Literatur- und Link-empfehlungen von Bodo Lampe
Top 10 Literaturliste
Stendhal : Rot und
Schwarz
Ignazio Silone : Wein und Brot
Sinclair Lewis : Dr. med. Arrowsmith
F. Scott Fitzgerald : Kurzgeschichten
Anna Seghers : Das siebte Kreuz
Arno Schmidt : Die Gelehrtenrepublik
Flaubert : Salambo
Flaubert : Madame Bovary
Vladimir Nabokov : Maschenka
Ursula K. LeGuin : Planet der Habenichtse
Flaubert ist 2mal vertreten; er ist für mich der größte Autor überhaupt.
Sieben Jahre machte ich Verse, schrieb Erzaehlungen, Novellen, sogar ein fuerchterliches Theaterstueck. Nichts davon ist geblieben. Der Meister las alles; am folgenden Sonntag dann, beim Mittagessen entwickelte er seine Kritik, und so senkte er mir nach und nach zwei, drei Grundsaetze ein, die seine langen geduldigen Lehren zusammenfassen. Hat man Originalitaet, sagte er, muss man sie erst einmal freisetzen; hat man keine, muss man eine erwerben.- Talent ist eine lange Geduld. Es geht darum, alles was man mit Worten ausdruecken will, lange genug und mit genuegender Aufmerksamkeit zu betrachten, um daran einen Aspekt zu entdecken, den noch niemand gesehen oder gesagt hat. Es gibt Unentdecktes in allem ...Flaubert hat nun eben nicht seinen Stil, sondern er hat DEN Stil; d.h. die Ausdrucksweise und die Kompositionsprinzipien, die er zur Gestaltung irgendeines Gedankens verwendet, sind immer diejenigen, die diesem Gedanken absolut zukommen, weil sein kuenstlerisches Naturell in der Genauigkeit und nicht in der Suche nach einem originellen Wort liegt. Flaubert schrieb langsam, machte viele Entwuerfe und ueberpruefte durch lautes Lesen immer wieder die Qualitaet seiner gemeisselten Saetze.
Guy de Maupassant
Aber hier ein paar krtische Toene ueber den 'Meister', besonders im Vergleich mit Stendhal:In 'Madame Bovary' ist Flaubert der grosse Zyniker unter den romantischen Autoren des 19. Jahrhunderts, grosse und kleine Leidenschaften, alles wird als sinnloses Poussieren abgetan und erhaelt, wenn es ins Dramatische abgleitet, einen grotesken Beigeschmack. Die 'Liebe', die Madame Bovary schenkt und erfaehrt, ist keine, der Gutsbesitzer verfuehrt sie gefuehllos nach Plan, plant von Anfang an das Ende der Beziehung mit ein, er wird sie verlassen. Die Liebe zu Leo ist eine zufaellige Schwaermerei, die nichts gewinnt, nichts verliert; am Ende bleibt die sinnliche Frau unbefriedigt.
Anders Stendhal. Auch er weiss von den pragmatischen Aspekten der Liebe - man liebt nur junge Augen und auch nur, solange sie praesent sind - aber bei ihm erfahren die Gefuehle eine positive Begruendung, die Menschen wissen voneinander, sie wissen, was sie tun.
Flauberts muss als letztes Motiv ein kuenstliches hervorholen (die Gier nach Geld). Ansonsten regiert archaische Bosheit.
Dabei scheint mir das tragische Ende einer Novelle nicht das weiseste. Dem gluecklichen hat es gewiss voraus, zusaetzliche Lebenskomponenten zu enthuellen. Doch besonders in diesem Fall gibt es ein allzu pronounciertes Bild von der Wirklichkeit, die ja blasser ist und auch in ihren Grautoenen verstanden werden will. Die Leute sind nicht alle immerzu schaebig oder gut, sondern handeln unueberlegt und schwankend, ihr hoechstes Glueck ist nicht von einer einzigen Farbe.
Weitere Notizen zu Rot und Schwarz
In dem Roman geht es um eine interessante Beziehung.
Charles Baudelaire im Oktober 1857
Das Faszinierende an dem Roman ist der Brueckenschlag zwischen Katholizismus und der Partisanenbewegung im Italien der 40er Jahre. Ausserdem ist Silone ein Erzaehler, dem es mit einfachsten Mitteln gelingt, einen Vorgang so spannend darzustellen, dass der sich von seinem Medium, der Sprache gewissermassen loest (wie es sonst nur den besten Kriminalschriftstellern gelingt).
Um den Haeschern Mussolinis zu entkommen, schluepft der Protagonist Pietro Spina in den Rock eines Priesters, und aufgrund seiner eigenen Biografie und den aeusseren Ereignissen kommt es zu einer sonderbaren Ueberlagerung und Verschmelzung seiner Rollen.
Das Faszinierende an dem Roman ist die poetische Sprache, wie Wellen schlagen die Worte an den Strand des Verstehens. Nabokov ist generell ein grosser Sprachkuenstler, aber in diesem Roman hat er die poetische Diktion von der ersten bis zur letzten Zeile durchgehalten, wie es mir nur ansatzweise gelingt.
Gleich in der ersten abrupten Szene trifft der Protagonist Lev Ganin auf seinen Nebenbuhler, den mit Maschenka verheirateten Alfjorow. Ganin ist Mitte 20 und in der vollen Bluete seiner Maennlichkeit, er verachtet den wohl an die 15 Jahre aelteren altvaeterlich-stumpfsinnigen Gegenspieler.
Sie gehoeren beide zur Besatzung einer Emigrantenpension, eines leckgeschlagenen Schiffes, welches fuehrerlos im schweren Wasser der Zwischenkriegszeit treibt. Die ganze Geschichte hindurch, waehrend den Gaesten die Zeit wie Sand durch die Haende rinnt, wartet Alfjorow auf die Ankunft seiner Frau, und Ganin, dessen grosse Liebe sie einst gewesen ist, erinnert sich an all das Schoene, was er mit ihr erlebt hat.
Kurz vor ihrer Ankunft macht er sich aus dem Staub. Dieses Ende hat mich nicht so ueberzeugt.
Bemerkungen zur Gelehrtenrepublik
Ich bin nicht sicher,
ob Arno Schmidt in dieser Liste stehen sollte. Er schreibt immer
auf dieselbe etwas betuliche Art und Weise. Soll wohl
ironisch sein. Und betulich-unkritisch ist auch sein Umgang mit
Geistesgroessen und Klassikern. Fuer mich gibt es keine
Klassiker.
Wovon ich abrate:
M. Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
endloses
dekadentes Geschwafel ueber gaenzlich unwichtige Gedanken. Wobei
ich einraeume, Proust zu lesen ist eine Altersfrage. Ideal
fuer Rentner, wuerde ich sagen, die es lieben, sich
stundenlang mit Theaterbesuchen waehrend des Ancien Regime
und aehnlichem irrelevanten Zeug aufzuhalten. Ansonsten: viele
Allerweltsweisheiten schoen verpackt in langen Drechselsaetzen, und
eine seltsame konservative Beschraenktheit wabert durch die Texte,
von der man sich eigentlich nicht vorstellen kann, dass sie ernst
gemeint ist. Ist sie aber. Immerhin: manche von Prousts philosophischen
Reflexionen sind recht inspirirend.
Th. Mann: Die Buddenbrooks
erinnert mich stark an amerikanischen
Katastrophenromane, in denen es mit den Helden auch immer nur
bergab geht ...
Die Stories von R. Carver
spielen im Milieu der Underdogs und Alkoholiker,
fuer das ich kein besonderes Faible habe. Wiederholungen sind,
nicht nur bei Carver, ein (ein)gaengiges Mittel; dabei bewirken
sie nichts ausser einem billigen Wohlgefuehl beim Leser.
C. Ransmayr: Die letzte Welt
... belangloses Gebildetsein
M. Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone
zeichnet sich durch distanzierte
und zynische Schreibe aus, ein beliebtes Stilmittel vieler moderner
Autoren, das gut beim Leser ankommt; man fuehlt sich den
Protagonisten so schoen ueberlegen.
Martin Walser: Dessen Werk ist in erster Linie
männliche Befindlichkeitsliteratur
und ein gutes Beispiel, wie man ziemlich talentfrei und durch
Knüpfen eines grossen Beziehungsgeflechtes Erfolg haben kann.
Den folgenden Autoren stehe ich ambivalent gegenueber:
Kafka
einerseits
ein hervorragender Autor mit absolut klarer Sprache, der seine
Geschichten geduldig aufbaut. Im Grunde verarbeitet er den Surrealismus
eines Dali, Magritte usw in die Literatur.
Andererseits finde ich ihn ziemlich eindimensional. Wenig experimentierfreudig.
Athmosphaerisch immer gleich.
Nicht immer glaubwuerdig.
Literatur, die mir erwaehnenswert erscheint:
Simulacron-3 von Daniel F. Galouye
Inhalt: In einer Softwarefirma wird eine virtuelle Welt mit
virtuellen Wesen geschaffen, in die sich die Entwickler
zum Testen hineinversetzen lassen koennen, indem sie in das
entsprechende Wesen, das ihnen nachempfunden ist,
hineinschluepfen. Durch die Verkettung verschiedener
Umstaende erfaehrt ein Barmann in der virtuellen Welt
von seiner Virtualitaet. (moralisches Problem: warum
spielt Ihr mit uns?) Etwas spaeter wird offenbar, dass
auch die reale Welt nur virtuell ist (indem einer der
Softwareentwickler zur Grenze der realen Welt vorstoesst).
Als die Ueberwelt davon erfaehrt, will sie ihn zum Schweigen
bringen. Mit Hilfe einer Frau aus der Ueberwelt gelingt es
ihm jedoch, seinen Moerder auszuschalten und in die Ueberwelt
vorzudringen.
Problem des Romans: das Wechseln von einer hoeheren in eine
niedrigere Welt ist einleuchtend, da vorzusehen als Teil
des Softwareentwicklungsproess. Der umgekehrte Vorgang aber,
dass ein Maschinenwesen in das biologische Hirn eines
realen Menschen schluepft, extrem unwahrscheinlich. Warum
sollten die Softwareentwickler so etwas vorsehen? Sie koennten
das virtuelle Wesen, waehrend der Entwickler es 'benutzt',
ebensogut irgendwo auf ihren Festplatten zwischenspeichern.
Frage auch: warum sollte man z. B. Sex zwischen den kuenstlichen
Wesen programmieren? Um sie den Menschen moeglichst aehnlich
zu machen? Sex dient nur der Fortpflanzung in der biologischen
Welt. Viel interessanter waere es, sie im moralischen,
intellektuellen, sozialen oder in welchem Sinne auch immer,
moeglichst perfekt zu machen.
Tod des Vergil (Hauptwerk von Herrmann Broch)
Das Sterben Vergils dargestellt in einem einzigen
grossen Fiebermonolog, durch einige Dialoge unterbrochen.
Rhythmische Prosa, in Verse uebergend.
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (Peter Handtke)
Die Frau des Monteurs Josef Bloch ist ermordet worden.
Aber nicht die aeusseren Ereignisse stehn im Mittelpunkt,
sondern Blochs innere Entwicklung.
Tote auf Urlaub (Milo Dor)
Der sinnlose Leidensweg eines serbischen Jungkommunisten durch
Belgrader und Wiener Gefaengnisse und Konzentrationslager 1942-45
bis zur bittersten Enttaeuschung durch die kommunistischen 'Befreier'.
Der Roman ist eine Anklage des totalen Staates in schonungsloser
Realistik (Folter, Gefaengnisgreuel, sexuelle Verirrungen
der Gefangenen)
Letzte Ausfahrt (Herbert Zand)
Beschreibung einer Kesselschlacht, die den Bewohnern
einer ostdeutschen Kleinstadt keine Moeglichkeit der
Befreiung laesst. Sie wird zum Symbol des seinem Schicksal
ausgelieferten Menschen.
Frost (Thomas Bernhard)
Ein wahnsinniger Maler hat sich in ein einsames Gebirgsdorf
zurueckgezogen, wobei nicht ganz klar ist, ob sein Wahnsinn nicht
der Wahnsinn der gesamten Menschheit ist. Sein Bruder schickt
ihm einen Aufpasser, der sein langsames Erfrieren in 27
naechtlichen Niederschriften dokumentiert und daran fast
selbst zugrunde geht.
Charly Traktor (Michael Scharang)
Bildungsroman eines Hilfsarbeiters in herausfordernd
trivialer Sprache
Wer hier die Fremden sind (Helmut Zenker)
Geschichte eines Lehrers, der seinen
Beruf aufgibt (wegen Langeweile und Problemen mit autoritaeren
Vorgesetzten) und seine Frau verlaesst (wegen staendiger
Sticheleien), der sich von einem Bekannten mit nach Hause
und zu dessen Arbeitsstelle nehmen laesst, wo er als Lagerarbeiter
anfaengt. Waehrend sich aber die Gastarbeiter anpassen,
verlangt der Erzaehler bessere Arbeitsbedingungen
und wird sofort gefeuert. Weitere Stationen sind
ein kurzfristiger Gefaengnisaufenthalt, die Hilfslehrerstelle
in einem Dorf und Krankenstand wegen Herzmuskelentzuendung.
Von hier nach dort (Peter Rosei)
Das Leben eines modernen Taugenichts. Parties.
Rauschgiftdeals. Motorraeder. Maedchen. Immer unterwegs
Wenig Schlaf. Sprache zwischen Bericht und Poesie.
Haus ohne Hueter (Heinrich Böll)
Die Schwierigkeiten und Probleme verschiedener Familien
einer rheinischen Grosstadt nach
dem 2.Weltkrieg, in denen die Kinder ohne die gefallenen Vaeter
aufwachsen muessen. Der Roman weist sozialkritische und grotesk satirische
Zuege auf und arbeitet mit stilistischen Mitteln des Films sowie
leitmotivisch eingesetzten Reklameslogans.
Mutmassungen ueber Jakob (Uwe Johnson)
Der Eisenbahnangestellte Jakob Abs soll 1954 seine Jugendfreundin
Gesine Cressphal, die im Westen lebt und bei den Amerikanern
arbeitet, zur Spionage ueberreden. Im Westen wird er aber
nie heimisch. Er kehrt zurueck und wird an einem nebligen
Novembermorgen 1956 von einer Eisenbahn ueberfahren. Unfall?
Liquidation? Selbstmord? Es gibt nur Mutmassungen. In
Einzelszenen ist die Geschichte Jakobs und Gesines eingeblendet.
Die Sprache ist bedaechtig, verhalten, ja sproede, und doch zeigen
die Charaktere feinste Empfindungsnuancen.
Die Plebejer proben den Aufstand (Guenter Grass)
Brecht probt gerade den Coriolan in seinem Ostberlinger
Theater und ist mit seinen
Statisten als Aufruehrer und Empoerer hoechst unzufrieden,
als die Wirklichkeit des 17.Juni 1953 ploetzlich in die
Scheinwelt des Theaters einbricht. Die Bauarbeiter
verlangen von Brecht, Farbe zu bekennen und einen Aufruf zum
Generalstreik zu unterschreiben. Der aber laesst
weiterspielen, nimmt die Ausbrueche hoechstens auf
Tonband fest. Bis die sowjetischen Panzer kommen, von denen
er laengst wusste. Hinterher schreibt er den beruehmten
Brief an Ulbricht, in dem er die Partei kritisiert und
hierauf seine Verbundenheit mit ihr bekundet.
Bayrisches Dekameron (Oscar Maria Graf)
Grafs froehlichstes Buch mit handfesten, heiteren und
witzigen Erzaehlungen, von gehoernten Ehemaennern, willigen
Bauerndirnen, Bisgurn und dummen Maennern.
Der Sieger nimmt alles (Dieter Wellershoff)
Geschichte eines Aufsteigers aus armen Verhaeltnissen, der
bei der Tante aufgewachsen ist, die Tochter eines Unternehmers
kennenlernt, in der Firma aufsteigt, dann jedoch beim Erwerb
einer Supermarktkette einem Betrug aufsitzt. Auch mit der Ehe
steht es nicht zum besten. Am Schluss: Herzversagen des
Aufsteigers, der sich im Geflecht des Wirtschaftslebens
verfangen hat.
Ende 45 (Hans Helmut Kirst)
Der Dichter Wienand wird aus dem KZ befreit und in seine
Heimat zurueckgebracht, wo seine Frau und Stieftochter unter
verhaeltnismaessig angenehmen Umstaenden leben, weil sie von
einem Oberleutnant ausgehalten werden. Sie spielt dem von der
Haft gebrochenen
Ehemann die Komoedie einer treuen Liebe vor. In Wahrheit ist
sie nach dem Oberleutnant geradezu besessen. Dem Ende nahe
versuchen sich verschiedene Leute bei Wienand anzubiedern,
der Buergermeister, Polizeichef, alle wollen sich reinwaschen
und spielen sich als Widerstandskaempfer auf. Wienand laesst
sie gewaehren, erstellt keine Anzeigen, denkt nur an Versoehnung.
Am Ende stirbt er, und seine Frau kann mit dem Oberleutnant
gluecklich werden.
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