Sonnenfinsternis, 11. August
1999
Wir haben die Nacht am Fuss der
Chiemgauer Alpen verbracht. Wir brechen zeitig auf, um vor der angekuendigten
Finsternis um 12 Uhr 38 moeglichst grosse Hoehe zu gewinnen. Dichte, schwarze
Wolken haengen mit nebligen Fahnen bis tief ins Tal; die Luft ist feucht
und schwer und mit weiterem Regen zu rechnen. Werden wir das Spektakel
ueberhaupt zu Gesicht bekommen? Ein paar Fetzen blauen Himmels stimmen
uns zuversichtlich.
Beim Anstieg waehlen wir die
steilsten Steige, und es dauert nicht lange, bis wir ganz ausser Atem sind.
Wir machen nur eine Pause, bevor wir gegen halb zwoelf unser Ziel, eine
hochgelegene Almhuette, erreichen. Eben sind wir noch durch dichten dampfenden
Wald gewandert, jetzt stehen wir auf einer Lichtung inmitten einer engen
Senke, die nach allen Seiten von hohem grauen Felsgebirge umgrenzt ist.
Gerade beginnt der Mond, seinen
schwarzen Koerper vor die Sonne zu schieben, die sich in ihrer grellen
Helligkeit davon noch nicht beeindrucken laesst. Wir schwitzen, wir atmen
schwer und verschnaufen im Schatten der Almhuette. Drei andere Wandergruppen
haben ebenfalls hierhergefunden und es sich auf Holzbaenken bequem gemacht.
Jedermann hat eine der 20 Millionen Spezialbrillen dabei, die allein in
Deutschland verkauft worden sind. Man witzelt, dass man sie bis zur naechsten
totalen Finsternis im Jahre 2081 aufheben muesse. In das Lachen mischt
sich Melancholie ueber die eigene Vergaenglichkeit.
Der Wirt, ein munterer Kerl in
den Dreissigern, lenkt uns von allen schweren Gedanken ab. Er steht breitbeinig
vor seinen Gaesten und gibt Anekdoten zum Besten. Er fuehrt oefters Touristengruppen
auf Pferden hier hinauf und erzaehlt, was er dabei schon alles erlebt hat.
Besonders die Frauen lachen und kichern ueber den Alleinunterhalter, sie
fuehlen sich von ihm angezogen. Die Stimmung steigt und mit ihr der Alkoholverbrauch.
Der Mond hat die Sonne zu einer
schmalen Sichel werden lassen - unser kleiner blasser Mond, wer haette
ihm das zugetraut? - doch ist es noch immer nicht merklich dunkler geworden.
Riesige Gewitterwolken sind von Osten heraufgezogen und drohen, sich vor
das Schauspiel zu schieben. Mit unseren Brillen blicken wir nun bestaendig
nach oben, um den wichtigsten Moment nicht zu verpassen; einem Unwissenden
wuerden wir wie ausserirdische Blumen erscheinen, deren Koepfe sich dem
schwarzen Gestirn zuneigen.
An der Almwiese fliesst ein sprudelnder
Gebirgsbach vorbei, der von weiter oben gelegenen Schneefeldern gespeist
wird und jetzt zur Mittagszeit anschwillt. Ein paar Huehner und Schweine
verteilen sich malerisch auf dem Gelaende. Inmitten der Rotunde steht ein
grosses Indianerzelt, in dem die Reitertouristen uebernachten koennen.
Ploetzlich ist es soweit: der
letzte Sonnenstrahl verlischt, jemand hat die grosse Kerze ausgemacht.
Gebannt stehen wir im Kernschatten des Mondes und blicken uns um. Lichtzungen
tanzen um die Gipfel, Schatten spielen auf dem Fels und die Berge scheinen
zu zerfliessen. Wie auf einem Negativ vertauschen Licht und Schatten ihre
Rollen. Die Erde strahlt hell, der Boden tut sich auf und der Himmel verschliesst
sein Antglitz.
Innerhalb von 10, 20 Sekunden
hat die Duesternis ihr Maximum erreicht. Der leuchtende Kranz, der die
schwarze Scheibe umgibt, vermag dagegen nichts auszurichten. Die Regenwolken
nehmen sich im Dunkeln bedrohlich aus. Im Westen leuchten aus Wolkenloechern
ein, zwei Sterne. Die Menschen haben die Brillen abgenommen und blicken
ergriffen oder verunsichert in die Runde. Sie schweigen, aber nicht lange,
dann schnattern sie los. Sie beschreiben ihre Gefuehle und Eindruecke und
bauen damit ihre Erregung ab. Huehner und Schweine haben sich aengstlich
um uns gescharrt. Das leises Gackern und Grunzen ist wie eine biblische
Untermalung unserer Gespraeche.
Nun hat sich die grosse Wolke
vor die schwarze Sonne geschoben und verdeckt das weitere Geschehen. Anstatt
nach 2 Minuten mit gleissendem Licht zurueckzukehren, bleibt uns die Sonne
verborgen, und nur am fernen Horizont, wo sich ein Stueck freien Himmels
auftut, wird es in Sekundenschritten heller, so, als werde irgendwo in
der Unendlichkeit ein grosses Feuer neu entfacht ... und langsam taucht
die Natur aus schwarzem Schatten zurueck ans Tageslicht. garantieren.
Copyright: B. Lampe, 1999
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