Geschichte des Tetronmodells


Im Sommer 1987, mein ältester Sohn war gerade 6 Monate alt, bin ich mit meiner Familie vier Wochen am Fermilabor bei Chicago gewesen. Keith Ellis hatte mich eingeladen, um mit mir über irgendwelche Schleifenkorrekturen zu reden. Ich hatte aber nebenbei endlich mal genug Zeit, mich um ein Problem zu kümmern, das ich immer für die wichtigste Frage der Hochenergiephysik wie auch der damaligen Physik überhaupt gehalten habe: ob Quarks und Leptonen aus fundamentaleren Konstituenten zusammengesetzt sind. Dies Problem lag mir schon lange auf der Seele, auch wenn ich mich mit eigenen Arbeiten nie an der Diskussion beteiligt hatte, die leider ziemlich oberflächlich geführt wurde und zu der Zeit gerade zu Ende ging, weil viele Leute das Gefühl hatten, dass es keine einfache Lösung geben konnte, nicht zuletzt, weil die etablierten Eichtheorien etwas so Fundamentales darstellten, das sich nicht mehr toppen liess und bei hohen Energien in Grand Unified Models auslaufen würden - und das wär's dann bis hinunter zur Planckskala. Um die theoretische Physik abzuschliessen, setzten sie auf Supersymmetrie (ohne den geringsten experimentellen Hinweis für diese Annahme), und um die Gravitation einzubeziehen, auf Strings (wiederum ohne experimentellen Befund - wohingegen das Tetronmodell auf einer Struktur basiert, die experimentell klar ersichtlich ist). Das Zeitalter der physikalischen Märchenstunden brach an, und viele Märchenerzähler wurden zu Professoren ernannt.

Das war 1987 aber noch Zukunftsmusik. Ich sass im so-und-so-vielten Stock des Fermilaborgebäudes, mit einem leeren Block, der sich mit allen möglichen Ideen füllte, und gelegentlich unternahm ich Spaziergänge auf dem grossen, nicht sehr spaziergängerfreundlichen Areal. Ich stellte mir die bekannten Quarks und Leptonen mit ihren Freiheitsgraden vor und versuchte, ein Muster darüber zu legen, das eine zusätzliche Struktur implementieren würde, zusätzlich zu den bekannten Wechselwirkungen dieser Teilchen, und die im Rahmen bisheriger Theorien unverständliche Familiensymmetrie einzubeziehen. Ich liess mir die 24 Teilchen mehrmals durch den Kopf gehen, und an einem Spätnachmittag fiel mir auf, dass sie wunderbar mit den 24 Permutationen der 4er Permutationsgruppe S4 zusammenpassten, deren Gruppenstruktur auch die bekannten inneren Symmetrien (U1,SU2,SU3) tendenziell wiederspiegelte. Mit Hilfe von Lehrbüchern fand ich schnell heraus, dass die S4 zur Tetraedergruppe Td isopmorph ist, samt allen Darstellungen, und hatte damit auch eine geometrische Intuition. Irgendwann, ich weiss nicht, ob es schon am Fermilab war, bekam ich das Gefühl, dass dieser Struktur 4 Konstituenten zugrunde liegen mussten.

Es hat dann noch Jahre gedauert, bevor eine Arbeit zu dem Thema veröffentlicht habe, da ich bis dahin nur in wesentlich besser etablierten Bereichen der Teilchenphysik gearbeitet hatte, wo über derlei Spekulationen eher die Nase gerümpft wird. Das hängt damit zusammen, dass heutzutage die meisten naturwissenschaftlichen Rätsel gelöst sind und es meist nur um minimale Verbesserungen geht, die vom Typus des Jasagers und Wissensverwalters oder des Kommunikationstalentes ohne Schwierigkeiten geleistet werden können.


Copyright: B. Lampe, 1993