Wann essen wir heute?
Grosse-Heitmeyer drueckt auf den Knopf. Langsam oeffnet
sich das automatische Gatter und der Wagen des Viehhaendlers
setzt sich in Bewegung. Grosse-Heitmeyer winkt ihn an die
Rampe. Nachdem Borchert ausgestiegen ist, begruessen sich
die Maenner mit Handschlag und gehen zum Maststall, einem
riesigen Scheunengebaeude mit Tausenden Schweinen.
"Wie ihr euren Laden ausgebaut habt. Ich staune", sagt der Haendler.
"Ja, ist recht ordentlich geworden. Und wirklich praktisch. Wir haben
weniger Arbeit als vorher, wo wir nur die Haelfte Tiere hatten.
War aber auch nicht ganz billig."
"Hast dich schwer verschuldet, eh?"
"Halb so schlimm. Die EU ist mir beigesprungen. - Die
ueberlegen sich jedes Jahr was Anderes.
"Typischer Beamtenverein. Da weiss einer nicht, was der
andere tut."
"Vorletzten Sommer gab es
angeblich noch zu viele Schweine, und sie haben uns gedraengt, den
Laden dichtzumachen. Und ploetzlich bieten sie Ausbauhilfen.
Das musst du dir mal vorstellen."
"Fuer euch hat es sich jedenfalls gelohnt."
"Vorausgesetzt, sie schwenken nicht wieder um; dass wir
auf unseren Schweinen sitzenbleiben, mein ich."
"Kann alles noch kommen."
"Wenn die Oeko-chaoten sich durchsetzen. Na, du hast keine
Probleme damit. Irgendwelche Viecher wirst du immer zum
Schlachthof fahren."
"Ja, mich brauchen sie immer", freut sich Borchert. "Aber du,
die Gruenen werden sich nie durchsetzen. Wie die sich das vorstellen,
kann man kein Fleisch in grossen Mengen produzieren."
"Die glauben doch selbst nicht an ihre Vorschlaege."
"So ist es; die wollen damit nur Waehler fangen."
"Bei uns ist alles haarscharf kalkuliert, sage ich dir. Wenn die
Fleischpreise nur ein paar Cent fallen, sind wir am Arsch."
"Bei mir ist es doch genauso. - Aber irgendwo auf dem Weg in den
Laden, da wird ordentlich aufgeschlagen. Meine Frau muss fuer
ein Kilo Rindfleisch 12 Euro hinlegen."
"Was ist das denn? Spinnst du?" Grosse-Heitmeyer aergert sich
ueber eines der Schweine, die sich um das Futter balgen, das
automatisch aus der Mastanlage geflossen ist. "Schau dir
das aggressive Vieh an, Mensch ich werde dich gleich!
Die anderen nicht ans Futter lassen." Er greift nach
einer Forke und schiebt das laut quiekende Schwein nach hinten.
Es draengt sich aber gleich wieder vor. Da schlaegt ihm
Grosse-Heitmeyer mit voller Wucht gegen den Schaedel.
"Jetzt hast du genug, was", brummt er befriedigt.
"Sollst die anderen auch mal ranlassen."
Und zu Borchert: "Die musst du gleich mitnehmen. Die
anderen auch. Habe ich bereits fuer dich ausgesucht."
"Und wie siehts mit Schwarzarbeit aus?" will Borchert wissen.
"Ich habe gehoert, der Kronewinkel hat ueber die Haelfte von seinem
neuen Stall schwarz machen lassen."
"Das moecht's du wohl gern wissen, wie", grinst Grosse-Heitmeyer.
"Aber naeh, bei uns gibt's das nicht, bei uns ist alles legal."
"Naja. Schon gut. Brauchst nicht gleich beleidigt zu sein."
"Aber du, dir scheint es auch nicht so schlecht zu gehen."
Er nickt zu dem riesigen chromglaenzenden Lastwagen
hinueber. "Schon wieder ein Neuer?"
"Ja, wir sind auch gewachsen, trotz der schlechten Lage. Weil der
Umsatz stimmt. Die meisten wollen heute jeden Tag Fleisch auf
den Tisch, am besten morgens, mittags und abends. Fleisch schmeckt
den Leuten eben. Sonst haettest du gar nicht erweitern koennen."
"Ich habe gehoert, ihr bringt die Tiere jetzt bis nach Italien."
"Da setzen wir meist die alten Wagen ein, weisst du,
in Italien wird viel geklaut und so, da will ich nichts riskieren.
... Du sag mal, was mir auffaellt, was ist eigentlich mit denen
da hinten los."
"Ja wo? Ach du meinst die."
"Ja die drei da hinten. Ich meine, hier vorne, die sind ja ganz
kregel, aber dahinten ... dass die mir auf der Fahrt man nicht
umkippen."
"Ja, denen geht es nicht so gut, die muessen schnell weg.
Vielleicht koennen wir es wie letztes Mal machen, unter den
gleichen Bedingungen, das heisst, die rechnen wir anders ab, wie
gehabt ..."
"Mmh. Ich muss nur sehen, wie ich sie praesentiere. Am Vet vorbei.
Schwierig. Ich meine, die sehen ziemlich krank aus, muss ich schon
sagen. Wenn die anderen wenigstens richtig was hermachten. Aber so
toll ist das alles nicht."
"Jetzt hoer aber auf. Die anderen sind spitze gemaestet, und
das weisst du auch. Genau richtig. Nur bei den dreien, da stimm ich
dir zu, da stimmt was nicht. Kannst du ihnen fuer die Fahrt
nicht was geben, du hattest doch mal dies Zeug, Karacho oder
wie das hiess. Die Mittelchen, die mir mein Tierarzt erlaubt,
habe ich alle schon ausprobiert."
"Karacho ist streng verboten. Da war erst neulich wieder ein
Schreiben."
"Ich weiss. Aber im Blut ist es schwer nachweisbar."
"Es ist zu riskant. Warum hast du Ihnen kein Chlorbenzophydrin
geben?"
"Das kriegen sie doch schon die ganze Zeit. Es hilft nichts.
Mensch, was soll ich bloss machen. Soll ich sie etwa hier auf dem
Hof verbuddeln? So komme ich nie aus den roten Zahlen. Bitte
Guenter, ich weiss, du hast das Zeug, ich erlasse dir 50 Euro,
wenn es das ist."
Grosse-Heitmeyers Tochter Heike kommt aus dem Haus, eine aparte
Jungbaeuerin mit Minirock und hochhackigen Sandalen.
"Ich fahre gerade mal in die Stadt", ruft sie
und schwenkt den Autoschluessel, um Borchert zu gruessen.
Sie setzt sich in den Benz, wendet in einem riskanten Manoever
und braust davon. Die beiden Maenner blicken ihr nach.
Das Leben auf dem Land ist echt anders geworden, denkt
Borchert. "Wir brauchen auch dringend ein neues Auto", sagt er.
"Aber der Osterfeld" - er meint den lokalen Mercedeshaendler - "ist
schweinisch teuer. Und laesst ueberhaupt nicht mit sich
handeln. Beim letzten Mal habe ich mir geschworen, bei dem
kaufe ich nicht mehr."
"Der Wagen ist nicht von Osterfeld. Re-import.
Mensch, du kaufst doch dauernd Autos, muesstest dich doch
auskennen."
"Wo ich meine Laster herkriege, die geben sich mit PKW nicht ab."
"Der Redecker sitzt in dem neuen Gewerbegebiet in Gelsenbeck.
Ist ein ganz kleiner Laden. Hat kuerzlich erst aufgemacht und
praktisch nichts zum Vorfuehren. Aber der Wagen war ueber
5000 Euro billiger als bei Osterfeld."
"Da siehst du's. Wenn wir das neue Gewerbegebiet nicht haetten!"
"Und wenn wir den Meyer nicht haetten, gaeb's das neue
Gewerbegebiet nicht. Der Schirrnagel hat damals so dagegen
gewettert, es wuerde die alteingesessenen Firmen beschaedigen,
und was er sich alles herkriegte."
"Also, ich waehle diesmal wieder frei. Der Schirrnagel hat mir
noch nie zugesagt, und der neue, den sie jetzt aufgestellt haben, ist
mir sowieso zu jung. Wie heisst er noch."
"Ach, der ... der Lengefeld."
"Der wohnt erst fuenf Jahre im Dorf und will schon Buergermeister
werden. Was sich die dabei denken? Der kennt unsere Gepflogenheiten
doch ueberhaupt nicht!"
"Angeblich hat er viel Erfahrung, weil er
Beamter bei der Kreisverwaltung ist."
"Ach, was soll das schon heissen. In der Gemeinde geht es anders zu
als auf der Kreisverwaltung."
"... soll so ein bisschen unflexibel sein, habe ich gehoert. Der
Auer wollte sich irgendwo niederlassen, du weisst schon, der
Baustoffhaendler, und da hat sich der Lengefeld angeblich so
angestellt, Genehmigungen verzoegert und so weiter. Mit Beamten
ist das immer sone Sache."
"Der Meyer ist auch Beamter, aber er macht seine Sache ganz gut,
finde ich."
"Die Politiker kommen doch alle aus dem oeffentlichen Dienst. Faengt
bei der Kommunalpolitik an und setzt sich in die hoechsten
Raenge fort."
"Da muss ich dir recht geben."
"Mensch, wer hat denn sonst Zeit, den halben Tag auf Sitzungen
herumzuhocken. Wohin du guckst, CDU, SPD, alles
Beamte. Bundeswehr, Lehrer und so."
"Die wissen eben, wo die Trauben haengen. Und haben die
Zeit, sie zu pfluecken. Unsereins ist ja Tag und Nacht
am Arbeiten."
"Die Beamten sind auch die einzigen, die sich beurlauben lassen
koennen und hinterher problemlos in den alten Job zurueckkommen."
"Meist sogar hoeherdotiert. Wie der Hinrichs von der FDP.
Kennst du den?"
"Nein."
"Nachdem er sein Landtagsmandat verloren hatte, brauchte er nicht
wieder als Lehrer anzufangen. Den hat das Schulamt gleich als
Schulrat uebernommen."
"Dagegen der Albersmeyer!"
"Ja, war ein ganz schoener Absturz, als der sein Mandat
verloren hat. Er hat monatelang nach einer neuen Stelle gesucht."
"Obwohl, ganz hart gefallen ist er nicht. Hinterher haben sie
ihn bei den Stadtwerken untergebracht."
"Politiker fallen immer auf die Fuesse. Die versorgen
sich gegenseitig. Mit einem normalen Arbeitslosen konntest
du den Albersmeyer nie vergleichen. Der ist viel zu agil."
"Hoer mir bloss mit Arbeitslosen auf, ich kann es nicht
mehr hoeren, sind doch alles faule Aersche,
der Effenberg hat schon recht. Nur die meisten Politiker
trauen sich nicht, das zu sagen. Arbeitslose sind
auch Waehler."
"Mensch hoer auf, ich mag gar nich nachdenken, was denen
alles in den faulen Arsch geschoben wird, und was wir
uns hier kruemmen muessen."
"Und wenn du mal Leute zur
Aushilfe brauchst, findest du keine, weil die lieber
Stuetze kassieren und vor dem Fernseher Daeumchen drehen."
"Und wenn du wirklich einen anstellst, die taugen alle
nichts. Sind der Arbeit entwoehnt, allein schon
das fruehe Aufstehen macht denen Schwierigkeiten.
Mensch, wenn ich es in Deutschland zu sagen haette ..."
"Du warte mal, hoerst du das? Die Futtermaschine stottert.
Ich muss eben mal nach hinten, wahrscheinlich hat sich da
wieder was reingesetzt. Das liegt nur an diesem Scheiss
Billigfutter."
"Ihr Bauern solltet euch auch mal politisch
betaetigen", sagt Borchert, als Grosse-Heitmeyer
zurueckkommt. "Dann haettet ihr nicht so viel
Grund zur Beschwerde, koenntet in Bruessel oefter mal
auf den Busch klopfen, wenn du weisst was ich meine.
Wie waers ueberhaupt mit dir, du gibst bestimmt keinen
schlechten Politiker ab."
"Nein, das ist nicht mein Ding, in Versammlungen herumzusitzen. Beim
privaten Stammtisch fuehl ich mich wohler. Da geht es lockerer zu, da
kann man Mensch sein, muss nicht dauernd auf irgendwelche Vorteile
schielen. - Aber wie ist es mit dir, du bist doch redegewandt, und
die Viehhaendler brauchen auch eine Lobby."
"Ach komm, Rudi, jetzt willst du mich veralbern. Ich bin im Vorstand
vom Tennisverein, da hab ich schon reichlich zu tun."
"Der Schwarz tuts ja, der macht in Politik", sagt
Grosse-Heitmeyer nachdenklich.
"Aber der wird nie an der Spitze irgendeiner Liste stehen, dazu ist
er nicht pfiffig genug."
"Das glaube ich auch nicht. Die Beamten sind ihm ueber.
Ihm fehlt die Gewandtheit. Wenn du den ganzen Tag an
der Maschine stehst, kannst du abends keine
grossen Reden halten. Uebrigens", wechselt er das
Thema, "die kleine Dittel hat geheiratet."
"Das weiss ich. Wir waren doch bei der Hochzeit. Der Schwiegersohn
ist ganz ordentlich. Obwohl er aus Otterdingsen kommt. Der Dittel hat
ihn vorher auf Herz und Nieren geprueft, kann ich dir sagen, der
musste ganz schoen ran bei der Ernte."
"Ich war gestern beim Dittel. Mich hat nur gewundert,
die ist doch noch ziemlich jung, 16 oder 17, aelter kann
die doch nicht sein", und als Grosse-Heitmeyer darauf nichts
sagt: "Und die Riemenschneiders lassen sich scheiden."
"Du ehrlich? Das ist mir neu." Grosse-Heitmeyer staunt, das
hat er nicht gewusst. Er will sich aber keine Bloesse geben und
meint: "Ehrlich gesagt, wundern tut mich das nicht, die Frau hat
einfach zu viel Power, zuviel Pfeffer unterm Hintern, das habe ich
schon immer gedacht, die kann einer allein nicht baendigen, und der
Mann, das ist doch so ein typischer kleiner Bankangestellter."
"Der in der Bank nicht vorankommt."
"Genau. Sie hat die Karriere gemacht, und das konnte
er wahrscheinlich nicht aushalten."
"Sie hat auch schon einen neuen. Soll bei der Zentrale
in Neustadt arbeiten."
"Nein ehrlich? Was du alles weisst. Unsereins wohnt direkt an der
Quelle und kriegt von alldem nichts mit. - Und? Was sagt der
Bankvorstand dazu?"
"Der laesst sie gewaehren, das laeuft heutzutage anders als frueher."
"Ein scharfes Weib, muss ich schon sagen,
ich bin oefter bei ihr, wegen dem Kredit fuer die Scheune.
Immer hoeflich, extrem hoeflich, und immer bestens angezogen.
Da schaemt man sich fast, wenn man mit Stallgeruch hingeht."
"Anscheinend wohnen sie noch immer zusammen ..."
"Ganz schoen was los in unserm luetten Dorf, muss man schon
sagen", wiederholt Grosse-Heitmeyer. Vor ihm im Geiste
entsteht das Bild der drallen, resoluten Filialleiterin."
Eine Sekunde halten sie inne. Sie ahnen, unter der Oberflaeche
ihrer Alltagsexistenz liegt ein Abgrund, mit dem sie nicht umgehen
koennen. Es brodelt dort, und eine seltsame Musik wird gespielt.
Die Baeuerin kommt aus dem Haupthaus und winkt dem Viehhaendler
zu. In der Rechten haelt sie ein fluegelschlagendes Wesen und geht
damit zielstrebig zu einem Holzblock, auf dem sie ein Beil zurecht
gelegt hat.
Sie ist eine staemmige Person mit breiten, sonnengegerbten Zuegen,
die durch bestaendige koerperliche Arbeit bis zum Nacken hinauf
ueberall Muskeln besitzt, und kann auch mit Puten, Gaensen oder
gar Straussen fertigwerden. Das Huhn ist ihre leichteste Uebung.
Es ist ein schoener Tag. Ueber dem ganzen weitraeumigen Hofgelaende
liegt eine schwere, laszive Sommersonne. Dem Huhn ist vor Angst und
Schmerzen ganz schwindlig, die Baeuerin hat ihm mit ihrem festen
Griff eine Zehe gebrochen.
Sie hebt das Beil, wobei sie den Kopf des sich verzweifelt
straeubenden Tieres geschickt auf den Holzblock manoevriert
und im selben Moment zuschlaegt. Dann laesst sie den aus dem
Halse blutspritzenden Koerper zu Boden fallen, der noch eine
Zeitlang in irrem Stakkato herumtorkelt, bevor er ploetzlich
zusammenbricht.
Auch der Kopf ist zu Boden gefallen, er liegt direkt neben dem
Holzblock. Leblos wie ein seltener Stein liegt er da, die Augen
blicken ins Leere. Die Baeuerin bueckt sich, fasst nach dem Kamm
und wirft ihn in die Muelltonne.
"Wann essen wir heute?" ruft ihr Mann. Dann beginnt er
mit Borchert ueber die Preise zu feilschen.
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