von Spitzfindigkeit, mit der manchmal auch die Existenz des eigenen Denkens und der ganzen materiellen Welt angezweifelt wird. Nichts ist sicher, nicht einmal unser das Selbstbewusstsein generierende Ichgefühl; wie alles Andere auch könnte es ein Traumgebilde sein, z.B. eine programmierte, letztlich 'unwahre' Komponentenklasse im Inneren einer Rechenmaschine - der Wert von Naturerkenntnissen in der philosophischen Debatte wäre dann marginal.

Die Fähigkeit, Kausalität zu erkennen, ist Teil einer allgemeineren Fähigkeit, Prozess- bzw Zeitentwicklungsstrukturen in der Wirklichkeit zu identifizieren oder auch nur zu erahnen. Wie oben dargelegt, bedeutet das nicht, dass wir die Welt auf die endliche Gesamtheit der von uns erkannten oder erkennbaren Prozessstrukturen reduzieren dürfen. Es ist jedoch klar, dass ein Gehirn, das sich möglichst viele Teile der Welt zunutze machen möchte, mit so einer Fähigkeit ausgestattet sein sollte, um aus der Totalität seiner Eindrücke und Wahrnehmungen das Relevante möglichst effektiv vom Unwichtigen trennen zu können. Die Grundlagen solcher Selektion sind nicht willkürlich, sondern beruhen auf Eigenschaften des Wahrgenommenen selbst, die die richtigen Interpretationen materiell belohnt und Irrtümer bestraft. So wird man über die Biologie auf eine entscheidende Verknüpfung von Ontologie und Erkenntnistheorie verwiesen.

Die Fähigkeit, Kausalität im Verhalten der Welt zu erahnen und sie für sich nutzbar zu machen, haben bereits schon Tiere. Ein Lebewesen benötigt in einer Gefahrensituation keine große Reflexionskapazität zum Erkennen einer Kausalkette, sondern oft reicht die instinktive Fluchtreaktion auf das Knackgeräusch eines abbrechenden Baumstammes, um das eigene Leben zu retten. Die diesem Verhalten zugrunde liegende eher unbewusste Kausalitätserwartung ist letztlich eine von der Umwelt induzierte und über viele Generationen via DNA in den Proteinen des Gehirns verankerte Kategorie der Instinkte, die beim Menschen zu einer Kategorie des Denkens erweitert worden ist.

Betrachtet man die Rezeption kausaler Vorgänge aus diesem Blickwinkel, wird klar, wie aufgrund von Außenwelterfahrungen und über einen Darwinschen Mechanismus der Auslese im Gehirn vor allem solche Kategorien des Denkens entstanden und sich verbreiteten, die in der äußeren Welt eine Entsprechung haben derart, dass sie dem Menschen helfen, in effektiver Weise auf diese Welt ein- bzw zurückzuwirken. Wie die Mannigfaltigkeit der Biophänomene zeigt, ist die Höherentwicklung des Denkens allerdings kein zwingender Prozess, sondern die Gene haben auch andere Möglichkeiten - z.B. durch Fortentwicklung der Extremitäten - auf die Herausforderungen einer feindlichen Natur zu reagieren.

Die Proteine, aus denen wir bestehen, leisten dazu immer einen wichtigen Beitrag. Es handelt sich hierbei um äußerst flexible Makromoleküle, mit deren Hilfe sich viele biologisch leistungsfähige Strukturen generieren lassen.

Hat das sich entwickelnde Gehirn eines Kindes mehrere Kausalitätsbestätigungen - möglichst auf unterschiedlichen Gebieten - erfahren, so schärft dies das anfangs mehr intuitive als rationale Allgemeinverständnis für Kausalzusammenhänge, indem es jene bereits erfolgreich abgeschlossenen Kausalitäts'beweise' als Musterbeispiele für spätere Einsichten verwendet. Das bedeutet: durch die konkrete Erfahrung einzelner kausaler Muster verbessert sich das allgemeine Verständnis für Kausalität im Lauf des Heranwachsens.

Der Begriff der Kausalitäts'vermutung' beinhaltet offensichtlich die Möglichkeit eines Irrtums. Tatsächlich zeichnen sich Kausalitätsvermutungen im Vergleich zu anderen Denkvorgängen durch eine relativ hohe Fehlerrate aus - eine Tatsache, die einen unvermeidlichen inhärenten Nachteil kausalen Denkens darstellt. So glaubt man bisweilen an kausale Verknüpfungen zwischen Ereignissen (oder hält sie gar für 'magisch'), die in Wahrheit rein zufällig auf-einanderfolgen und nur durch eine gewisse zeitliche und räumliche Nähe miteinander verbunden sind. Dass derartige Einbildungen das Leben manchmal einfacher machen, indem sie Entscheidungen erleichtern und unser Handeln beschleunigen, steht auf einem anderen Blatt.

Besonders schwer wiegen solche Irrtümer in einem Bereich, der bisher noch gar nicht angesprochen wurde: Kausalitätsvermutungen in sozialen Zusammenhängen. In der Form von schlecht verallgemeinernden Vorurteilen spielen sie im menschlichen Denken eine unrühmliche wenn auch manchmal nützliche und insgesamt zweifelhafte Rolle. Hierbei ist von Bedeutung, dass soziale Ereignisse einen statistischen Charakter haben und daher über den Einzelfall wenig aussagen. Menschliche Vorurteile sind darum so gefährlich, weil sie erstens schwerer wissenschaftlich zu widerlegen sind als postulierte Gesetze für Teilchenzusammenstöße, zweitens an unseren Egoismus und an niedere Instinkte gekoppelt sind, und drittens, weil jeder Einzelfall, in dem ein Subjekt zum Objekt von Vorurteilen wird, ein menschliches Schicksal betrifft.

Zusammengefasst besitzt das Gehirn aufgrund genetischer Auslese ganz allgemein die Fähigkeit, vermittels der Begriffe die äußere Welt zu analysieren, auf sie einzuwirken, sowie auch mit ihren Eigenschaften umzugehen. Zu diesen Eigenschaften gehört die Kausalität, genauer nicht der Begriff oder die Kategorie der Kausalität gehört dazu, sondern das, was ihr in den realen Naturprozessen zugrunde liegt und auf was ihr Begriff pointet.

Dabei bleibt unbezweifelt, dass alle Begriffe, und speziell der der Kausalität, als Teil des Intellekts eine Seite aufweisen, die sie von dem, auf was sie pointen, unabhängig und distanziert macht. Dies hat den Surplus, dass die Begriffe, mit denen wir innerlich hantieren, den Objekten der Erkenntnis als äußerlich (d.h. vom Gehirn-Bewusstsein her und nicht aus den Dingen selbst heraus) gegenüber treten und damit eine dynamische und kritische Auseinandersetzung jederzeit gewährleisten. Die Begriffe und Denkformen des Bewusstseins sind im Gehirn in Eiweißen kodiert, und man kann sagen, dass ein nicht-analoger und teilweise subjektiver Abdruck der Dinge-an-sich via Begriffe zu den Eiweißen gelangt und es also Materie und Kosmos auf dem Umweg über uns Menschen gelingt, SICH SELBST ZU VERSTEHEN.

An dieser Stelle könnte man fragen: wofür soll das von Bedeutung sein? Doch höchstens im Sinne einer Metaphysik, die Welterkenntnis zu einem Gut-an-sich erklärt. Wenn man aber alles Wissen zusammennimmt, das wir heute von der Welt haben, scheint doch unser Kosmos im Grunde viel zu kompliziert, um real zu sein. Und wenn er imaginär und mithin nur eingebildet ist, stellt sich um so dringender die Frage nach dem Sinn des Lebens, die nun aber eben nicht in der Welterkenntnis liegen kann, sondern vielleicht doch einfach darin, Gutes zu tun.

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Kategorien wie Raum und Kausalität haben einen gedoppelten Charakter, einen erkenntnistheoretischen UND einen ontologischen, wobei (i) der Verstand als im Kopf ansässiges materielles Sein auch zur Ontologie gehört und (ii) aber das Sein, weil wir es nur durch unsere Wahrnehmung und die Interpretation unseres Gehirns erfahren, niemals absolut erkannt bzw vollständig begriffen werden kann. Nota bene, dass mit Blick auf diese selbst-antagonistische Struktur jede Rede von einer kopernikanischen Wende in der Philosophie als so anmaßend wie falsch erscheinen muss.

Während die Kausalität in den Augen von Rationalismus, Idealismus, Positivismus und Empirismus ein bloßer Verstandesbegriff ist, mit dem sich die Phänomene der Wirklichkeit mehr oder weniger effektiv strukturieren lassen, d.h. eine Kategorie der reinen Vernunft, reflektiert sie in Wahrheit außerdem einen tatsächlichen Seinsaspekt der Dinge-an-sich, der eng mit dem Wesen der Zeit verknüpft ist. Indem dieser ontologische Aspekt unterdrückt und die Kausalität auf das Erkenntnistheoretische reduziert wird, vollzieht sich in jenen Philosophien der erste Teil eines Programms, an dessen Ende Logiker und Sprachphilosophen stehen, die gar nichts außer der Sprache mehr gelten lassen.

Im Gegensatz dazu ist das hier gezeichnete Bild von Wirklichkeit und Verstandesbewusstsein viel differenzierter. In Bezug auf die Kausalität unterscheidet es mehrere Ebenen: wie das Erkennenkönnen von Kausalität anthropologisch-genetisch in Gehirn entstanden, verankert und kodiert ist, wie wir das Erkennen einer Kausalbeziehung psychisch-subjektiv empfinden und empirisch-pragmatisch benutzen und wie im Einzelfall die Entsprechung und die Verbindung zum Sein-an-sich der Wirklichkeit aussieht. Ohne solche Entsprechung wäre die Kategorie der Kausalität ohne jeden Belang; der dafür konstruierte Pointer würde ins Leere weisen.