Love in der City


Sie hatte den ganzen Tag im heissen Buero gesessen. Sie war verschwitzt und frustriert und ausgetrocknet. - Ihre Gedanken und Wuensche aber waren klar und direkt wie frisches Regenwasser: "Seit Wochen habe ich keinen Sex gehabt, niemand, der zaertlich zu mir ist, mich streichelt und sich in mir bewegt."

Sie sass vor ihrem Zeichenbrett und verging fast vor einer Sehnsucht, die seltsam abstrakt war, weil nicht auf ein bestimmtes Individuum oder einen bestimmten Augenblick gerichtet, auch etwas wie Aerger war dareingemischt, weil sie mit Gewissheit meinte, ihr entgehe etwas, worauf sie Anspruch habe.

"... und gleich wieder die Blicke der alten Knacker in der U-Bahn", dachte sie, als sie die Zeichenstifte wegraeumte, "die werden mir den Rest geben. - Mir reicht's endgueltig, heute muss etwas passieren, mit der Aussicht auf einen trueben einsamen Abend geh ich nicht heim."

Wozu arbeitete sie in der City?, sie wuerde einfach die Moenkebergstrasse runterschlendern, in den Nippeslaeden stoebern, eine Kleinigkeit einkaufen, und es nebenbei darauf ankommen lassen. Vorher reichlich Makeup auftragen und die Haare ein bisschen wild zurueckkaemmen, und den Spiegel befragen, dann wars auch schon Zeit. Die Tueren hinter sich zuwerfen und hinein ins Vergnuegen.

Naja, richtiges Vergnuegen auch wieder nicht. Wohin man blickte, Angestellte, die eilig einkauften oder zur U-Bahn hasteten und keinen Blick nach links oder rechts verschwendeten, Muetter mit plaerrenden Kindern, die den reibungslosen Abfluss der Massen behinderten, bloede glotzende Teenis und die allgegenwaertigen muessigen Rentner, die junge Frauen mit ihren Blicken auszogen.

Im Sommer gab es nicht viel auszuziehen, ausser Sandalen trug sie nur ein duennes, weisses, mit Bluemchen bedrucktes Minikleid, das wie das Faehnlein Fieselschweif hinter ihr her flatterte. Das helle Licht zeichnete die Linien von Slip und BH nach und unterstrich ihre unvermittelte erotische Praesenz und Lebendigkeit.

Wenn die Chefs komisch guckten, liess sie das kalt, die wuerden sich schon wieder einkriegen. Ausserdem war es im Buero bei der Hitze anders gar nicht auszuhalten. - Im Moment schien ihre Aufmachung aber nicht viel einzubringen, seit 20 Minuten lief sie herum, ohne dass irgendwas passierte. Etwas ruhiger, nicht so hektisch, dachte sie, dann behaeltst du den Ueberblick, den kann man in dem Gewimmel leicht verlieren, und kommst nicht ins Schwitzen.

Etwas spaeter fing sie den langen Blick eines Mannes auf. "Der kommt in Frage!" ahnte sie und liess ihn erst im letzten Moment wieder los, als sie fast aneinander vorbei waren, er verrenkte sich regelrecht den Hals nach ihr. Und sie reagierte ganz cool, wurde langsamer und stoppte wenig spaeter bei einer Juwelierauslage. Ein Blick zurueck, aha, da stand er, vor dem Schaufenster des naechsten Ladens und tat, als ob er sich fuer die Schuhe interessierte. - Er hatte angebissen.

Doch wie jetzt Kontakt aufnehmen? Ihn ansprechen?, so emanzipiert war sie nicht, den ersten Schritt musste der Typ machen. Klar, es waere schade, wenn er mir-nichts-dir-nichts in der Menge verschwaende, aber letztlich koennte sie dagegen nichts tun. Zoegernd bewegte sie sich am Schaufenster entlang in seine Richtung.

"Wahrscheinlich geht es ihm genau wie mir, er moechte mich anmachen, aber es ist ihm peinlich, Aufmerksamkeit zu erregen, besonders falls er abgewiesen wird, er kann nicht sicher sein, dass ich seinetwegen stehengeblieben bin. Also noch mal intensiv zu ihm ruebergucken, das wird ihm Beine machen."

Aber er ruehrte sich nicht. - Vielleicht war es besser, in die Seitengasse abzuzweigen, wo nicht so viele Leute herumliefen, wenn er wirklich interessiert war, wuerde er schon nachkommen. "Zu riskant", entschied sie, "wahrscheinlich denkt er dann, dass ich es mir ueberlegt habe."

Es lohnte sich nicht, ueber solche Eventualitaeten nachzudenken? Man sollte die Dinge mehr auf sich zukommen lassen. Also, Britta, konzentrier dich auf den schoenen Schmuck vor deiner Nase!

Keine Minute spaeter stand er neben ihr und wieder warf sie ihm einen ihrer langen Blicke zu. Aus der Naehe sah er ja nicht so toll aus. Sein Gesicht hatte etwas haengendes, die Augen, die Nase und die Lippen, alles floss nach unten weg. "Was solls?" dachte sie. "Den schoensten Mann Hamburgs werde ich heute nicht mehr finden. Ausserdem ist er jung und ziemlich gut gebaut, was man so sehen kann, vielleicht ein bisschen zu geschiegelt, die WG wird die Nase ruempfen, wenn ich ihn mitbringe."

"Hallo", sagte er ploetzlich, "wahnsinnig heiss heute", und strich sich ueber die Stirn. "Was halten Sie davon, mit mir ein Eis zu essen?" Er sprach leise und mit einer sonderbar vorsichtigen Intonation, solche Feinheiten konnte sie im Moment allerdings vor Aufregung nicht wuerdigen.

"So was Einfallsloses!" dachte sie stattdessen, und ein freches "Wie kommen Sie denn darauf?" lag ihr auf der Zunge, er war wahrlich kein so toller Typ, dass er sich solche Plumpheiten leisten konnte, doch dann resignierte sie: "Ich muss mich entscheiden: will ich heute abend wieder allein sein oder nicht. Wozu mach ich mir schliesslich die ganze Muehe?"

Da er den ersten Schritt getan hatte, war jetzt sie an der Reihe. Mit einer der sommerlichen Hitze ueber dem Pflaster angemessenen langsamen Drehung wendete sie ihm die Front ihres Koerpers zu, so dass sich ihr Kraftfeld wie ein Laserstrahl auf ihn konzentrierte, hastlos sparsam wie ein Reptil richtete sie sich auf, so dass Schoss und Busen gefaehrlich hervortraten, und laechelte ihn aufmunternd an. "Warum nicht?" sagte sie.

Das naechste Cafe befand sich quasi in Sichtweite (wenn die vielen Fussgaenger die Sicht nicht behindert haetten) und sie bewegten sich schweigend und wissend durch das Gedraenge darauf zu. Am Tisch entpuppte er sich als passabler Unterhalter, der sie in Stimmung bringen und einmal gewonnenes Niveau auch halten konnte.

Sie war gegen Maenner eher vom schweigsamen Typ, der mit einem imaginaeren Kokon aus Worten und Gesten und Blicken umgarnt werden will, bevor er sich auf sie einlaesst, der sprachliche Kosmos, den der Mann entwirft, ist der Naehrboden ihrer Bereitwilligkeit. Sie selber begehrte nichts ausser zu laecheln und gelegentlich einen Scherz einzustreuen, was ihn sicherer machte, auf dem richtigen Weg zu sein, den Rest besorgten ihre Figur, ihre Haut, ihre Augen usw.

Er legte sich auch gehoerig ins Zeug und machte sie alles vergessen, die Arbeit, das Leben, die laute geschaeftige Einkaufspassage, sogar die grelle Helligkeit und Hitze des Himmels. Sie unterhielten sich wohl eine halbe Stunde, und es wurde bald klar, dass sich etwas entwickelte, schiere Lust machte sich in ihrem Unterleib breit, als werde der auf ihn gerichtete Strahl ihrer Weiblichkeit durch seine Rede wie durch einen Hohlspiegel reflektiert, wobei er seine Zustandsform aenderte, um in der koerperlosen Welt hinter ihren Sinnen als Leidenschaft zu kondensieren. Endlich!

Er meinte zuerst in einem begreiflichen Missverstaendnis, ihr Verlangen sei ein noch zu zartes Pflaenzchen, man muesse behutsam vorgehen,duerfe sich keine Schnitzer erlauben, mit bestimmten Themen auf keinen Fall kommen, (zum Beispiel von seiner Freundin erzaehlen, naja das war klar, kleiner Scherz am Rande). Er wusste ja nicht, wie sehr sie danach lechzte, mit ihm, mit irgendjemand zu schlafen, und waehrend er auf sie einredete, ueberlegte er fieberhaft und zweifelte, ob sie ueberhaupt und wenn ja, gleich diesen Abend ... und diese Gedanken steigerten seine Begierde ... oder ob sie eine war, die lieber erst bei der zweiten Verabredung ...

Je laenger er auf sie einredete, um so deutlicher wiesen die Signale - ihr unausgesetzt einladendes silbernes Laecheln und haeufiges helles Lachen, das Schnurren der Stimme und die Art, wie sie sich zu ihm vorbeugte - auf ein gleich-jetzt-sofort, und er entschloss sich spontan, einen Vorstoss zu wagen, so viel Zeit hatte er heute nicht, und wer wusste denn, was morgen war, und "Was machen wir mit dem angebrochenen Abend", fragte er, als sie gerade ihr Eis ausgeloeffelt hatte.

Sie wusste sorecht keine Antwort, die Wahrheit liess sich schlecht sagen, oeffnete aber die Lippen, so dass ihre Zunge sichtbar wurde, um die sich die Zaehne wie ein dashweisses Perlband gruppierten. Dann fiel ihr ein: "Wir koennen ja mal zur Alster runtergehen und uns ein bisschen die Beine vertreten."

Damit war er sofort einverstanden. "Okay", log er, "ich habe heute auch den ganzen Abend Zeit."

Sie versuchte die etwas unpassende Bemerkung zu ignorieren, aber die Woertchen 'heute' und 'auch' verstimmten sie. "Irgendwie ist das mit dem kein guter Anfang, trotz all seinem Gerede", musste sie denken. Wenn man ein festes Ziel vor Augen hat, darf man jedoch nicht zimperlich sein, und sobald sie den Trubel der Strassen hinter sich liessen und ins Gruene traten, wo vom See ein frischer Wind herueberwehte, nahm er wie selbstverstaendlich ihre Hand und spaeter legte er den Arm um sie, und noch spaeter, an einer entlegenen Stelle, bei einem schattigen Baum, zog er sie auf die Bank und begann sie zu kuessen und an allen moeglichen Koerperstellen ungeniert zu befingert, es schien ihm ganz gleich zu sein, dass sie beobachtet werden konnten.

Sie liess es geschehen, mehr nicht, pro forma stoehnte sie ein bisschen. Jetzt, wo ihre Wuensche so bald erfuellt werden wuerden, hatte sie ploetzlich die Nabelschnur ihrer Lust verloren, konnte sich nicht mehr auf ihre Erregung konzentrieren, alle Vorfreude war verflogen und nur eine Art Pflichtgefuehl uebrig, gegenueber diesem doch reichlich mittelmaessigen Typ, und waehrend ihre Ruempfe sich aneinanderdrueckten, gruebelte sie ueber den Sinn dieser Anstrengung.

"Lass uns zu mir gehen", schlug sie resolut vor und dachte: "Hier kommen wir nicht weiter. Dass wir einfach hinter die Buesche verschwinden und es schnell hinter uns bringen, ueber die Phase bin ich hinaus, sowas macht man mit 17. - Wozu bin ich bei meinen Eltern ausgezogen? In der WG hat noch keiner was gesagt, wenn ich einen anschleppe, hoechstens dass sie bloed gucken, ich kann mir schon vorstellen, was sie denken, aber ist mir egal, solange sie's fuer sich behalten und keinen Stress machen."

"Hoffentlich ist es nicht zu weit", dachte er ungeduldig. Sie erreichten den 117er-Bus justintime, das heisst sahen ihn schon von weitem ums Muehleneck biegen, wo das Ungetuem Muehe hatte, nicht die anliegende Gaststaette zu streifen, und da nahmen sie sich wie von selbst bei der Hand und rannten so schnell sie konnten und waren dem Bus um Sekunden voraus, und lachend und keuchend erklommen sie die Stufen und liessen sich auf die beiden Plaetze direkt hinter dem Fahrer fallen. Und als er sie dann waehrend der Fahrt beruehrte und seine Augen in ihre versenkte, meinte sie und war sich ganz sicher, ihre Lust sei zurueckgekehrt.

Und waehrend des ganzen Weges kam keine jener gezwungenen Pausen und Peinlichkeiten auf, welche frische Bekanntschaften der Geschlechter gewoehnlich bedrohen, und Britta vergass ihre vorherige Missstimmung, und auch als sie vor der Haustuer verharrten, um nach dem Schluessel zu kramen und aufzuschliessen und zwar niemand im Flur doch in der Kueche ausgerechnet Dieter und Guenter trafen, war nicht der Moment fuer Zoegern und Zaudern, hier war dringend eine psychologische Huerde zu ueberwinden, es wuerde doch nicht so einfach sein, ohne eine Art von schlechtem Gewissen an den beiden vorbeizukommen, das spuerte sie schon, als sie die Stimmen vom Flur her hoerte.

Sie haette gern wie die Andern ein Zimmer gehabt, das direkt vom Flur abging, dann haette sie bei Bedarf schneller verschwinden koennen, doch ihres war nur durch die Kueche zu erreichen, sie hatte damals keine Wahl gehabt, weil sie als letzte eingezogen war. Sicher, keine schlechte Behausung, gross und hell und lag zum Vorgarten raus, in subtilen Situationen wie dieser nervte es jedoch gewaltig, dass man erst durch die ganze Wohnung musste, und sobald jemand von den andern auszog, Dieter zum Beispiel, der staendig vom Landleben und Biogemuese schwaermte, wuerde sie sofort in sein Zimmer ziehen. Kein grosser Aufwand, soviel Klamotten und Kramzeug hatte sie nicht, nur neu streichen musste man es unbedingt, es war ziemlich verlottert. Auf solche Dinge legte er zu wenig Wert, fuer ihn waren das Aeusserlichkeiten, allein darum wuerden sie nie zusammenkommen, Guenter war in der Hinsicht noch schlimmer, er warf seine total verdreckten Klamotten einfach auf den Boden, wenn er fuer die Hafenstrasse mal wieder in der Kanalisation herumgekrochen war, und machte nie bei sich sauber, da sammelte sich der Dreck bis er schimmelte, der Abfall stapelte sich bis zur Decke, und wurde erst rausgetragen, wenn man sich ueberhaupt nicht mehr ruehren konnte.

Beim Kuechendienst konnte man sich wundersamerweise auf ihn verlassen, da war Otto viel nachlaessiger, fuer den inzwischen Ulla fast alles erledigte. Britta wunderte sich, wie sie es mit dem stinkfaulen Typ aushielt, der vorigen Freundin war es zuviel geworden. Vielleicht lags an seiner ewigen Frohnatur; aber wahrscheinlich war es genau das Geheimnis einer funktionierenden Beziehung, dass die Frau alles klaglos einsteckte, die Arbeit machte und der Mann seinen Hobbies froente. Solche 'Kompromisse' wollte Britta nicht eingehen, zumindest jetzt noch nicht ...

Nun also Dieter und Guenter am Kuechentisch. Die Kueche war nicht allzu geraeumig und so stand sie, bevor sie zu ihrer Zimmertuer abdrehen konnte, fuer einen kurzen Moment mit ihrer Eroberung direkt vor ihnen, wie zum Appell, und sie gruesste die Beiden mit verkrampftem Hallo, und ein gewisser Eindruck ihrer Reaktionen blieb ihr nicht erspart. Was Guenter dachte, war unwichtig und schwer zu erraten. Mit Dieter war es natuerlich anders, und wie bei einer nahenden Gefahr, obwohl zu konkreten Befuerchtungen wirklich kein Anlass bestand und sie moeglichst in einer andere Richtung hatte schauen sollen, um sich gar nicht erst von seinen Gefuehlen behelligen zu lassen, konzentrierten sich ihre Sinne, wenn auch nicht geradezu, aber doch aus den Winkeln heraus, auf seine Reaktionen, sie merkte wie sich seine Mimik veraenderte und nahm eine langsame sonderbare Bewegung des Unterkiefers wahr, die sie an das Mahlen oder Schmatzen eines Nilpferdes erinnerte, und erriet oder glaubte zu erraten, dass er schwer schlucken musste; und in dem gleich darauffolgenden ploetzlichen Wegrucken seines Koerpers lag so viel Ablehnung und Abwehr gegen die Verletzung oder Beleidigung, als welche er den Auftritt des Fremden empfand, dass sie einen Augenlidschlag-lang irritiert innehielt.

Diese Ereignisse, eigentlich waren es keine Ereignisse, sondern Keime von Ereignissen, die nur zu Ereignissen haetten werden koennen, wenn Dieter sich zu etwas haette hinreissen lassen, was ihm jedoch voellig fern lag, weil er viel zu sehr mit sich selbst und seiner ihn ploetzlich ueberfallenden wohlbekannten Melancholie beschaeftigt war, welche ihn ebenfalls daran hinderte, ihre Wahrnehmung seiner Affekte zu bemerken, fanden in Bruchteilen von Sekunden statt, und wenn man es im Nachhinein betrachtet, fiel es ihr nicht schwer, sich zuegig von ihnen freizumachen und entschlossen ihrer Zimmertuer zuzuwenden. Mit einer hochfahrenden ungeduldigen und selbstbewussten Bewegung ihres Kopfes drehte sie sich zur Seite, und dabei schuettelte sie ihre Maehne (und damit auch Dieter von sich ab). Es war ihr einfach egal, was er dachte, sie wollte sich jetzt auf keinen Fall um ihn kuemmern oder ihm gar aus der Falle seiner Gefuehle heraus helfen, sie fuehlte sich viel zu sehr vom psychischen Misslingen ihres eigenen Vorhabens bedroht, um sich mit den Empfindsamkeiten anderer Leute zu beschaeftigen.

Die zoegernden 'Hallos' als Antwort auf ihre Begruessung trafen sie schonmehr in Ruecken, und schweigend folgte ihr der Besucher und erleichtert legte er seinen Pullover auf den einzigen Stuhl, den sie ihm sogleich anbot, und seine Jacke aufs Bett, wo Britta mangels anderer Sitzgelegenheiten Platz genommen hatte; er fand, das war ein gutes Omen.

Sie wollte ihm zu trinken anbieten, unterliess es jedoch, dazu haette sie nochmal in die Kueche gemusst. Und indem sie sich ueber diese Beschraenkung klar wurde, brach die erotische Spannung zwischen ihr und dem Fremden zum zweiten Mal zusammen, die draussen auf der belebten Strasse und noch vor der Wohnungstuer fuer jeden Betrachter so augenfaellig gewesen war wie ein helles buntes Kleid auf einer Trauerfeier. Sie wusste, es war Dieters Schuld, eine durch ihn personifizierte Huerde, die ihre Lust straucheln und in unsichtbaren Kanaelen verrinnen liess. Denn unsere Gefuehle sind launisch wie leichter Seegang ueber einem grossen Meer; wenn irgendwo in der Tiefe eine Stoerung oder Stroemung oder gar ein Wirbel entsteht, geraten sie alsbald aus dem Takt, ausser Kontrolle und verlieren sich in der Weite des Wassers. - Brittas Wellengang war besonders unberechenbar, davon konnten ihre Lover ein Lied singen.

Als nun der Gast sich unaufgefordert neben sie setzte und begann, ihr die Bluse auszuziehen, wobei er wortreich die Schoenheit ihrer Schultern und ihres Busens lobte, bevor er seine Kuesse darauf verschwendete, breitete sich die Furcht in ihr aus, es werde sich wiederholen, was sie schon mehrfach erlebt hatte, dass sie bei dem lange ersehnten Verkehr keine Lust empfinden und die ganzen vorherigen Anstrengungen also vergeblich sein wuerden, und eine grenzenlose und nicht ganz berechtigte Wut auf Dieter erfasste sie, der seinerseits nebenan in der Kueche sich kaum noch aufs Abendessen konzentrieren konnte, weil ihn die Vorstellungen dessen verfolgten, was bei ihr vorging, und darum sich Guenter schnellstmoeglich empfahl.

Es war ihm ein schieres Raetsel, wo sie die Typen immer aufgabelte. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen und ihr anzuhaengen wie dem Narren die Schelle. Und er wurde damit jedesmal weniger fertig, es war, als wuerden sie seine Gier nach ihr steigern und ihm zugleich die Lebenskraft beschneiden, bis zur Erschoepfung bohrten sie in seinen Gedanken.

Brittas Besucher nahm von alldem nichts wahr, er wollte seine Triebe befriedigen; nicht mal das Zoegern, mit der sie auf seine Avancen reagierte; denn ihre Reaktion war nur noch vom Kopf gesteuert, ihre Begierde nur vorgespielt. Er zog ihr die Hose herunter und befummelte sie ueberall, wie es ihm gefiel, und sie liess es geschehen, obgleich sie schon laengst die graue Ebene erreicht hatte, wo keiner Lust mehr zu helfen ist, und als seine Handflaeche ueber ihren Bauch zur Scham fuhr, wich sie zurueck und da sie dies anscheinend nicht leiden konnte, griff er (innerlich achselzuckend) nach ihrem Hintern, und zog sie zu sich heran, und alles geschah nahezu gesetzmaessig, das Ausziehen, das Naeherruecken, Vorwaertsdraengen des Mannes und Zurueckweichen und -lehnen der Frau, bis schliesslich ihre Leiber aufeinanderlagen und er ohne viel Federlesens in sie eindrang.

Er kam nicht umhin festzustellen, wie trocken sie war (und sie konnte nicht anders als darauf sich zu fixieren, dass er es bemerkt hatte, nnd weiter knickte ihre Leidenschaft ein wie die Vorderlaeufe von zu Tode getroffenem Wild), und seine Erfahrung fragte ihn, wie das sein konnte, nach dem Spass, den sie im Bus gehabt hatten; er war aber zu grob, sich zu unterbrechen und und liess nicht von ihr ab, sein Geschlechtstrieb war so eingestellt, dass er noch mit unwilligsten Frau geschlafen haette, er meinte stattdessen, bei genuegender Stimulation werde sie ihm schon noch folgen, ins Reich der Ekstase.

Doch bald begann es beide stoerend zu scheuern, und in Brittas Unterleib presste sich etwas zusammen, und es war nicht die Lust, und waehrend sie empfindungslos und ergeben ihr Zimmer von unten betrachtete, den Stuck an der Decke mit den feinen Rissen und an einer Stelle war ein Stueck herausgebrochen, Spinnweben hinter den Vorhaengen, schief an der Tuer haengende Kleidungsstuecke, Regale voller Buecher und Strass und Nippessachen, zwei aus einer grossen Vase in ihren Blick ragende Pfauenfedern schienen ihr zuzunicken, setzte er unbeirrt und sonderbar monoton seine Bemuehungen fort, obwohl ihre Trockenheit jetzt auch ihn zurueckwarf auf dem Weg zum Gipfel, es bringt wenig Spass, in einer frigiden Frau herumzumachen.

Und endlich liess sie ab von der vergeblichen Anstrengung, zwanghaft ihrer Lust und Befriedigung nachzujagen, sie liess ihn gewaehren, gab sich und eigene Wuensche auf, sie schloss die Augen und da entspannte sich etwas in ihr, und da sie bemerkte, dass auch er seine Schwierigkeiten hatte und nicht gleich kommen konnte, hatte sie Zeit, die Einbildung zur Hilfe zu nehmen, um ihre Lust zu steigern, die Einbildung naemlich, wie sie von einem voellig unbekannten namen- und gesichtslosen dunklen Schattenmann gevoegelt wurde, der sich auf ihr abarbeitete.

Sie schob die Rechte zwischen ihrer Beider Baeuche zur Scheide hinunter und streichelte sich mit den Fingern, was ihn zuerst irritierte, da er schon genug Not hatte, seine Erregung aufrecht zu halten; Frauen, die beim Bumsen an sich herumfummelten, konnte er nicht ausstehen und haette den ganzen Vorgang beinahe entnervt abgebrochen, zumindest bewegte er sich langsamer. "Mach weiter" fluesterte sie aber und drueckte mit der seinen Kopf mit der Linken an ihren Mund, und da stiess er wieder zu, etwas vorsichtiger jetzt, er hatte verstanden ...

Und da spuerte er, wie sie feucht wurde und ihre Abwehr unter seinen Bewegungen zusammenbrach, einladend oeffnete sich die Scheide, so dass er endlich problemlos und bis zum Heft in sie eindringen konnte, problemlos das war das richtige Wort, und ihre unverhoffte Erregung machte ihn dermassen geil, dass er nach 30 Sekunden zum Hoehepunkt kam.

Er hatte nicht mehr warten wollen; nachher waere sie wieder trocken geworden, das hatte er bei einer Andern schon mal erlebt, er wollte nichts riskieren; und nachdem sie solche Zicken machte, meinte er ihr in dieser Hinsicht auch nichts schuldig zu sein.

Dann stiess er noch einigemal zu, und als er ploetzlich ganz aufhoerte und reglos schnaufend auf ihr liegen blieb, war sie zuerst enttaeuscht, sie hatte gehofft, vielleicht selbst noch zu kommen, obwohl ihr das nur selten gelang, doch dann spuerte sie, wie ihre Lust schon wieder nachliess und war ganz froh, es hinter sich zu haben. "So viel zu den Freuden der Erotik", dachte sie deprimiert. Wenn Dieter wuesste, was sich hier eben abgespielt hatte, wuerde er nicht soviel Aufhebens machen. - Denn dass er jetzt irgendwo allein hockte und gruebelte und Aufhebens machte (hoffentlich nicht in der Kueche) das war ihr klar.

Ihr Liebhaber fand es an der Zeit, seinen immer noch steifen nun aber antriebslosen Penis aus ihr herauszuziehen, er stemmte sich hoch und legte sich neben sie und wollte entspannt noch kurz mit ihr plaudern. In bereits guter Kenntnis des Raumgefueges griff er nach hinten und fischte Feuer und ein Paeckchen Gauloise aus seiner Jacke, wovon er ihr anbot, bevor er sich selbst eine anzuendete.

Und wieder hoerte sie auf den Schwall seiner Rede; doch was in der Vorfreude und Hitze der Innenstadt ihren Geist wie eine kuehle Erfrischung belebt hatte, stiess ihr jetzt wie Saeuerling auf, albernes, bloedes, entseeltes Gerede - was interessierte sie schon, welche Zigaretten und Weine er liebte und an wen sie ihn ganz ganz stark erinnerte.

"Ich muss mal eben", sagte sie ploetzlich und verschwand durch die Kueche im Bad, wo sie sich auf der Kloschuessel niederliess, aber gleich wieder hochsprang, um die glibbrige Samenfluessigkeit mit Klopapier abzuwischen, die an den Schenkeln herunterlief und etwas spaeter entdeckte sie im Spiegel den Ekel in ihren Pupillen.

Als sie zurueckkam, war er gerade dabei, seine Schuhe zuzubinden. "Du ich muss los", sagte er, "ich hab nochen dringenden Termin, ich rufe dich an", und verschwand, ohne seine Adresse oder Telefonnummer anzubieten, und Britta, ganz ueberrascht von der Eile, war zu stolz und zu teilnahmslos, ihn danach zu fragen. Und als er zwei Wochen spaeter tatsaechlich anrief und sich erneut mit ihr treffen wollte, wies sie ihn ab. Zwei Wochen sind eine ziemliche Zeit, in der einem manches durch den Kopf geht.


© Copyright: B. Lampe, 1996

   e-mail an:  Lampe.Bodo@web.de