Zur Erkenntnistheorie

 

Synopsis

Die Probleme der Philosophie erscheinen erst mit dem Denken. Solange die Wirklichkeit nur existiert, ohne erkannt zu werden, besitzen die Dinge diese oder jene Eigenschaft, und es gibt nichts außer diesem fraglos 'wahren' So-Sein der Materie. Das wird uns am eindringlichsten auf gewissen Fotografien der NASA vorgeführt, mit einsamen Marslandschaften, die sich bis in die Unendlichkeit erstrecken.

Sobald die Wirklichkeit aber von einem Bewusstsein wahrgenommen wird, gehört diese Erscheinung nicht mehr allein zum reinen So-Sein der Materie (außer in dem Sinne, in dem das Bewusstsein zur Materie gehört). Noch die krudeste Wahrnehmung und selbst eine triviale Sinnestäuschung können zu tiefsinnigen Reflexionen Anlass geben, mehr noch: da die Materie ihre eigentliche Substanz und Wesenseigenschaften für uns hinter einer Fassade aus Erscheinungen verbirgt, ist der Zweifel an der Qualität unserer je aktuellen Wahrnehmung eine Voraussetzung für jedes philosophische und wissenschaftliche Fortkommen. Dies Fortkommen ist die Bewegung zur Wahrheit.

Ein emphatischer Wahrheitsbegriff ist eigentlich die wichtigste Grundlage fast aller Kategorien, vor allem natürlich der Erkenntnis, in der Wahrheit zuweilen (aber nicht immer) aufscheint und die sie erst wesentlich macht. Nach Wahrheit trachte man mehr als nach Wissen und Verstehen.

Oft scheint sie schwer zu finden, ja möglicherweise ist sie eine metaphysische Schimäre, fernes Versprechen und Fata Morgana des Verstandes, die uns einen imaginären Idealzustand des Geistes vorgaukelt. - Und doch: selbst in ihrer virtuellen Existenz bleibt sie eine unerlässliche Richtschnur unseres Denkens, wenn sich die Erkenntnis nicht in Beliebigkeit verlieren soll.

Die Wahrheit ist eine äußerst vielschichtige Qualität. Sie verbindet die Einsicht in sich selbst mit dem Guten und möglicherweise mit einem dritten, kosmischen Element. Auch das Wissen, d.h. die geronnene Erkenntnis, hat sein Gutes, aber hauptsächlich nur, insofern es zweckgenutzt werden kann, sonst ist es altbackenes Spiel. Die Lücke zwischen Zweck-Interesse-Egoismus und dem ethischen Antrieb wird eben von der (Suche nach der) Wahrheit geschlossen.

Übrigens ist sie ein ewiger Vorgang, da hinter der ersten Erkenntnis, so genau sie auch verifiziert worden ist, das zweite Warum steht, und hinter der zweiten Antwort das dritte Warum usw.

Wenn ein Ingenieur die Ursache eines Schadens gefunden hat, ihn behebt und seine Maschine wieder zum Laufen bringt, weiß er zuweilen nur ungefähr, woran es gelegen hat. Die tieferen Gründe werden ihm in vielen Fällen verborgen bleiben und ihn auch nicht interessieren, solange das System wieder funktioniert. Dazu müsste er über die Mechanik hinausgehen und weitergehende Untersuchungen über die innere Struktur der Materie anstellen. Er würde über die Chemie zur Elementarteilchenphysik und zu immer feineren Erkenntnissen gelangen, immer mehr Wissen anhäufen, und immer neue Fragen würden sich auftun. Die Gesamtheit dieses Vorganges ist die anscheinend unendliche Suche nach der Wahrheit.

So arbeiten Wissenschaft und Philosophie, und so ist es auch mit dem theoretischen Wissen der Mathematik. Die weit verbreitete Ansicht, diese nehme in vielen Teilbereichen keinen Bezug auf die reale Welt, ist allerdings falsch. Denn jede Mathematik rekurriert zuletzt auf Zahlen und Geometrie. Gewiss, diese sind Erfindungen des Geistes und in der realen Welt SO nicht zu finden, sind Idealkonstruktionen, die in den Köpfen der Mathematiker ein eigenes Leben führen. Doch ein Wesenszug der Realität und der menschlichen Intelligenz besteht darin, dass sich solche inneren Entitäten miteinander und mit äußeren Gegenständen verknüpfen lassen und dabei praktikable Handlungsschemata herauskommen können (welche zuletzt und zuerst der Arterhaltung dienen).

Begriffe, Ideen und Theorien sowie auch die zugehörigen daraus konstruierten Möglichkeitswelten existieren primär nur in unseren Hirnen. Dasselbe gilt für die Gesellschaft, die abgesehen von ihren materiellen Kulturgütern als ein allgegenwärtiger kollektiver Bewusstseinszustand betrachtet werden kann, der den Einzelnen und die Natur mit verschiedensten Mitteln zu lenken und zu beherrschen vermag. Wie Logiken, Meinungen, sozialen Empfindungen und Gefühlen kommt jener damit eine Wirklichkeit-für-uns jenseits der physikalischen Realität zu.

Man darf deshalb nicht so weit gehen, zu behaupten, nichts sei im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war. Der Verstand fügt, so notgedrungen wie ersprießlich, etwas Eigenes hinzu, das durch die Rede von seiner Abstraktionsfähigkeit nur unzureichend beschrieben wird. Gewiss ist das 'Existieren' eines gedanklichen Musters von anderer Art als das eines realen Objektes, da es nicht in der äußeren Wirklichkeit, sondern im Kopf entworfen wird. Und doch darf in beiden Fällen von Existenz die Rede sein - nicht nur weil unsere Gedanken auf denselben kleinsten Einheiten (Atome, Moleküle, Ströme) wie die realen Objekte fußen, sondern weil die Wahrheit der Materie für uns auch nur in Erscheinungen kodiert ist. - Dass Ideen und Aussagen wahr oder falsch (oder in einer mehrwertigen Logik auch ein drittes oder viertes) sein können, ist eine Eigenschaft, die ihnen anhaftet und zu ihnen gehört ... wie die Farbe der Rose.

Auch wenn die Welt der Universalien, der geistigen Wesenheiten, nur in unseren Köpfen existiert, haben doch die meisten Erkenntnisse, am Anfang und am Ende eine Beziehung zur Wirklichkeit. Wenn ich sage 'Hamburg liegt nördlich von München', ist der Begriff des Nordens eine Denkfigur des Kopfes, jedoch eine, die einem bestimmten Zusammenhang in der äußeren Wirklichkeit entspricht. Die Städte Hamburg und München mögen als Zusammenfassungen von Häusern und Siedlungen nur Interpretationen und geistige Gegenstände sein, doch sie entsprechen realen Zusammenhängen, zwischen denen die Eigenschaft 'nördlich von' eine wiederum reale Beziehung stiftet. So können wir indirekt, indem wir Begriffe und Entitäten unseres Bewusstseins benutzen, wahre oder falsche Relationen zwischen realen Dingen behaupten und damit unser Verständnis der Welt befördern.

Übrigens bildet das Denken beständig solche Muster - darin besteht geradezu sein Wesen - ... und es wendet sie auch auf sich selber an, indem es Metabegriffe formt, deren Sinngehalt sich nicht in der Anwendung auf äußere Objekte, sondern auf solche des Geistes erschließt.

Wahrnehmung

Die menschliche Wahrnehmung hat eine physikalisch-biologische und eine tiefen-psychologische Seite. Erstere besteht in der Aufnahme der Sinneseindrücke und der Weiterleitung der Signale in das menschliche Gehirn, während letztere als eine Kategorisierung, Beimischung von (Unter-) Bewusstseinsinhalten oder gar Imprägnierung der Wahrnehmung mit unbewussten Vorurteilen beschrieben werden kann.

Betrachten wir einmal die Situation, wo wir auf eine Wahrnehmung nicht reflexhaft reagieren, sondern sie bewusst verarbeiten. Selbst in diesem Fall wohnt unseren Erwägungen und einer anschließenden Entscheidungsfindung und Reaktion ein intuitives Moment inne, welches die Arbeit einer scheidenden, urteilenden und Bedeutung gebenden Vernunft ergänzt bzw ersetzen kann, so dass unser Zugang zur Welt seltener über Begriffe und verstandesmäßige Erkenntnis und viel häufiger über jene intuitiven 'Vorurteile' erfolgt, auf die - nach einem kurzen Moment des Zögerns - Verstand oder Instinkt zu jeder Zeit aufbauen können.

Zu bemerken bleibt, dass sich auch die von mir 'psychologisch' genannten Aspekte hirn-physikalisch verstehen lassen - indem die Wahrnehmungsimpulse auf ihrem Weg von den Sinnesorganen in jene Regionen, in denen vornehmlich das Bewusstsein sitzt, auch andere, größtenteils vorbewusste Hirnbereiche passieren, wo ihnen jene Vor-Strukturiertheit unterlegt bzw beigemischt wird, die sich teilweise einfach aus abgespeicherten früheren Wahrnehmungserlebnissen und gealterten Erfahrungen ergibt, derart, dass im Moment des Eintreffens im Bewusstsein dem Ich dieses ganze Arsenal sofort zur Verfügung steht, damit es die Vor- und Nachteile seiner möglichen Reaktionen erwägen kann. Vulgo: der Mensch ist als Kopf-Maschine BERECHNEND von Anfang an.

Der Vorgang, in dem unserem Hirn von den Sinnen das sinnlich Wahrge-nommene der Dinge übermittelt und diesem noch eigene intuitive Interpretationen beigemischt werden, lässt sich mit einem Bildgebungsprozess vergleichen, bei dem sich an das eigentliche Fotografieren eine automatische Bildbearbeitung anschließt, inklusive Selektion, Hervorhebungen und Einordnen des Fotos in ein Ordnersystem. Es gibt genügend Computerprogramme, die Daten bereits beim Einlaufen selektieren und verändern können. Ähnliches leistet das Gehirn, das im Interesse unseres Überlebens darauf getrimmt ist, aus mangelhaften einlaufenden Wahrnehmungen möglichst rasch Schlussfolgerungen zu ziehen.

Sofern die auf dieser Grundlage vom Ich beschlossenen Reaktionen sprachlicher Natur sind, kontinuieren sie die Doppelbödigkeit des Bildes, da die Sprache nicht nur ein vernunftmäßiges Übertragungsmittel für Informationen darstellt, sondern eine meist unpräzise soziale Kunstfertigkeit ist, die instinktiv auf Nebeneffekte wie vorgegebene Hierarchien, individuelle Empfindlichkeiten usw Rücksicht nimmt, die für das Überleben in großen Gruppen von enormer Bedeutung sind.

Mit der Sinneswahrnehmung zusammen hängt der später zu besprechende Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung. Unsere Wahrnehmungsorgane sind per se nur auf die Oberfläche der Dinge gerichtet; erst bei weitergehendem Interesse dringen wir - dann oft mit Hilfe von Werkzeugen - in ihre Tiefenstruktur vor, besser gesagt in dasjenige, was sich uns von der Tiefe offenbart, also in 'Oberflächen der Tiefe'. Diese werden mittels einer geschärften Wahrnehmung sichtbar, etwa mit Hilfe wissenschaftlicher Instrumente wie dem Mikroskop oder im Extremfall, wenn die Struktur für jedes Mikroskop zu klein ist, allein aufgrund der analytischen Schlussfertigkeiten unseres Geistes, der sich auf diese Weise als das auflösungsstärkste aller Mikroskope erweist - oder eben gar nicht. Um an der richtigen Stelle ansetzen zu können, ist im Bewusstsein oft bereits ein Modell gebildet worden, ein grobes oder auch feinkörniges Bild, das mit dem Instrument verifiziert werden soll. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Struktur selbst, also der Struktur-an-sich, die im Ding-an-sich ruht, und dem Modell, d.h. der begrifflichen Idee dieser Struktur. Ferner ist zu beachten, dass innerhalb des realen Kontinuums, also der Dinge an sich, die Wahrnehmungsoberfläche und die nicht direkt wahrnehmbare Tiefenstruktur untrennbar zusammengehören, und dass sich die Differenzierung erst aus dem Vorgehen und den beschränkten Möglichkeiten des erkennenden Bewusstseins ergibt.

Im Zuge dieser Überlegungen sind wir mitten in der erkenntnistheoretischen Debatte darüber gelandet, was denn den Stellenwert der Ideen im Verhältnis zur Materie ausmacht. Zunächst sollte man sich darüber klarwerden, dass die Dinge kein Wesen haben, welches nur gedacht und aber grundsätzlich nicht wahrgenommen werden könnte, sondern das menschliche Hirn kann gar nicht anders vorgehen, als mit den Informationen zu beginnen, die ihm aktuell zur Verfügung stehen und auf dieser Basis neue Begriffe zu erfinden, wenn es zu Schlüssen und Aussagen über die Dinge an sich kommen will.

Zum Beispiel nimmt das Auge keine Röntgenstrahlung wahr, und es hat abgesehen von der Farbe sichtbaren Lichtes auch wenig natürliche Fähigkeiten, die verschiedenen Strahlungsarten nach ihrer Natur zu sortieren. Dazu bedarf es physikalischer Messapparate und die Einführung theoretisch physikalischer Begrifflichkeiten und Zusammenhänge. Diese Begriffe und Modelle existieren nur in den Köpfen der Wissenschaftler, während die Strahlungen und das, was man abstrakt ihre Frequenzverteilung nennt, zu einem Kontinuum der materiellen Wirklichkeit gehören, an die wir mit diesen Konzepten beschreibend herankommen.

Nota bene, dass hier keiner naiven Abbildtheorie der Weg bereitet werden soll, und auch nicht dem empiristischen Vorurteil, wir seien durch die Abhängigkeit von der Wahrnehmung von jeder absoluten Wahrheit über das Ding-an-sich notwendigerweise abgeschnitten. Im Gegenteil kommen wir um so näher an die Wahrheit heran, je präziser wir die Dinge aus verschiedenen, u.U. rein theoretischen 'Blickwinkeln' analysieren.

Außerdem ist dem Verstand von dieser Seite offenkundig ein wesentlicher, eigenständiger Beitrag zur Erkenntnis zuzusprechen, weil er bildliche und - in seiner vorragenden Eigenschaft als Begriffsgenerator - vor allem auch begriffliche Zusammenhänge formt, die sich nicht direkt aus der Wahrnehmung oder aus den fundamentalen Eigenschaften der Dinge ergeben, sondern für welche eine über die Wahrnehmung hinausgehende Synthesisleistung zu vollbringen ist. Diese Folgerungen oder Vermutungen des Denkens müssen sich umgekehrt dann aber im weiteren Verlauf der Erkenntnis an erweiterten 'Wahrnehmungen' der Dinge messen lassen, also an nachweisbaren Eigenschaften, wenn etwa neue experimentelle Hinweise über sinnlich nicht direkt erfassbare Phänomene wie etwa die Dunkelmaterie bekannt werden. Unser Ich kann hierbei auf ein Jahrtausende lang an den Erscheinungen der Wirklichkeit geschultes Gehirn zurückgreifen, das ihm für jede neu auftretende Problemstellung gewöhnlich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, siehe die Diskussion weiter unten.

Über Pointer

Wirklichkeit und Ideen stehen nicht in einem Gleichgewicht, sondern Ideen sind an sich etwas Sekundäres, für-uns jedoch außerordentlich Bedeutsames, das erst durch die Menschen in die Welt kommt. Allerdings können sich Ideen auf etwas den Vorstellungen Äußerliches BEZIEHEN, das heißt auf die Realität des vom Denken und Bewusstsein Unabhängigen, und dadurch in einem gewissen Sinn auch unabhängig vom menschlichen Sein und Bewusstsein Bedeutung erlangen. Wenn sie nicht ohnedies durch die Wirklichkeit induziert sind, so werden die Ideen zumindest von ihr geleitet, und können indirekt (durch menschliches Handeln) auf sie zurückwirken.

Wolkige Behauptungen des Idealismus wie die von Kant, wirklich sei, was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung bzw unseren Wahrnehmungsempfindungen 'zusammenhänge', müssen allerdings zurückgewiesen werden, da sie der Mannigfaltigkeit des Wirklichen bei weitem nicht gerecht werden. Die Wirklichkeit ist mehr als das uns in Anschauung und Wahrnehmung Präsente, weil dieses nur einen geringen Teil von ihr ausmacht. Wirklichkeit ist zu einem großen Teil sozusagen andauernd unbeleuchtet, und für uns daher nie vollständig wahrnehmbar.

Begriffe und Ideen sowie auch Aussagen, die wir formulieren, fungieren als POINTER auf entsprechende Eigenschaften-an-sich oder Komponenten der Wirklichkeit. Pointer sind also Platzhalter bzw Referenzen im Kopf für diese Eigenschaften.

Um 'bepointet' zu werden, muss sich ein Etwas normalerweise in irgendeiner Form von seiner Umgebung abheben, zum Beispiel durch die vom Pointer referenzierten Eigenschaften. Dabei gehört das Abgrenzen der Eigenschaften zum Bewusstseinsprozess des Pointens dazu; die Sinnhaftigkeit des Abgrenzens aber, also von Materiesegmenten, -merkmalen und -eigenschaften, liegt außer in unserer Abstraktionsfähigkeit zum großen Teil in der Materie selbst und spiegelt sich in den Pointern insofern, als auch diese voneinander abgegrenzt sind.

Indem sich mehrere Pointer zu Feststellungen kombinieren lassen (die selbst wiederum Pointer sind), können sehr komplexe in der materiellen Welt bestehende Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. Hierbei ist einerseits immer zu prüfen, ob sich diese Feststellungen experimentell verifizieren lassen. Andererseits geht man zum Beispiel in der theoretischen Physik so weit, dass mathematische Entitäten als Pointer fungieren und die Feststellungen durch algebraische Operationen zwischen den mathematischen Entitäten generiert werden.

Generell darf man nicht den Fehler begehen, eine zwingende Kausalbeziehung zwischen dem Wahrnehmungsgegenstand und einem inneren (Teil-) Zustand des Wahrnehmenden, also dem Pointer, zu unterstellen. Sondern das Verhältnis zwischen Pointer und Realitätsgegenstand ist zunächst ähnlich der Definition, die einen Bezeichner mit dem Bezeichneten (das Zeichen für einen Begriff mit dem Begriff) verbindet. Erst im Verlaufe des Erkenntnisfortschrittes, wenn sich viele Erkenntnisse zu einem geistigen Gewebe, einer Gesamt-vorstellung über ein Ding zusammenfinden, können die tieferen Wirklichkeitsschichten wie auch die Wirklichkeitsumgebung des Dinges durch unseren Verstand begriffen und die Dinge-an-sich auf diese Weise quasi umzingelt werden.

Aber wie kann das sein? Wie können Ideen und Wirklichkeit, die doch auf ganz verschiedenen Ebenen existieren, zusammenfinden? Zunächst sei festgestellt, dass der Kausalitätsbegriff hier in jedem Fall völlig ungeeignet ist, da Kausalbeziehungen eine zeitliche Abfolge voraussetzen, während es hier um die Verbindung zwischen der Wirklichkeit und aus Pointern gebildeten Aussagen bzw 'Geweben' von Aussagen über dieselbe geht. Eine solche Verbindung ist möglich, insofern Vernunft und Bewusstsein aufgrund ihrer in die materielle Welt eingebetteten menschheitsgeschichtlichen Entwicklung gelernt haben, Pointer - d.h. Begriffe und Ideen - so zu formen, dass die Operationen, die sie im Gehirn mit ihnen vornehmen, reale Vorgänge in den Dingen-an-sich reflektieren, abbilden, parallelisieren können - oder wie immer man diese Entsprechung nennen will.

Dieses Verfahren kann naturgemäß auch schiefgehen und gibt dann Anlass für die häufigen Irrtümer des Denkens. Das betrifft insbesondere auch die theoretische Physik, die dem Publikum gern einen Anschein von Exaktheit vermittelt und darüber vergisst, dass in der Naturwissenschaft exaktes mathematisches Vorgehen auch nur als ein Analog anzusehen ist, welches Eigenschaften der Wirklichkeit lediglich reflektiert - und daher niemals exakter sein kann als die bildhaften Vorstellungen, die ihren Modellen gewöhnlich zugrundeliegen.

Darüberhinaus treten in den theoretischen Wissenschaften, je allgemeiner ihr Ansatz, in zunehmendem Maße schlecht abstrakte oder nicht verifizierbare Theorien an die Stelle gewöhnlicher Irrtümer. Man denke etwa an Superstringtheorien oder axiomatische Feldtheorien, die getrost als noch nicht einmal falsch eingestuft werden dürfen.

Ziel aller Fundamentalwissenschaften und ihrer Erkenntnisse sind die Dinge an sich. Ursprünglich war solche Erkenntnis kein Selbstzweck. Als eine Voraussetzung für die Erfindung neuer Werkzeuge diente sie vielmehr der Verbesserung der menschlichen Lebensumstände, letztlich um die Vermehrungs- und Verbreitungschancen der ganzen Gruppe zu vergrößern. Doch hat sich unser Erkenntnisinteresse schon seit vielen Generationen teilweise von praktischen Anforderungen gelöst und ist rein theoretisch geworden, sei es,

-weil sich gezeigt hat, dass wir durch gelungenes Abstrahieren oftmals wertvolle Schlussfolgerungen praktischer Natur gewinnen, oder einfach,

-weil Intelligenz gefällt. Wenn er es geschickt anstellt, kann jemand, der abstrakte Zusammenhänge beeindruckend darzulegen versteht, daraus Vorteile und Privilegien generieren.

Hervorzuheben, das Zielobjekt aller Fundamentalerkenntnis sei das Ding-an-sich, bedeutet, dass sich ein Fachwissenschaftler nicht mit dieser und jener Einzelerkenntnis über ein Forschungsobjekt zufriedengeben darf, sondern dass sein Erkenntnisinteresse, ja sein ganzes Denken beständig darum kreisen sollte, es immer genauer zu begreifen.

Das Ding steht hier also im Zentrum, und nicht am Rande als etwas (nicht) Vermitteltes. Man kommt ihm näher durch Begriffe und ihre Relationen, genauer: durch die Relationen zwischen den durch Begriffe erfassten, 'bepointeten' Merkmalen des Dinges. Denn Begriffe sind vom menschlichen Bewusstsein aus Eiweißen geformte Zeiger auf Dinge oder auf Merkmale von Dingen. Und ein Merkmal ist im Bewusstsein ebenfalls durch einen Pointer gegeben, der auf eine Eigenschaft-an-sich des Dinges-an-sich verweist.

In ihrer Eigenschaft als Pointer sind alle Begriffe per se abstrakt. Zusätzlich gibt es aber

(i) Pointer auf Pointer - das sind die Begriffe, die im engeren Sinne 'abstrakt' genannt werden sollten,

(ii) Pointer, die zugleich konkret und allgemein sind, wie etwa das Glück oder die Farbe Rot, welch letztere einem Frequenzbereich von Photonen entspricht, zugleich aber ein Merkmal aller roten Dinge darstellt, und

(iii) Pointer, die sich auf zweckorientierte Merkmale beziehen, d.h. auf solche, die der Mensch zuvörderst für-sich definiert. Man betrachte hierzu etwa den (abstrakten) Begriff des Tisches, mit dem ich auf einen konkreten Tisch T pointe, indem ich sage: 'T ist ein Tisch'. Weil ein Tisch weniger ein an-sich als ein für-uns ist, bedeutet dies nur am Rande, dass ich mich auf ein Etwas aus Holz beziehe, einen Festkörper mit gewissen Abgrenzungen gegenüber seiner gasförmigen Umgebung, sondern es deutet hauptsächlich auf ein Etwas, an dem ich sitzen und essen oder arbeiten will, das also eine Funktion für-mich erfüllt, die ein nicht-physikalisches Merkmal darstellt.

Darüberhinaus hat der Begriff des Pointers noch viele andere Aspekte, die aber hier nicht alle im Detail analysiert werden sollen. Etwa den, dass der abstrakte Begriff des Tisches P1 und die Erkenntnis/das Wissen P2, dass das konkrete T ein Tisch ist, natürlich an 2 verschiedenen Stellen/Adressen des Gehirns gespeichert sein müssen. Man kann mit einigem Recht auch P2 als Pointer bezeichnen. P2 ist eben der Pointer, der zu der Aussage 'T ist ein Tisch' äquivalent ist und sich darauf bezieht, dass das betrachtete Objekt die Eigenschaft hat, ein Tisch zu sein, und P1 ist der Pointer 'Tisch', den ich einsetze, um den Zusammenhang P2 in meinem Bewusstsein zu formulieren oder überhaupt erst formulieren zu können.

Aus dieser Sicht erscheint es trivial, dass die Verarbeitung der Speicherinhalte allein im Gehirn stattfindet und zunächst einmal mit der Außenwelt nichts zu tun hat. Die Inhalte der Speicher sind das, was wir uns vorstellen, wenn wir die Wortfolge 'ist ein Tisch' hören.

Auf Basis der Gesamtheit aller gespeicherten Ideen und Begriffe P1, P2, ... kann das Gehirn seine Arbeit aufnehmen und etwa überlegen, ob die Aussage 'T ist ein Tisch' zutrifft und welche praktischen Konsequenzen es daraus ziehen will.

Ideen und Eigenschaften

Wir haben oben festgestellt, dass der Verstand in der Lage ist, auf Basis der sinnlichen Wahrnehmung und vermittels seiner Kategorisierungsfähigkeit Eigenschaften von Dingen zu erkennen-definieren, zu registrieren und zu verarbeiten. Aristoteles versteht unter der Substanz eines Dinges die Dominierende jener Eigenschaften und behauptet, in dieser liege zugleich sein Wesen. Hierzu ist anzumerken, dass die beiden Begriffe Substanz und Wesen in meiner Philosophie eine wesentlich andere, differenziertere Bedeutung besitzen, siehe die ersten Kapitel dieses Werkes.

Aristoteles geht ferner davon aus, dass die Eigenschaften eines Dinges nicht in einem Reich der Ideen ihren ontologischen Ort haben wie bei Platon, sondern im Seienden selbst. Dieser Ansicht ist bedingt zuzustimmen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass sich die Eigenschaften nicht allein als reine Wahrnehmungen von So-Seiendem ergeben, sondern dass sogar bereits die Wahrnehmungen unbewusste Kategorisierungen erfahren, bevor sie in unser Bewusstsein eintreten, welches sie mit seinen eigenen Vorerfahrungen noch weiter strukturiert und bewertet. Es ist offensichtlich, dass hier der menschliche Geist unwillkürlich SCHABLONEN über die wahrgenommenen Eigenschaften eines Dinges legt und in diesem Sinne ein Eigenes - wenn nicht zur Festlegung, so doch immerhin zur Notierung dieser Eigenschaften - hinzufügt. Die Fähigkeit, solche Schablonen zu bilden und sie probeweise anzuwenden (d.h. die Fähigkeit, Möglichkeiten zu denken) hat das Gehirn stammesgeschichtlich erworben, weil sie sich in der Praxis sehr oft als hilfreich erwiesen hat. Ohnehin setzt ja schon die Idee eines Gegenstandes, also dessen Abgrenzung gegenüber der restlichen Welt einen Vorgang voraus, der im Geist stattfindet.

Diese Überlegungen sind umgekehrt dadurch zu ergänzen, dass den kategorisierten und begrifflich erfassten Erkenntnissen etwas in den Dingen selbst entspricht, das unsere Sprache wiederum als deren Eigenschaft kennzeichnet. Beispielsweise hat die Abgrenzung eines festen Körpers von der ihn umgebenden Luft eine reale Bedeutung unabhängig von Sprache oder Bewusstsein.

Leider wird oft nicht genau genug unterschieden zwischen dem, was im Geist ankommt, was aus dem Geist dazukommt auf der einen und den Dingen-an-sich auf der anderen Seite, also zwischen den Eigenschaften und sozusagen den Eigenschaften-an-sich eines Dinges. Als Beispiel sei die Kategorie der Lage betrachtet, d.h. erstens die objektive Möglichkeit und zweitens unsere Fähigkeit, allen materiellen Dingen einen Ort zuzuordnen plus das Bewusstsein darüber, dass der Begriff der Lage etwas Allgemeines ist, eine Universalie und sogar eine Kategorie. Die Lage eines Dinges relativ zu anderen Objekten ist eine Eigenschaft, die das Bewusstsein dem Ding momentan zuordnen kann. Zugleich existiert die zugehörige Eigenschaft-an-sich auch unabhängig von unserem Bewusstsein.

Ideen und Kategorien bilden etwas Relevantes der Wirklichkeit ab, und das Gehirn kommt mit ihrer Hilfe zu Schlussfolgerungen und Bewertungen, die es danach in einer Tat bzw praktischen Anwendung auf der Wirklichkeit erfolgreich umsetzen kann. Das ist tendenziell auch schon bei Tieren so, zum Beispiel bei einem Löwen, in dessen Kopf ständig Abschätzungen vorgenommen werden, wo eine vor ihm her rennende Gazelle 3 oder 4 Sekunden später sein könnte.

Man darf also dann nicht sagen, nur die Einzeldinge seien wirklich, wenn man vorhat, deren auf Abstraktionen beruhende konkrete Eigenschaften vom an-sich-Sein auszuschließen. So gibt es zum Beispiel Wechselwirkungen der Dinge, die wir als deren Eigenschaften klassifizieren und die aber von Wechselwirkungsteilchen ausgelöst werden, die genauso real sind wie die Dinge selbst.

Was ist der ontologische Status des Denkens?

Als Eiweiße im Gehirn haben Ideen und Abstraktionen - neben dem, worauf sie durch ihre Bedeutung pointen - eine materielle Hintergrundwirklichkeit, so ähnlich wie diese Textdatei, die ich im Moment bearbeite, und der in ihr enthaltene Sinn ihre 'Hintergrundwirklichkeit' auf einer magnetisierbaren Festplatte haben. Andererseits ist rein 'geistig' gesehen der ontologische Status meines Denkens der eines imaginären Für-mich statt eines objektiven An-sich.

Im Ergebnis ist das Allgemeine zunächst nicht außerhalb des menschlichen Geistes in den Dingen-an-sich, sondern ist 'nur' begrifflicher Natur und als solches Teil des Geistes. Jedoch gibt es Korrelationen zwischen dem Allgemeinen auf der einen Seite und dem materiellen Seinsverhalten der äußeren realen Objekte, auf welches das Allgemeine pointet. Das Allgemeine als Teil des Geistes 'reflektiert' nur auf der ihm nächst zugänglichen, d.h. der geistigen Ebene, Eigenschaften-an-sich der Dinge-an-sich. Eigenschaften wie die, eine Lage einzunehmen, sind allgemein, insofern sie allen Dingen inhärent sind, und sie liegen vor, ohne dass ein geistiger Begriff von ihnen gebildet werden muss. Auch die Gemeinsamkeit der Dinge-an-sich, die in ihrer Fähigkeit besteht, eine Lage einzunehmen, existiert als Gemeinsamkeit-an-sich unabhängig von irgendwelchen geistigen Konzepten, d.h. ohne dass der Begriff der Gemeinsamkeit gedacht werden muss. Physikalisch beruht die Gemeinsamkeit darauf, dass alle Dinge in einem 3-dimensionalen Weltenraum existieren, der aus Repetitionen einer immer gleichen mikroskopischen Grundstruktur aufgebaut ist, den aus Tetronen bestehenden inneren Tetraedern, die unseren Kosmos ausmachen.

Im Gegensatz zu dem, was der Begriff des 'BeGRIFFes' nahelegt, darf man nicht meinen, dass Dinge als Hyle, als reales Material jemals vollständig begrifflich, d.h. geistig fassbar sein könnten. Die (Hirn)-Inhalte unserer Wahrnehmung, welche von ihrer Natur her immer endlich ist, lassen sich zwar durchaus vollständig erfassen, aber nicht die Dinge-an-sich. Dies nicht oder nicht nur, weil man niemals alle Wechselwirkungen und Eigenschaften eines Dinges vollständig wird sammeln und erfassen können, sondern vor allem wegen der unüberbrückbaren DIFFÉRENCE zwischen dem Begriff als etwas Geistigem und dem Ding als etwas Materiellem. Diese Tatsache allein erzwingt das Konzept des Dinges-an-sich, an das wir mental immer nur näherungsweise herankommen, sowie auch den des Pointers, der die Schnittstelle für dieses Herankommen beschreibt.

In jedem Begriff, welchen ich ausspreche, ganz egal ob es sich um eine allgemeine Idee handelt, welche erst durch die Vermittlung anderer Begriffe gedacht werden kann, oder ob ich einen konkreten Gegenstand bezeichnen will aus einem konkreten Material, ist die Instanz einer Unendlichkeit mit-gemeint, eben der beteiligten Objekte oder Dinge-an-sich. Speziell wäre die reine Abstraktion die, welche auf gar nichts pointet außer auf jene Unendlichkeit.

Jedoch ist die Unendlichkeit niemals in einem realen Sinn fassbar oder in meinem Denken enthalten, sondern es wird durch den Begriff nur implizit auf sie gepointet. Außerdem wird die Unendlichkeit vom Bewusstsein ohnehin meistens verdrängt, besonders in jenen Alltagsaugenblicken, in denen wir völlig in unser Existieren verstrickt sind und das jeweilige Ding ein reiner Zweck, nur ein Für-uns ist.

Ich kann mich einem Ding-an-sich unter Verwendung weiterer Begriffe 'begreifend' immer weiter annähern, und damit die Différence bzw den Abstand zu der jeweiligen Unendlichkeitsinstanz ein Stück weit verringern. Indem der Wissenschaftler immer mehr Merkmale eines Objektes erkennt, kommt er der Wahrheit über das Objekt immer näher. Er umzingelt das Ding-an-sich gewissermaßen mit Erkenntnissen und kann es so mittels des Denkens erfassen - allerdings mit der Einschränkung

-dass die genannte grundsätzliche Differenz zwischen unserem Denken und dem Sein der Materie immer bestehen bleibt

-dass es Aspekte und Eigenschaften der Dinge geben kann, die (i) prinzipiell auf unserer kleinen Erde nicht messbar sind oder (ii) von unserem beschränkten Verstand nicht begriffen werden können.

Das Vorhandensein der Différence spielt in weiten Bereichen der Philosophie eine wichtige Rolle; nicht nur in dem vor allem auf 'Texte' zentrierten sogenannten Dekonstruktivismus, sondern auch in älteren Ansätzen, nicht selten verdeckt und ohne dass ein expliziter Begriff dafür eingeführt wird. Vom Kritischen Rationalismus ist sie zum Beispiel so gedeutet worden, dass es in den Wissenschaften keine absolute Wahrheit, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit gibt. Dabei muss man sich allerdings klar sein, dass in idealen Fällen die Différence relativ klein bzw die Wahrscheinlichkeit für die Wahrheit einer Theorie ziemlich groß sein kann. Diese Einsicht können Astronauten, die sich weit genug von der Erde entfernen und dabei an die Ideen des Kopernikus denken, sinnlich bestätigen.

Klar ist aber auch, dass Modelle immer nur Teilaspekte der Dinge-an-sich und ihrer absoluten Existenzwirklichkeit beleuchten. Die 'wahre' oder 'unendliche' Wirklichkeit-an-sich vollzieht sich völlig unabhängig und außerhalb des menschlichen Geistes.

Allerdings kann sie von uns betrachtet, analysiert und auf Basis dieser Analysen auch verändert werden, indem wir vermittels unserer Gliedmaßen und zweckmäßig ersonnener Werkzeuge in sie eingreifen. Das dazu erforderliche Analysewerkzeug der Intelligenz ist uns angeboren, zusammen mit Fähigkeiten wie der, neue Kategorien zu bilden und mit deren Hilfe Sinneserfahrungen einzuordnen. Man kann sagen, die Möglichkeit der Ideenbildung - und überhaupt die Fähigkeit, Möglichkeiten in Betracht zu ziehen - ist aufgrund unseres physikalischen und sozialen in-der-Welt-Seins zu unserem biologischen Erbe geworden. Wie die Ideen konkret aussehen, denen wir anhängen, das hängt außer von unseren inneren Befindlichkeiten natürlich von der äußeren Umgebung ab, welcher wir jeweils ausgesetzt sind und der wir uns anzupassen versuchen.

Viele scheinbar grundlegende Phänomene des menschlichen Denkens und Verhaltens und damit auch viele Themen der Philosophie ergeben sich aus dieser Ausprägung unseres Geistes, zum Beispiel

-die Ökonomie des Geldes. Das Geld als abstraktes Synonym für unbegrenzte Möglichkeiten.

-Lüge, Schauspielerei, Theater, Literatur. In Teilen auch die bildende Kunst.

-wissenschaftliche Theoriebildung, die vor der Verifikation die Spekulation erfordert.

-Hoffnungen jeder Art, z.B. auf eine besseren Zukunft.

-Utopien, Religion ...

und vieles andere mehr.

Es gibt sehr einfache, zunächst wenig abstrakt erscheinende Ideen wie die, dass ich ein vor mir liegendes Werkzeug für diesen und jenen Zweck verwenden könnte. Auch diese beruhen auf der in die Zukunft extrapolierenden Möglichkeitskategorie. Und selbst die abstraktesten Universalien funktionieren nach diesem Prinzip, das der Mensch seit Jahrtausenden äußerst nutzbringend in der Welt einzusetzen versteht. Dass sein Denken zu diesem Behuf mit (i) Möglichkeiten und (ii) Verallgemeinerungen umgehen muss, ist eigentlich klar. Anders könnte ein Verstand, der in die Wirklichkeit eingreifen und aus Erfahrungen lernen will, gar nicht funktionieren.

Abstraktionen können sehr weitgehend sein. Sie umfassen 'schlecht abstrakte', sinnentleerte Ideenlandschaften genauso wie äußerst nützliche Denkkategorien. Zum Beispiel ist die Lage eines Dinges eine nützliche und bewährte Kategorie - im Gegensatz etwa zur Elfendichte in einem Volumenelement oder zu den Ausschlägen einer Wünschelrute. Ein Aberglaube kann sich immerhin nutzbringend auf unsere Befindlichkeit auswirken und in manchen Fällen zu kollektiven Suggestionen führen, die das Volk leichter lenkbar machen.

Irgendwo dazwischen stehen zum Beispiel idealistische Vorstellungen wie die eines absoluten Subjekts, das als beharrliche Seelensubstanz allen Akten des Denkens zugrunde liegen soll. Auf der biologischen Ebene korrespondiert dies - eher prosaisch - der massenhaften genetischen Vervielfältigung des homo sapiens Hirnes, die wiederum eine Voraussetzung für die Formung moderner Gesellschaften ist.

System der Vernunft, absolutes Subjekt, Dialektik: von Platon bis zum deutschen Idealismus bezeichnen solche Ideen, wie auch Ideen überhaupt, die angeblich höchste Wirklichkeit. Wenn hier das Wort 'Wirklichkeit' durch 'Wichtigkeit' ersetzt würde, ließe sich in diesen Ansätzen vielleicht ein Sinn erkennen. Ansonsten waltet darin ein seltsamer Wirklichkeitsbegriff von was eigentlich Visionen sind, also Vorstellungen unserer Köpfe. Jener ergibt sich vermutlich daraus, dass geisteswissenschaftlich orientierte Philosophen sich vor allem mit psychologischen, gesellschaftlichen oder theologischen Ideen auskennen, auch an Stellen, wo den naturwissenschaftlichen eigentlich der erste Rang bei der Rekonstruktion der Wirklichkeit gebührt. Nota bene, dass der Begriff der Idee in meinem Denken etwas Spezielleres, der der Substanz etwas Allgemeineres als in der deutschen Durchschnittsphilosophie ist.

Generell tendiert das idealistische Denken von Platon bis Wittgenstein dazu, die Welt in den Geist verlegen zu wollen und kommt dadurch zu scheinbar tiefsinnigen und zugleich paradox klingenden Aussagen. In Wahrheit verwechselt man meist nur die Welt mit unserer Erkenntnis der Welt oder Sicht auf die Welt. Führe die Ersetzung 'Welt'''Sicht auf die Welt' durch, und du erhältst aus solchen Aussagen Trivialitäten. Betrachte beispielsweise den Satz 'Die Welt ist abhängig von unserem Bewusstsein', dem kein naturalistischer oder materialistischer Philosoph ohne weiteres zustimmen würde. Die Aussage 'Unsere Erkenntnis der Welt bzw unsere Sicht auf die Welt ist abhängig von unserem Bewusstsein' ist hingegen eine wahre, wenn auch mehr oder weniger triviale Feststellung.

Einen dem Idealismus entgegengesetzten Standpunkt nehmen Nominalisten ein, welche die Existenz von Begriffen, Klassen, Eigenschaften und Abstraktionen schlichtweg leugnen, ohne allerdings zu hinterfragen, was unter dem 'Existieren' geistiger Entitäten zu verstehen ist. Es kann offenbar nicht eine Existenz wie von realen Gegenständen gemeint sein, und natürlich muss man unterscheiden zwischen den Begriffsbildungen des Geistes, die eigentlich, d.h. vom streng naturalistischen Standpunkt nur als Eiweiße in unseren Köpfen existieren, und demjenigen, auf was sie pointen. Auf der Ebene des Geistigen sind Ideen und Universalien eben keine Dinge, sondern nur Worte bzw Pointer innerhalb unseres Denksystems, wenngleich mit mannigfachen Verwendungsmöglichkeiten, da sie über Hirn und Hand auf die Gegenstände zurückwirken können.

Hier muss man dem Konzeptualismus zustimmen, der die Auffassung vertritt, dass allgemeine Begriffe durch Abstraktionsprozesse des Bewusstseins gebildet werden und daher keine realen Gegenstände sein können. Indem sie auf reale Gegenstände pointen - bzw auf deren Eigenschaften - können Abstraktionen aber durchaus etwas Realem 'entsprechen' bzw dieses 'reflektieren'.

In gewisser Weise kann man sagen, dass in unseren Gedanken die Eigenschaften eines gegebenen Untersuchungsobjekts 'nachgebildet' werden, besonders auch, wenn wir Feststellungen über Korrelationen zwischen dessen Pointern treffen. Dabei kann es wie beschrieben leicht zu Irrtümern des Denkens kommen, während die eigentlich anvisierten außerweltlichen Korrelationen, denen wir etwa mit Experimenten zuleibe rücken, immer die 'Wahrheit' repräsentieren, in dem Sinne, dass die Wirklichkeit immer recht hat und der Ausgang eines Experimentes über das weitere Vorgehen der Wissenschaft entscheidet.

Es ist durchaus richtig, wie Aristoteles zu sagen, das Wesen der Dinge liege in den Dingen selbst, wenn man gleichzeitig zugibt, dass wir im Kopf eine imaginierte, idealisierte, subjektive und zuweilen auch falsche Doppelung/Projektion/Spiegelung/Bepointung/Verarbeitung der realen Welt vornehmen, gespeichert in Eiweißen. Fast immer beinhaltet diese Verarbeitung extreme Reduktionen, die dem Verstand aber wiederum helfen, sich in einer komplizierten Welt zurecht zu finden. Außerdem enthält die Verarbeitung als Teil des Bewusstseins naturgemäß implizite Beimischungen des Geistes, die schon allein darum notwendig sind, weil wir die Dinge(=Ausschnitte der Realität) oftmals berechnend einem Zweck zuführen wollen.

Um das (in den Dingen selbst liegende) Wesen der Dinge zu verstehen, benötigt der menschliche Geist die Ideen und Begriffe als Pointer, weil das Verstehen eben einen zweiten oder dritten Akt der Verarbeitung des Wirklichen durch unser Hirn beinhaltet, der die durch Wahrnehmung erfolgte Erstübertragung voraussetzt und sich normalerweise auf diese verlässt.

Erscheinung und Wesen

Der Begriff der ERSCHEINUNG ist relativ einfach und unzweideutig festzulegen. Denn alles Wahrgenommene beruht auf Erscheinungen. Wobei die Wahrnehmung einer Erscheinung durch die oben beschriebenen unbewussten Synthesisleistungen des Kopfes bereits verändert ist, wenn sie im Bewusstsein ankommt.

Hingegen bestehen hinsichtlich des WESENS einer Sache bei verschiedenen Philosophen und auch im allgemeinen Sprachgebrauch erhebliche Differenzen:

-Man kann es als Gegensatz zu ihrer Erscheinung verstehen, in dem Sinne, dass es dasjenige besonders Bedeutungsvolle umfasst, was von der Sache aber nicht direkt in Erscheinung tritt. Dieser Begriff des Wesens ist allerdings zu unspezifisch für die wissenschaftliche Philosophie.

-Dasselbe gilt auch, wenn mit Wesen das im Wechsel der Zustände bzw Erscheinungen Gleichbleibende einer Sache oder Person gemeint ist.

-Man kann das Wesen einer Sache in dessen hauptsächlichem Zweck für die menschliche Nutzung sehen. Wenn etwa über das Wesen eines Tisches gesprochen wird - statt über das des Holzes, aus welchem er besteht - so ist damit seine Zweckmäßigkeit als Unterlage oder Arbeitsplatz gemeint.

-Die Vertreter der Existenzphilosophie, die sich terminologisch auf die scholastische Unterscheidung zwischen essentia (Sosein) und existenzia (Dasein) beziehen, denken das Wesen des Menschen als der Existenz nachgängig, in dem Sinne, dass der Mensch als Bildner seines Wesens verstanden werden kann. Dieser Begriff des Wesens bezieht sich auf den Menschen allein, und auf dessen innere und äußere Umgebung-für-ihn.

-Wenn man auf das Wesen der Dinge, unabhängig von menschlichen Einflüssen abzielt, kann man es als eine dominierende natürliche Eigenschaft eines Dinges definieren. Dies ist der Aristotelische Ansatz. Leider lässt er offen, ob und wie man die dominierende Eigenschaft des Dinges eindeutig bestimmen kann.

-Manchmal wird Wesen auch im Sinne von Bestimmung verwendet; also das Wesen des Samens besteht darin, dass aus ihm eine Pflanze wird. Wenn dann das Wesen(tliche) der Pflanze ihr Samen ist, sieht man, hierin liegt wenig Erkenntnisgewinn.

-In meinem Werk meint Wesen eine meist schwer zugängliche, oft unveränderliche, zuweilen aber auch dynamische innere Strukturiertheit einer Sache bzw eines Dinges-an-sich, aus welcher sich (fast) alle seine Erscheinungen ergeben bzw ableiten lassen. So ist zum Beispiel das Wesen des Universums durch seinen tetronischen Strukturaufbau gegeben, und seine Expansion sowie alle in ihm vorkommenden Teilchen sind als Anregungen Folgen dieser grundlegenden Struktur. Das Wesen der Materie, um ein zweites Beispiel zu nennen, ist ihr Aufbau aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Das Wesen des Wassers ist seine molekulare Gestalt als H2O.

Anzumerken bleibt, dass die menschliche Erkenntnis immer weiter fortschreitet, und dasjenige, was sich uns heute als das Wesen einer Erscheinung darstellt, morgen vielleicht durch etwas Genaueres, Feinkörnigeres ersetzt wird, welches das vorherige Wesen im Idealfall mit umfasst. In dieser Wendung ist Wesen dann doch eine Art 'Tendenzbegriff', welcher mit Hilfe von theoretischen Modellen wichtige Wirklichkeitstendenzen durchaus zu erfassen vermag, doch niemals die unendliche Mannigfaltigkeit der Welt und ihrer Dinge-an-sich.

Allerdings ist der Begriff des Wesens durchaus so gemeint, dass das zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellte Wesen möglichst alle bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Erscheinungen determiniert, d.h. die Summe aller Erscheinungen des gegebenen Untersuchungsobjektes. Man kann also das Wesen als ein oberstes Prinzip verstehen, aus dem die Substanz und die Substanzen sich konstituieren. Wobei wie gesagt das Verständnis des Wesens sich im Laufe des Erkenntnisfortschritts ändern kann, und in meiner naturalistisch orientierten Philosophie die Eine Substanz samt ihren Eigenschaften zuerst kommt und die sich daraus ergebenden Aufbauprinzipien der Welt (zum Beispiel die Hundsche Regel) nachrangig sind.

Wenn man nun glaubt, über das Wesen direkten Zugriff auf das Ding-an-sich zu erlangen, weil man etwa davon ausgeht, ein Ding lasse sich durch die Summe seiner letztlich durch das Wesen bestimmten Erscheinungen vollständig beschreiben, so stimmt das und stimmt auch wieder nicht. Es stimmt nur dann, wenn man jenen unendlichen Limes von Erscheinungen des Gegenstandes mitdenkt, die sich mit immer genaueren Instrumenten aufdecken lassen und sogar auch jene, die aufzudecken wir nie in der Lage sein werden, weil uns auf der Erde keine Beschleunigeranlagen mit genügend hohen Energien zur Verfügung stehen, oder weil wir - aus demselben Wellenmaterial geformt wie unsere Untersuchungsobjekte - einfach nicht tief genug in sie hineinsehen können (Unschärferelation). Diese Einschränkungen zusammengenommen sind aber mehr oder weniger hinreichend für die Auffassung, das Ding-an-sich sei doch mehr als die Summe seiner menschlich wahrnehmbaren und begreifbaren Erscheinungen.

Offenbar besteht hier ein Gegensatz zwischen dem optimistischen Wissenschaftscredo jener experimentellen Naturforscher einerseits, die meinen, grundsätzlich könnten alle Eigenschaften eines Dinges durch Erscheinungen irgendwie zutage gebracht und so das Ding-an-sich immer weiter dekuvriert werden, und die insoweit recht haben, als alles, was neu entdeckt und unzweideutig nachgewiesen sein will, notwendigerweise durch sie und ihre Instrumente wahrgenommen sein muss, und andererseits der 'Erfahrung' der Theoretiker, dass sich oft aus als wahr behaupteten fundamentalen Eigenschaften der Substanz einige unbedingt zu verifizierende Aussagen ableiten lassen, die aber auf der Erde niemals experimentell überprüfbar sein werden.

Die früher erwähnte Différence, also letztlich die Tatsache, dass wir auf Basis von Pointern, d.h. den geistigen Wesenheiten unseres Kopfes niemals mit dem materiellen Ding-an-sich eins werden können, hat mit diesen Überlegungen eine gewisse, wenn auch keine vollständige Überschneidung. In dem oben genannten Limes könnte das menschliche Wissen über ein Objekt zwar vollständig werden, sofern unsere Experimentierkünste und Verständnisfähigkeiten am Ende dazu ausreichen. Doch selbst wenn zum Beispiel eine allerletzte Strukturierung der Materie existiert, die wir eines Tages erkennen und aus der sich alle Dinge und Erscheinungen ableiten lassen, und selbst wenn darüberhinaus sogar die Frage nach der 'Quelle' bzw dem Ursinn dieser 'Endstruktur' beantwortet werden kann, wird dennoch die Différence zwischen Verstehen und Verschmelzen bestehen und der Mensch in Leid und Sterblichkeit weiter unversöhnt bleiben.

Nicht-Universalität der Prinzipien

Zu unterscheiden ist das in einer präparierten Umgebung zahlenmäßig Erfassbare, eben das für uns Essentielle, von der Essenz-an-sich, welch letzterer wir mit unseren Modellen und Vorstellungen nahe zu kommen versuchen. - Die Différence zwischen Signifikat(=Natur) und Signifikant(=Modell) weilt fort, wir sind nicht die Herren des Universums - selbst wenn wir das Genom eines Bakteriums bis ins Letzte entschlüsseln und damit zu manipulieren lernen.

Eine Folge dieser Überlegungen ist die NICHT-UNIVERSALITÄT DES PRINZIPS: die vom menschlichen Geist vorgenommene Zuordnung höherer Prinzipien zu beobachteten Strukturen der Substanz ist keineswegs immer eindeutig. Es gibt manchmal mehrere Modelle, mit denen wir ein Phänomen verstehen können, und wenn die experimentellen Informationen nicht ausreichen, lässt sich nicht endgültig klären, welches von ihnen der wahren Natur des So-seins entspricht. Dies gilt sowohl für gesellschaftliche, natürliche als auch für theoretische Strukturen und hat Konsequenzen für den logischen und ideologischen Aufbau dieser Welten, der sich nicht ohne Brüche und Dekonstruktionen vollziehen kann. Unser Denken und ganzes Sein sind keine lineare Bewegung, sondern voller unvermittelter, nicht selten absurd erschei-nender Paradigmenwechsel.

Abstraktes Denken bewegt sich zum Nichts; die Nicht-Universalität des Prinzips ist die Grenze dieser Bewegung. Je nachdem, welches der möglichen Prinzipien man hypostasiert, ist der Weg zum Nichts ein anderer, und zuweilen ist er ganz versperrt. Auch das oberste Prinzip ist mehrdeutig, durchdrungen von seinen Alternativen, und daher ein aufgeklärtes Nichts.

Von der Beschränktheit des Verstandes

Unsere Gehirne sind alle von ähnlicher Struktur (so dass wir auf scheinbar hohem geistigen Niveau miteinander kommunizieren können) und durch Millionen Jahre Ausrichtung auf die äußere Naturwelt geprägt. Darüber hinaus hat sich besonders seit der neolithischen Revolution und den Selektionsphasen des Mittelalters, in denen weit mehr Adels- als Bauernsprosse schlechte Zeiten überlebten, die soziale Interaktion der Menschen erheblich verändert.

Aufgrund dieser spezifischen Anpassungen sind durchaus Faktizitäten denkbar, die der menschlichen Intelligenz per se verschlossen bleiben. In diesem Sinne gleicht unsere Ratio einem fruchtbaren Garten voll schöner Blumen und Nutzpflanzen, der aber von Mauern durchzogen und umgeben ist, die wir nicht immer wahrnehmen. So viele Gewächse wir auch züchten, über manche der Hürden werden wir niemals hinauskommen.

Was jedoch einmal in unser Denken Eingang gefunden hat, weil es der Evolution und den Gesetzen der Umwelt nicht zuwiderläuft, mit dem kommen wir besser zurecht als mit allen komplexen unmittelbaren Zwängen der Außenwelt; denn es ist geglättet und idealisiert und direkt in unseren Köpfen verfügbar, es kann beliebig zerlegt und gewendet werden und gehört dem Intellekt fast allein. Die theoretische Physik zum Beispiel macht ausgiebig Gebrauch von 'Gedankenexperimenten', um sich ihrer Erkenntnisse zu vergewissern.

Jenes Wissen, welches sie über die Natur ansammeln, erfahren die Wissenschaftler innerhalb idealisierter Vorstellungen ('Modelle') von ihr, und die Sätze, die im Rahmen solcher Modelle formuliert werden, haben einen entsprechend reduzierten Wahrheitswert; in minderen Fällen sind sie bloße Faustregeln oder halbe Wahrheiten, bedenkenswert nur als Stufen auf dem Weg zum Erkennen des Wesens einer Erscheinung.

Dieses Manko betrifft auch Modelle, die mit einem aufwendigen formalen Apparat und hohen mathematischen Exaktheitsanspruch daherkommen. Wenn die Basisannahmen nicht mit den entsprechenden Vorgängen in der Natur übereinstimmen, kann auch brillante Mathematik ein Modell nicht retten. So ist die mathematische Gewissheit vielleicht methodisch im Hinblick auf ihre Exaktheit die Elle, an der sich die anderen Wissenschaften messen lassen, doch sicher nicht in dem Sinne, dass Rechenkunst naturwissenschaftliche Erkenntnis ersetzen könnte.

Ein wichtiges Prinzip der Mathematik ist das Induktionsgesetz, wo man aufgrund der Wohlordnung der natürlichen Zahlen aus zwei Schlüssen - erstens, dass eine Aussage für n=1 und zweitens, dass, wenn sie für ein n gilt, sie auch für n+1 gilt - folgert, dass die Aussage für jedes n richtig ist. Solche apriorischen Denkgesetze gibt es in Mathematik und Logik zuhauf, und sie gelten dort wie auch generell in der Modellbildung der abstrakten Wissenschaften in einem sehr strengen Sinn (wenngleich selbst dort, um die Erkenntnis voranzutreiben, mitunter Sprünge des Denkens in Kauf zu nehmen sind). Man kann geradezu sagen, dass es strenge apriorische Erkenntnisse nur zwischen Pointern, also den geistigen Wesenheiten geben kann.

Mit immer subtileren Methoden versucht die Wissenschaft, die Gleichge-wichtszustände der Welt und ihre Störungen zu verstehen, doch obwohl man sich alle möglichen und unmöglichen Denkfiguren dafür zurechtlegt, erreicht die Beweiskraft im Hinblick auf die physikalische Wahrheit niemals die Gewissheit jener mathematischen Schlüsse.

Der Mensch ist häufig versucht, Denkgesetze wie das Induktionsprinzip in der physikalischen Wirklichkeit anzuwenden. Er geht z.B. davon aus, dass bestimmte Naturerscheinungen, wie das tägliche Aufgehen der Sonne oder das Krähen des Hahnes am Morgen, sich andauernd wiederholen, oder allgemeiner gesagt, wenn er mehrere Erscheinungen oft genug im Zusammenhang hat auftreten sehen, kommt er zu dem Schluss, dass sie wohl immer im Zusammenhang auftreten werden, und beginnt nach Gründen dafür zu suchen.

Dieses Vorgehen wird als 'schwache' oder unvollständige Induktion bezeichnet und hat seine Berechtigung u.a. in der relativen Stabilität und Homogenität der Welt, in der die meisten Dinge und Phänomene, zumindest innerhalb unseres beschränkten Erfahrungshorizontes, gleichbleiben oder sich wiederholen und nebenbei so etwas wie den stabilen Verstand einer Spezies überhaupt erst ermöglichen. Jede Feststellung von Gesetzmäßigkeiten setzt eine konstant-verlässliche Welt voraus. In einem völlig chaotischen Universum würden intelligente Wesen die wirkenden physikalischen Gesetze nur mit Mühe erkennen und das schwache Induktionsprinzip womöglich nicht für wahr halten oder zumindest nicht anwenden können, schon allein, weil sich dieses Prinzip nicht entdecken ließe.

Zwar ist nicht jede Erscheinung möglich; doch rein hypothetisch denkbar wäre in jedem Moment prinzipiell alles, bis hin zum plötzlichen Weltuntergang, aufgrund eines Naturgesetzes, das uns bisher entgangen ist und dessen Wirkung eben erst mit voller Wucht einsetzt. Keine Induktionslogik kann das ausschließen, und die physikalischen Modelle und Gesetze, aufgrund derer wir diese Behauptung zurückweisen, könnten falsch sein. Könnten; denn jenes Geheimnis der Natur aber, dass in Wahrheit nicht alles prinzipiell möglich ist - und nicht nur aufgrund subjektiver Erfahrungen und Sichtweisen - gehört zu der sogenannten Objektivität, mit der ihre Erscheinungen uns gegenübertreten, ist FOLGE EINER SEIT ÄONEN KALTEN UND FLACHEN WELT.

Denn gewiss, wenn ein Punkt genügend Energie akkumuliert und daraufhin explodiert, fliegt alles weit auseinander und verteilt sich am Ende als feiner Nebel im Nichts. Doch wie kam der Punkt zu seiner Energie, wie kam das Nichts? Wie die rapide Expansion in der Inflationsperiode zustande?

Vieles was wir über die äußere Natur erkennen, leiten wir mit Hilfsmitteln her, die uns Mathematik und Logik bereitstellen, z.B. aus dem Satz vom Widerspruch, dass ein Ding nicht zugleich eine bestimmte Eigenschaft haben und nicht haben kann. Aber auch hier verhält es sich ähnlich wie mit dem Induktionsprinzip. Die Anwendung der logischen Gesetze hängt von den Sichten ab, die man auf die Welt haben kann, und zuweilen eignet sich eine unscharfe Fuzzylogik zum Verstehen der Realität besser als eine strenge aber unflexible zweiwertige Logik.

Dass hier eine Wechselbeziehung bestehen muss, ist klar, ergibt sich aus der früher getroffenen Feststellung, dass die vom Gehirn formulierten Gesetze der Logik sich ursprünglich an der Natur orientieren und unser Denkvermögen überhaupt als eine Art Pointer-basiertes Destillat/Derivat/Differentialprodukt von Außenerfahrungen aufgefasst werden kann. Zudem ist wenig verwunderlich, dass die Begriffe und Aussagen, mit denen wir operieren, um die wirkliche Welt zu verstehen, oftmals auf Vorstufen und vagen bildhaften Ideen aufsetzen, die lange nicht so eindeutig bestimmt sind wie die Aussagen der Logik. In der Folge ist das, was man eine 'Eigenschaft' nennt, in der Realität weniger präzise zu definieren als im logischen Denken. Reale Dinge können Eigenschaften, wie zum Beispiel die Farbe 'rot', nicht nur ganz oder gar nicht, sondern 'in einem gewissen Maße' besitzen, und wir gewinnen manchmal durchaus an Erkenntnisfähigkeit, wenn wir in unseren Modellen der Wirklichkeit auf begrenzte und wohldurchdachte Weise das enge Korsett der zweiwertigen Logik verlassen.

Von dieser ist ohnedies seit Gödel bekannt, dass sie unvollständig ist und unbeweisbare Aussagen zulässt. Diese Unvollständigkeit hängt mit ihrer diskreten Natur zusammen. Vollständigere Muster wie die angewandte Geometrie oder die reellen Zahlen oder das wirkliche, wilde Denken vermeiden solche Inkonsistenzen, indem sie neben Wahrheit und Falschheit ein kontinuierliches Spektrum von Attributen zulassen.

Kulturelle Prägungen und individuelle Unterschiede sollen nicht geleugnet werden; doch wenn man davon ausgeht, dass die Art unseres Denkens und die Art, wie wir Aussagen bilden, genetisch und menschheitsgeschichtlich durch die Bedingungen der materiellen Natur geformt wurden, sind vermutlich die meisten Denkfiguren und besonders auch die Tiefenstrukturen der Kommunikation in den Köpfen und Genen aller Menschen ziemlich fest verdrahtet, gerade auch die komplizierteren, ganz gleich mit welchen Lautfolgen wir sie äußern, und ob wir etwa beim Verneinen nicken oder den Kopf schütteln. Wir sind daher prinzipiell gar nicht in der Lage, alle möglichen Logiken zu benennen, zu verstehen oder zu verwenden und alle möglichen Axiomensysteme zu formulieren, so dass es mit Sicherheit vernunftmäßige Systeme gibt, die uns prinzipiell nicht zugänglich sind, weder kognitiv noch sprachlich.

Der menschliche Geist macht sich gern zum Nabel der Welt. Er ähnelt darin einem Softwaresystem, das die korrekte Rangfolge zwischen Hardware und Software bewusst verschleiert, indem es die Software als root vor alle Hardware setzt: root/festplatte_1 ist dann so ein Hardware-Device, während in Wirklichkeit root auf einer der Festplatten angesiedelt ist. So erzeugt sich der menschliche Geist die Realität als Begriff root/realität und dichtet dieser fundamentale Prinzipien root/prinzipien an, zum Beispiel das Prinzip der Schöpfung aus dem Nichts, das der Eichsymmetrie oder das der ewigen Wiederholung, in der Form root/prinzipien/eichprinzip usw.

Vermutlich sind der Materie und ihrer Substanz die Prinzipien, nach denen sie funktionieren, egal, einfach weil der Substanz kein Bewusstsein zugeordnet ist, und selbst wenn, führt die Annahme eines intelligenten Universums automatisch zu der Frage, woher das Universum diese Intelligenz hat und worin deren Beschränkungen liegen.

Intelligent oder nicht, immerhin hat die Eine Substanz der Dinge-an-sich genügend Kontingenz, um Eigenschaften-an-sich zuzulassen. Deren Einteilung in wohl-separierte Eigenschaft-Seine wird innerhalb des Erkenntnisprozesses durch das menschliche Bewusstsein vorgenommen und damit natürlich reduziert und deformiert. Bei objektiver Betrachtung stehen die Dinge an sich an erster Stelle, und unser Bewusstsein mitsamt seiner materiellen Basis aus Neuronen und Ganglien ist nur eines ihrer Untersysteme (dinge_an_sich/bewusstsein), unter dem die von ihm erkannten Prinzipien anzusiedeln sind (als dinge_an_sich/bewusstsein/erkannte_prinzipien), also nicht als Prinzipien-an-sich, sondern als Pointer im Bewusstsein, gespeichert in Form von Proteinen, Hirnströmen usw.

Dass erkannte Prinzipien und überhaupt alles Wissen sich über Generationen entwickeln und weiterverbreiten, ist ein anthropologisches Charakteristikum des Menschen, das dem Wissen Fortbestand garantiert. Dabei bilden sich in den Hirnen vieler Menschen dieselben oder mindestens ähnliche Proteine, sobald das betreffende Wissen erlernt und diskutiert wird. Es scheint klar, dass eine solche Verbreitungsstrategie dem Überleben unserer Art äußerst förderlich ist.

Hingegen liegen die Eigenschaften-an-sich der Dinge-an-sich nicht im Unterverzeichnis bewusstsein, sondern gehören zum Kontinuum der Dinge an sich. Besonders die höchsten Prinzipien der Substanz-an-sich müssen von dieser Warte unbegründbar erscheinen, da der menschliche Geist nichts begründen kann, ohne etwas vorauszusetzen. Er braucht anscheinend immer weitere Gründe, oder wenigstens ein Paradigma, um zu immer weitergehenden Schlüssen zu gelangen. Dies ist einerseits eine Randbedingung jeder Theorie der menschlichen Erkenntnis, die von der Beschränktheit unseres Verstandes induziert wird. Zum anderen verweist es auf eine objektive Seins-Eigenschaft der Naturmaterie, die sich in irgendeiner Form letztbegründen muss - oder auch nicht. Immerhin lässt sich keineswegs ausschließen, dass es einen letzten Grund gibt, den wir nur im Moment noch nicht verstanden haben oder eben gar nicht verstehen können.

Instinkt und Vernunft

In gewisser Weise kann man den Verstand des Menschen als eine Sonderform seiner Instinkte auffassen. Instinkte können bekanntlich in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten, mit denen sie in der Lage sind, auf gegebenen Zuständen des Bewusstseins zu operieren und damit dem Körpersystem helfen, auf äußere Umstände, die diese Zustände hervorrufen, zu reagieren. Zum Beispiel reagiert der Fluchtinstinkt auf den Bewusstseinszustand, der durch einen Waldbrand hervorgerufen wird, wenn dessen Wahrnehmung vermittelst der Ohren und Nervenbahnen in unser Gehirn gelangt und dort in elektrochemische Signale umgewandelt wird. Unsere Reaktion besteht im unwillkürlichen sich Umsehen oder gleich die Beine in die Hand nehmen und Davonlaufen und vorher aus denjenigen Zuständen des Gehirns, die diese Bewegungen auslösen. In analoger Weise operiert die Vernunft u.a. auf solchen Bewusstseinszuständen, die sich bei logischen Problemen aufbauen. Es entwickelt sich ein Bewusstseinszustand, der sich als Produkt unserer Intelligenz und der Problemstellung ergibt und im Idealfall die Lösung des Problems ermöglicht.

Es ist richtig, diese Ähnlichkeit allein macht aus der Vernunft noch keine Unterart der Instinkte. Man muss sich aber klar darüber sein, dass unser Handeln zu jedem Zeitpunkt, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind, gleichzeitig von mehreren Polen bestimmt wird, von Vernunft, Emotionen, Instinkten usw. Notabene die Vernunft im engeren Sinne hat eine weit geringere Bedeutung als gemeinhin angenommen. Metaphorisch ausgedrückt, liegt sie in dem großen, weiträumigen, vielgestaltigen Universum der Gefühle wie ein toter Hering in der Sahnesauce. Es ist oft interessant zu beobachten, wie Vernunft und Gefühle als Player sich ablösen, und zwar, ohne dass besondere Brüche sichtbar werden und das Gehirn die Vernunft um Erlaubnis fragen würde. Eine rationale Revisionsinstanz gibt es gewöhnlich nicht; die Vernunft ordnet sich den Leidenschaften und Instinkten bereitwillig unter. Erfindet gar Argumente, um deren Auswüchse zu rechtfertigen. Und wiegt sich hinterher noch in dem Glauben, dass sie die treibende Kraft im Bewusstsein ist. Der Mensch erklärt sich zu etwas Besonderem, den Tieren überlegen, weil er meint, seine Instinkte im Zaum halten und mit dem Verstand steuern zu können. In Wirklichkeit sind die sogenannten wilden Instinkte von selber im Zaum, sind gar nicht so ungestüm wie gemeinhin angenommen. Siehe die Tiere, deren Handeln und Leben i.a. in durchaus wohlgeordneten Bahnen verlaufen. Umgekehrt steckt hinter der Vernunft als Quelle der Kultur und der Zivilisation gar nicht so viel wie man meinen könnte, stecken die sozialen und verbalen Normierungen, die wir seit der neolithischen Revolution genetisch verinnerlicht haben, und die mehr oder weniger schematischen Operationen des Verstandes, die es uns ermöglichen, mit Apparaturen und Maschinen umzugehen. Denn unsere vielgepriesene Kultur besteht de facto nur aus ein paar technischen Apparaten (welche dem Menschen die Arbeit abnehmen) und aus ganz viel Tralala. Die Apparate beruhen zumeist auf einfachen Schematismen, auf die sich ihr Umgang mit der Wirklichkeit beschränkt. Natürlich stellt die menschliche Kultur, an welcher übrigens die technischen Innovationen den entscheidenden Anteil haben, etwas Neues, ein in der Naturgeschichte bisher nicht da gewesenes Moment dar, das sich nur auf Basis unserer Intelligenz entwickeln konnte, ein sehr nützliches und durchaus eindrucksvolles Moment. Er lässt den Menschen Häuser und Straßen bauen, Musiken spielen und Vorrichtungen erfinden, die das Leben erleichtern und schöner und angenehmer machen. Jedoch bezogen auf das Dasein an sich des Individuums ist und bleibt die Vernunft der Gefühlswelt untergeordnet oder, wenn nicht untergeordnet, so doch nur eine Ergänzung, ein Wurmfortsatz, der an die Instinkte gekoppelt ist, mit ständigen Wechselwirkungen und gegenseitigen Befruchtungen.

Um es auf die Spitze zu treiben: der Grund, warum ich bin, hat mit meinem 'Ich denke' nichts zu tun. Man würde sich wundern, was bei genauerer Betrachtung alles Instinkt ist, wovon man glaubt, es werde von der Vernunft gesteuert. Wobei 'Instinkt' vielleicht nicht das richtige Wort ist. Die Impulse, die hochkommen, wenn ich auf ein Ereignis reagiere, sind ja mit meinem Bewusstsein und den dort ablaufenden Erkennungsprozessen auf engste vermittelt. Man könnte versucht sein, aus diesem Vermitteltsein zu folgern, dass wir letztlich keinen eigenen Willen haben, jedenfalls keinen vernünftigen Willen. Der Satz 'Ich will das und das', aber auch 'Die Blume ist schön' geht auf Impulse zurück, die aus unserem Inneren kommen. Also der Wille, auch der Wille zur Macht, und Empfindungen - von Schönheit, Ekel, Zufriedenheit usf, alldies ist ursprünglich tierischer Natur und wird von der Sprache nur ausgekleidet, einer Sprache fast ohne Vernunftkomponente, die der verlängerte Arm der Gefühle und Leidenschaften ist (i.e., des Tralala).

Wie wir später sehen werden, ist es aber gerade die Verkoppelung mit den Instinkten, welche die wenn auch nur subjektive Freiheit unseres Willens garantiert. Darüberhinaus betrifft das Primat der Instinkte eben nicht nur die Vernunft und den menschlichen Willen, sondern auch andere Bereiche der Psyche wie den Glauben und das ästhetische Empfinden.

Das Empfinden von Schönheit ein vormenschlicher, tierischer Instinkt? Man muss sie sich nur anschauen, die schönen Geschöpfe, die die Natur hervorgebracht hat. Niemand soll meinen, ihre Schönheit wäre nur für uns Menschen da, würde nur von uns Menschen wahrgenommen. Sondern umgekehrt: nur weil wir Tiere sind, nehmen wir sie als Schönheiten wahr. Und auch die Vernunft, auch, wo wir mit ihrer Hilfe Ziele erreichen, und selbst dort, wo sie zu wahren Höhenflügen ansetzt, in der Mathematik oder Philosophie, ordnet sie sich bereitwillig einem anderen unter. Der Seele, Psyche oder wie man es nennen will ordnet sie sich unter, aus einer nur teilweise vernünftigen bewussten und mehreren mehr oder weniger vor- und unbewussten Komponenten bestehend, die ich mir als einen brodelnden oder auch still vor sich hin köchelnden Topf mit einer trüben, blubbernden Brühe vorstelle, aus welcher gelegentlich Fontänen vorschießen, Jets, Impulse, die in unser Bewusstsein treten und uns zum Handeln bringen, und in vorderster Linie gar nichts mit dem Verstand zu tun haben. Und diese Impulse, auf die wir in Maßen durch-aus einen Einfluss haben, das bestreite ich nicht, weil es eine Wechselwirkung mit dem vernünftigen Bewusstsein gibt, und auch mit unserer Wahrnehmung, werden im Gehirn, oftmals an der Vernunft vorbei, in verbale Exklamationen, in Kommunikation umgesetzt: das ist die Rolle der Sprache.

'Sie heizte ihr tolles knallgelbes Cabrio.' Dieser Satz ist voller Metaphern und Lautmalereien und enthält offensichtlich eine ganze Menge Emotionalität. Aber auch in dem Satz: 'Sie fährt ein hellgelbes Cabriolet' sind Emotionen enthalten, mehr rentnergemäße. Und der Mathematiker, welcher die Formel des Pythagoras ausspricht und vollinhaltlich versteht, weil man diese Formel in der Mathematik gar nicht oft genug wiederholen kann, der sie für ihre Tiefe und formale Einfachheit bewundert, ist nicht frei von Emotionen, der Liebe zur Wissenschaft und zu ihren Zeichen. Ich behaupte sogar, dass diese Emotionen, die auf den ersten Blick zweitrangig, dem Sinn nur beigemischt sind, entscheidenden Anteil am Fortschritt der Erkenntnis haben, weil sie zu weiteren Handlungsimpulsen führen, während die bloße Aneinanderreihung logisch aufeinander aufbauender Wahrheiten ohne diese ständig nachschießenden Impulse gar nicht vonstatten ginge.

Vernunft und Sprache machen dem Homo sapiens das Leben einfacher, weil sie ihm helfen, die aus seinem inneren Dampfkessel vorschießenden Impulsfontänen auf effektive und relativ gerade Bahnen zu lenken. In Wahrheit sind sie aber nur sekundär. Primär ist unsere Seele, das haben die Romantiker richtig erkannt. Die Seele macht sie sich nutzbar.

Wahrheit

Die Wahrheiten der Philosophie, und generell der Geisteswissenschaften, sind nicht beliebig. Es gibt auf diesen Gebieten Wahres und Falsches, und genau wie in den anderen Wissenschaften ist es oft nicht einfach, beides zu unterscheiden. Die Gesamtheit aller Wahrheiten könnte man die absolute Wahrheit nennen. Man beachte jedoch, dass es eine absolute Wahrheit in einem absoluten Sinn nicht geben kann, sondern immer nur relativ zu dem, was wir Menschen überhaupt wissen können.

Besonders virulent wird das Thema Wahrheit und Falschheit im Bereich der politischen Philosophien, weil davon Wohlstand und Menschenleben abhängen - etwa bei der Frage, welche Utopien erreichbar oder welche überhaupt erstrebenswert sind und mit welchen Mitteln man vorgehen soll, um die Welt besser zu machen. Die entsprechenden Ideen in reale Politik umzusetzen ist noch schwieriger; denn nicht selten kommt es vor, dass gut gemeinte Aktivitäten den Regierenden zum Desaster geraten.

Viele Sätze der Philosophie lassen sich auf unterschiedliche Weisen interpretieren, weil die verwendeten Begriffe nicht präzise definiert sind und sie daher von verschiedenen Autoren unterschiedlich verstanden werden. Es gehören dann nicht die Sätze selbst, sondern diejenigen Interpretationen zum 'absoluten' Wissen der menschlichen Spezies, die richtig, wahr oder passend sind. Ein klassisches Beispiel ist Sartres Verdikt, die Existenz gehe der Essenz voraus. Dies kann man existentialistisch verstehen, indem der Mensch auf Basis seiner materialen und gesellschaftlichen Existenz sich selbst und seine Sozialität frei zu erschaffen vermag; man kann es aber auch so deuten, dass unsere materielle Existenz bestimmend für unser Wesen ist ('das Sein bestimmt das Bewusstsein').

In einem anderen Sinn gilt auch die Umkehrung. Das heißt, man kann mit Recht behaupten, die in unseren Genen enthaltene 'Essenz' gehe unserer individuellen Existenz voraus, da diese eine Inkarnation der Gene darstellt.

Im Übrigen kann ein 'Vorausgehen' mehrerlei bedeuten. Im Französischen heißt es l'existence precede l'essence, mit preceder=wird vorangestellt und precede=oben. Wo vorn und hinten, oben oder unten ist, lässt sich bei abstrakten Begriffen jedoch nicht eindeutig festlegen - außer man spricht vom Existieren in einer Zeitlichkeit, das vor dem Sein der Essenz stattfindet, weil wir eben zuerst materiell existieren müssen, bevor wir uns finden können. Dass aber unsere soziale Essenz zum Teil historisch vor-festgelegt ist und wir uns i.a. nur schwer von traditionellen Bindungen lösen, hat auch Sartre am Ende zugegeben.

Wenn wir nun auf das Thema Wahrheit zurückkommen und optimistisch annehmen, alle Irrtümer und Missverständnisse der Welt seien eines Tages korrigiert und ausgeräumt, wird selbst dann noch die Option bestehen bleiben, die Akzente unseres Denkens unterschiedlich zu setzen, und dies allein gibt Anlass zu all den verschiedenen Strömungen der Philosophie.

Bekannte Beispiele für solche Akzentsetzungen sind nicht nur der Existentialismus; auch der anthropologische Ansatz von Lorenz oder Kants Sicht auf die Welt durch die Brille der Erkenntnistheorie sind hier zu nennen. Hingegen die meisten Hegelschen Absolutheiten sind schlicht als falsch zu bezeichnen, ebenso wie viele der von Späthegelianern daraus gezogene Folgerungen, insbesondere wo jene als Apologeten links- oder rechtsgerichteter Diktaturen auftreten.

Bezüglich des Darwinismus ist anzumerken, dass er zunächst nur eine biologische Theorie zu sein scheint, die mit der kulturellen Existenz des Menschen wenig zu tun hat. Da jedoch unser Sozial- und Kulturverhalten letztlich auf die Erhaltung der Gene und der Spezies ausgerichtet ist, schlägt sich das darwinistische Prinzip auf vielfältige, teils nicht direkt erkennbare Weise in den Gesellschaften nieder, die wir bilden, in den Zeitgeisten, denen wir folgen, und auch in allen Festlegungen und Vorurteilen unseres Individualintellektes. Der Grund, warum solche Vorgänge im Verborgenen blühen, liegt nicht nur darin, dass sie oft unbewusst ablaufen, sondern auch dass die genetisch Erfolgreichen kein Interesse daran haben, ihr egoistisches Handeln allzu deutlich hervortreten zu lassen und den weniger Erfolgreichen lieber Sand in die Augen streuen, um sie ruhig zu halten.

Die Idee des Sozialdarwinismus genießt keinen guten Ruf, und ich bin garantiert nicht derjenige, der 'darwinistisches' Vorgehen unter Menschen befürwortet. Doch muss man sich leider darüber klar sein, dass seine Dynamik unter der Oberfläche unseres Alltagslebens andauernd aktiv ist, im konstruktiven und friedvollen Zusammenleben ebenso wie in Zeiten der Aggression und des Krieges.

Zuweilen wird daher der Akzent des philosophischen Denkens auch so gesetzt, dass man die Geschichte der organischen Natur, und auch die des Menschen auf der Erde als Entwicklung der DNA interpretiert, die sich der Variabilität der Eiweißmoleküle, aus denen Menschen, Tiere und Pflanzen vornehmlich aufgebaut sind, sowie auch der damit zusammenhängenden Variabilität der Verhaltensformen, nur bedient. Allerdings verläuft diese Entwicklung offenkundig viel zu erratisch, als dass hierin ein tieferer Sinn verborgen sein könnte, der über die einfache Tendenz einer biologischen Weiterentwicklung hinausgeht. Außerdem werden in Zukunft die Möglichkeiten der modernen Biotechnologie zu einer Selbstkopplung des biologischen Systems führen, deren Ausgang im Moment noch nicht absehbar sind.

Eine andere Akzentsetzung der Philosophie besteht darin, weder der Natur noch auch den Menschen angesichts ihrer Vergänglichkeit besondere Wichtigkeit zuzugestehen, sondern das Primat einer einzigen großen Wissensmaschine auszurufen, welcher wir alle zuarbeiten, mit dem Ziel einer eben doch objektiven Wissenstotalität, die der eigentliche Zweck unserer Existenz im Universum ist. Die darwinistische Selektion der Arten richtet sich aus dieser Perspektive auf die Entwicklung intelligenter Rassen, welche die Wissensmaschine in Gang setzen. Die vielen tausend Forscher, die überall auf der Welt an der Erweiterung unseres Wissens arbeiten, kann man als Wissenscontainer betrachten, da die große Mehrheit dieser Wissenschaftler nur kleine Mosaiksteine zum Wissen der Welt hinzufügen und hauptsächlich damit beschäftigt sind, bereits vorhandenes Wissen in ihren Köpfen zu speichern, zu sortieren und in Netzwerken zu verbreiten. Die Normalsterblichen, die die sonstigen Funktionen der Gesellschaft am Laufen halten, aber in Wirklichkeit nicht, damit unser aller Leben bequemer wird, dienen allein dem Fortschritt der Wissensmaschine, d.h. sie haben sicherzustellen, dass die Kaste der Wissenschaftler das Wissen verwalten und in Richtung auf die Totalität weiterentwickeln kann. An der Spitze der Pyramide stehen scheinbar die Direktoren der wissenschaftlichen Institutionen, in Wahrheit aber die wenigen jeweiligen Jahrhundertgenien, denen es gelingt, der Wissensmaschine mit einem Schlag eine wesentliche Komponente hinzuzufügen oder dem Gang des Weltwissens durch einen Paradigmenwechsel sogar eine ganz neue Richtung zu geben.

Innerhalb der nationalen Forschungsinstitute herrschen Verhältnisse wie in allen gesellschaftlichen Institutionen, d.h. das Personal wechselt, es finden ununterbrochen Macht- und Revierkämpfe um die besten Plätze in der Hierarchie statt usw. Diese berücksichtigen aber nur die menschlich-sozialen Aspekte des wissenschaftlichen Lebens, die sich von denen anderer Institutionen nicht wesentlich unterscheiden. Oft bremsen sie den Fortschritt der Wissensmaschine oder sind bestenfalls unerheblich, und letztlich bilden sie eine Dynamik der Macht ab, wie sie bereits an mittelalterlichen Burgen und Königshöfen sich ausgeprägt hat, wo sie gewissen Charakteren unter den Hofschranzen Überlebensvorteile gegenüber anderen und besonders gegenüber den ausgebeuteten Bauern sicherten. Ein Soziologe könnte daher an dieser Stelle die Akzentuierung auch umdrehen und behaupten, vom Standpunkt des egoistischen Machtmenschen spiele die Wissensmaschine nur eine Nebenrolle als ein austauschbarer Nährboden für die Entfaltung seiner Machtansprüche.

Der Fortschritt des absoluten Wissens, den wir trotz solcher Reibungseffekte gegenwärtig miterleben, hat nur entfernte Ähnlichkeit mit der Bewegung des Hegelschen Weltgeistes, da er keine idealistische Komponente besitzt, sondern die gesamte Welt aus materiellen Ursachen erklärt, indem er das menschliche Denkverhalten auf Eiweiße und Ströme im Gehirn zurückführt und die menschliche Geschichte auf die zeitliche Interaktion vieler solcher Hirne.

In der Zusammenschau dieser Diskussion erkennen wir, dass es verschiedene Sichten auf die Welt gibt, die unabhängig voneinander ihre Berechtigung haben, obwohl die Welt selbst in Wahrheit nur aus einer einzigen 'Hardware' besteht. Entscheidend ist, immer alle Sichten zuzulassen und Denkverbote nicht zu akzeptieren. Dies zu betonen ist wichtig, da die menschliche Geschichte leider vielfach gezeigt hat, dass der Weg von der Akzentuierung zur Dogmatisierung nicht weit ist.

Ferner wurde beschrieben, dass die Begriffe und Feststellungen des Denkens entweder auf Ausschnitte der Wirklichkeit pointen oder auf andere Begriffe und Feststellungen, die ihrerseits wieder auf etwas pointen. Wahrheit ist eine bestimmte Beziehung dieser Feststellungen im Hinblick auf ihr Zielobjekt, die in der aristotelischen sogenannten Korrespondenztheorie als 'Übereinstimmung' mit der Wirklichkeit bezeichnet wird, also genau dem, was einem erfolgreichen Pointen entspricht. Dieser Wahrheitsbegriff, der im praktischen Leben und auch im wissenschaftlichen Denken der bekannteste und am meisten verbreitete ist, enthält allerdings einen bei genauerer Betrachtung leicht erkennbaren Pleonasmus.

Um diesem Dilemma zu entgehen, sind im 19. und 20. Jahrhundert verschiedene alternative Wahrheitsbegriffe entwickelt worden. Ein Beispiel sind sogenannte semantische Wahrheitstheorien, die auf den absoluten Vorrang der Sprache bei der menschlichen Erkenntnisgewinnung pochen, jedoch in der selbst gewählten Beschränkung auf unser sprachliches Universum letztlich nicht in der Lage sind, das wesentliche Potential des menschlichen Erkennens vollständig auszuschöpfen.

Tatsächlich ist die Frage nach der Natur der Wahrheit innerhalb der realistischen Position, die hier eingenommen wird, gar nicht so schwer zu beantworten. Man gehe zunächst davon aus, dass es eine äußere, materielle Realität gibt, ein an-und-für-sich Sein und So-sein der Natur, d.h. eine denkunabhängige Wirklichkeit. Insofern diese eine Wahrheit repräsentiert, die auch ohne den Menschen da ist, GIBT ES WAHRHEIT AUCH OHNE DEN MENSCHEN.

Wahrheit kann durch unsere Vernunft, z.B. im Rahmen wissenschaftlicher Begriffssysteme objektiv erkannt und benannt werden. Das bedeutet, dass WAHRE 'AUSSAGEN' NICHT OHNE UNS EXISTIEREN, denn diese setzen ja eben einen BEGRIFFLICHEN Umgang mit der äußeren Realität voraus, für die ein menschliches Hirn erforderlich ist. In diesem Sinne sind Objekte und Sachverhalte nicht a priori eingegrenzte Entitäten der Wirklichkeit, sondern werden dazu erst a posteriori durch begriffliche Pointer. Solcherlei Eingrenzung bedarf nämlich der Aktivität eines menschlichen Bewusstseins, welches damit den ersten Schritt tut, um das reine So-sein der Wirklichkeit der menschlichen ARBEIT zugänglich zu machen.

Aus dem Gesagten folgt, dass das Wesen der Wahrheit - zum Beispiel über die physikalische Natur - durchaus einen semantischen, begrifflichen Aspekt hat; aber nicht in dem Sinne, dass die Natur dadurch direkt beeinflusst würde, sondern nur unser Verständnis der Natur wird durch den begrifflichen Umgang mit ihr gesteuert. Die aus Pointern gebildeten richtigen Feststellungen über die Wirklichkeit hängen in erster Linie von objektiven Eigenschaften der Dinge-an-sich ab, auf die gepointet wird, und in zweiter Linie von der Sprache, innerhalb der die Pointer verwendet werden. Es gibt halt eine Natur, welche unabhängig von Theorien oder Konventionen existiert und an-sich so strukturiert ist, dass wir sie wahrnehmen, in Objekte unterteilen und messen können und die Messergebnisse vom Beobachter unabhängig sind, so dass sich die Eigenschaften und das an-und-für-sich Sein der Natur in spezifischer, objektiver Weise in den Messergebnissen zu den Erscheinungen nieder-schlägt. Dabei ist dann wieder zu beachten, dass diese Eigenschaften vom menschlichen Gehirn in der Regel nur über Pointer erkannt, analysiert und beschrieben werden können.

An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, dass Pointer - besonders in Fällen eines spontanen, eher intuitiven Begreifens - auch vorbegriffliche Bilder oder Analogien sein können. Darüber hinaus ist eine von uns erkannte und durch Pointer beschriebene Wahrheit zunächst nur ein gedankliches Konstrukt, und sie hängt auch stark von den vom Zeitgeist vorgegebenen Akzentuierungen unserer Weltsicht ab. Erst im gewichteten Durchschnitt aller Weltsichten kann man hoffen, eine von Begriffen relativ unabhängige Wahrheit zu finden.

Solche Wichtung ist in der Wissenschaft einfacher als in der Politik, wo die Wahrheit durch egoistische und ideologische Interessen vielfach gebrochen und mit einem 'Durchschnitt' der Meinungen wenig anzufangen ist. Nichtsdestotrotz spiegelt sich manches politische Problem in der Gegenüberstellung linker und rechter Weltsichten zuweilen deutlicher als im unkritischen Geist der Mitte, und das Fortschrittspotenzial einer Gesellschaft ist auf jeden Fall um so größer, je mehr unabhängige Meinungen zugelassen werden.

Metaphorisch kann man die Wahrheit mit einer Mannigfaltigkeit in der Differentialgeometrie vergleichen: Begriffe, Pointer und Ideen einer einzelnen Weltsicht bilden sozusagen lokale Koordinatensysteme auf der Mannigfaltigkeit der Wahrheit. Das Idealziel der wissenschaftlichen Erkenntnis besteht darin, die Wirklichkeit global und unabhängig von diesen 'Koordinaten' zu verstehen. Dabei verweisen diese nicht nur auf experimentell nachgewiesene Phänomene, sondern auf die Aufbauregeln der Natur, die aus den Erscheinungen häufig nur indirekt erschlossen werden können, bzw auf jene Wahrheit, die darin eingeschrieben steht.

Die Wahrheit über jeweils einen Teil der Welt ist also viel mehr als eine Ja/Nein Entscheidung über eine diesen Teil betreffende Aussage, mehr auch als ein zusammenhängendes Geflecht solcher Entscheidungen und Sachverhalte. Sondern zur Wahrheit gehört das Zusammenspiel der Erkenntnis mit den Dingen an sich. Wenn wir mit Aristarch und Kopernikus beginnen und feststellen, dass die Erde um die Sonne kreist, gehört zum vollen Verständnis dieser Erscheinungen letztlich ein ganzes Arsenal von materiellen Gegebenheiten bis hin zu subatomaren Strukturen, die heute noch gar nicht vollständig aufgedeckt sind und die eigentliche Voraussetzung z.B. auch gravitativen Wechselwirkung bilden.

Es gibt drei Ebenen der Erkenntnis über die Wahrheit: (i) eine Zwischenebene jener teils mehr, teils weniger offen zutage liegenden Erscheinungen, unter denen wir leben, arbeiten, leiden und aus der wir (ii) die höchstwahrscheinlich diskrete und repetitive Tiefenstruktur der Natur ableiten wollen, die der Wirklichkeit in Wahrheit zugrundeliegt. (iii) Die dritte Schicht wird von den Pointern, d.h. den Begriffen und Ideen gebildet, mit denen wir die Natur interpretieren, um zu dieser Wahrheit vorzudringen. Sie ist endlich und diskret, insofern die Pointer endlich und diskret sind.

Zur dritten Schicht gehören auch alle Naturgesetze, die wir in dieser oder jener Begriffssprache, in diesem oder jenem mathematischen Formalismus formulieren, und mit denen wir auf die Aufbauregeln und die Eigenschaften-an-sich der Natur zu pointen versuchen.

Je weiter die Wissenschaften voranschreiten, um so besser können sich die Theorien den wahren Aufbauregeln annähern, indem etwa das Newtonsche 1/r Gesetz durch die Relativitätstheorie unscheinbare aber wesentliche Ergänzungen und diese wiederum in der Tetrontheorie ihre 'Aufhebung' erfährt. Verkürzt gesagt: die Aufbauregeln-an-sich der Natur sowie auch die ihnen zugrunde liegenden Wechselwirkungseigenschaften der Materie ändern sich nicht, doch die Einsichten und sogar die begrifflichen Konstruktionen und die theoretische Sprache, die sie beschreiben, sind historisch durchaus veränderlich und in manchen Epo-chen einfach noch nicht gegeben.

Nicht zuletzt hängen die Interessen und der Blickwinkel des Forschers von der geschichtlichen Situation ab, in welcher er lebt und seine Messungen durchführt. Zeiten, in denen der Fokus auf die Grund-lagenforschung gerichtet ist, wechseln mit Phasen ab, in denen sich die Öffentlichkeit eher für praktische Innovationen interessiert. Und es gibt Kriegszeiten, in denen das Augenmerk der Forschung euphemistisch gesagt auf Energie freisetzenden Prozessen liegt. In kalten Gesellschaften hingegen, in denen es möglichst keine Veränderung geben soll, ist das Interesse an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen geringer, weil man sich mit den Mythen zufrieden gibt, die die Vorgängergenerationen über-liefert haben.

Rohe Wahrheit

Hier wollen wir die beschriebenen Zusammenhänge noch einmal etwas anders beleuchten. Was wäre die Wahrheit ohne den ordnenden Impuls des Gedankens, könnte man fragen. Ein Rohdiamant ohne Schliff, sage ich, und nenne darum die Wahrheit ohne den menschlichen Geist die Rohwahrheit. Offenkundig bezieht sich dieser Begriff auf die Eigenschaften-an-sich der Dinge-an-sich.

Experimentelle Ergebnisse werden allerdings meist im Rahmen und unter dem Bias einer bereits bestehenden Theorie interpretiert. Das geht so weit, dass bereits in den Aufbau einer Experimentiervorrichtung die Vorurteile von Modellüberlegungen und heuristischen Erfahrungen eingehen, und somit das Experiment niemals auf das Ganze der Rohwahrheit geht.

Zur tieferen Existenz der Materie gelangt man nur über theoretische Eigenschaften der Teilchen, aus denen sie besteht, über die 'Ladungen'. Die Differénce zwischen Theoriemodellen und Wirklichkeit scheint uns zu zwingen, jene mit einem meta-physikalischen Moment zu belasten. Doch obgleich für uns Menschen nur theoretisch definiert, tragen Ladungen als Eigenschaften-an-sich einen objektiven Charakter. Es ist allein der Différence zuzuschreiben, dass sie uns meta-physikalisch erscheinen. Ohne solche metaphysische Objektivität ließe sich z.B. ein Naturgesetz nur genau für die Konstellation, in der das Experiment tatsächlich geführt wurde, gültig beweisen.

Zugang zum Mikrokosmos haben wir ausschließlich über makroskopische Experimente, das wurde schon hervorgehoben, und auch unsere Ideen und Vorstellungen vom Mikrokosmos, allein schon die Idee von Elementarteilchen, sind durch makroskopische Natur- und sogar Gesellschaftserfahrungen vorgeprägt. Aber gibt es auch Fälle, wo wir alle bildlichen Vorstellungen aufgeben und uns allein auf die Resultate des mathematischen Formalismus verlassen sollten?

Gewiss haben ALLE Vorstellungen und Begriffe, auch die mathematischen, ein 'metaphysisches' Momentum, insofern sie rein gedankliche Konstruktionen sind. 'Hart' sind nur die Materie und ihre Rohwahrheit, bevor über sie reflektiert ist. Selbst der Begriff der Materie, des Materials gehört bereits zur Software des Geistes, auch wenn er für uns der Kreuzungspunkt sämtlicher Eigenschaften ist, die sich selber als Kreuzungspunkte und Essenz aus vielfältigen Erfahrungen und Experimenten ergeben - tatsächlich nur eine Konstruktion, welche sich tastend der Wahrheit nähert und sich in immer neuen Prozessen und Wechselwirkungen zu bewähren und dabei das Wesen seiner ver-schiedenen Konstituenten mit zu berücksichtigen hat.

Verhältnis der Wissenschaften [Naturwissenschaft, Gesellschaftswissenschaft, logische Wissenschaft] zur Philosophie [Metaphysik, Ontologie]

Die Physik, die hier allgemein für die Naturwissenschaften steht, beschäftigt sich mit allen Arten von realer Materie und ihrem Verhalten. Die Grenzen der Physik hängen u.a. von dem Zeitalter ab, in dem sie betrieben wird. Mit den Grenzen handelt sie sich automatisch einen variablen transzendenten bzw metaphysikalischen Aspekt ein, weil die jeweiligen Forscher immer wissen wollen, was 'dahinter' liegt, doch selbst im Idealfall einer scheinbar vollständigen Entschleierung des jeweils untersuchten Gegenstandes höchstens Teileinblicke erhalten, die ihnen neue Grenzen aufzeigen.

Das materielle unbekannte Dahinter korrespondiert einer realen aber gewissermaßen fluiden Erkenntnislücke, die auf ewig größer bleiben wird als die letzte Différence. Es ist zu unterscheiden von jenen Gottesideen, welche im gesellschaftlichen Bereich verwaltet werden und dazu beitragen, das Verhalten der Menschen zu disziplinieren. Während die Macht, welche die Welt geschaffen hat, in eher schweigsamer Weise die Dynamik und den Verlauf des kosmischen Seins bestimmt, wird die Macht der vielen religiösen Gruppierungen von Menschen ausgeübt, die unser soziales Verhalten zu beeinflussen trachten und auf der politischen Ebene als pressure groups in Erscheinung treten.

Diese und ähnliche Phänomene wie auch die Gesetze, die die menschliche Kommunikation bestimmen, sind von den Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Psychologie, Politologie, Linguistik usw) zu untersuchen, weil sie Effekte vereinigen, die von einer großen Gruppe von Bewusstseinen hervorgebracht und von dem emotionalen und intellektuellen Gleichklang, in den sich diese oftmals begeben, diktiert werden.

Auf den ersten Blick scheinen Bewusstsein und Gesellschaft ziemlich unabhängig von der physikalischen Wirklichkeit zu sein. Tatsächlich stellt jene in erster Näherung nur den Hintergrund für unsere sozialen Interaktionen und für die Rollen dar, die wir in der Gesellschaft spielen. Allerdings sind Individuum und Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt an die von der physikalischen Natur vorgegebenen Einschränkungen gebunden, und umgekehrt tritt jede Gesellschaft durch Eingriffe in die Natur materiell in Erscheinung, etwa durch monumentale Bauwerke, die sich in den Himmel strecken, oder durch Umweltzerstörungen, die sie auf der Erde hinterlässt.

Mathematik und logische Wissenschaften

Mathematik und logische Wissenschaften sind nicht nur darum von großer Bedeutung, weil sie Regeln für den Umgang mit Begriffen und Theorien und damit für jede Art des Denkens bereitstellen. Sie bilden außerdem ein eigenes Universum, das allein auf Begriffen basiert und i.a. nur indirekte Vorbilder in der Realität hat. Im einfachsten Fall startet man mit einem Axiomensystem, für das man beliebig viele logisch zwingende Schlussfolgerungen generiert. Aussagen, die zu Widersprüchen führen, werden hingegen verworfen. Diese Art von Widerspruchsverarbeitung, die allein durch logische/mathematische Schlüssigkeit bestimmt wird, ist von derjenigen physikalischer Modelle zu unterscheiden, die nicht nur logisch und mathematisch konsistent sein müssen, sondern auch in Übereinstimmung mit allen experimentellen Befunden.

Parallel dazu sind zwei Begriffe von Notwendigkeit zu unterscheiden: die logische und die physikalische, die sich nur insofern ähneln, als sich logische Notwendigkeit aus einem mathematischen oder logischen Axiomensystem und physikalische aus dem System der Natur ergibt. Im Fall einer korrekten Beschreibung der Natur durch eine mathematische Theorie bildet die Schlüssigkeit der Formeln diejenige der Natur nach. Nota bene, dass man sich dieser Korrektheit und vor allem der Vollständigkeit nie ganz sicher sein kann.

Denn die theoretische Physik bleibt in dem Versuch, ein Gitter über die materielle Wirklichkeit zu legen, letztlich immer eine Meinung, die sich nie mit letzter Gewissheit verifizieren lässt (siehe oben das Thema unvollständige Induktion). Außerdem ist sie in ihrem historischen Verlauf mit steinigen Umwegen belastet, die sich daraus ergeben, dass der naturwissenschaftliche Zeitgeist manchmal viele Jahre lang an falschen Konzepten festhält. Dass sie den Wahrheiten der Natur im Laufe der Forschungsgeschichte dennoch immer näherkommt, ist im Sinne eines pragmatischen Erkenntnisanspruches ausreichend. Letztbegründungen und wo nötig auch Metaphysik sind kein Thema der theoretischen Physik, sondern der Philosophie.

In der reinen Mathematik genießen nur diejenigen Schlüsse Achtung, die aus konsistenten Axiomensystemen gezogen werden. Im Unterschied zur Physik gibt es in diesem Bereich keine 'zutreffenden' oder 'unzutreffenden' Modelle, einfach weil es keine unterliegende Wirklichkeit gibt, auf deren Wahrheit sie sich beziehen müsste. Es existieren keine zwei Ebenen wie in der Naturwissenschaft, wo die eine, die Wirklichkeit, immer die Wahrheit ist, und die andere, die Begriffsbildungen unseres Kopfes, immer nur Modelle der Wahrheit generieren kann, die entweder zutreffend wahr oder eben falsch sind. In der Mathematik ist das aus Pointern gebildete widerspruchsfreie Axiomensystem die alleinige Wahrheit, und aus ihm kann man immer weitere wahre Schlussfolgerungen ableiten.

Jeder Mathematik haftet ein Aspekt der Willkür an, weil a priori alle möglichen Axiomensysteme gewissermaßen denselben Rang genießen. Diese Beliebigkeit, die teilweise auch die abstrakte Logik kennzeichnet, ist allerdings nicht absolut. Meist wird der mathematische Fortschritt unter der Hand von relativ simplen Bildern und Grundsätzen getriggert, für die unsere Intuition durchaus eine Art Rangfolge und Relevanz abzuschätzen vermag.

Offiziell vergisst das scheinbare Ideal der reinen Mathematik über die Rolle von Intuition und menschlichem Interesse. Dabei sind die meisten Axiomensysteme geronnene Abgüsse von Bildern und Vorstellungen, entlang denen auch die Beweise innerhalb dieser Systeme geführt werden. Ein besonders eklatantes Beispiel ist hier die Geometrie, die sowohl anschaulich als auch axiomatisch gelehrt werden kann. Jene Bemerkung trifft aber ebenso auf fast alle anderen Bereiche der Mathematik zu. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sich Axiomensysteme damit inhaltlich vollständig absichern lassen. Sondern das o.g. Moment der Willkür ergibt sich bereits daraus, dass der Mathematiker genau dieses und nicht ein völlig anderes Axiomensystem, dieses und nicht ein ganz anderes Theorem in den Fokus seines subjektiven Interesses rückt.

Der Mathematik gelingt es, mit formalen Werkzeugen intuitive Vorstellungen zu präzisieren und Vermutungen exakt zu verifizieren. Wir wissen zum Beispiel intuitiv, wenn von einem Punkt außerhalb einer Sphäre verschiedene Tangenten an die Sphäre gelegt werden, dass dann alle Berührungspunkte auf einem Kreis liegen. Wenn wir genauer darüber nachdenken, werden uns vielleicht Zweifel kommen. Wollen wir diese ausräumen, so werden wir zwangsläufig zu den analytischen Methoden der Geometrie geführt. Endgültige Schlussfolgerungen vollziehen sich für uns in jedem Fall erst im Verstand, der die Argumente zu prüfen hat.

Die formalen syntaktischen Regeln der Beweisführung sind das Hilfsmittel, dessen das praktische Denken bedarf, um vom Meinen zur Gewissheit zu gelangen, indem es versucht, auf diesem Wege intuitive Vorstellungen sicher zu machen.

Das formale Vorgehen ist in diesem Fall ein so unverzichtbarer Bestandteil der Mathematik, dass viele geneigt sind zu sagen, es ist die absolute Leitlinie, woran die Wahrheit sich festzuhalten hat. Doch selbst hier, in dieser streng formalen Umgebung, bedient man sich meist der Intuition, um nichttriviale Eigenschaften solcher Systeme zu entdecken, man rekurriert implizit auf gewisse bildhafte Ideen, die man sich von den zu analysierenden Entitäten macht, und zwar nicht nur, um die Beweise zu straffen, sondern auch, weil diese sich ohne die intuitive Anschauung nicht finden ließen. So schließt sich der Kreis, der mit einfachen Bildern begonnen hat, die wir alle uns am Anfang von der Welt machen.

Ein weiteres: obwohl unsere normale Sprache auf dem gewöhnlichen, wenig formalisierten Denken basiert und ein inhärent unpräzises Werkzeug darstellt, sind mathematische Beweise ohne deren Mithilfe oft nur beschwerlich zu führen und zu verstehen. Auch wenn es immer wieder Versuche in Richtung auf eine vollständige Formalisierung gegeben hat, blieb ein normal-sprachlicher Rest meist bestehen, zumal bei echten Neuerungen, die sich im Moment ihrer Entwicklung der Formalisierung zunächst noch widersetzen. Vermittels der Sprache werden die Entitäten definiert, mit denen die Konstruktionen operieren, und auch die Operationen selbst werden durch die Sprache unterstützt.

Gemäß dieser Diskussion zerfällt die mathematische Wissenschaft in zwei Sphären: einen konstruktivistischen Bereich wie die Geometrie, der in gewisser Weise der theoretischen Physik nahesteht, und einen analyti-schen, der es von Anfang an auf Tautologien innerhalb fester Axiomensysteme abgesehen hat - falls er nicht doch kreative Weiterungen vornimmt; denn nur im Zusammenspiel mit der Imagination ist das formal-analytische Vorgehen effektiv und hilft, einen strukturierten Überblick zu gewinnen und komplexe Systeme und Modelle fehlerfrei zu gestalten.

Pointern, Ideen und Modellen wie auch allen sonstigen gedanklichen Vorgängen wurde eine ontologische Existenz zugesprochen - wenn auch nicht in demselben Sinn, in dem die physikalische Wirklichkeit ontologisch existiert; sondern jene bestehen in unseren Köpfen als von uns ersonnene und doch unabhängige Wesenheiten. Und unser Bewusstsein benutzt das Mittel der Spontaneität, um einen ersten Zugang und auch eine Freude an ihnen zu gewinnen.