"Ja freilich!"


Arthur N. Wollenburst ist Diplomat bei der UN in New York. Er lebt mit seiner Frau und den Kindern in Oxville, einem laendlichen Vorstadtidyll vor den Toren der Metropole und faehrt zweimal die Woche die 80 Meilen mit dem Auto nach Manhattan. An den uebrigen Tagen arbeitet er an seinem Heimarbeitsplatz, oder unternimmt Dienstreisen in alle moeglichen Weltgegenden.

Jedermann nennt ihn Arti, doch er ist deswegen nicht nachtragend. Er ist ohne politische oder sonstige Ambitionen, keines der grossen Tiere, die man aus dem Fernsehen kennt, sondern einer der vielen normalen Angestellten und Wassertraeger der UNO, die unsere Welt zusammenhalten und zunehmend kleiner werden lassen. Ausserdem ist er ziemlich sparsam.

Diesen Dienstag fliegt er mit einem Tross von Kollegen nach Johannesburg, zur GAK, der Globalen Antirassismus Konferenz. Wie ein Haufen Huehner oder Heuschrecken fallen sie ins Kongresszentrum ein, die Entwuerfe der Schlussakte schon in den Koffern.

"Hi Arti", ruft es von allen Seiten und in vielen Sprachen, und "hi Jacob Musta Benni Helno Max Chicco Raoul Lobo Ito Guido" ruft er zurueck. Er freut sich maechtig, wieder dabei zu sein.

Es ist alles wie immer. Langatmige Vortraege im Plenarsaal, stundenlanges Hin und Her auf den Gaengen und zwischen den Arbeitsgruppen, in staendigem Kontakt mit Ministern und Botschaftern, die alles moegliche geaendert haben wollen, der grosse Knaatsch, wenn Araber und Israelis sich gegenseitig des Rassismus bezichtigen und die Amerikaner fast abreisen ... Er ist alldies gewohnt und noch mehr; er weiss, es gibt immer hektische Phasen und danach die Entspannung, wo man's ruhiger angehen laesst.

Es ist gegen 18 Uhr 30. Zu viert stehen sie in der Halle des Kongresszentrums: Donatus MacDougall-Douglas, Heribert von Sayn-Ehrenfried, Bogdan Kruschinski und er - gestandene Diplomaten, die schon ueberall gewesen sind und auch in kritischen Situationen (wie ratzeputz leergefutterten Bufetts, anonymen Bombendrohungen, tobenden Ministerialdirigenten, Entfuehrungen oder Konferenzzentrumsbesetzungen) nicht so leicht die Nerven verlieren. Jeder haelt eine Kopie des Entwurfes der Schlussakte in der Hand.

"Also ich mache heute abend nichts mehr. Was ich jetzt anfange, wird sowieso nicht mehr fertig", sagt MacDougall-Douglas kategorisch.

"Ich auch nicht", pflichtet ihm Arti muede bei.

"Schaut mal", sagt Kruschinski, "dem schwedischen Vertreter passt diese Formulierung nicht. Er meint, das bezieht sich nur auf Maenner und nicht auf Frauen."

"Zeig mal, an welcher Stelle? - Ach der soll sich nicht so anstellen."

"Mir scheint, der Junge kann kein Englisch. Wir haben das genau ueberlegt, das ist wirklich absolut geschlechtsneutral."

"Ich habe aber das Gefuehl, er wird es so nicht akzeptieren."

"Ach, die Schweden, die tun immer gross. Am Schluss sind sie kompromissbereit. Ich habe ein viel groesseres Problem. Dieser komische Kauz, Grillet-Drillard oder wie er heisst, ihr wisst schon, der kleine Feiste mit der dicken Brille, er meint, der Entwurf ist nicht korrekt ins Franzoesische uebersetzt und verlangt, dass das umgehend nachgeholt wird. Wo kriege ich so schnell einen guten Uebersetzer her?"

"Du kannst doch perfekt franzoesisch."

"Mich wuerde er nie akzeptieren. Es muss ein Franzose sein, mit mindestens drei Diplomen."

"Warst du schon bei der Konferenzverwaltung?"

"Ja, aber da ist im Moment niemand frei."

"Ich weiss auch warum. Die palavern seit Stunden ueber die Zeichensetzung. Englaender und Kenianer haben sich beschwert, weil die Zeichensetzung angeblich nicht den Oxford-Standards entspricht, es stehen Kommas, wo eigentlich Punkte hinmuessten. Aber die Leitung will von eurem Entwurf nicht runter, weil er mit den Amerikanern abgestimmt ist, und die Zeichensetzung angeblich an zwei Stellen den Sinn veraendert."

"Gut, dass das nicht meine Sorge ist."

"Hoffentlich machen Sie heute puenktlich um 8 Schluss. Ich bin vom Flug diesmal tierisch muede."

"Ich sehe nichts, was dagegen spricht. Warum sollten sie gleich am ersten Tag ueberziehen?"

"Hoechste Zeit, dass wir die Abendplanung angehen", mischt sich Sayn-Ehrenfried ein und wirft einen langen begehrlichen Blick ans andere Ende der Halle, wo mehrere Dolmetscherinnen unschluessig herumstehen. "Was haltet ihr davon, nachher Johannesburg unsicher zu machen. Ich meine, wer weiss, was morgen ist, vielleicht wollen die Japaner auch noch Aenderungen ..."

Eigentlich ist Arti zu muede, regelrecht erschoepft, so dass er im ersten Moment das Angebot ausschlagen und lieber ausschlafen will. Doch da meint der notorische Sayn-Ehrenfried, der in dieser Hinsicht immer bestens informiert ist: "Ich kenne hier ein obergeiles Nachtlokal, wo jeder auf seine Kosten kommt. Durchaus mit Accra zu vergleichen, ihr wisst schon ..."; und diese Worte provozieren Erinnerungsmuster in Artis Bewusstsein, denen er nicht widerstehen kann.

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In Oxville geht derweil alles seinen gemaechlichen Gang. Hier ist hellster Morgen und seine Frau mit dem Juengsten beim Einkaufen. Die Wollenbursts leben auf einem sehr idyllischen Grundstueck in einem sehr idyllischen Haus, zu dem Artis Vater, der Anwalt ist, ein Grossteil beigesteuert hat. Bei der UNO verdient man gut, aber nicht so gut, dass man sich ein Oxville-Haeuschen aus dem Handgelenk schuetteln kann. Gretchen ist froh, das Haus ein paar Tage fuer sich allein zu haben.

Eben faehrt sie mit dem Pontiac die Einfahrt hinauf. Der Wagen ist hinten so breit wie ein Trecker, und wie ueblich streift sie beim Einparken fast die Garagenwand. Wenn Arti das saehe, wuerde er Kraempfe kriegen. Arti kriegt oft Kraempfe, aber wen stoert das schon? Ihn stoert ja auch nicht, dass sie in einem so altmodischen und unfoermigen Auto herumfahren muss. Wie oft hat sie vergeblich einen anderen Wagen verlangt?

"Ich wuerde dir gern den Gefallen tun, aber staendig neue Autos, das koennen wir uns nicht leisten, Liebling", pflegt er sie zu beschwichtigen. Er tut immer kompromissbereit, aber im Herzen, das weiss sie, ist er knallhart. Und tatsaechlich, wenn sie dann vorschlaegt, "Wir koennten doch einen Gebrauchten suchen", bekommt sie zu hoeren: "Da wuerden wir ein schlechtes Geschaeft machen. Ausserdem, Gebrauchtwagen, das hat es in meiner Familie noch nie gegeben". Und dann bekommt Gretchen die Kraempfe.

Mit Tueten bepackt keucht sie zur Haustuer, der Kleine laeuft vorneweg. Spaeter setzt sie sich vor die Glotze. Nach einer Weile steht sie auf. Wie kalt es geworden ist! Dabei ist erst September!

Der letzte Winter ist eisig gewesen. Eiskalte Luft zog aus dem Keller ins Treppenhaus und von dort in die Wohnung. Sie mussten furchtbar viel heizen, um wenigstens die Wohnraeume warmzuhalten, und haben daher beschlossen, im Laufe des Jahres den offenen Keller zumauern zu lassen.

Jetzt geht es wieder auf den Winter zu und nichts ist passiert. Arti hat immer soviel zu tun, und ausserdem ist es schwierig, die richtigen Handwerker zu finden. Der eine Nachbar ist bei der Army, ja-der ist staendig am Werkeln und hat sein Dachgeschoss komplett selbst ausgebaut. Aber Arti hat zwei linke Haende, wenn er eine Schraube eindrehen will, muss man den Verbandskasten bereithalten; und sie ... also reden wir von was anderem.

Der andere Nachbar, Mr Mousemaker, ist Immobilienmakler und besitzt genug Geld, um drei Dachgeschosse ausbauen zu lassen. Seine Frau faehrt BMW und er selber Mercedes. Gretchen Wollenburst, geborene Henne, ist mit ihnen per du und schwankt zwischen bodenloser Abneigung und ohnmaechtiger Bewunderung fuer das neureiche Paar.

Wie gesagt, Oxville ist ein teures Pflaster, allein Jerry's Privatschule verschlingt fast ein Viertel des Haushaltseinkommens, so viel Geld verdient Arti nicht, dass er fuer jede Kleinigkeit ein Bauunternehmen beauftragen kann. Das heisst, nachgefragt hat er schon, aber die Firmen sind unverschaemt teuer, 8000 Dollar und mehr wollen sie haben, unmoeglich, da hilft auch sein erprobtes Verhandlungsgeschick nicht. Sie sind an Grossauftraege gewoehnt und unhoeflich und herablassend bis zum geht nicht mehr, weil sie wegen so einer Lappalie herkommen muessen, die kaum etwas einbringt.

Da lobt sich Gretchen den kleinen Hispano, obwohl er zuerst nicht viel geredet hat, nur alles ausgemessen und bedenklich den Kopf gewiegt, weil er nicht wusste, ob sie nur 2 oder 4000 ausgeben wollte und in seiner Not endlich 3000 verlangt, und sich geaergert, als sie gleich zustimmte, weil, da wusste er, 4000 haette sie auch akzeptiert.

"Werden sie das auch gut hinkriegen", hat sie noch unsicher gefragt, denn ihr Mann war mal wieder auf Achse, aber da hat er sich in Positur geworfen wie seine Vorfahren beim Stierkampf: "Ja freilich, wir das hinkriegen, du ueberhaupt keine Sorgen, und bar bezahlen, du verstehst, aeh, ick meine ..."

"Ich weiss, keine Rechnung", hat sie gefluestert, und damit war alles geregelt, Vertrauen gegen Vertrauen, verstehst du.

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In Johannesburg steht der Sommer bevor, und Arti und die anderen plagen Fruehlingsgefuehle. Es ist die grosse Zeit der Herzinfarkte von vielreisenden UN Diplomaten; doch sie meinen, den Erfolg der Konferenz am besten dadurch zu sicherzustellen, dass sie sich von der sterilen Athmosphaere des Sitzungssaales schnellstmoeglich freimachen und auf den Strassen der Stadt unters Volk mischen und mit den Ureinwohnern verbruedern. Schliesslich ist die Apartheit abgeschafft, man kann sich ueberall frei bewegen, naja ueberall nicht unbedingt, die Slums lassen sie aus, da gibt es wenig zu sehen.

In den uebrigen Stadtvierteln vermischen sich die Rassen, auch jetzt noch am Abend, dass es fuer jeden GAK eine Freude ist. Afrikanische Strassenhaendler und indische Restaurants ueberbieten sich mit ihren Spezialitaeten, und waehrend der gemuetliche Teil des Kollegiums in einem Feinschmeckerlokal verschwindet, stopfen sich Arti, Heri und Ben das Maul mit paar Pasten voll, schliesslich ist es schon spaet, und sie wissen, worauf sie hinauswollen.

Artis Problem ist, er fuehlt sich unbaendig und ohnmaechtig zu farbigen Frauen hingezogen. In seiner Abteilung in New York arbeiten viele junge schwarze Sekretaerinnen. Nicht dass er sich jemals erlaubt, ihnen zu nahe zu treten - das kann heutzutage uebel danebengehen; doch wenn sie ihm in den Fluren oder Fahrstuehlen ueber den Weg laufen, pflegt er sie aufs freundlichste anzulaecheln und anschliessend am Schreibtisch seinen Wunschtraeumen nachzuhaengen. Und wahrscheinlich ist das der tiefere, unbewusste Grund, warum seine feinfuehligen Chefs ihn von Anfang an, seit die Konferenzreihe laeuft, als staendigen GAK-Residenten eingeteilt haben.

Er ist dieser Neigung voellig schuldlos ausgeliefert, (wenn sie sich als Schuld ueberhaupt bezeichnen laesst), und kann sich keinen Reim darauf machen, warum er Blondinen wie Gretchen nicht mit derselben Inbrunst begehrt. Vermutlich, denkt er, entspricht es meiner unvoreingenommenen und aufgeklaerten Wesensart, Menschen anderer Hautfarbe mit besonderem Interesse gegenueber zu treten.

In dem Viertel, wo das Taxi sie absetzt, herrscht eine merkwuerdige Stimmung. Von weitem wird es durch einige ultramoderne vielstoeckigen Buerobauten dominiert, aus denen die letzten Angestellten eben in den Feierabend aufbrechen. Ein Haufen schaebiger Restaurants und Imbissbuden hat sich jedoch zwischen die Hochhaeuser geklemmt und bestreitet erfolgreich ihre Vorherrschaft.

Vor einem alten, kleinen, windschiefen und unverputzten Haus bleiben sie stehen. Die Fenster sind mit roten Decken verhaengt, und ueber jedem pendeln kleine rote Laternen im Wind. Ein grosses Schild weist es in mehreren Sprachen als Nachtclub aus.

Das Innere macht auf den ersten Blick einen provisorischen Eindruck, wie eine billige, renovierungsbeduerftige Absteige. Der Geruch uebertrifft alles, was Arti jemals gerochen hatte, ein intensiver, seltsam schwerer, suesslicher Duft, Mischung aus Zigaretten, Parfumen, Schweiss und anderen Koerpersekreten.

Der Service aber ist ausgezeichnet. Sie stehen kaum 10 Sekunden in der Halle, da kommen mehrere Maedchen auf sie zu, von denen ihm zwei auf Anhieb gefielen.

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Waehrend Arti erwartungsfroh ins suedafrikanische Nachtleben eintaucht, rueckt Dominguez mit seinem Team in Oxville an. Die Zentrale seiner Firma, wenn man den traurigen Keller so nennen will, ueber dem er mit seiner Familie haust, befindet sich in einem der verwahrlosteren Stadtteile New Yorks, und sie haben auf dem ziemlich weiten Weg nach Oxville noch an einer Baustelle haltgemacht, wo sie bis gestern als billige Subunternehmer beschaeftigt waren.

Sie sind zwei Stunden zu spaet. Gretchen empfaengt sie mit freundlichem, etwas unsicherem Laecheln. Ausser Dominguez ist keiner des Englischen maechtig.

Der rostige Pick-up parkt keuchend, quietschend und scheppernd vor dem Garagentor. Das Team stieg aus, Dominguez, sein aeltester, fuenfzehnjaehriger Sohn und ein weiteres junges, vielleicht nicht ganz so helles, aber erkennbar gut gebautes Talent. Sie halten keine Reden, sondern fangen auf Befehl des Alten gleich mit dem Arbeiten an. Gretchen ist das nur recht. Es ist ein seltsames Gefuehl, drei kraeftige Maenner im Haus zu haben, deren Sprache man nicht versteht, und die einem, wenn man ihnen Getraenke hinstellt, nur zulaecheln.

Bald wird es im Keller ziemlich laut, Haemmern und Saegen vermischen sich mit dem Gezeter des um seinen Mittagsschlaf gebrachten Kleinkindes. An Fernsehen ist bei dem Stress nicht zu denken.

Auch Mrs Mousemaker hat den Laerm gehoert und kommt neugierig ueber den Rasen. Sie ist eine tomatenrote Mittvierzigerin und traegt Sandaletten mit gruenen und silbernen Streifen.

"Wie kalt es geworden ist", meint sie.

"Ja Wahnsinn", sagt Gretchen. "Entschuldige BITTE, Elli, bei uns sind die Handwerker im Haus, ich kann es nicht aendern."

"Oh, nichts dabei, von drueben hoert man es kaum. Ich bin nur gekommen, weil ich so neugierig bin."

"Ja aber wirklich, der Laerm ist kaum auszuhalten. Jerry hat sich schon beschwert. Nachdem er jetzt auf dieser Elite-Highschool ist, braucht er unbedingt nachmittags Ruhe zum Lernen. Manchmal denke ich, wir haetten ihn auf die Public School schicken sollen, da waere manches einfacher. Aber seine Lehrer waren strikt dagegen. Ein Junge mit seinen Faehigkeiten waere dort total unterfordert, haben sie gemeint, und der Direktor hat sich so fuer ihn ins Zeug gelegt, da mussten wir jasagen."

Mrs Mousemaker kennt die Geschichte zu genuege, und da Gretchen ihr nicht anbietet, die Baustelle zu besichtigen, verabschiedet sie sich bald wieder.

So gehen die Stunden dahin, die drei Hispanos schuften und kommen maechtig ins Schwitzen. Von Zeit zu Zeit uebertoent Dominguez' zorniges Schreien den Baulaerm. Gretchen denkt sich nichts dabei. Solange gearbeitet wird, ist alles in Ordnung, glaubt sie.

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Waehrend Arti entspannt und erschoepft mit dem Kopf an der Bettkante lehnt und sich seine Gefaehrtin fuer den naechsten Kunden fertig macht, klopft es an der Tuer. "Wir sind soweit", rufen die Kollegen. "Wie siehts bei dir aus?"

Wollenburst aber hat noch nicht genug, wie gesagt, er ist seiner nimmersatten Neigung voellig schutzlos ausgeliefert; und ihm sind vorhin noch zwei andere aufgefallen, ganz suesse Luder, wenn die jetzt frei waeren ... Und die, die Heri sich ausgesucht hatte, die will er auch noch ausprobieren ...

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Irgendwann erscheint Dominguez bei Gretchen in der Kueche. Er bewegt sich vorsichtig und auf Struempfen; er ist bis zur Haarspitze mit Moertelspritzern bekleckert.

"Telefon?" fragt er. "Hier nicht funktionieren" und weist auf sein schmutzfleckiges Handy.

Sie zoegert. Dann holt sie das neue und elegante schnurlose Digi-Tel aus dem Wohnzimmer. Schuldbewusst waehlt er eine Nummer und seufzt dann, stoehnt schwer auf, als sich nicht sofort jemand meldet. Kurz darauf redet er in Spanisch auf den Telefonhoerer ein, immer heftiger und gestikulierend, nachgerade verzweifelt, offensichtlich versucht er, seinen Gespraechspartner von etwas wichtigem zu ueberzeugen.

Als er fertig ist, sagt er matt grinsend zu Gretchen: "Kollege gleich vorbeikommen. Viel von Tueren verstehen", zwei Saetze, die bei ihr auf einmal gewisse Befuerchtungen ausloesen ... Er will an ihr vorbei in den Keller schluepfen, da nimmt sie schnell die Schuerze ab und fragt resolut: "Darf ich mitkommen?, ich meine, sehen wie weit Sie sind?"

"Ja freilich, du schauen, wenn du magst", sagt er jovial bis herablassend, und so folgt sie ihm die Treppe hinunter und kann schon auf halber Hoehe das Ausmass des Desasters erkennen. Die Gipswand haben sie einigermassen hingekriegt, doch Tuer und Rahmen gehen offenbar nicht zusammen; der Tuerstock folgt keiner geraden Linie, und die neue Tuer haengt in einem voellig absurden Winkel in den Angeln, und schwankt bedrohlich, weil das Talent dabei ist, unermuedlich auf den Rahmen einzuhaemmern.

"Aufhoeren", schreit Gretchen und hebt die Hand. Und da hoert mit einem Mal der ganze Krach auf.

"Was du?" fragt Dominguez von hinten, waehrend das Talent sie mit leeren braunen Augen anstarrt.

"Ja, seht ihr denn nicht", ruft sie entruestet und zeigt auf zwei Risse in der Gipswand, "dass eure ganze schoene Konstruktion gleich zusammenfaellt, wenn ihr weiter so darauf herumkloppt."

"Du keine Sorge", sagt Dominguez, "wir das hinkriegen." Von ein paar Rissen laesst er sich nicht irritieren.

"Du sicher?" vergewissert sie sich unglaeubig.

"Ja freilich, no problem. Wir das hinkriegen. Du keine Sorge." -

Eine Stunde spaeter steht ein kleines Kerlchen an der Auffahrt, noch kleiner als Dominguez, und irgendwie fettig, der Mann sieht aus, als sei er in ein Schmalzfass gefallen. Er versucht sich auf Spanisch mit ihr zu verstaendigen; doch sie winkt ihn gleich zur Hintertreppe, wo Dominguez eben auftaucht und ihn hoffnungsvoll begruesst.

Ergeben kehrt Gretchen in ihre Kueche zurueck. Sie horcht. Eine Weile herrscht Stille. Offenbar untersucht der Neuankoemmling, was seine Kollegen angerichtet haben. Dann erschallt dasselbe kopfschmerz-verursachende Haemmern, das sie schon kennt; und als dieses wenig probate Mittel anscheinend wieder nicht anschlaegt, wiederum Stille. Aber dann.

Im Keller entsteht ploetzlich ein kreischender Laerm, der alles uebertrifft, was sie jemals gehoert hat, nicht mal waehrend des Tornados in Illinois vor drei Jahren hat sie sowas gehoert; ein Droehnen, dessen Wucht und Frequenz sich mit jeder Sekunde noch zu steigern scheint; und als sie sich auf den Weg in den Keller macht, um der Sache auf den Grund zu gehen, stiebt ihr schon im Flur eine dichte Wolke stinkenden schwarzen Rauches entgegen, der ihr den Atem verschlaegt, und sie denkt, jetzt ist es aus, wo sind die Kinder?

"Herr Dominguez", bruellt sie. "Sind sie da unten?"

Schritte auf der Treppe. Gleich darauf taucht sein aschgrauer Kopf im Nebel auf. "Was du?" fragt er ungeduldig.

Sie laesst sich von ihm aber nicht vertreiben, sondern schiebt ihn wortlos zur Seite und tastet sich die Treppe hinunter. Unten steht sie ploetzlich den anderen Maennern gegenueber. Der kleine Fettige schwingt eine furchteinfloessende, funkenspruehende Kreissaege, mit welcher er einen Metallbeschlag intensiv bearbeitet, der zu weit in die Tueroeffnung ragt.

Als sie Gretchens ansichtig werden, halten sie unschluessig inne und blinzeln unschuldig. Oh nein!, denkt sie, die scheinen hier echt alles zu vermurksen. "Was hier lossein?" fragt sie unheilschwanger. Sie wuerde die Mexe gern zur Rede stellen, weiss aber, wasimmer sie sagt, die Tuer wird dadurch nicht besser in den Rahmen passen; die Leute geben ihr bestes (wenn auch ihr bestes bei weitem nicht ausreicht). Ueberhaupt ist zweifelhaft, ob diese Machos ihr Geschimpfe ernst nehmen wuerden.

Ja, wenn Arti jetzt da waere! Der wuerde ihnen schon den Kopf waschen ... und ihnen in aller Ruhe einiges erklaeren; auf Schadenersatzansprueche hinweisen und so Zeug. Ihr aber faellt nicht mehr ein als ein hoefliches "Bitte arbeiten sie vorsichtig!", damit die Idioten nicht noch mehr kaputt machen.

Da faellt ihr Blick auf eine zersprungene Fliese. Auch das noch, die Fredies demolieren den ganzen Keller! Sie moechte am liebsten aufheulen.

Die Hispanos behaupten im Chor, die Fliese haette bereits einen Sprung gehabt; und sie sind in der Mehrheit, was soll man da machen? Also wiederholt sie nur "Bitte seien sie vorsichtig!", wobei sie versucht, moeglichst viel Strenge in ihre Worte zu legen, und laesst dann Dominguez vorbei und geht resigniert wieder hoch. Die Rauchwolke hat sich inzwischen in der ganzen Wohnung verteilt, es stinkt wie die Pest, und, auch das noch!, Russteilchen legen sich als schwarzer Film auf alle Moebel und Teppiche. Schnell reisst sie die Fenster auf.

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Arti hat alles Noetige bekommen und mehr gegeben, als gebraucht wird. Er steht auf der Strasse und wartet auf sein Taxi. Er ist muede und will schnellstmoeglich zurueck ins Hotel. Verlassene Gegend, denkt er. Vor zwei Stunden noch Trubel, jetzt tote Hose. Ihm ist ein bisschen mulmig zumute, hier so allein in der Dunkelheit herumzustehen. Johannesburg hat mit die hoechste Verbrechensrate.

Zum Glueck kommt jetzt das Taxi und bringt ihn zurueck ins Hotel. Er schlaeft schnell ein. Leider quaelt ihn ein Alptraum.

Er befindet sich allein auf einer stockdunklen Strasse. Es ist so finster, dass er den Weg nicht erkennt. Er verlaeuft sich und hat das Gefuehl, im Kreis zu gehen. Da hoert er Schritte von hinten, die auf einmal schneller werden, sehr schnell, und bevor er sich umdrehen kann, legt jemand von hinten einen schweren Arm so fest um seinen Hals, dass er keine Luft mehr bekommt, und drueckt ihm etwas Kaltes, Hartes schmerzhaft ins Kreuz.

Er weiss, dass ihn der Raeuber ebensogut kaltmachen kann, sobald er hat, was er will. Trotzdem holt er die Brieftasche vor und haelt sie ihm hin. Die Tasche ist leer (kein Wunder, nach all den Ausschweifungen). Der Raeuber wird wuetend und wuergt ihn. Arti wehrt sich verzweifelt. Es gelingt ihm, sich umzudrehen, aber er kann das Gesicht seines Peinigers nicht erkennen, es verschwimmt in der Dunkelheit. Schweissgebadet wacht er auf.

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Spaetabends irgendwo in Amerika. Dominguez parkt den Pick-up auf dem Seitenstreifen. Er ist zufrieden; immerhin hat die Alte Geld rausgerueckt, zwar nicht die ganzen 3000, aber immerhin. Da kennt er ganz andere Kunden, die werden ploetzlich penibel, wenn's ans bezahlen geht. Und die Frau haette wahrlich genug Gruende gehabt, ihn ohne Geld nach weg zu schicken.

Na egal. Er weiss, was seine mueden Angestellten jetzt brauchen. "Ok", sagt er, "jeder von euch hat 12 Stunden gearbeitet, bei 2 Dollar 50 die Stunde macht das 30 Dollar."

"Aber Chef, das waren mindestens 15 Stunden", wagt sich der Fettige vor, und das Talent unterstuetzt ihn. Sie haben genau gesehen, wie Gretchen Dominguez zwei Mille ruebergeschoben hat, zoegernd zwar, aber sie hat's getan, der vielen Maengel zum Trotz. Der Chef macht zwei Mille und uns speist er mit 30 Dollar ab, denken sie.

Dominguez findet, seine Mitarbeiter nehmen sich allmaehlich zuviel heraus. "Was ihr Saftsaecke", bruellt er los. "Was denkt ihr euch eigentlich? Bin ich der Chef oder was? Was habt ihr nicht alles von mir bekommen? In Wahrheit bin ich euer Wohltaeter. Oder glaubt ihr, ihr wuerdet anderswo Arbeit finden, solche Flaschen wie ihr, die will doch keiner. Heute zum Beispiel, ihr habt doch alles verpfuscht heute, dafuer duerfte man euch gar kein Geld geben, bezahlen muesstet ihr noch dafuer. Aber hier, ich bin grosszuegig, nehmt eure 30 Dollar und verschwindet."

Die Mitarbeiter sehen ziemlich verstoert aus, sie fuerchten tatsaechlich, dass er sie aus dem Auto wirft.

Doch Dominguez wuetet weiter, er laesst sich nicht irritieren; wenn er erst mal in Fahrt ist, kann ihn so leicht keiner bremsen. "Besonders du", wendet er sich an den Schmalzdackel, er weiss, von dem Anderen wuerde kein Widerstand kommen. "Du musst reden! Du hast heute gar nichts geschafft. Bist hergekommen und hast die Tuer nur noch weiter demoliert. Und die Fliesen kaputt gemacht. Hast uns total blamiert. Wie steh ich jetzt da? Die Frau wird wahrscheinlich Schadenersatz fordern. Wir koennen froh sein, dass sie uns ueberhaupt was gegeben hat, fuer diese unsolide Arbeit. - Also hoert zu. Es waren hoechstens 12 Stunden, da bin ich noch grosszuegig. Schliesslich habt ihr auch Pausen gemacht. 30 Dollar, das ist das aeusserste; mehr ist nicht drin, hoert ihr. Und Basta."

Sein Sohn hat die ganze Zeit stumm danebengesessen. Er hat solche Lektionen nicht noetig.

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Arti atmet tief durch. Er ist eben erst nach Hause gekommen. Die Schalenkoffer stehen noch im Flur bei der Anrichte. Frustriert besieht er die Hinterlassenschaft der Handwerker.

"Das kann doch nicht wahr sein", ruft er und zieht die neue, bedenklich schleifende Kellertuer auf und zu, "alles vermurkst, und keine Moeglichkeit zur Reklamation."

"Die werden sich schon noch mal melden", sagt Gretchen. "Die wollen ja noch 1000 Dollar von uns."

"Das glaubst du doch selbst nicht, dass die sich noch mal melden. Die sind mit 2000 Bucks doch bestens bedient. Die werden nicht wiederkommen."

"Sie haben gesagt, wenn irgendwas ist, sollen wir uns melden. Sie wuerden dann vorbeikommen und nachbessern."

"Nachbessern-ha! Schau dir das an, das ist doch alles schon fest, das glaubst du doch selbst nicht, dass man den Scheiss so leicht wieder rausreissen kann."

"Hoer bloss auf, mir Vorwuerfe zu machen!"

"Schau dir doch die Seite an, hier bei der Tuer. 2000 Dollar, und diese Kanaken sind nicht in der Lage, eine gerade Linie zu ziehen."

"Du haettest dir ja Urlaub nehmen und sie beaufsichtigen koennen", sagt Gretchen spitz. "Aber der Herr zieht es vor, sich in suedlichen Gefilden zu vergnuegen."

"Red keinen Unsinn, du weisst, diese Reisen gehoeren zu meiner Arbeit dazu."

"Was ihr schon 'arbeiten' nennt! Wie macht es denn dein Kollege Dinkelbrod? Der kann das doch auch. Der sagt: ich habe Familie und schickt meistens Vertreter auf Dienstreise; hast du mir selber neulich erzaehlt."

"Ja! Und ist in der ganzen Abteilung verrufen. Waer' dir das recht, wenn ich so eine Aussenseiterrolle haette? Ja? Waer' dir das recht?"

"Lieber als so auf jeden Fall, wo du nie zu Hause bist, und alles mir ueberlaesst."

"Was heisst hier alles? Du haettest denen nur sagen muessen: so nehme ich Euch die Wand nicht ab, und die Bezahlung verweigern, bis es anstaendig gemacht ist. Aber du, wir haben's ja, kannst es gar nicht abwarten, mein Geld auszugeben, und wirfst es ihnen gleich hinterher." Und dann holt er zum grossen Rundumschlag aus: "Das ist genau dasselbe wie mit der Putzfrau. Die kommt dreimal die Woche und kassiert ihr Geld, und wenn man in die Ecken guckt, ist immer noch alles dreckig, weil du nicht in der Lage bist, sie richtig zu beaufsichtigen."

"Oh du Scheusal", schreit sie. "Ich koennte dich umbringen", und rennt aus dem Keller, wobei sie die Tuer zuknallt, dass es ordentlich scheppert und der Gips gleich noch einen Riss bekommt.

Arti steht allein im Keller. Er weiss, er ist ungerecht, immerhin hat sie Dominguez 1000 Dollar abgezogen; aber er steigert sich in seine Raecherrolle hinein, und kommt im Moment nicht davon los. Vielleicht liegt es am uebermaessigen Sexualgenuss der vergangenen Tage, denkt er. Morgen wird er sie um Verzeihung bitten.


© Copyright: B. Lampe, 1995

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