Polnische Liebschaften
 


Die Personen:

Falk Teuber, PR Manager, 38;
                       Dirk, sein Freund und Partner, 40;
                       Carola, seine Frau, 32;
                       Eva, seine Geliebte, 29;
                                Rosita, deren Freundin, 25;
Ingrid, seine 2.Geliebte, 30;
             Ulrich, ihr Ex-Mann, 35;
             Robert, ihr Freund, 27;
Maggie, seine Grafikerin, 29;
Steffie, seine Sekretaerin, 27;

I.

Wenn Falk sein Lebensgefuehl zu Papier bringen wuerde, kaeme ungefaehr folgendes heraus: "Mir ist alles zu langsam, das Leben, mein Auto und vor allem der Job. Dirk und die uebrigen Angestellten arbeiten einfallslos und ohne Dynamik. Die Firma holt viel zu selten neue Auftraege herein und macht nicht den Profit, den ich von meinem Unternehmen erwarte. Es muss mehr herauskommen, denn ich will JETZT ALLES haben.

Carola ist staendig mit Haushalt und Kindern beschaeftigt und enttaeuscht meine sexuellen Erwartungen. Auch Eva kuemmert sich in erster Linie um ihre Parfumerie, und erst danach um mich. Ich habe Angst vor dem Aelterwerden."

Falk Teuber ist 38 und Besitzer einer Werbeagentur am Mittelweg in Hamburg, die er vor 3 Jahren gegruendet, aber noch nicht fest etabliert hat. Ein Circulus Vitiosus; denn trotz der guten Adresse kann man mit so einem kleinen Laden potente Auftraggeber nicht beeindrucken. Ausserdem muss man haeufig fuer teures Geld kreative Produkte zukaufen, weil die eigenen Mitarbeiter nicht alle Dienstleistungen erbringen koennen. Vor allem fehlt ein guter Art Director; Maggie arbeitet ohne Esprit und kann mit ihren bescheidenen Faehigkeiten keine anspruchsvollen Grafiken zeichnen.

Falk hat eine gepflegte Erscheinung, ein schoenes Gesicht und dichtes, welliges, festanliegendes, blondes Haar. Er ist nicht gerade gebildet, aber Witz und Schlagfertigkeit gleichen das aus.

Es ist 8 Uhr und er liegt noch im Bett. Das Haus ist leer. Heute kann er sich Zeit lassen. Gestern hat er einem Kunden sein Angebot vorgestellt, an dem sich nun nichts weiter verbessern laesst.

Er sollte sich langsam fertigmachen. Wo nur die Frau bleibt? Wahrscheinlich ist sie einkaufen gefahren, nachdem sie die Kinder zur Krippe gebracht hat. Sie reden wenig miteinander, von seinen geschaeftlichen und sonstigen Aktivitaeten erzaehlt er zu Hause nichts.

Vom Auto ruft er Eva in ihrem Laden an. "Hallo", sagt er, aber zuerst ist ein Rauschen in der Leitung.

Dann ist die Verbindung da. "Hallo, hier ist Falk."

"Oh, hallo Falk, hier ist Rosita, wie geht's denn so?" Es ist Eva's Freundin, mit der sie gemeinsam die Drogerie betreibt.

"Mir geht's gut", erwidert er lebhaft, "wenn ich morgens deine Stimme hoere, ist der Tag fuer mich gerettet."

"Schoen zu hoeren, Falk, leider koennen wir das Thema im Moment nicht vertiefen; wir haben Kundschaft im Laden. Du kannst aber gern meinen Anrufbeantworter abonnieren", sagt sie ironisch. Und dann: "Eva steht hinter mir; sie hat jede Menge Zeit, mit dir zu sprechen."

"Hallo Falk", hoert er Eva's Stimme, "viel Zeit habe ich nicht gerade. Was gibt's denn?"

"Ich wollte nur hoeren, ob es bei unserer Verabredung heute abend bleibt."

"Ja klar", antwortet sie, wie ihm scheint mit leichtem Vorwurf in der Stimme, "du weisst doch: in puncto Zuverlaessigkeit bin ich vorbildlich."

Er legt jetzt lieber auf. Die beiden Frauen scheinen schlecht gelaunt zu sein. Ihre wirtschaftliche Situation ist nicht gerade rosig, da der Laden ein Verlustbringer ist.

In der Innenstadt kommt er gut voran. Ohne einen Blick fuer die Hamburger Skyline braust er ueber die Kennedybruecke und biegt vor dem Dammtorbahnhof nach rechts in den Mittelweg. Hinter den weinroten Klinkerbauten von DPA und NDR stehen mehrere alte Kaufmannsvillen, von denen er eine gemietet hat. Sie ist vor Jahren entkernt und gegen den Willen einer Buergerinitiative in ein modernes Buerogebaeude umgewandelt worden. Er bugsiert seinen Wagen in die schmale Einfahrt und parkt unter der schattigen Eiche, hinter Maggie's altem hellgrauen Kaefer und Dirk's geraeumigem Volvo. Dirk ist sein aeltester Freund, ein Betriebswirt, der als Berufsschullehrer arbeitet, und Falk von Anfang an bei der Buchfuehrung geholfen hat. Er kann sich nicht entschliessen, als Teilhaber einzusteigen, obwohl er inzwischen fast jeden Nachmittag und in den Ferien ganztaegig hier arbeitet. Dirk ist der typische Arbeitnehmer, der immer auf Nummer sicher geht.

Steffi, die Sekretaerin, tendiert in dieselbe Richtung. Sie ist leicht uebergewichtig und faellt durch altmodische Blusen und grosse, breite Ohrhaenger auf. Alle Aufgaben und Vorgaenge der Firma hat sie im Kopf und ist nach aussen immer gut gelaunt. Leider erledigt sie die normale Sekretariatsarbeit nicht effektiv genug, so dass Falk eine Halbtagsankraft einstellen musste, eine huebsche, hoefliche und fleissige Germanistikstudentin mit kaufmaennischer Ausbildung. Da das Uni-Gelaende hoechstens 500 Meter Luftlinie von hier entfernt ist, hat es Ingrid zu ihren Seminaren und Vorlesungen nicht weit.

Beide Frauen werden abends oft von ihren Freunden abgeholt, Steffi von einem Mathematikstudenten, der wie ein Beamter aussieht und Ingrid von einem glutaeugigen Juengling mit dunklem Haar.

Falk betritt die alte Villa, nachdem er den feinen Kies von den Schuhen abgetreten hat, und strebt durch die grosse helle Vorhalle mit Lichtschacht, die zum Angestelltenbuero umfunktioniert worden ist. Ingrid macht die Ablage, Steffi tippt einen Brief und Maggie telefoniert; bevor er hoeren kann, ob es dienstlich oder privat ist, erreicht er seine Buerotuer. Dahinter steht Dirk am Zeichenbrett. Der Freund interessiert sich inzwischen auch fuer Design, seine Ideen und Entwuerfe sind Falk aber nicht professionell genug.

Die Maenner verbringen den Vormittag mit Planungen und besprechen die finanzielle Situation der Agentur. Danach muss Falk zu einem Kundengespraech. Als er zurueckkommt, tritt Maggie ihm am Eingang entgegen, die Jacke in der Hand und das unbaendige Haar achtlos mit einem Gummiring zum Pferdeschwanz geknotet. Ein Bein ihrer schwarzen Hose ist in die Schuhsohle gerutscht.

"Du Falk, es tut mir leid, ich muss heute frueher gehen. Bei mir ist eingebrochen worden. Unser Hausmeister hat gerade angerufen. Anscheinend hat mein Freund heute morgen die Wohnungstuer nicht richtig zugemacht und jemand hat die Wertsachen mitgenommen", sagt sie atemlos.

"Ja, dann muss ich dir wohl freigeben", erklaert Teuber widerwillig, "aber denk' dran, gestern bist du auch schon um 2 gegangen." Er fragt sich zum hundertsten Mal, wie jemand so chaotisch sein kann wie Maggie. Staendig steckt sie in neuen Schwierigkeiten. Sie ist verschuldet und garantiert nicht versichert. Ihr "Freund" ist vermutlich irgendso ein One-Night-Stand, den man auf keinen Fall allein in seiner Wohnung lassen sollte. Bei alldem kann Falk kein Mitleid mit ihr empfinden; denn bei der Arbeit ist sie schusselig und faul.

"Ja, weiss ich", erwidert Maggie entnervt, "aber die Diebe haben ein grosses Chaos hinterlassen und ich muss aufraeumen und vorher noch zur Polizei. Ich muss auch zusehen, dass ich meinen Freund irgendwo erreiche ..." Damit laesst sie ihn stehen und macht sich an ihrem Volkswagen zu schaffen.

Falk stellt fest, dass er mit Ingrid allein ist - Steffi kauft gerade Bueromaterial im Uni-Discount. Ueber die Sprechanlage bittet er die Studentin in sein Zimmer, um einen Brief zu diktieren. Sie kommt herein und setzt sich an den Besprechungstisch weitab vom Fenster, der vom scharfen Lichtkegel einer Stehlampe beleuchtet wird.

"Das Schreiben muss noch heute herausgehen. Mir ist eingefallen, dass einer der wichtigsten Manager noch gar keine Kopie unseres Angebots erhalten hat. Wir koennen ihm bei der Gelegenheit auch gleich unser Zukunftskonzept mitschicken. Die Adresse in der City Nord haben Sie ja. Also: Sehr geehrter Herr Wilderer", beginnt er mit professioneller Intonation.

Ingrid schreibt eifrig mit. Da sie im Stenografieren nicht geuebt ist, muss sie ihn mehrfach unterbrechen und bitten, den Satz zu wiederholen. Sie konzentriert sich ganz auf den Text und bemerkt kaum, dass er aufsteht und zwischen den Tischen hin und hergeht.

Kurz vor Ende des Briefes unterbricht er sich ploetzlich, stellt sich vor sie auf und verkuendet schmeichelnd: "Habe ich Ihnen schon gesagt, dass sie heute wieder so huebsch sind? Sie haben die schoensten Augen, die ich je gesehen habe. Wann gehen sie endlich mal mit mir aus?"

Ingrid ist diese Art der charmanten Anmache von ihm schon gewohnt und antwortet leise: "Sie wissen doch, dass ich einen Freund habe. Wir verbringen die meiste Zeit zusammen, er sieht es gar nicht gern, wenn ich mich mit anderen Maennern treffe. Ausserdem", fuegt sie spitz hinzu, "was wuerden Ihre Frau und Ihre Freundin dazu sagen?"

Dabei denkt sie bedauernd: "Nachtigall, du singst so schoen. Der will was von dir! Und du eigentlich auch von ihm ..."

Falk fragt sich grimmig: "Was weiss sie denn von Eva!?", laesst aber nicht locker und draengt: "Einen Abend werden Sie doch eruebrigen koennen. Ich lade Sie zum Essen in ein wirklich schoenes Restaurant ein. Waren Sie schon mal in der 'Goldenen Ente'?"

"Ich wuerde gern mitkommen, aber es geht leider nicht", beharrt sie. "Diese Woche sind meine Abende bereits alle verplant."

Damit bietet sie bewusst eine Angriffsflaeche, die er sofort besetzt. "Dann also naechste Woche!" beschwoert er sie. "Wir koennen den Termin jetzt schon festlegen. Was halten Sie von Mittwoch?"

"Ja, in Ordnung", gibt sie zoegernd nach. "Aber ich moechte auf keinen Fall, dass jemand davon erfaehrt. Am besten, wir treffen uns zu einer bestimmten Uhrzeit vor dem Restaurant."

"Kein Problem", sagte er mit warmer Stimme. "Ich freue mich wahnsinnig. Passt Ihnen 20 Uhr? Ich werde einen Tisch reservieren lassen."

Damit wendet er sich von ihr ab, streicht die Krawatte glatt, so dass sie die konvexe Form seiner Brust nachzeichnet und setzt sich zurueck an den Schreibtisch.

Sie steht auf und geht mit gemischten Gefuehlen aus dem Zimmer. Robert darf nichts davon erfahren, das ist klar, so eifersuechtig wie er sich immer auffuehrt. Sie hat ein paar Tage Zeit, sich eine gute Ausrede zu ueberlegen. Nachdem sie den Brief getippt und die Unterlagen zusammengesucht hat, schaut sie auf die Uhr und beginnt - wie immer vor Arbeitsschluss - ihren Schreibtisch sorgfaeltig abzuraeumen.

Als Falk eine Stunde spaeter seine Buerotuer oeffnet, stellt er fest, dass er allein ist. Er oeffnet die Tuer zur Terasse und schaut den Wolken zu, die ueber der Alster treiben. Vor 50 Jahren war dies eine Villa mit Seeblick. Inzwischen ist die Aussicht durch Neubauten verdorben, vierstoeckigen Quartieren aus den 60er und 70er Jahren, die an Haesslichkeit nicht zu ueberbieten sind.

Er hat noch Zeit; gewoehnlich holt er Eva erst gegen 7 bei ihrer Drogerie ab. Sie treffen sich 2 mal die Woche, und Eva ist anscheinend mit dem Arrangement zufrieden; denn sie hat ihm gegenueber wiederholt erklaert, dass sie gern allein lebt und es gar nicht aushalten wuerde, einen Mann staendig um sich zu haben.

In der Anfangsphase der Beziehung haben sie abends oft Kulturveranstaltungen besucht. Inzwischen fahren sie gleich in Eva's Wohnung, wo sie ein Essen vorbereiten, das sie bei Kerzenlicht und klassischer Musik einnehmen. Danach schlaeft er mit ihr und faehrt anschliessend nach Hause.

Wenn er heimkommt, wird Carola, die frueh ins Bett geht, gewoehnlich wach. Sie schlaeft aber meist schnell wieder ein und ueberlaesst ihn seinen Gedanken, seinen Schuldgefuehlen und seiner Feuchtigkeit.
 

II.

Am Mittwoch holt Robert Ingrid von der Arbeit ab. Um die Abendstimmung zu geniessen, ist er zu Fuss von seiner Wohnung im Studentenviertel heruebergekommen, am Kaiser-Friedrich-Ufer entlang, wo die Tauben vor ihm auffliegen und die Weiden ihr Laubdach uebers Wasser spannen. Schliesslich kommt er hinter der Tennisanlage Rothenbaum auf den Mittelweg zu.

Als Robert das Grundstueck am Mittelweg betritt, laesst sich in der Ferne ein Stueck blauen Himmels sehen. Es stoert ihn nicht, dass es gleichzeitig zu regnen beginnt; als Einheimischer ist er das Hamburger Wetter gewohnt, das von der nahen Nordsee diktiert wird. Er geht an den Autos vorbei die Terassenstufen hinauf und beobachtet Ingrid und Steffi bei der Arbeit.

Schliesslich bemerkt ihn Steffi und oeffnet die Glastuer. Robert betritt den Raum und sieht Falk von rechts aus seinem Buero kommen. Waehrend Ingrid zu ihrem Mantel greift, mustern und gruessen die beiden Maenner sich kurz und schauen dann aneinander vorbei. Robert's feuchte Schuhe hinterlassen auf dem glaenzend-hellen, fast gelben Parkett braeunliche Flecken.

Teuber legt eine Druckfahne auf Steffi's Schreibtisch, wechselt ein paar Worte mit der Sekretaerin und verschwindet wieder in seinem Buero. Ingrid wagt nicht, ihn anzusehen.

Als sie mit ihrem Freund auf der Strasse ist, hat sie es eilig, nach Hause zu kommen und aergert sich, dass er sie nicht mit dem Auto abgeholt hat. Sie will nicht zu Fuss gehen, sondern besteht darauf, den Bus zu nehmen. "Du weisst doch, dass ich heute abend verabredet bin", sagt sie mit ueberfluessigem Nachdruck. "Da will ich mich zu Hause nicht so hetzen."

"Ich weiss gar nicht, wozu du dich verabredet hast. Du hast deine Bekannte schon ueber ein Jahr nicht gesehen; warum muss du sie ausgerechnet jetzt treffen?" verlangt er zu wissen, sobald er mit ihr daheim ist.

Sie wohnt in einem eigenartig mittelalterlichen Hinterhof, der mit Kopfsteinen bepflastert ist. Er wird zu beiden Seiten durch Reihen niedriger windschiefer Haeuser begrenzt und endet an einer etwa 2 Meter hohen, broeselnden Backsteinwand. Man erreicht ihn durch ein breites offenes Tor, ueber dem ein Turm wie eine grosse Bruecke gebaut ist. Ingrid bewohnt das letzte Haus rechts an der Wand. Vor die verwitterten Fenster hat sie dichte Gardinen gezogen, sonst koennte man in ihr Wohnzimmer wie in eine Puppenstube sehen.

"Ich habe dir doch gesagt, dass sie ueberraschend angerufen hat. Und als wir uns am Telefon so unterhalten haben, habe ich Lust gekriegt, mich mit ihr zu treffen", antwortet sie unbeirrt.

Nach einer kleinen Pause fuegt sie freundlich hinzu: "Du musst mir jetzt wirklich etwas Zeit geben, mich zurechtzumachen. Morgen abend bin ich wieder voll und ganz fuer dich da." Dabei oeffnet sie ihren Schlafzimmerschrank und greift nach den Kleidungsstuecken, die sie sich nachmittags im Geist schon zurechtgelegt hat.

Das Telefon klingelt. Robert geht ins Wohnzimmer und nimmt den Hoerer ab. "Hallo?" fragt er.

"Hallo, hier ist Ulrich", sagt eine Stimme, die leicht beleidigt klingt. "Kann ich mit Ingrid sprechen?"

"Auch das noch", denkt Robert grimmig und ruft ins Schlafsimmer: "Ingrid, dein Mann ist am Telefon."

"Was will der denn", stoehnt Ingrid ungeduldig, als sie nur mit einer Bluse und Unterwaesche bekleidet hereinkommt. "Haettest du nicht sagen koennen, dass ich nicht da bin?" Sie fuehlt sich jetzt vollends unter Druck gesetzt, nimmt aber den Hoerer und beginnt einen kurzen Dialog mit ihrem Ex-Partner, den sie im Jahr zuvor wegen Robert verlassen hat.

Ihre Gespraeche mit Ulrich velaufen oft nach demselben Schema. Er haelt kleinere Betraege gemeinsamen Geldeigentums zurueck, die er als Anlass fuer lange telefonische Aussprachen benutzt, in denen er persoenliche Ansprueche geltend macht, die er an Ingrid zu haben glaubt. Die Beziehung zu Robert wird nach seiner Ansicht nicht lange halten, und er steht bereit, sie zurueckzuholen.

Ingrid, die es geniesst, von 2 Maennern begehrt zu werden, laesst sich von Ulrich gern an die gemeinsame Vergangenheit erinnern. Heute jedoch ist sie verstaendlicherweise entnervt und vertroestet ihn auf den naechsten Abend.

Als sie aufgelegt hat, entwindet sie sich Robert, der nach ihren nackten Beinen greift, und kehrt hastig ins Schlafzimmer zurueck. Er kommt ihr nach und irritiert sie, indem er sie ungeniert anstarrt.

Widerstrebend bietet sie ihm an: "Wenn du magst, kannst du hier uebernachten und auf mich warten. Ich bin jetzt schon muede und werde es in der Kneipe hoechstens bis 10 oder 11 aushalten."

Robert nimmt das Angebot an und legt sich frueh hin, kann aber nicht einschlafen. Zur Beruhigung beschwoert er Bilder aus seiner Kindheit, von seiner Grosstante Anna und von Oma Auguste, die ihn aufgezogen haben.

Anfang der 60er Jahre halfen sie im Sommer regelmaessig auf einem Bauernhof aus, um Kartoffeln und andere Feldfruechte zu ernten. Kleine und mittlere Bauern besassen damals keine Erntemaschinen und waren auf Nachbarschaftshilfe angewiesen. Ein Trupp von 10 bis 20 Helfern in lumpigen Kitteln und Blaumaennern nahm sich die Furchen des weiten Feldes vor. Man kniete sich in die dunkelbraune Erde und begann mit dem Kartoffelausmachen, indem man mit Haenden unter der Pflanze grub und sie dann aus der Erde zerrte. Man sammelte die Fruechte, die von ihr abfielen, und scharrte noch einmal im Boden, damit keine vergessen wurde.

Robert liegt in Ingrid's breitem IKEA Bett und meint, den fruchtbaren  Mutterboden zu riechen. Er hoert die laute schnatternde Stimme der Tante, die ihm gute Worte zuwirft. Jahre spaeter hat er an ihrem offenen Grab gestanden und konnte nicht glauben, dass er diese energische, lebendige Frau nie wiedersehen wird.

Die Kartoffeln wurden in rostigen Drahtkoerben gesammelt und danach auf hoelzerne Ackerwaegen gekippt, die man in groesseren Abstaenden auf dem Feld abgestellt hatte. Damals hat sich das niemand klar gemacht, aber heute weiss er, dass dies die letzten Momente einer vergehenden Zeit waren. Bald danach hatten seine Verwandten solche Nebeneinkuenfte nicht mehr noetig, und genossenschaftlich angeschaffte Erntemaschinen machten die Handarbeit weitgehend ueberfluessig.

Je laenger Robert im Bett liegt, desto nervoeser wird er. Eine Hoflaterne wirft schemenhaft Schatten ins Zimmer. Es geht auf 11 zu, und in der Dunkelheit bildet er sich ein, Ingrid muesse sich unbedingt an die angegebene Uhrzeit halten. Als sie um halb 12 noch nicht zurueck ist, geraet er in zornige Panik; denn er befuerchtet, dass sie ihn genauso bedenkenlos abservieren wird wie im Vorjahr den Ehemann. Seine Gefuehle verstoeren ihn noch mehr als das Verhalten seiner Freundin, die sich nach dem Gefuehlsueberschwang des ersten halben Jahres immer mehr von ihm zurueckzieht. Die Eifersucht vergiftet seine Seele; aber er ist hilflos - wie ein Arzt, der das Fortschreiten einer unheilbaren Krankheit an sich selbst beobachtet. Robert steht auf und beschliesst, die Zeit vor dem Fernseher totzuschlagen.

Gegen 1 Uhr kommt sie zurueck. Sie hat sich mit Teuber blendend unterhalten, hat viel gelacht und keinen Gedanken an Robert oder Ulrich verloren. Man hoert ihre Stiefel auf dem Pflaster im Hof und das vorsichtige Drehen des Schluessels im Schloss, dann klappern Mantel und Schirm im Flur.

Bleiches Fernsehlicht flimmert in der Wohnung. Robert sitzt steif und still im Ohrensessel. "Oh, du bist noch auf!?", sagt sie, wobei sich mehrere Gefuehle - schlechtes Gewissen, Herablassung und Furcht - in ihrer Stimme mischen.

"Ja, ich konnte nicht schlafen", erwidert er scheinbar ruhig.

"Das solltest du aber sofort tun. Ich komme auch gleich ins Bett", sagt sie schnell und hofft, der Auseinandersetzung zu entgehen.

"Glaubt du etwa, dass ich jetzt schlafen kann", bricht es aus ihm hervor. "Nachdem du dich die halbe Nacht irgendwo herumgetrieben hast!"

"Robert, ich bin zu muede fuer einen Streit!" protestiert sie gaehnend. "Ich habe nichts Unmoralisches getan, ausser in einem Restaurant zu sitzen und ein nettes Gespraech zu fuehren."

Sie meint, die volle Kontrolle ueber die Situation zu haben, und rechnet nicht mit seinem blinden Zorn, der alle rationalen Argumente beiseiteschiebt.

"So ... in welchem Restaurant wart ihr denn?" fragt er hoehnisch.

Als sie antworten will, wird er sich der unpassenden Frage bewusst und murmelt: "Ach, ist ja auch egal ..." und zischt dann: "Kannst du nicht akzeptieren, dass es mir nicht passt, wenn du allein ausgehst?" Dabei starrt er ihr drohend ins Gesicht. Er hat sich erhoben und steht direkt vor ihr an der Wohnzimmertuer. Der weissgetuenchte Raum ist so niedrig, dass er leicht mit den Haenden nach der Decke fassen koennte.

Ingrid laesst sich von ihm nicht einschuechtern, auch wenn sie seinen Augen nicht standhaelt. Kuehl erwidert sie: "In der Zeit mit Ulrich habe ich jeden Abend mit demselben Mann verbracht, und seitdem ich dich kenne, ist es nicht anders. Ich muss sagen, ich habe mir von unserer Beziehung mehr Freiraum versprochen."

"Das ist das Neueste, was ich hoere!" stoesst Robert hervor. "Als wir uns kennenlernten, konntest du gar nicht genug mit mir zusammensein. Immer wenn ich weg war, hast du befuerchtet, dass ich mich mit Evelyn treffe."

"Das war eben im Ueberschwang der ersten Liebe. Jetzt hat sich unsere Beziehung normalisiert. Und ab und zu geniesse ich es, allein zu sein", sagt sie leichthin. Und dann fuegt sie gefuehllos hinzu: "... wie zum Beispiel jetzt. Wenn du es fuer richtig haeltst oder meinst, bei dir zu Hause besser schlafen zu koennen, solltest du gehen. Wir koennen uns ja morgen abend wieder treffen."

Robert stoehnt innerlich auf. Dass sie ihn fortschickt, empfindet er als die groesste Demuetigung. Er schleicht durch das naechtliche Hamburg in seine kalte, spaerlich moeblierte Altbauwohnung, in deren hohen Raeumen die Einsamkeit wie Spinnweben nistet.
 

III.

Ingrid trifft sich in der naechsten Zeit noch oefter mit Falk, und schlaeft auch mit ihm. Schnell wird klar, dass er kein Interesse oder, genauer gesagt, keine Zeit fuer eine engere Beziehung hat. Da sie ihn liebt, ist sie ungluecklich, und es ist ihr ganz recht, auf Robert zurueckgreifen zu koennen, von dem sie sich nicht getrennt hat. Leider reagiert er so negativ auf ihre abendlichen Verabredungen, dass eine lockere Beziehung mit ihm auf die Dauer nicht moeglich sein wird.

Manchmal unterhaelt sie sich mit Steffi. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie eifersuechtig er ist!" beklagt sie sich. "Am liebsten wuerde mir Robert jede Freiheit nehmen. Der Islam waere ideal fuer ihn, wo die Frauen verschleiert herumlaufen und ihren Maennern gehorchen muessen."

"Mein Freund ist nicht so eifersuechtig", berichtet Steffi. "Vielleicht kann er sich nicht vorstellen, dass ich jemanden finde, mit dem ich ihn betruege", kokettiert sie mit ihrer Unscheinbarkeit. Und dann legt sie los: "Aber er hat gar keinen Unternehmungsgeist und verbringt am liebsten jeden Abend vor dem Fernseher. Ausserdem ist er so trocken, man kann mit ihm ueberhaupt nicht lachen. Er ist der typische, langweilige Mathematiker! Und er hat jetzt schon Marotten wie ein alter Mann. Nachts schlaeft er mit Ohropax, weil ihn mein Schnarchen stoert", schildert sie intime Detail aus ihrem Beziehungsleben und fuegt dann unlogisch hinzu: "Robert ist wenigstens attraktiv!"

"Ja, aber besonders unterhaltsam ist er auch nicht. Er ist irgendwie depressiv ..." wirft Ingrid abwesend ein. Sie fragt sich, ob die Kollegin etwas von ihrem Verhaeltnis mit Falk ahnt.

Der kommt eben herein und schickt Steffi zur Post. Dann wendet er sich an Ingrid: "Naechste Woche muss ich geschaeftlich nach Holland und brauche dort eine Sekretaerin, die die Protokolle schreibt. Hast du Lust, mich zu begleiten?"

"Oh, das waere wunderbar", entfaehrt es ihr. Sie denkt: "Das waere es wirklich. Bisher treffen wir uns ja nur eilig und stundenweise." und sagt: "... mal wieder aus Hamburg herauskommen und etwas von der Welt sehen! Ich war noch nie in Holland."

"Sehr schoen. Koenntest du 2 Zimmer in Amsterdam reservieren? Am besten direkt nebeneinander." Er laechelt. "Hier ist die Nummer des Hotels, das man mir empfohlen hat."

Am Mittwochabend der folgenden Woche landen sie in Schiphol und erledigen am Donnerstag und Freitag ihre Geschaefte. Ruecksichtslose Taxifahrer, die immer wieder von durchsetzungsfaehigen Radlern behindert werden, chauffieren sie zu seelenlosen vorstaedtischen Hotels und Buerotuermen, wo die Firmen, fuer die Falk arbeiten moechte, ihre Verwaltungszentralen haben. Sie erleben dort, dass Hollaender bei Verhandlungen genauso knallhart wie im Alltagsleben und beim Fussballspielen sind.

Nur einmal haben sie in der Innenstadt zu tun, bei einer befreundeten Agentur, die in einem der schmalen uralten Geschaeftshaeuser residiert, hinter einer wuchtigen, dickschichtig aquamarinblau lackierten Holztuer mit grossen silbernen Griffen und Klopfern. Vom Sitzungsraum kann Ingrid in die Praxen der Anwaelte und Aerzte auf der gegenueberliegenden Seite des Kanals spaehen. Die Haeuser sind an den Giebeln reich mit Stuck verziert, dessen Reflexe sich im dunklen Wasser der Gracht spiegeln.

Ingrid ist gluecklich, als sie feststellt, dass ihre Anwesenheit in den Konferenzen, Audits und Praesentationen ueberfluessig ist, zeigt es doch, dass Falk sie liebt und begehrt! Sie fuehrt sinnlose Protokolle, waehrend in ihrem Kopf eine trunkene Zufriedenheit sich breitmacht.

Abends streifen sie durch Alt-Amsterdam und besuchen ein Jazzlokal am Thorbeckeplain, wo sie mit vielen anderen Paaren um dem langen, massiven Tresen draengen, hinter dem Schallplatten, Plakate und Spirituosen aus aller Welt ausgestellt sind. Staubige Luester tauchen die schwitzenden Gesichter in ein seltsames Licht.

Das Wochenende wollen sie in einer der zahllosen Pensionen am Meer verbringen. Sie verzichten auf ein Mietauto und fahren mit oeffentlichen Verkehrsmitteln nach Katwijk, einem bekannten Badeort, der unweit von Den Haag auf halber Hoehe zwischen Amsterdam und Rotterdam liegt. Holland ist klein und dicht besiedelt, und es gibt ein ausgekluegeltes Schienennetz mit effektiven Zugverbindungen wie in einem grossen Stadtgebilde.

Als sie in Amsterdam losfahren, finden die Verliebten 2 Fensterplaetze. Ingrid, die laenger nicht im Ausland war, geniesst das Fremdartige der hollaendischen Kultur. Obgleich es manche Aehnlichkeit mit Norddeutschland gibt, ueberwiegen die Unterschiede. Konzentriert starrt sie auf das flache, von Entwaesserungskanaelen durchzogene Land, aus dem Siedlungen auf kuenstlichen Huegeln wie Trutzburgen hervorragen. Nur ganz selten sieht man in Holland Baeume und Waelder, an denen der Blick sich festhalten koennte.

Falk interessieren die haesslichen Wiesen und Kuehe nicht, die in seinen Augen eine trostlose Tristesse ausstrahlen, ebensowenig wie die Windmuehlenparks und die Betonbruecken der Autobahnen, die ueber die Fluesse und Kanaele fuehren und mit denen die Hollaender ausserhalb ihrer schoenen alten Staedte die Landschaft verschandelt haben. Er will endlich ans Meer und vertreibt sich die Zeit, indem er seine Freundin beobachtet, die ihm schoener als sonst scheint. Ingrid ist eine durchschnittlich aussehende Dunkelhaarige, die Geschmack hat und viel Wert auf ihre aeussere Erscheinung legt. Im Gesicht faellt das besonders helle Weiss der Augen auf, das Eva und Rosita Falk gegenueber als "Schlafzimmerblick" schmaehen werden. Heute, im Licht Rembrandt's und Rubens', scheinen die Augen zu gluehen. Die Haare umfliessen den Kopf wie schwarzes Gold, im Kontrast zur blonden Blaesse der Hollaender. Wenn die Sonne von der Seite auf Ingrid's Gesicht scheint, glaenzt ihre gesunde Haut wie Bronze und auf der Nase schimmern - kaum sichtbar - Sommersprossen durch.

Eine Straehne ist ihr vors Gesicht gerutscht und er sieht aus den Augenwinkeln, dass ein Fahrgast sie anstarrt. Aber er ist frei von Eifersucht und erfreut sich weiter an ihr, an den hellen, praezise in der Ohrlaeppchenmitte angebrachten Perlen, den scharfen Linien der Brauen und den unbeschreiblichen Wimpern, die fein wie Seide sind.

Falk verhaelt sich damit ganz anders als ihr Freund. Wenn Robert mit ihr ausgeht, machen Blicke anderer Maenner auf Ingrid ihn rasend. Er wirft ihr dann vor, sich zu auffallend zu kleiden, ihre Bluse sei zu weit ausgeschnitten, die Hose zu eng oder das Parfum zu aufdringlich. Als sie von der bevorstehenden Reise erzaehlt hat, und besonders von dem angehaengten Wochenende, ist ihm klargeworden, dass sie ein Verhaeltnis mit ihrem Chef hat. Doch aufhalten konnte er sie nicht. Leuchtenden Auges gibt sie zu, dass sie sich auf die Reise freut und laesst seine Vermutungen unkommentiert.

Waehrend seine Freundin das Leben in vollen Zuegen geniesst, trifft ihn das Schicksal aller ungluecklich Verliebten. Er sitzt in der Wohnung und gruebelt zum hundertsten Mal, was er falsch gemacht hat. Hat er sie zu sehr an Ulrich erinnert? Hat er zu oft mit ihr geschlafen? Hat er sie zu selten zum Orgasmus gebracht? Oder war es umgekehrt? ... Dazwischen treten immer wieder unertraegliche Bilder von Ingrid mit Teuber in sein Bewusstsein. Die Vorstellung, wie der Andere in ihren Unterleib gleitet, macht ihn wahnsinnig.

Carola und Eva verbringen uebrigens das Wochenende ohne Argwohn; denn sie glauben, dass Falk allein unterwegs ist. Eva kommt ihm erst Wochen spaeter auf die Schliche, als Rosita Teuber mit Ingrid zufaellig in den Alsterkolonaden trifft.

Im Moment hilft er seiner Flamme gerade in Katwijk aus dem Zug, wobei seine Leinenhose und -jacke im Wind flattern. Obwohl die Sonne scheint, herrschen keine hochsommerliche Temperaturen. In Holland wird es nie richtig warm, da die starke Kuestenbrise die Heimeligkeit suedlicher Sommer verhindert.

Vom Bahnhof aus wollen die beiden moeglichst schnell an den Strand, verirren sich aber in den engen Gassen des alten Dorfes. Ueberall ist Sand, auf den Wegen, in den Gaerten, in der Luft und bald auch in ihren Schuhen. Am Ende einer Strasse mit winzigen kellerlosen Haeuschen stossen sie auf ein traumhaftes Hotel, ein kleines geducktes Gebaeude aus roten, verwitterten Ziegelsteinen, das mit viel Aufwand renoviert worden ist. An der Strandpromenade, wo haessliche Neubauten aus grauen Klinkern sich aneinanderreihen, haetten sie nichts Vergleichbares gefunden.

Sie verbringen die Mittagszeit unter strahlend blauem Himmel hinter den Duenen am Meer. Einige Schwimmer und Surfer haben sich weit hinausgewagt. Ein Drache kariolt in der Luft. Gelegentlich zieht in grosser Entfernung ein Hochseedampfer vorbei. Ingrid und Falk unterhalten sich wenig. Stattdessen kuessen sie sich und beobachten andere Urlauber im Kampf gegen Natur und Technik. Die Freizeitindustrie hat zum Schutz gegen den Wind verschiedene Vorrichtungen ersonnen, die hier alle versagen. Schliesslich zeigt Teuber auf die bunten, plexiglas-geschuetzten Schnellrestaurants, wo bequemere Zeitgenossen heissen Tee schluerfen und belangloses Zeug schwatzen.

Auf Ingrids Vorschlag verbringen sie den Nachmittag doesend in Korbstuehlen auf einer sonnigen Cafeterasse, die sie unweit des Hotels entdeckt hat. Rechts neben dem Eingang haengt eine Laterne und links die niederlaendische Nationalflagge. Die Bretter des dunkelgruenen Holzzauns, an den 4 oder 5 Fahrraeder lehnen, sind mit gedrechselten, weissen Spitzen liebevoll verziert. Am Nebentisch hat eine Familie mit kleinen Kindern 2 grosse Eisbecher bestellt. Vater und Mutter warten, bis die Kleinen satt sind und machen sich dann ueber die Reste her.

Als die Kraft der Sonne nachlaesst, ziehen sie Windjacken ueber und flanieren haendchenhaltend zum Hafen, wo drei fast identische Fischerboote mit knallgelben Masten im Wasser schaukeln. Altholland ist putzig und klein ...

IV.

Im Herbst steckt die lebenshungrige Ingrid in einer Krise. Ihre Tage sind ueberfaellig, und Falk wird von Eva unter Druck gesetzt, sich von der Studentin zu trennen. Eva kann eine Ehefrau akzeptieren, aber kein zweites Verhaeltnis. Da er wenig fuer die leicht verfuegbare Angestellte empfindet, gibt er dem Druck bereitwillig nach. Ingrid verfaellt daraufhin waehrend des Altweibersommers in eine seltsame Traegheit. Sie glaubt, dass sie jetzt Robert und seine Gefuehle besser versteht. Die Depressionen hindern sie daran, zum Arzt zu gehen.

Erst als Falk alle Verabredungen verschiebt und sich im Buero immer kuehler zeigt, entschliesst sie sich in einem ploetzlichen Anfall von Panik zu einem Schwangerschaftstest. An einem der vielen Regentage im November begleitet sie Robert zur Apotheke am Schlump. Wieder zuhause, reisst sie hastig die Verpackung auf und uriniert im Bad in das mitgelieferte kleine Reagenzglas. Sodann haelt sie am Kuechentisch die Testroehre in den Harn und laechelt unsicher, derweil ihr Gefaehrte im Beipackzettel liest. Nach einer Minute ist die Verfaerbung so deutlich, dass man keine Packungsbeilage braucht, um zu erkennen, dass sie schwanger ist.

Robert verfolgt den Vorgang mit gemischten Gefuehlen. Er liebt Ingrid und wuerde auch ihr Kind lieben, aber die Aufzucht von Nachwuchs ist beschwerlich und zwaenge ihn, das bequeme Studentenleben aufzugeben.

"Nie, niemals wollte ich schwanger werden!" ruft Ingrid in echter Verzweiflung. "Ich habe mich als Kind viel zu ungluecklich gefuehlt, um selber eins grosszuziehen." In Gedanken fuegt sie hinzu: "Mit den beiden Maennern, die als Vaeter in Frage kommen, waere das auch gar nicht moeglich."

"Mach dir keine Sorgen", beruhigt Robert sie. "Es ist sicher noch genuegend Zeit fuer einen Abbruch."

Er irrt sich. Beim Frauenarzt stellt sich heraus, dass sie bereits im 4. Monat ist.

Eine Woche spaeter ist die junge Frau, die gerade 30 Jahre alt geworden ist, mit Falk in einem Restaurant verabredet. Nachdem sie scheinbar ruhig das Essen ausgesucht hat, kommt sie zur Sache. "Also, Falk", beginnt sie mit leiser und beklommener Stimme, "ich bin schwanger. Das Kind ist wahrscheinlich von dir."

Er reagiert nicht viel anders als sie erwartet hat. Er sagt: "Du weisst, dass fuer dich in meinem Leben kein Platz ist." Und: "Es wuerde alles kompliziert machen."

Sie erwidert scharf: "Eine Abtreibung ist zu gefaehrlich. Ich bin schon im 4. Monat."

Da auessert er unverhohlen: "Was heisst uebrigens 'wahrscheinlich von mir'? Dein Freund kommt doch auch als Vater in Betracht."

Darauf weiss sie nichts zu sagen. Nervoes ruehrt sie in der Suppe. Schliesslich ringt sie sich zu einer Entscheidung durch und laesst den Mann mit vollen Tellern zurueck, eine billige Reaktion, die ihn wenig kostet.

Naturgemaess denkt Ingrid in den naechsten Tagen viel ueber ihre Situation nach. Und da die Schaerfe unseres Verstandes von den Hormonen bestimmt wird, kommt sie zu einer vermeintlich klugen Entscheidung. Zum ersten Mal seit der Trennung waehlt sie ihre alte Telefonnummer. "Hallo Ulrich. Ich bin schwanger. Das Kind ist nicht von Robert. Wenn du keine Fragen stellst, komme ich zu dir zurueck." Mit ihren drei Saetzen drueckt sie eher eine Forderung als eine Bitte aus.

Der Ehemann erkennt sofort die vorteilhafte Lage, in die ihn ihre Schwangerschaft bringt, tut aber verdutzt: "Wie, schwanger? Ja, also, mein Angebot ist eigentlich unabhaengig von deinem Zustand, aber gib mir trotzdem ein paar Tage Bedenkzeit."

In der folgenden Nacht liegt er unruhig im Bett und fragt sich, was die Zukunft bringen wird und ob es richtig ist, mit dieser Frau so mir nichts dir nichts wieder zusammenzuziehen.

Im Halbschlaf traeumt er von der Zeit, als er sie kennenlernte. Eines Fruehlings hat er sie auf den Elbterassen angesprochen, wo Dutzende von Hamburgern in hoelzernen Liegestuehlen und warmen Jacken den zaghaften Kampf der Sonne gegen kalte Winde verfolgten. Zu ihren Fuessen lag der breite Fluss, der irgendwo am Horizont in die See muendet.

Sie gefiel ihm - trotz der unreinen Haut, die mit dicker Schminke kaschiert war. Aber da sie mit ihrem Freund zusammenlebte, fragte er nicht nach ihrem Namen.

Ein Jahr spaeter hat er sie zufaellig bei Hertie im Altonaer Einkaufszentrum wiedergetroffen, in der Haushaltsabteilung. So erfreut war sie, ihn zu sehen, dass sich ihre Schritte beschleunigten, wahrend sie auf ihn zukam.

"Hallo, wie geht es dir", hat er sie ruhig gefragt.

"Ach es geht so, ich muss mich an die neue Situation gewoehnen; mein Freund ist vor 3 Monaten nach Australien ausgewandert. Wir haben uns getrennt."

So rasch und deutlich hatte ihm noch keine Frau gesagt, dass sie zu haben war. Waehrend seine Gedanken bei dieser Erinnerung verweilen, schlaeft er befriedigt und wie befreit ein.

Leider gibt es fuer das Paar kein Happy-End; denn nachdem Ingrid ihr Kind ausgetragen hat und eine Zeitlang mit ihrem Mann zusammenlebt, stellt sie fest, dass sie es mit ihm nicht aushaelt. Eigentlich hat sie das ja gewusst, aber waehrend der Zeit mit Robert waren Ulrichs negative Charakterzuege, die sie frueher schon zur Weissglut getrieben haben, in den Hintergrund getreten. Im taeglichen Leben ist er anmassend, selbstgerecht, aufbrausend, rechthaberisch und ein unberherrschter Choleriker.

Ausserdem ekelt sie sich vor ihm, vor seiner weisslichen Haut, seiner Zahnbuerste, der Unterwaesche und vor dem schuetteren Haar, das ihm wie Fransen vom Kopf haengt.

Sie verlaesst ihn zum zweiten Mal.

Ungefaehr zur selben Zeit stirbt Maggie an einer Ueberdosis Schlaftabletten. Steffi trennt sich von ihrem Mathematiker und lernt den beleibten Filialleiter eines Supermarktes kennen, den sie Jahre spaeter heiratet. Robert findet eine Freundin mit schwaecherem Sexualtrieb, die ihn nie betruegen wird.

Falk wird gluecklich. Nach der Einfuehrung des Privatfernsehens boomt die Werbebranche und beschert seiner Firma Wachstum und Gewinne.
 
 


Copyright: B. Lampe, 1999                                                zurück