Arm
und Reich
I.
Im Fruehjahr 1977 machte der junge Finanzinspektor
G.
eine schwierige Zeit durch. Seine 2 Jahre aeltere
Freundin,
die er liebte und gern geheiratet haette, drohte ihn
zu verlassen.
Er zaehlte seit kurzem 28 Jahre und hatte das dringende
Gefuehl, dass er so bald keine Frau mehr finden wuerde,
sicherlich keine, die ihm so gut gefiel wie Mona.
Waere er
10 Jahre aelter gewesen, so haette er zu dem Thema
vielleicht
eine andere Meinung gehabt, aber im Moment war er
total
ungluecklich. Er hatte alles versucht, sie zurueckzugewinnen,
und dabei bemerkt, dass sie sich keinen Deut um ihn
und seine
Gefuehle scherte. Sie ging weder auf Vorwuerfe noch
auf Liebesbeschwoerungen ein, sondern hatte einfach die letzten
Verabredungen abgesagt, mit fadenscheinigen
Begruendungen, vor allem sei sie im Moment
aller Maenner ueberdruessig und wuerde sich lieber
mit
ihren Freundinnen treffen. Die Beiden hatten keine
gemeinsame
Wohnung, und die Beziehung war nie so eng gewesen,
dass sie einander wirklich nahe waren, so dass
er gegen ihren Rueckzug nichts in der Hand hatte.
Man kann sich wahrscheinlich in G. nur hineinversetzen,
wenn man selber einmal in so einer Situation gewesen
ist.
Der eine Partner versucht, sich den anderen vom Leib
zu
halten, waehrend dieser in die fixe Idee einer
einzigartigen Liebe verrannt ist, naechtelang nicht
schlafen kann und sich tagsueber mit seiner Bueroarbeit
notduerftig ablenkt. In seinen Traeumen konnte sich
G.
nichts Schoeneres vorstellen, als mit Mona eine Familie
zu gruenden; mit ihrer kleinen, 4jaehrigen Tochter
Susanne
verstand er sich blendend.
G. hatte Mona ein Jahr zuvor in einer
dunstigen Altstadtkneipe, dem 'Frosch',
kennengelernt, in die er sich eines Abends mit
einem befreundeten Ehepaar gesetzt hatte. Jan und
Iris
fuehrten ein Fotogeschaeft, das Jan von seinem
Vater geerbt hatte, und hatten sich mit ihren gut
30 Jahren
in einer gutbuergerlichen Existenz eingerichtet. G.
war
damals - wie eigentlich immer in den letzten 10 Jahren
-
auf der Suche nach einer Freundin und die beiden
hatten monatelang erfolglos versucht, in ihrem
Bekanntenkreis fuer ihn eine Frau zu finden.
Schliesslich hatten sie es aufgegeben und trafen sich
meistens im 'Frosch'.
So sassen sie an einem der grossen ungehobelten Tische
bei Kerzenlicht vor ihren Bierglaesern und unterhielten
sich
ueber den Sommerurlaub, den sie gemeinsam verbringen
wollten.
Weiter hinten an der Theke spuelte der Wirt in grellem
Licht seine Glaeser. Die Kneipe war in der letzten
halben Stunde ziemlich voll geworden und dichte blaeuliche
Schwaden reizten die Schleimhaeute. Die kleineren
Tische
waren alle besetzt, nur an den groesseren waren noch
Plaetze
frei. Waehrend der dichte Schnurrbart seines Freundes
auf ihn
einredete, bemerkte G., dass sich zwei junge Frauen
neben Jan
an den Tisch setzen wollten. Die Blonde mit dem Pagenschnitt
gefiel ihm auf Anhieb. Sie war eine jener vollkommenen
Schoenheiten, die nur die Kreuzung zweier Rassen hervorbringt.
Ihr Vater, den es als Kriegsgefangenen nach Deutschland
verschlagen hatte, stammte aus Serbien. Er hatte ihre
Mutter
1946 in einer Grosskueche kennengelernt und sie kurz
darauf
geschwaengert. Das Produkt dieser Liebe war heute
eine mittelgrosse Frau mit regelmaessigen Gesichtszuegen,
in denen zwei hellblaue Augen wie leuchtende
Seen strahlten. Im Vergleich zu ihr war
die andere Frau - nur die Freundin.
Jan taxierte die Beiden. Er warf einen schnellen Blick
auf G.
und begann, ohne gross zu ueberlegen, Mona und ihre
Bekannte ins Gespraech zu ziehen. Seine Frau stoerte
das
nicht weiter; sie ahnte, dass er hier eine Chance
fuer seinen
Freund G. witterte. Der schaetzte seine Moeglichkeiten
zunaechst aeusserst gering ein, aber als man deutlich
sah,
dass sich Mona ihm zuwandte, wurde er optimistischer,
und
der Abend endete tatsaechlich mit einer Verabredung
bei Jan und
Iris - und war so der Anlass fuer eine glueckliche
Sommerliebe
- und fuer unendliche Qualen im folgenden Jahr.
Wenn G. an Mona dachte, fielen ihm zuerst
die weichen warmen Lippen ein, die seinen Mund
ganz zart beruehrten, und die Augen, die sie dabei
offenhielt und ein unendliches Versprechen ausdrueckten.
II.
Das kurze Glueck wog sein derzeitiges Unglueck natuerlich
nicht
auf; aber das Leben geht weiter, und so traf es sich,
dass sein alter Schulfreund B. um die Osterzeit bei
ihm
anrief. B. war Soziologe und promovierte an der Berliner
FU.
Seine finanzielle Situation war ziemlich angespannt.
Im Gegensatz zu G. hatte er kein regelmaessiges
Einkommen und nur ungewisse Zukunftsaussichten.
Er bewohnte ein WG-Zimmer von 21 Quadratmetern
und die Mehrzahl seiner Moebelstuecke stammten
vom Sperrmuell. Doch war er ehrgeizig genug, seine
Arbeit
auf jeden Fall zu Ende bringen zu wollen, und schob
alle
Zukunftssorgen beiseite. Er hatte sich im Grunde an
seine
materielle Situation gewoehnt; denn die meisten seiner
Bekannten
waren nicht besser dran, und die Qualitaet einer
wissenschaftlichen Arbeit haengt ohnehin nicht
von der des Schreibtisches ab, an der sie verfasst
wird.
Zwei- oder dreimal im Jahr tauchte B. in der kleinen
Stadt auf, um seine Eltern zu besuchen und sich
mit alten Freunden zu verabreden. Er kam mit gemischten
Gefuehlen; denn seine Freude wurde durch nervende
Fragen
nach seiner Zukunft getruebt, die er aus Hoeflichkeit
nicht
zurueckweisen mochte.
G. erfuhr von B. am Telefon, dass er heuer nur wenig
Zeit
fuer ihn habe. Kurz darauf rief Mona an, die ihn zur
selben
Stunde sehen wollte. Da lud er B. ein, mitzukommen,
mit
dem Hintergedanken, die schlechte Stimmung aufzuhellen,
die sich neuerdings immer zwischen ihm und Mona einstellte.
B. war neugierig sie kennenzulernen, da G. staendig
von ihr redete.
Als sie in der Tuer erschien, war das fuer alle
eine grosse Ueberraschung.
"Nein sowas, wen hast du denn mitgebracht!" rief
sie, und G., der sofort zu begreifen meinte, fragte
misstrauisch, woher sie sich denn kennen wuerden.
"Och, wir sind alte Freunde", antwortete B.
und beeilte sich zu erklaeren, dass man sich sozusagen
schon im Sandkasten gekannt, dann aber aus den Augen
verloren haette. Er verschwieg, dass er von Mona
mindestens ebenso fasziniert war wie G. - und das
schon seit vielen Jahren. Die beiden waren
in derselben Siedlung grossgeworden, hatten
sich aber seit 10 Jahren nicht mehr gesehen.
Als Mona die Freunde jetzt in die Tuer liess, war sie
gut gelaunt. Die Wohnung, die sich im 3. Stock eines
groesseren
Mietshauses befand, war ganz anders als ihre Erscheinung
und oeffentliches Auftreten vermuten liessen, war
die Wohnung einer Mutter und ihrer Tochter,
in der - notgedrungen - manchmal ein Mann geduldet
wurde. Trotzdem konnte sich B. gut vorstellen,
dass sich G. bei Mona wohlfuehlte. Ihm waer's
nicht anders gegangen, zumal sie sich heute von
ihrer freundlichsten Seite zeigte und schnell auf
alte Zeiten
zu sprechen kam. Sie fragte ihn nach Eltern und Studium,
und B. erzaehlte bereitwillig, aber zunehmend mechanisch;
denn er erinnerte sich ploetzlich eines Ereignisses,
das
etwa 5 Jahre zuruecklag, und dass sowohl mit G.
als auch mit Mona in Beziehung stand ...
Als sie spaeter die Wohnung verliessen, kehrten
die Freunde im 'Frosch' ein. Auf der kleinen Buehne
spielte heute eine Zwei-Mann Band Gitarrenmusik, zu
der sich einige Paare auf der ebenso kleinen Tanzflaeche
rhythmisch bewegten. Sie gehoerten zu einer groesseren
Gruppe von Jugendlichen, die mehrere Tische zusammengestellt
hatte, an denen sie wie eine Traube hing. Die Jungen
trugen
lange Haare (was langsam aus der Mode kam),
T-Shirts und hellbraune Wildlederjacken, die Maedchen
Holzfaellerhemden oder Haekelpullover. Im 'Frosch'
konnten
sie ungestoert rauchen, trinken und die Joints kreisen
lassen.
Sie waren jung und locker und genossen die Freiheit.
Kaum war das Bier bestellt, begann G., B. sein Leid
zu klagen.
Der aber schnitt ihm das Wort ab: "Wie lange kennst
du Mona
eigentlich schon", fragte er harmlos.
"Das habe ich dir schon mehrmals erzaehlt", sagte G.
leicht
vorwurfsvoll. "Seit ungefaehr einem Jahr. Und der
letzte Sommer
mit ihr war auch ganz toll, nur leider ..." und wieder
wollte
er loslegen.
B. unterbrach ihn erneut: "Ist dir eigentlich klar,
dass du mit Mona frueher schon mal zu tun hattest?
...
zwar nicht direkt mit ihr, aber mit ihrem Ex-Freund."
"Nein, wieso?" G. war irritiert.
"Weisst du noch, wie wir vor 4, 5 Jahren mal spaetabends
durch die Stadt getigert sind und den teuren Porsche
gesehen haben? Du hast mir erzaehlt, dass
ihr den Fahrer spaeter auf deine Anzeige hin
der Steuerhinterziehung ueberfuehrt habt."
"Den Hanke? Ja, das stimmt, aber was hat das denn mit
Mona
zu tun?"
"Ich weiss noch genau, dass Mona damals neben ihm im
Wagen
sass! Ich bin mir ganz sicher, dass sie es war;
ich kenne sie ja gut, und ausserdem ist sie eine
umwerfende Erscheinung."
Dazu mochte G. nichts sagen. Auch er erinnerte sich
vage
an eine attraktive blonde Frau auf dem Beifahrersitz,
aber gewiss nicht an ihr Gesicht oder den Pagenschnitt.
Er vermeinte sich zu erinnern, dass die beiden im
Auto
recht intim waren, und jetzt stieg die ganze
alte Geschichte vor seinen Augen auf ...
III.
Die beiden jungen Maenner kannten sich seit vielen
Jahren.
Sie wussten, wie verschieden ihre Charaktere, Leidenschaften
und Ansprueche waren, und sie ahnten, dass sie eigentlich
wenig verband ausser einer eher zufaelligen Freundschaft
aus
der Schulzeit. Dennoch trafen sie sich manchmal abends,
um durch die Strassen der kleinen Stadt zu streifen,
tiefsinnige Gespraeche zu fuehren und - uneingestanden
-
sich nach Frauen zu sehnen.
Das Wetter war truebe. Es hatte geregnet.
Neben den Schuhen der Flaneure spiegelten sich die
Schaufenster in den Pfuetzen. Im einzigen Kino des
Ortes
warben die neuesten Kung-Fu Filme um Zuschauer.
Im Moment fehlte ihrem Gespraech der
rechte Elan. Beide waren mit den Gedanken woanders
und mit der Anwesenheit des Anderen unzufrieden.
So streunten sie an alten Laden- und Fachwerk-haeusern
vorbei
durch die Innenstadt und schauten in die hellen, reich
bestueckten
Schaufenster, in denen schon Weihnachtswaren lagen
und vom satten deutschen Wohlstand zeugten. B. war
von
all dieser Herrlichkeit zugleich fasziniert und abgestossen.
Als er sich abfaellig ueber die Wohlstandsgesellschaft
aeusserte, hielt es G. fuer angebracht, ein paar
Details aus seiner 'Praxis' zu erzaehlen:
"Wenn du wuesstest, wie schlecht es einigen von
den Laeden hier geht! Gerade vielen alteingesessenen
Familien
steht das Wasser bis zum Hals", sagte er.
B. mochte das gar nicht glauben - obwohl
es G. ja wissen musste. Sein Freund erging sich in
die
Faehrnisse der kleinen Haendler und
Unternehmer, die auch ihr Los zu tragen haetten.
Die Beiden kamen jetzt zu einem hell erleuchteten
Rondell, das nach rechts auf den Eingang
eines piekfeinen Restaurants fuehrte.
G. stolperte fast ueber die teuren Klinker,
mit denen der Halbkreis ausgelegt war. Da fiel
sein Blick auf ein Paar, das beschwingt aus dem Gasthof
kam.
Der Mann, in dem er Thomas Hanke (vom Textilhaus Hanke)
erkannte, hielt sein Jackett in der einen Hand, und
mit der andern die Taille einer Frau, die sich nun
von ihm loeste. Sie war unglaublich, jung und schoen,
mit einer herrlich langen blonden Lockenpracht.
Waehrend die jungen Maenner sie aus den
Augenwinkeln verfolgten, schlenderte das Paar
zu dem silbernen Porsche, der vorn links am Bordstein
stand.
G. schluckte; was er hier sah, wiedersprach seinen
vorherigen
Worten. Hanke's Geschaeft war eins mit der schlechtesten
Rendite am Ort! Woher hatte der Mann den Porsche?
(Und woher die Frau?) Im Weitergehen bekam er noch
mit,
wie Hanke sich ueber die Begleiterin beugte.
Dann war er vorbei und blickte schweigend nach vorn.
Mehr noch als der teure Wagen war es die Frau, die
ihn veranlasste, am naechsten Tag die Akte Hanke
herauszusuchen und mit einem Kollegen
von der Steuerfahndung ueber den Fall zu sprechen.
Dies Gespraech erwies sich fuer den
Textil-Haendler Hanke aeussert nachteilig; denn eine
unangemeldete Buecherpruefung brachte zutage, dass
er und seine Eltern den Fiskus seit Jahren systematisch
betrogen hatten. Das fuehrte zu einer Steuernachzahlung
von mehreren hunderttausend Mark, beinahe zum Ruin
des
Familienbetriebes, und insbesondere dazu,
dass Hanke auf eine andere Automarke umsteigen musste.
IV.
Die kleine Stadt K. liegt an den Haengen eines Gebirgszuges,
der sich von hier weit nach Westen erstreckt. An klaren
Tagen
kann man vom hoechsten Stock des Finanzverwaltungsgebaeudes
mindestens 50 Kilometer weit sehen. Nach Sueden wird
K.
von der Mosel umflossen, die sich hier traege
dahinwaelzt und die Bevoelkerung nur selten mit
Ueberschwemmungen nervt. Sonntags ist der Fluss ein
Ort der
Erholung; dann trifft sich das Volk auf der langen
Suedpromenade, um zu palavern, zu wandern oder
auch nur, um den Wassern nachzublicken.
An sonnigen Sommertagen oeffnen die Cafes, die
verstreut das Ufer saeumen, den ganzen Tag.
Familien auf Fahrraedern kaempfen sich auf dem verstopften
Weg voran, Vaeter lassen in den Auen fuer ihre Juengsten
Drachen steigen und Dampfer tuten in der
Ferne. Nach Sueden zeugt das satte Gruen riesiger
Laubbaeume von der Fruchtbarkeit des Landes. Im Norden
sieht
man farbenfrohe mittelalterliche Flaggen, die die
verfallene Burg
auf dem Felsen ueber der Stadt schmuecken.
Heute waren unter den Ausflueglern viele frisch verliebte
Paare, die es nicht stoerte, wenn Andere ihre Intimitaeten
beobachten. Auf einem kleinen Steinvorsprung zum Ufer
hin
sassen Mona und B. haendchenhaltend und eng umschlungen.
Sie erzaehlte ihm die traurige Geschichte ihrer Schwangerschaft
und ihrer Trennung von Hanke:
"An dem Tag, als ihr uns gesehen habt", sagte sie,
"wusste ich
schon, dass ich schwanger bin. Ich war dumm und liebte
ihn und hoffte, er wuerde mich heiraten, sobald er
es erfaehrt.
Dabei hatte er mir eigentlich zu verstehen gegeben,
dass
das fuer ihn nicht in Frage kommt, wegen meines familiaeren
Hintergrundes, und was-weiss-ich-warum, vielleicht
auch weil
ich kein Geld habe."
"Hast du gehofft, ihn mit der Schwangerschaft
herumzukriegen," fragte B.?
"Unbewusst wahrscheinlich schon. Aber bei meiner Schwangerschaft
spielten verschiedene Motive eine Rolle. Ich wollte
gern
ein Kind und dachte damals, es waere die richtige
Zeit dafuer -
heute meine ich, es war wohl zu frueh, und zu kurzschlussmaessig."
Nach eine Pause fuegte sie nachdenklich hinzu:
"Wenn ich ihn in der Stadt treffe, denke ich nur noch,
was fuer ein komischer Vogel, dass es Leute mit solchen
Einstellungen heute noch gibt! Er hat mir eigentlich
ziemlich uebel mitgespielt und drueckt sich um die
Alimente,
soweit er kann. Er hat auch keinerlei Interesse, Susanne
zu sehen ...
Mir ist es inzwischen egal. Ich empfinde nichts mehr
fuer
ihn, nicht mal mehr Hass, hoechstens Abneigung."
B. legte den Arm um ihre Schultern und meinte, sie
troesten zu koennen. Sie aber hatte sich
von der Vergangenheit fangen lassen und blickte mit
leeren
Augen auf die Sonne, die sich langsam ueber den Fluss
senkte
und bald hinter den Bergen untergehen wuerde.
Die Beiden mussten in ihrer malerischen Stellung den
Voruebergehenden als vollkommenes Liebespaar erscheinen.
So sah
sie auch der junge Finanzhauptsekretaer Andre Fischer,
der seine
Beobachtungen am naechsten Tag dem Kollegen G. nicht
nur
mitfuehlend schilderte. Er kannte Mona von verschiedenen
Anlaessen, da er mit G. auch privat verkehrte. Die
beiden
teilten das Buero und ein paar Hobbies. Sie schauten
sich gern
die neuesten Videos an, und Andre, der mit dem Schraubenzieher
besser umgehen konnte als mit dem Kugelschreiber,
reparierte G.'s
Auto. Am Montagmorgen sassen sich die beiden Beamten
an ihren
Schreibtischen gegenueber, scheinbar in ihre Akten
vertieft,
doch in Gedanken mit ganz anderen Themen beschaeftigt.
Weil man der elektronischen Datenverarbeitung damals
nicht traute, war das Buero voller riesiger Aktenschraenke
mit den Steuerdaten der K.'er Buerger. Die Faelle
wurden in
einheitlichen dunkelblauen Ordnern abgelegt und
jede Akte in einem rotierenden Verfahren einmal pro
Jahr
bearbeitet. Auf Fischers Schreibtisch befanden sich
neben
den ueblichen Bueroutensilien und dem schwarzen
Behoerdentelefon etwa 20 Ordner, fein saeuberlich
uebereinander
gestapelt. Waehrend er nun den einundzwanzigsten Aktendeckel
zuklappte, kam er auf seine ausgedehnte Sonntagswanderung
und auch ziemlich schnell auf Mona zu sprechen.
Er war der Meinung, dass man G. nicht genug Schlechtes
von seiner Flamme erzaehlen konnte, und schmueckte
die
Schilderung entsprechend aus.
Dabei war gar nichts passiert. Zwar hatte
Mona mit B. geschlafen, aber nicht viel dabei empfunden;
mehr als der Beischlaf hatte sie B.'s Mitteilung beschaeftigt,
dass Hanke's Schwierigkeiten letztlich auf G. zurueckgingen.
Sie hatte sich fuer G.'s Arbeit nie sonderlich interessiert;
das aenderte sich nun.
V.
G. war empoert und verletzt. Ihm reichte es endgueltig.
Er hatte sich ihr voellig geoeffnet, sie aber hatte
nichts von sich preisgegeben, nicht wer der Vater
von
Susanne war, nicht mit wem alles sie es frueher getrieben
hatte,
und auch nicht, dass sie im Grunde weiterhin auf der
Suche war, und mindestens B. aufgerissen hatte.
Er wollte jetzt nur noch seine paar Sachen abholen,
Zahnbuerste, eine Ersatzhose usw, die bei ihr herumlagen,
und danach nichts mehr von ihr hoeren. "Ja, ok", hatte
sie
am Telefon gesagt und genauso kuehl geklungen wie
er.
Eine gesunde Wut hatte von ihm Besitz ergriffen. Er
wollte heraus
aus diesem krankhaften Zustand des permanenten Liebeskummers.
"Die Zeit heilt alle Wunden", dachte G. bei sich,
"sie MUSS es tun."
Es war ein sommerlicher Sonntag Nachmittag, so gegen
15 Uhr.
Er stand vor ihrer Tuer, starrte auf den Sticker mit
dem 'Traumhahn', den er heute intensiver als sonst
wahrnahm,
und wartete. Sie oeffnete ihm im Nachthemd. Es war
kein aufreizendes Nachthemd, aber trotzdem ... !
Was sollte das um diese Zeit und in dieser Situation?
Konnte sie sich nichts ueberziehen? Wahrscheinlich
hatte sie sich
letzte Nacht irgendwo herumgetrieben und bis jetzt
geschlafen.
Ein Wunder, dass er hier nicht ueber einen anderen
Kerl
stolperte.
Seine Sinne nahmen mehrere Dinge zugleich wahr.
Erstens roch ihr Parfum intensiv. Zweitens schauten
ihre weichen weissen Oberarme unter den kurzen Aermeln
hervor,
drittens hatte sie ihre Lippen frisch geschminkt und
viertens liess
sie ihr volles Haar offen ueber die Schultern fallen.
Doch in seiner
jetztigen Stimmung liess er sich davon nicht beeindrucken.
Er blickte an ihr vorbei und rief "Hallo, Susi"
in die Wohnung hinein.
"Susi ist heute bei meinen Eltern", sagte Mona. "Ich
habe meinen
kinderfreien Tag." Dabei sah sie ihn irgendwie irritierend
an.
Da G. damit jedoch nichts anfangen konnte, machte
er,
dass er ins Bad kam um seine Sachen zu packen.
Als er fertig war, fragte sie: "Willst du nicht noch
einen
Kaffee mit mir trinken?"
"Wozu soll das gut sein", fragte er grob, setzte sich
aber doch
gehorsam aufs Sofa und wartete, was jetzt kommen wuerde.
Sie setzte sich neben ihn, wobei er sich des Koerpers
unter
dem Nachthemd ziemlich bewusst war, und fragte treuherzig:
"Du willst also wirklich Schluss mit mir machen?"
Da platzte ihm der Kragen. Die ganze Wut und Frustration,
die sich in den letzten Monaten angestaut hatten,
brachen
aus ihm hervor, als er sie anschrie: "Was willst du
eigentlich
von mir? Bin ich dein Fussabtreter? Glaubst du, du
kannst dir
alles erlauben? Ich bin davon ausgegangen, dass es
vorbei mit uns ist,
nachdem du mich schon seit Monaten nicht mehr angeschaut
hast,
und dich obendrein mit anderen Typen herumtreibst."
Er war ueberhaupt nicht mehr irrtiert von ihrer Naehe,
er war nur noch sauer.
Sie tat jetzt erstaunt. "Wieso, mit was fuer Typen", fragte sie.
"Ha," lachte er verbittert und triumphierend auf, "Andre
hat dich mit B.
gesehen."
"Andre ist ein bloedes Arsch", sagte sie. "Ich habe
mir
schon gedacht, dass er dir alles haarklein erzaehlen
wird."
"Ja, und ich bin ihm dankbar dafuer; denn das hat mir
endlich
die Augen geoeffnet und mir klargemacht, dass es jetzt
reicht.
Ich habe so viel in unsere Beziehung investiert, und
du hast mir nichts
zurueckgegeben. Von deiner Seite aus hatten wir eigentlich
gar keine Beziehung, ich war nur der Notnagel,
weil du im Moment nichts Besseres finden konntest.
Aber jetzt hast du ja B.", rief er erbittert.
"Ach, komm her", sagte sie und beugte sich zu ihm hinueber,
so dass er in ihr Dekolletee sehen konnte,
"mit B., das ist doch nichts Ernstes."
Er war fassunglos. Frauen um die 30 waren fuer ihn
unbekannte Wesen. Dann dachte er sich: "Was soll's,
wenn
sie's will, nehm ich's mit, und mach mich spaeter
davon."
Er sah ihr in die Augen, die ihn schon die ganze Zeit
belustigt bis auffordernd fixiert hatten.
Es war der Anfang einer wunderbaren Ehe.
Copyright: B. Lampe, 1998 zurück