Bei meinen Vettern

An einem dunklen Freitag abend machten es sich meine jungen Vettern mit Chips und Salzstangen vor dem Fernseher behaglich. Stefan lag, mit dem linken Bein ueber der Lehne, hingeluemmelt auf dem bequemsten Sessel. Sein um 2 Jahre juengerer Bruder Hartmut studierte aufmerksam die Programmzeitschrift. Eben hatten sie noch zusammen das Geschirr weggeraeumt und dabei ueber das ewige Einerlei der Hausarbeit geklagt. Als Beamte bei Bahn und Post mussten sie auch freitags 8 Stunden arbeiten und kamen daheim meist nicht vor 20 Uhr zu ihrer verdienten Feierabendruhe.

Draussen regnete es wie aus Kuebeln. Eine steife Brise fegte durch die Strassen der kleinen Stadt. Meine Vettern liessen es sich dadurch aber nicht verdriessen. In ihrem alten Vaterhaus mit seinen dicken hohen Mauern fuehlten sie sich wohl aufgehoben. Sie hatten sich gerade fuer eines der vielen Satellitenprogramme entschieden, als sie ploetzlich Laerm hoerten. An der Haustuer wurde im Sturm geklopft und gelaeutet und moeglicherweise - es liess sich nicht genau ausmachen - auch dagegengetreten.

Als Hartmut erbost die Tuer aufriss, trat eine Gestalt erschrocken um zwei Schritte in die Dunkelheit zurueck. Er konnte daher nicht sofort erkennen, um wen es sich handelte.

Kleinlaut bat eine helle weibliche Stimme um die Erlaubnis, ein Telefongespraech zu fuehren. Mein Vetter war nahe daran, die Bittstellerin abzuweisen. Nur das grausige Unwetter - und vielleicht die bezaubernden Mandelaugen des Maedchens, das jetzt ins Flurlicht trat - hielten ihn davon ab, es davonzujagen.

Abgesehen von der Schoenheit ihrer Sehorgane bot die junge Frau ein klaegliches Bild. Von oben bis unten durchnaesst, triefte die Kleidung aus allen Naehten. Die Haare klebten ihr in dicken wirren Straehnen am Kopf. Da sie ein laengeres Stueck gelaufen war, schnaufte sie ausserdem wie ein Esel. "Man muss sie hereinlassen", dachte sich Hartmut, "auch wenn sie mit ihrem tropfnassen Zeug unseren Teppich ruiniert."

Als sie ins Wohnzimmer trat, blickte sich Stefan neugierig um, winkte und sagte "Hallo", ohne jedoch von seinem Sessel aufzustehen oder den Fernseher leiser zu drehen. Er war der zwang- und formlosere unter den Bruedern, unbekuemmerter und weniger gruendlich und gewissenhaft als Hartmut, und stellte an andere - und an sich selbst - geringere Ansprueche. Zwar hatten beide von ihrem Vater einen Hang zu jaeh aufflammendem Zorn geerbt. Waehrend sich Hartmut, zumindest im privaten Bereich, schnell echauffierte, liess Stefan jedoch einiges durchgehen, bevor er die Kontrolle verlor.

Beim zweiten Hinsehen gewahrte auch er die ganzen Absonderlichkeit der pudelnassen Erscheinung, die jetzt mitten in der Stube stand, und auf deren pechschwarzer Haut die Naesse das Licht des Luesters wie dunkelfarbenes Gold reflektierte.

Hartmut war hinter ihr ins Zimmer gekommen und deutete mit einer knappen, ungeduldigen Geste auf das Telefon. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, holte die junge Frau mit spitzen Fingern ein winziges feuchtes Notizbuch aus der Hosentasche und waehlte eine Telefonnummer. Offenbar war am anderen Ende der Leitung niemand zu erreichen. Mit einem enttaeuschten Seufzer legte sie schliesslich den Hoerer auf.

Dann blaetterte sie, ohne weitere Regungen zu zeigen, in ihrem Heft und waehlte eine andere Nummer. Diesmal war sie erfolgreich. "Hallo, hier ist A'ina" hoerte man sie sagen. "Du, sagmal, ich stehe hier im Regen in einem verlassenen Nest und weiss nicht wohin. Koenntest du mich fuer ein paar Tage bei dir aufnehmen?" Ihre fremdartige Stimme hatte etwas von einem Singen, und meine Vettern, die nun doch den Fernseher leisergestellt hatten, horchten gedankenverloren dem Klang hinterher.

Ihr Gespraechspartner schien von der Anfrage nicht besonders erfreut zu sein; denn nach einem Augenblick fragte A'ina: "Was soll das heissen 'es ist schwierig'. Und wovor hast du Angst? Dir wird doch niemand was tun. Wenn ich als deine beste Freundin dir sage, dass ich keine andere Bleibe habe, kannst du mich doch nicht abweisen."

Am anderen Ende der Leitung wurde jetzt eine laengere Erklaerung abgegeben, die A'ina mit einem gequaelten Lachen quittierte. Mit verschiedenen Argumenten versuchte sie, ihre Gespraechspartnerin doch noch zu ueberreden. Nachdem die Argumente einigemal hin und her gegangen waren, wobei ihre Stimme zwischen leiser Resignation und lauter Entruestung schwankte, wurde ihr endlich klar, dass sie nichts erreichen wuerde und legte ohne ein Wort des Abschieds den Hoerer auf die Gabel.

Sie war in ihr erfolgloses Telefongespraech derart vertieft gewesen, dass sie die beiden Maenner im Raum nahezu vergessen hatte. Als sie nun ratlos zu Hartmut herueberblickte, der wartend am Esstisch sass, traf sie ein unverhuellter Blick aus seinen blauen Augen. Da er aber nichts weiter zu sagen wusste, erhob er sich, um sie aus dem Haus zu beleiten. A'ina nickte ergeben.

Auch Stefan hatte das Gespraech mit halbem Ohr verfolgt und rief nun unversehens: "Hartmut, ich glaube wir koennen die junge Dame nicht in die Dunkelheit fortschicken. Sie holt sich ja den Tod." Und zu ihr gewandt sagte er hoeflich: "Empfinden Sie mich bitte nicht als aufdringlich, aber ich denke, sie muessen sich schnellstens trockene Kleider anziehen. Wenn Sie nicht bei ihrer Freundin uebernachten koennen, sollten Sie in ein Hotel gehen."

"Ja", bestaetigte die Frau tonlos, "das ist an sich eine gute Idee. Ich werde mir eins suchen." Damit wandte sie sich ab und bewegte sich in Richtung auf den Flur. Hartmut war unentschlossen stehengeblieben.

"Haben sie denn ein Auto dabei, oder wollen sie die dunklen Strassen zu Fuss danach durchsuchen." fragte Stefan, den ihr Verhalten erheiterte. Ernsthafter fuegte er hinzu: "Bei dem Regen wird es das beste sein, wenn ich sie mit dem Wagen hinbringe. Wir haben hier nur ein Hotel am Ort. Es liegt hinter dem Bahnhof und ist fuer Fremde schwer zu finden, seitdem die alte Bahnhofstrasse stillgelegt worden ist."

Das Maedchen blickte ihn jetzt direkt an und er sah die Ratlosigkeit hinter ihren Augen. Ohne ein Signal der Zustimmung abzuwarten, streifte sich Stefan eine Regenjacke ueber und bugsierte sie zu seinem Auto.

Hartmut war ziemlich ueberrascht, den Bruder an einem Freitag Fernsehabend vor Sendeschluss von seinem geliebten Ohrensessel aufstehen zu sehen. Normalerweise uebernahm er den aktiveren Part, waehrend sich Stefan in der Rolle des Phlegmatikers gefiel. Etwas wie Neid flog ihn an, als er ihn mit der jungen Dame in der Dunkelheit verschwinden sah.

Draussen war der Sturm zu einem Orgeln angestiegen. Regen schlug den Beiden ins Gesicht und sie waren froh, als sie endlich im Auto sassen. Kaum aber waren sie ein kurze Strecke gefahren, als die Frau zu Stefan sagte: "Bitte bringen Sie mich nicht zu dem Hotel, ich kann das Zimmer sowieso nicht bezahlen, setzen Sie mich einfach am Bahnhof ab."

Stefan bremste und sagte nach kurzer Ueberlegung: "Das wuerde Ihnen wenig helfen. Freitags fahren nach 20 Uhr keine Zuege mehr, ich glaube, das Gebaeude wird sogar abgeschlossen. Wollen Sie denn wirklich noch lange in der nassen Kleidung herumlaufen?"

Die Schwarze schwieg. Es war so dunkel, dass er kaum den Umriss ihres Gesichtes erkennen konnte. Er sagte betont geschaeftsmaessig: "Wenn Sie nichts dagegen haben ... Sie duerfen bei uns uebernachten. Sie koennen dort ihre Kleidung wechseln und sich morgen frueh in aller Ruhe ueberlegen, was sie weiter tun wollen."

Nach einem schnellen Seitenblick, den man nur duch das Verschwinden ihres Profils von der Beifahrerscheibe wahrnahm, akzeptierte die Frau das Angebot. Tatsaechlich war sie froh, fuer die Nacht ein Dach ueber den Kopf zu haben, auch wenn sie befuerchtete, die Maenner koennten zudringlich werden. Aber sie wuerde sich ihrer Haut schon zu erwehren wissen. Sie hatte in diesem fremdem, reichen Land schon ganz andere Situationen gemeistert.

Es gab nie einen verblueffteren Menschen als meinen Vetter Hartmut, der seinen Bruder unverrichteterdinge und in Begleitung des schwarzen Maedchens von der Ausfahrt heimkommen sah.

"Also", sagte Stefan, wobei er tief Luft holte, um sich gegen die Entruestung seines Bruders zu wappnen, "A'ina wird heute nacht hierbleiben, weil sie kein Geld fuers Hotel hat."

Als Hartmuts Widerstand ausblieb, fuegte er schnell hinzu: "Zuerst muss sie sich aber schleunigst trockene Kleider anziehen." Und zu ihr gewandt: "Bitte kommen sie mit nach oben; ich werde Ihnen Jeans und einen warmen Pullover und auch Unterwaesche heraussuchen. Ich muss mal sehen, was wir fuer sie haben." Er wollte sie im Moment auf keinen Fall mit Hartmut allein lassen, da er fuerchtete, sein Bruder werde sie durch ruedes Benehmen verscheuchen.

Minuten spaeter kam er allein die Treppe herunter. Mit moeglichst neutraler Stimme informierte er Hartmut: "Ich habe ihr gesagt, sie soll sich erst mal heiss abduschen, und ihr ein paar Klamotten von mir hingelegt."

Hartmut platzte heraus: "Was hast du dir dabei gedacht, sie wieder mitzubringen? Vielleicht ist sie eine Diebin oder ... Moerderin, ich werde die ganze Nacht nicht schlafen koennen."

"Nun uebertreib mal nicht. Wenn es dich beruhigt, schliess halt dein Zimmer ab" meinte Stefan trocken und fuegte hinzu: "Haette ich sie etwa auf der Strasse aussetzen sollen? Offensichtlich wusste sie nicht wohin."

Hartmut gab seinen Widerstand auf. Insgeheim fand er es ganz reizvoll, mal wieder eine Frau im Haus zu haben.

Schliesslich kam das Maedchen nach unten. Stefans Kleider passten einigermassen. Die Hosen und Pullover meiner Vettern waren im ganzen Ort, und darueber hinaus, fuer ihre Schlabberigkeit bekannt und weit genug, dass sie auch breiteste weibliche Becken und groesste Oberweiten zu fassen vermochten.

Man schaltete nun den Fernseher aus und stellte die Sessel zu einer Dreiergruppe um. Um seine Unhoeflichkeit wettzumachen, bereitete Hartmut eine kleine Mahlzeit zu und drehte die Heizung um exakt 1 Grad hoeher.

Nachdem sie unter den Augen meiner Vettern gegessen hatte, erzaehlte das Maedchen die verwirrende und nicht ganz logische Geschichte von einer Autopanne und einem Streit; die Brueder wollten aber gar keine Details hoeren; sie wussten ja von dem Telefongespraech, dass die Frau in Schwierigkeiten steckte. Hartmut unterbrach sie und - da er meinte, sie glaube immer noch, dass er sie ablehne, was teils auch stimmte, aber eben nur teils, und er wollte, ohne dass er den Grund haette erklaeren koennen, unbedingt den Eindruck vermeiden, er missbillige Stefans Einladung - bestaetigte ausdruecklich: "Sie koennen hier uebernachten, aber bitte erklaeren Sie, dass Sie nicht von der Polizei gesucht werden. Mein Bruder und ich haben wenig Neigung, auf der Polizeistation lange Erklaerungen abzugeben." Ueber die Konsequenzen fuer den guten Ruf der Familie mochte er gar nicht nachdenken. Ja, mein Vetter Hartmut legte schon in jungen Jahren grossen Wert auf sein oeffentliches Ansehen.

Nein, nein, versicherte sie eilig, von der Polizei habe sie nichts zu befuerchten, sie sei ordnungsgemaess beim Auslaenderamt angemeldet. Sie habe eine Arbeitserlaubnis als Taenzerin, die erst in einem halben Jahr ablaufe. Sie zoegerte, bevor sie das Wort 'Taenzerin' aussprach und liess offen, ob sie von jemand anders etwas zu befuerchten habe.

Waehrend des restlichen Abends mied man alle Themen, die sich mit den derzeitigen Verlegenheiten der jungen Frau beschaeftigten. Stattdessen erzaehlten meine Vettern aus ihrem Leben in der kleinen Stadt. Da bei allen dreien die Kindheit nicht weit zuruecklag und eine lebhafte Erinnerung daran bestand, liessen sie in ihren Erzaehlungen die alte Zeit wiederauferstehen, bevor die Eltern gestorben waren, und berichteten von ihrer Schule, ihren Freunden und von ihren Erfolgen in der oertlichen Fussballmannschaft. Hartmut brachte es ueber sich, 2 Flaschen Wein aus seinem gehueteten Weinkeller zu opfern, und endlich taute auch A'ina auf und erzaehlte von ihrer Heimat Nigeria, Geschichten aus der Vergangenheit und dem Leben in Lagos, mit 12 Millionen Einwohnern eine der groessten Staedte der Welt. Vor den inneren Augen meiner Vettern entstand das farbenfrohe Bild einer wuseligen Mangel- und Schwarzmarktgesellschaft, in der kleine Maedchen wenig gelten, sich frueh einen Beschuetzer suchen muessen und - dabei manchmal an den Falschen geraten.

Zu diesem Thema fiel Stefan seine Abteilungsleiterin ein, die ihn so gern herumkommandierte. Die Situation der Frau hatte sich in Deutschland, besonders im letzten Jahrzehnt, entscheidend gewandelt, und meinen Vetter, der vorher jahrelang von seiner Mutter bevormundet worden war, versetzte dieser Wandel nicht gerade in Begeisterung. Er dachte bei sich, dass jene Frauen, die frueher das Zepter zu Hause geschwungen haetten, nun im Berufsleben ihren Vorteil voll ausspielen konnten. Von dominierenden Frauen fuehlte er sich zugleich angezogen und abgestossen, war aber entschlossen, ein moeglichst sanftes Wesen, vielleicht eine Krankenschwester, zur Frau zu nehmen, wenn sich denn eines finden liesse.

Nachdem der Gast gegen 12 Uhr uebermuedet in seinem Zimmer verschwunden war, guckten die Brueder noch einen spaeten Abenteuerfilm. Beide waren nicht ganz bei der Sache und hingen eigenen Gedanken nach.

Am naechsten Morgen wurden sie durch eine laute Stimme geweckt. A'ina hatte den Fruehstueckstisch gedeckt und erwartete anscheinend, dass man samstagmorgens um 8 Uhr mit ihr aufstand. Als meine Vettern nach unten kamen, fanden sie die Frau im Vergleich zum Vorabend wie verwandelt. Sie wirkte ausgeschlafen und unverzagt und hatte das gestern wirre offene Haar zu dicken Flechten hochgesteckt. Waehrend Stefan noch murrte, zu frueh geweckt worden zu sein, war Hartmut von dem Anblick der ordentlich angerichteten Mahlzeit recht angetan.

Doch blieb er beim Fruehstueck ungewoehnlich still, hingegen Stefan, sobald er ihr den Weckruf verziehen hatte, angeregt mit A'ina plauderte. Hartmut lag naemlich mit sich im Widerstreit, ob man der Frau anbieten solle, fuer sich und seinen Bruder den Haushalt zu fuehren. Der Hausarbeit ueberdruessig, hatten meine Vettern schon lange vor, eine Wirtschafterin einzustellen, jedoch bisher die Kosten gescheut. Hartmut ueberlegte, dass der Zufall ihnen nun eventuell die Moeglichkeit verschaffte, jemanden zu aeusserst guenstigen Bedingungen zu beschaeftigen. Obendrein konnte man der Schwarzen zumuten, schmutzige Putzdienste zu erledigen, die eine ausgebildete Wirtschafterin gewiss verweigern wuerde.

Als Stefan nach A'inas Zukunftsplaenen fragte und das Maedchen vage andeutete, sie wolle zurueck in die naechstgelegene Grosstadt, wo sie herkomme, und sich dort eine Bleibe suchen, sah Hartmut den richtigen Zeitpunkt fuer gekommen. Sie seien schon lange auf der Suche nach einer Haushaelterin, warf er ein, und, nachdem sie den Fruehstueckstisch so perfekt gedeckt habe, wolle er ihr die Stelle anbieten. Bei diesen Worten blickte er seinen verduzten Bruder beifallheischend, ja triumphierend, an. Er wisse natuerlich nicht, was sie als Taenzerin verdiene, fuegte er hinzu, allzuviel koenne man ihr nicht zahlen, aber es sei sicherlich eine gute Idee, in der kleinen Stadt abzuwarten, bis sich der Staub ihrer derzeitigen Schwierigkeiten gelegt habe.

Das Maedchen erwiderte hoeflich, ja, das sei an und fuer sich eine gute Idee. Nur wisse sie nicht, ob sie so einfach aus dem bestehenden Arbeitsvertrag herauskomme, und selbst wenn, ob dann nicht automatisch ihre Aufenthaltsgenehmigung verfalle. Sobald sie dies vorgebracht hatte, aergerte sie sich auch schon darueber; sie erkannte, dass ihr Gastgeber tatsaechlich soeben den richtigen Weg vorgeschlagen hatte, ihren Peinigern zu entkommen. Warum sollte sie auf Schwierigkeiten hinweisen, die auf ihn zukommen koennten? Ein finsterer Schatten glitt ueber ihr Gesicht, dann sagte sie schnell: "Ich denke, wenn Sie und Ihr Bruder mir einen Anschlussvertrag geben, kann die Auslaenderbehoerde keinen Einspruch erheben. Ich werde alles selbst in die Hand nehmen, so dass Sie beide keine Unannehmlichkeiten damit haben."

Auch meine Vettern fanden es plausibel, dass man eine befristete Anstellung als Taenzerin kurzfristig kuendigen kann. Die Annahme, der neue Arbeitsvertrag werde ohne weiteres als Grundlage fuer eine Bestaetigung oder sogar Verlaengerung der Aufenthaltsgenehmigung akzeptiert, war jedoch etwas blauaeugig. Da die Frau sich darueber von Anfang an im Klaren war, verwahrte sie das Papier sorgfaeltig in den Tiefen ihrer Handtasche, ohne es jemals wieder hervorzuholen, ausser viele Jahre spaeter, als sie es in Erinnerung an abenteuerliche Zeiten ihren Kindern zeigte.

So nahm A'inas Taetigkeit im Hause meiner Vettern ihren Lauf. Man hatte sich auf einen Lohn geeinigt, der Hartmut, den Verwalter der Familienfinanzen, befriedigte und A'ina gerade noch das Gesicht wahren liess. Da sie in Zukunft ueber die Verwendung der woechentlichen Haushaltsmittel bestimmen wuerde, schwebte ihr von Anfang an vor, die eine oder andere Kleinigkeit fuer eigene Beduerfnisse abzuzweigen. In Anbetracht von Hartmuts Knebelvertrag konnte ihr niemand daraus einen Vorwurf machen.

Das Auftauchen einer Frau schwarzer Hautfarbe erregte in den Strassen und Laeden der kleinen Stadt naturgemaess erhebliches Aufsehen. Als bekannt wurde, dass sie bei meinen Vettern die Wirtschaftsfuehrung uebernommen hatte, fehlte es nicht an unpassenden, ja sogar boesartigen, Kommentaren. Man war hier traditionsgemaess allen Neuerungen und Fremden gegenueber wenig aufgeschlossen; zum Beispiel hatten Buerger und Stadtraete gemeinsam ueber viele Jahre erfolgreich die von der Landesregierung geplante Einrichtung eines Asylbewerberheimes hintertrieben - mit einem Wort: in der Stadt herrschte ein konservativer Geist und jeder dunkelhaeutige Fremde wurde misstrauisch beaeugt, da man befuerchtete, er kuendige eine Schwemme von Wirtschaftsfluechtlingen an, die sich wie Heuschrecken vermehren und binnen weniger Generationen Kultur und Brauchtum des Landes vernichten wuerden. Solche Aengste grassierten unter den aelteren Einwohnern, hingegen die juengeren meist frei davon waren; und meine Vettern, mit vielen Honoratioren von Kindesbeinen gut bekannt, liessen sich von dem einsetzenden Gegenwind nicht beeindrucken.

Es ist wohl zum Verstaendnis des Gesagten noetig, die Vorgeschichte unserer Familie zu erzaehlen. Der Vater meiner Vettern, also mein Onkel, der aus einem benachbarten Dorf stammte, hatte sich viele Jahre zuvor nach dem Studium als Apotheker in der kleinen Stadt niedergelassen. Er war dort zu Wohlstand und Ansehen gekommen und hatte schliesslich eine Familie gegruendet und ein geraeumiges Haus gebaut.

Das Bauwerk war von mehr als durchschnittlicher Qualitaet. Die Waende waren dicker, der Keller tiefer und Heizung und sonstige Anlagen verlaesslicher als in durchschnittlichen Einfamilienhaeusern. Nur beste ausgesuchte Materialien, die zum Teil in unserer Gegend ganz ungebraeuchlich sind, wurden verwendet; mit einem Wort: das Haus war in der Absicht errichtet worden, fuer mehrere Generationen Bestand zu haben. Voellig ueberraschend starb mein Onkel, als meine Vettern 11 beziehungsweise 9 Jahre alt waren.

Nach dem Ableben des Vaters hatte es die Mutter fuer empfehlenswert gehalten, ihre Soehne vom Gymnasium zu nehmen und sie bei der oertlichen Post- bzw. Bahn-verwaltung zu einer Technikerlehre einzuschreiben. Meine Vettern fuehlten sich durch den Verlust des einen Elternteils, der ein Fixstern in ihrem jungen Leben gewesen war, derart verunsichert, dass ihre schulischen Leistungen nachliessen, und hatten nichts dagegen, ihre Lebensplanung von der Mutter festlegen zu lassen.

Diese fuehrte dann noch jahrelang den Haushalt und das Regiment, bevor sie selber einem Leberleiden erlag, als die Soehne Anfang 20 waren. Die Ruecklagen der Familie reichten auch in der Phase, in der meine Vettern nur ihr geringes Lehrgeld heimbrachten, zu mehr als zum Ueberleben aus. Indem sie sparsam haushaltete, konnte meine Tante ihren Kindern die meisten Wuensche erfuellen und musste sich auch selbst Angenehmes nur selten versagen.

Die Eltern waren beide bestimmende Persoenlichkeiten gewesen und hatten ihren Soehnen wenig Bewaehrungsspielraum gelassen. Wenn ich bei Onkel und Tante zu Besuch war, und z.B. mit ihnen am Mittagstisch sass, pflegte ich furchtsam vom einen zur andern zu spaehen und auf den naechsten Tadel zu warten.

Die Soehne liessen sich durch die strenge Erziehung aber nicht verdriessen, sondern wuchsen zu munteren Gesellen heran. Besonders Stefan zeigte von frueher Kindheit ein sonniges soziales Gemuet und akzeptierte die elterlichen Beschraenkungen so eben bis zur Haustuer. Hartmut wiederum hatte das Bestimmende seiner Altvorderen geerbt und wuerde seinen Kindern dereinst mit gleicher Muenze heimzahlen.

Die Mutter verstand es bis zu ihrem Tode zu verhindern, dass weibliche Wesen sich in ihrem Hause breitmachten. Seis durch hinreichend spitze Bemerkungen, oder durch bedenkliche Blicke, machte sie ihren Soehnen das Mangelhafte aller Bewerberinnen deutlich. Aber auch spaeter - die Brueder waren zu ansehnlichen Twens und Sportskanonen herangereift - wollte das Liebeskarusell, das sich heutzutage fuer die meisten von uns so schnell dreht, fuer meine beiden Vettern nicht recht anlaufen. Stefan hatte zwar gelegentlich eine Affaere mit einer Kollegin oder Vereinskameradin, die sich aber regelmaessig im Sande verlief. Hartmut wiederum stellte hoechste Ansprueche an seine Gespraechs- oder Beziehungspartner und hatte bisher noch keine Frau kennengelernt, die diesen gerecht wurde.

So stand es um die beiden, als A'ina in ihr Leben trat. Sie hatten jetzt, mit Mitte 20, zwar den Tod ihrer geliebten Mutter verarbeitet, auch hatte sich ein relatives Gleichgewicht in Tagesablauf und bei den Freundschaften herausgebildet, und keiner stoerte die Kreise des anderen. Zwei- bis drei-mal woechentlich traf man sie im Sportverein und zum Schach- oder Karten-spielen in der Gastwirtschaft und manchmal sassen sie mit den Freunden in grosser Runde bei sich zu Hause.

Trotzdem wollte sich eine ausgeglichene Zufriedenheit nicht einstellen. Hinter ihrer gleichmuetigen, beherrschten und selbstsicheren Fassade waren sie aufgeregt wie ein Bienenschwarm, so als warteten sie bestaendig auf ein bedeutsames Ereignis, das ihrem Leben eine Wendung und tieferen Sinn geben wuerde.

Es war nicht anzunehmen, dass die Einstellung einer Wirtschafterin solche weitreichenden Folgen haben wuerde, und es sollte gesagt werden, dass sich alle drei Beteiligten von Anfang an eines rein geschaeftsmaessigen Gebarens befleissigten und es zu keinerlei sexuellen oder sonstigen Avancen seitens meiner Vettern kam. Hartmut verwahrte sich innerlich gegen jeden Gedanken dieser Art, waehrend Stefan auf die Zeit setzte, die bekanntlich nicht nur alle Wunden heilt, sondern auch der beste Koch ist. A'ina haette sich jeden Uebergriff auch vehement verbeten, da sie zusaetzliche Komplikationen in ihrer ohnehin schon verfahrenen Situation befuerchtete.

Zu Hartmuts Missvergneugen erwies sich ihre Haushaltsfuehrung als recht unorthodox. Den Fruehstueckstisch an jenem ersten Morgen hatte sie aus reiner Dankbarkeit so perfekt gestaltet, die nur etwa eine Woche anhielt. Danach zeigten sich Risse im Bild des fleissigen Lieschens - Hartmut haette wissen muessen, dass um den geringen Lohn keine vollkommene Hausfrau zu bekommen war.

Vor allem vermisste er einen gleichmaessigen Arbeitsstil. An manchen Tagen fehlten der Mamsell Lust und rechter Schwung, auch nur aus dem Bett zu finden, waehrend sie an anderen bis in die Nacht wie verrueckt in Haus und Hof herumwienerte, dass meinen Vettern hoeren und sehen verging. Auch gewoehnte sie sich einen reichlichen Kommandoton an und erwies sich als bestimmende Persoenlichkeit, mit der Neigung, meine Vettern an die Wand zu spielen und jede Schwaeche gnadenlos auszunutzen. Dann fuehlten sich die beiden Brueder an alte Zeiten erinnert, als ihre Mutter im Haus noch die Befehlsgewalt innehatte, indes sie waren nicht gerade gluecklich ueber diese Entwicklung.

Einmal fuehrte ein Platzregen spaetabends zu einer vollstaendigen Ueberschwemmung des Kellers. Das Wasser sprudelte aus allen Ritzen und Fenstern und erreichte eine Pegelhoehe von ueber 30 Zentimetern, bevor es langsam wieder abfloss. Die drei Hausbewohner wateten mit Gummistiefeln durch die Fluten und versuchten, sich ein Bild von den Schaeden zu machen. Wo das Nass nicht ablief, musste mit Besen, Eimern und Aufnehmern nachgeholfen werden. A'ina dirigierte meine Vettern durch die Raeume und bestimmte, in welcher Reihenfolge die Arbeiten durchzufuehren seien. Erst nachts um halb vier hatte man Wasser und Schlamm weitgehend beseitigt. Anschliessend waelzten sich meine Vettern erhitzt und schlaflos in ihren Betten, bis sie der Wecker heraustrieb. Ihre Angestellte aber schlief in den Tag hinein, sie meinte, Wirtschafterinnen koennten sich ihre Arbeit eben freier einteilen als oeffentlich Bedienstete.

A'ina bestand grundsaetzlich darauf, dass meine Vettern ihr bei allen schweren Taetigkeiten zur Hand gingen. Wenn sie zum Beispiel Mineralwasser gekauft hatte, wurde Stefan regelmaessig vom Fernseher weggerufen, um die Kisten vom Auto in die Wohnung zu tragen. Hartmut, da er oefter in seiner Dachstube an kleinen Erfindungen bastelte, war weniger davon betroffen. Er hatte sich allerdings schwer getan, der Schwarzen die Benutzung des Autos zum Einkaufen zu gestatten. Als sie den Wagen auch fuer gelegentliche private Unternehmungen nutzen wollte, legte er vehement Widerspruch ein und gab erst nach einem veritablen Streit nach, in dem solche Saetze fielen wie: "Ich bin nicht euer fades Faktotum, das keine Ansprueche stellt und sich nach der Arbeit in einen Schuhkarton sperren laesst."

Im ganzen achtete A'ina auf eine akzeptable Arbeitsleistung. Wannimmer Hartmut erwog, sie hinauszuwerfen, stellte sich Stefan hinter sie. Doch kam es umgekehrt auch vor, dass der sich ueber sie aergerte, seis weil sie abends einen Film durchsetzte, der ihn nicht interessierte, seis weil sie seine Blicke niemals erwiderte oder er nach ihrem woechentlichen Reinemachen in seinem Zimmer nichts an seinem angestammten Platz wiederfand. Wenn er Hartmut dann an seine Kuendigungsdrohungen erinnerte, stiess er auf taube Ohren, da der Bruder sich des guten Preisleistungsverhaeltnisses von A'inas Arbeitskraft, aber auch der athmosphaerischen Verbesserung des Hausstandes wohl bewusst war. Durch ihren Einzug, keiner der Vettern haette es offen zugegeben, war es naemlich heller geworden zwischen den alten Mauern. Wie von selbst belebten sich auch die letzten Raeume des Hauses. Die Fenster fuellten sich mit Blumen und wenn man abends aus dem Buero kam, klang schon beim Eintreten vom Wohnzimmer froehliches Singen herueber, oder laute Musik aus der Anlage. Ueberall brannte das Licht, und auch wenn Hartmut die hohen Stromkosten monierte - "man soll das Licht loeschen, sobald man einen Raum verlaesst" und sie ihn nachaeffte "man soll, man soll, bei dir heisst es immer nur man soll" - so schien doch das Haus selbst voll heimlicher Freude, dass untertags das Leben zurueckgekehrt war.

Waehrend des Sommers setzte sich A'ina gewoehnlich nach getaner Hausarbeit in eine Scharte der Gartenmauer, um geduldig auf die Heimkunft ihrer Arbeitgeber zu warten. Waehrend sie sich mit dem Ruecken an das Mauerwerk lehnte und ihre Fuesse den Takt zu einer imaginaeren Melodie klopften, wurde sie von vielen Passanten bestaunt. Fuerwahr, ein ungewohntes Bild, das sich dem kleinen Staedtchen bot! Meine Vettern fanden nichts dabei, sie meinten, dem Ort koenne ein Quaentchen fremder Folklore nicht schaden.

Der erste, der von der Arbeit kam, wurde mit dem reizendsten Laecheln empfangen und unter munterem Geplapper ins Haus begleitet, der zweite hatte das Nachsehen. Hei, wie es meine Vettern ploetzlich aus dem Buero trieb! Sobald die Kernzeit endete, gegen 15 Uhr 30, stuermten sie heim.

Manchmal, wenn Stefan und Hartmut sich mit ihren Vereinskameraden und -kameradinnen trafen, wurde A'ina dazugeladen. Am Ortsrand gab es eine ausgedehnte Sportanlage mit Restaurant und einem grossen Biergarten. Dort sassen sie dann mit zwei Dutzend anderer Twens unter Sonnenschirmen an einem langen Tisch beisammen. Man fuehlte sich wohl hier, ganz gleich ob man vom Tennisplatz oder direkt von zu Hause kam, ob man sich angeregt unterhielt oder auch nur den Plaudereien der anderen lauschte.

Als meine Vettern zum ersten Mal mit A'ina bei diesem 'Stammtisch' erschienen waren, drohte die Stimmung anfangs umzukippen. Misstrauische Blicke wurden zwischen den jungen Leuten hin- und hergeworfen. Als aber der beliebteste und beste Tennisspieler der Stadt eine freundliche Bemerkung machte und der jungen Frau den freien Platz neben sich anbot, taute man schnell auf. Sie unterhielt sich den ganzen Abend blendend und war nachher in der Clique wohlgelitten.

Meine Vettern freuten sich zwar ueber ihren Erfolg, innerlich waren sie aber ein wenig besorgt, wenn sich einer ihrer Altersgenossen naeher fuer die junge Dame interessierte. Indes, A'ina unterhielt sich am liebsten mit den Frauen aus der Clique, da sie die Freundschaften ihrer Dienstherren nicht beeintraechtigen wollte.

Die Wochenenden nahm sie sich weitgehend von den Hausarbeiten frei. Zwar war sie mit dem Hintergedanken eingestellt worden, dass Arbeitsschutzbestimmungen fuer sie nicht zu gelten haetten, doch sie stellte schnell klar, dass sie fuer ihr jaemmerliches Gehalt nicht mehr als 40 Stunden zu wirtschaften bereit war.

An einem typischen Sonntag morgen, wenn alle Hausbewohner ausgeschlafen hatten, wuerde sie das Bad mindestens eine Stunde lang besetzt halten und so meine Vettern zwingen, ihre Notdurft auf dem Gaesteklo zu verrichten. Schliesslich wuerde sie im weissem Bademantel und mit einem Frotteehandtuch um den Kopf die Badezimmertuer oeffnen und eben noch sehen, wie Stefan eine Plastikflasche achtlos in den Muelleimer auf dem Flur warf.

"Was haben Sie denn mit der Flasche gemacht?", wuerde sie fragen.

"Aeh, die habe ich in den Muelleimer geworfen", wuerde Stefan arglos antworten.

"Da gehoert sie aber nicht hin", wuerde sie ihn darauf spitz zurechtweisen.

"Wohin denn?" wuerde es Stefan entfahren und im gleichen Moment wuerde ihm einfallen, worauf sie hinauswollte.

"... in den gelben Sack natuerlich", wuerde A'ina triumphierend ausrufen, weil sie die deutschen Sitten besser kannte als ihr Brotgeber.

"Und ... " wuerde sie sich nicht enthalten koennen hinzuzufuegen, " ... vergessen Sie nicht, dass Sie heute fuer die Kueche zustaendig sind."

Stefan wuerde es daraufhin vorziehen, sich stillschweigend in sein Zimmer zu verdruecken.

A'ina nutzte manche ihrer freien Wochenenden, um sich in der Kleinstadtszene umzutun. Man weiss nicht, ob sie allzu viel Erfreuliches dort erlebt hat, aber die Aussicht, den Abend allein oder mit den Bruedern in der Wohnstube zu verbringen, schien ihr bisweilen wenig verlockend. Es bestand naemlich zunehmend das Problem, dass meine Vettern sich gegenseitig belauerten, ob einer ein engeres Verhaeltnis zu ihr gewann als der andere, und ob sie auch beiden das genau gleiche Mass an Zuwendung gewaehrte. Der darob latent gespannten Atmosphaere entzog sie sich durch Flucht. Sie hatte von allem Anfang jede Bevorzugung in die eine oder andere Richtung streng vermieden, konnte aber nicht verhindern, dass meine Vettern ihre eigenen Verabredungen nicht mehr wahrnahmen, aus Sorge, der andere koenne mit ihr einen schoenen Abend allein verbringen. Daher kuendigte sie ihr Ausgehen bald gar nicht mehr an. Wenn die Brueder nicht wussten, an welchen Tagen sie wegging, wuerden sie ihre Termine schon wieder einhalten.

An manchen Abenden war die junge Frau seltsam unruhig. Dann machte sie sich besonders sorgfaeltig zurecht, schwenkte summend ihre Hueften und hatte, waehrend sie sich von meinen Vettern verabschiedete, ein bedeutungsvolles Blitzen in den Augen. Hartmut zuckte resignierend mit den Schultern und wandte sich seinen Beschaeftigungen zu, waehrend Stefan in dem uneingestandenen Versuch, sie nicht fortzulassen, im Hausflur mit ihr plauderte. An ihrer Aufgekratztheit und ihrem ganzen Verhalten erkannte er, dass sie auf ein sexuelles Abenteuer aus war. Im Stillen aergerte er sich ueber die Anwesenheit des Bruders, denn er glaubte, ohne Hartmut leichtes Spiel mit ihr zu haben.

Kurz vor Mitternacht, waehrend ihre Dienstherren unruhig im Wohnzimmer warteten, kam sie mit einem Kerl im Schlepptau zurueck, der die Brueder mit einfaeltigem Grinsen begruesste, bevor er mit der Schwarzen im oberen Stockwerk verschwand. Das Erdgeschoss war von meinem Onkel offen angelegt worden, so dass sie ihn nicht ungesehen hatte vorbeischmuggeln koennen.

Meine Vettern schickten ihr lange Blicke hinterher. Sie wussten nicht, was sie dazu sagen sollten und waren sich unsicher, ob es zu den Rechten einer Hauswirtschafterin gehoerte, ihre Tagesbekanntschaften mit aufs Zimmer zu nehmen. Missmutig und voll finsterer Gedanken sassen sie vor dem Fernsehapparat. Schliesslich konnte sich Hartmut nicht laenger beherrschen.

"Ich finde, sie haette fragen muessen, ob sie jemanden ins Haus bringen darf", sagte er zu Stefan. Dieser liess als Antwort nur ein verdriessliches Brummen ertoenen.

Hartmut hielt es nicht auf seinem Stuhl. "Ich meine, es ist allein unser Recht zu bestimmen, wer in diesem Haus ein- und ausgeht, und besonders Nachts habe ich grosse Probleme damit, dass Fremde, die ich ueberhaupt nicht kenne, im Haus sind. Ich werde jetzt hochgehen und den Typ hinauswerfen. Wenn A'ina ihm folgen will, kann sie das meinetwegen tun."

Stefan machte ein bedenkliches Gesicht, sagte aber wieder nichts dazu.

Entschlossen stieg sein Bruder die knarrende breite Holztreppe hinauf. Indem er besonders fest auftrat, machte er zusaetzlichen Laerm, um sich dem Paerchen anzukuendigen. Vor ihrem Zimmer zoegerte er kurz, klopfte dann hoeflich, aber vernehmlich und wartete noch einmal 2 Sekunden, bevor er die Klinke drueckte. Die Tuer war verschlossen.

"A'ina" rief er, "ich moechte mit Ihnen reden."

"Hat das nicht Zeit bis morgen frueh?", kam es aergerlich aus der Kammer zurueck. "Sie haben doch gesehen, dass ich Besuch mitgebracht habe."

"Nein, es muss jetzt sofort sein", beharrte Hartmut entschieden.

"Ich moechte aber jetzt nicht oeffnen", sagte sie genauso deutlich. Sie wollte sich ihren Spass nicht verderben lassen.

Da poebelte Hartmut in jaehem Zorn durch die geschlossene Tuer: "Wenn Sie jetzt nicht sofort aufmachen, ist unser Arbeitsverhaeltnis zum naechsten ersten beendet! Es geht nicht an, dass sie hier irgendwelche Fremden anschleppen, die wir nicht kennen und bei uns nicht dulden wollen. Ich moechte, dass der Mann sofort aus meinem Haus verschwindet."

Etwa eine Minute lang liess sich aus dem Zimmer nichts hoeren. Mein Vetter stand kurz davor, vollends den Verstand zu verlieren und wild gegen die Tuer zu haemmern. Da drehte sich der Schluessel im Schloss und eine aergerliche, aber verunsicherte A'ina baute sich vor ihm auf. Bevor sie etwas sagen konnte, ueberschuettete Hartmut sie mit einem Schwall von Worten. "Wir haben schon alle moeglichen Eskapaden von Ihnen akzeptiert, sie koennen wahrlich nicht sagen, dass wir Ihnen in Ihrem privaten Bereich keine Freiheiten lassen. Aber was zu viel ist, ist zuviel. Dies ist unser Haus und irgendwo ist fuer mich die Grenze erreicht, die Sie nicht ueberschreiten sollten."

An seiner Stimme und am eiskalten Glanz seiner Augen erkannte sie, wie ernst er es meinte und dass man darueber nicht mit ihm diskutieren konnte. Im Tuerrahmen erschien jetzt der fremde Bettgeselle, der sich hinter ihrem Ruecken vorbeischob und schnell verabschiedete. Hartmut warf ihm einen hasserfuellten Blick nach, den A'ina auffing, bevor sie sich umdrehte und wieder in ihrem Zimmer einschloss.

Am naechsten Tag taten die drei Protagonisten, als sei nichts gewesen. Das Maedchen war vielleicht eine Spur hoeflicher und distanzierter als sonst, und auch Hartmut und Stefan versuchten, neutralen Boden zurueckzugewinnen. Sie fanden es sowieso erstaunlich, dass sich A'inas Bekanntschaften meist nie wieder meldeten.

Als er ein paar Tage spaeter aus seinem Amtsgebaeude trat, das am Rande des Innenstadtviertels liegt, sah Hartmut seine Hausangestellte mit 2 schweren Einkaufstaschen auf der gegenueberliegenden Strassenseite voruebergehen. Er rief sie an, winkte und erbot sich, ihr beim Tragen und den letzten Besorgungen zu helfen.

Es war das erste Mal, dass er sich mit ihr zusammen in der Oeffentlichkeit bewegte. Waehrend er den Buergersteig entlangging, beschlichen ihn seltsame, nie gekannte, unangenehme Empfindungen. Er waehnte, in ihrer Begleitung von Fussgaengern, aber auch von Autofahrern, die lange Haelse machten, mit abschaetzenden Blicken bedacht zu werden. Er vermeinte, dass allen Passanten der gleiche Gedanke durch den Kopf gehe, naemlich, dass hier ein Weisser auf billige Weise zu einer bezaubernden Exotin und zu sexueller Triebabfuhr gekommen sei, und fuehlte sich wie am Pranger kollektiver Missbilligung.

Mehr als Stefan legte Hartmut grossen Wert auf seinen Leumund und auf Anerkennung durch das Gemeinwesen, in dem er lebte. Er hasste es, von Anderen neugierig gemustert zu werden, um so mehr, wenn sie veraechtliche Hintergedanken hegten. Seine Gefuehle, waehrend er scheinbar unbeeindruckt mit A'ina die Einkaeufe erledigte, irritierten ihn gewaltig; er haette sich nie vorstellen koennen, in Gegenwart einer Farbigen so zu empfinden und zwang sich, nicht auf die Blicke der Voruebergehenden zu achten. Trotzdem blieb eine ungute Erinnerung an dieses Erlebnis, und er vermied es vorlaeufig, mit A'ina in die Stadt zu gehen.

Meine Vettern hatten in diesem Jahr auf ihre jaehrliche Urlaubsreise, die sie meist auf eine warme griechische oder spanische Insel fuehrte, verzichtet. Stattdessen trafen sie sich mit der Clique zum Grillen oder auf Parties, zu denen auch A'ina eingeladen wurde. Genausogern verbrachten sie ihre freien Tage auf der eigenen Terasse, lesend oder bei einem Gesellschaftsspiel. So ging ein heisser Sommer vorueber, ohne dass mehr geschah als dass drei junge Menschen ihr Leben aus vollen Zuegen genossen.

Schliesslich wurden die Tage kuehler und kuerzer. Die letzten Rosenblueten standen vom Wind zerzaust, und in den Gaerten gediehen praechtige Fruechte. Die Erntezeit war gekommen. Als meine Tante noch lebte, hatte sie einen grossen Gemuesegarten bewirtschaftet. Nach ihrem Tode saeten meine Vettern, da sie kein gruenes Haendchen besassen, ueberall Grasssamen aus. Mehrere abseits stehende Obstbaeume - Apfel, Kirsche und Pflaume - liessen sie stehen.

Nun mussten die Pflaumen dringend gepflueckt werden. An einem sonnigen Samstagmorgen griff Hartmut zu Eimer und Haushaltsleiter und stieg in den Baum hinein. Nach 10 Minuten gesellte sich A'ina zu ihm, Licht und Geraeusche hatten sie herausgelockt. Ohne grosse Worte begann sie ihm von unten zu helfen.

Beim Anblick der hin und herschwingenden Zoepfe, zu dem sie ihr widerspenstiges Haar gebunden hatte, wurde Hartmut seltsam warm ums Herz. Er fuehlte sich frei wie ein Vogel der Luefte und vollfuehrte tolle Bravourstueckchen, um die am hoechsten haengenden Pflaumen, die bekanntermassen die wohlschmeckendsten sind, zu erreichen. Wenn sein eigener Eimer zu tief hing und vom Blattwerk verdeckt war, flogen sie an den Ohren der jungen Wirtschafterin vorbei in deren Schuessel. Die unterbrach ihre Taetigkeit, doch statt zu schimpfen, blickte sie besorgt zu ihm hinauf, ob er bei seinen Aktionen keinen Schaden nehme. Sie fand, dass er es denn doch zu sehr darauf anlegte, ihr zu imponieren.

Hartmut lachte mutwillig und schlug alle Warnungen in den Wind. Wahrlich, es hat nie einen besseren Akrobaten auf diesem Baum gegeben! Wie ein Affe schwang er sich von Ast zu Ast, pflueckte und neckte dabei seine Haushaelterin. Die Sonne sah ueber die Hausmauern zu und umspielte die jungen vergnuegten Gesichter.

Stefan wurde von dem munteren Treiben aus einem schoenen Traum gerissen, in dem sich eine liebende Frau zaertlich um ihn kuemmerte. Sie hatte die Haare, die Beine und auch sonst einiges von A'ina. Als er aufstand und die Rolllaeden seines Schlafzimmerfensters hochzog, sah er die beiden Mitbewohner geschaeftig beim Pflaumenbaum. Normalerweise haette ihm der Anblick des Bruders bei der Obsternte nur ein muedes Gaehnen entlockt und nicht vom Fruehstuecken abgehalten. Heute griff er hurtig zu seinen Hosen und war blitzschnell im Garten, wo er sich an A'inas Seite gesellte. "Hartmut", rief er hinauf, "wo steckst du denn? Was hat dich denn so frueh aus dem Bett getrieben? Diesen Eifer kenne ich ja gar nicht an dir!"

Der Angesprochene war nicht gerade erfreut ueber das Auftauchen seines Bruders. "Wieso?" meinte er kurzangebunden, "ich pfluecke doch jedes Jahr die Obstbaeume." Dann sprang er behende herunter, und sagte, indem er sich die gelben Blaetter aus den Haaren strich: "Was meinen Sie, A'ina, wir sind doch ein wunderbar eingespieltes Team."

Sie blickte an ihm herab. Sein altes T-Shirt und die Shorts waren voller kleiner brauner Flecken vom Fruchtwasser aufgeplatzter ueberreifer Pflaumen. An seinem nackten Fuss bemerkte sie ein grosses Pflaster, wo Schuhe die Haut aufgescheuert haben mochten. Mit seiner schmutzigen ungepflegten Erscheinung war er keine maennliche Idealgestalt. Freilich, was ihr bei einem anderen missfallen haette, hier stimmte es sie zaertlich. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, den Fuss und das Pflaster zu streicheln ...

Dann war es November. Die Baeume hatten sich entkleidet, ihr Laub lag auf dem frostermatteten Rasen. Und waehrend sich allerorten der Lauf des Lebens verlangsamte, nahmen im Haus meiner Vettern folgenschwere Ereignisse ihren Lauf.

Eines Abends, als die Brueder von der Arbeit heimkamen, trafen sie A'ina nicht zuhause an. Sie war noch einmal kurz in die Stadt gefahren, da sie beim Einkaufen etwas Wichtiges vergessen hatte. Das kam leider oefter vor - Hartmut hatte wiederholt erfolglos das Anlegen einer Einkaufsliste angemahnt. Als sie nach einer Stunde noch nicht zurueck war, begann er sich Sorgen zu machen.

Schliesslich klingelte das Telefon. Die Polizei hatte das Maedchen beim zu schnellen Fahren erwischt und festgestellt, dass es gar keinen Fuehrerschein besass. Nachdem mein Vetter ein paar Auskuenfte gegeben hatte, teilte man ihm mit, dass seine Wirtschafterin auf dem Weg nach Hause sei. Das ganze werde aber ein Nachspiel haben.

Ein Nachspiel. Dieses Wort ging Hartmut durch den Kopf, waehrend er auf A'ina wartete. Kaum war sie in den Flur getreten, da ueberschuettete er sie mit einem Schwall von Vorwuerfen, und beinahe haette er sich zu einer Kuendigung hinreissen lassen. Ein Glueck, dass just in diesem Moment im ganzen Viertel der Strom ausfiel.

Im Hausflur wurde es stockdunkel, und Hartmut erkannte nur am Weiss ihrer Augen, das bei manchen schwarzen Frauen zu leuchten scheint, wer vor ihm stand. Er wusste genau, was ihn davon abhielt, sie hinauszuwerfen: er empfand ihre Anwesenheit inzwischen als das hoechste Glueck, und der blosse Gedanke, sie zu verlieren, loeste Verlustaengste bei ihm aus.

So stand sich das Paar wortlos gegenueber, bis Stefan mit einer Kerze im Flur auftauchte. "Jetzt wollen wir uns erst mal hinsetzen und alles in Ruhe besprechen", unterbrach er das Schweigen.

Im Wohnzimmer wiederholte Hartmut seine Vorwuerfe, sie habe ihn beim Einstellungsgespraech belogen. Als er nicht locker liess, zuckte sie mit den Achseln und schwindelte: "Ich habe einen nigerianischen Fuehrerschein, mit dem ich in Afrika sehr viel autogefahren bin. Ich dachte, dass der auch in Deutschland gueltig ist. Erst der Polizist hat mich eben darueber aufgeklaert, dass ich hier eine Pruefung haette ablegen muessen." Innerlich war sie mit ihren Gedanken ganz woanders. Sie befuerchtete zu recht, dass die Auslaenderbehoerde nun ihren Aufenthaltsort erfahren und sie ausweisen wuerde.

Hartmut war sicher, dass sie log. Bei der Ueberlassung der Fahrzeugpapiere hatte sie behauptet, sie sei in Deutschland schon oft mit dem Auto unterwegs gewesen sei. Er aergerte sich so sehr, dass er lospolterte: "Sie kennen doch laengst unsere hiesigen Verhaeltnisse; keine deutsche Behoerde akzeptiert unbesehen afrikanische Dokumente. Das musste Ihnen doch klar sein! Wie konnten Sie uns nur so taeuschen?"

"Am Anfang war ich wirklich ganz unschuldig", beteuerte A'ina. Dann gab sie widerstrebend zu: "Im Lauf der letzten Monate ist mir natuerlich schon mal der Gedanke gekommen, dass mein Fuehrerschein hier vielleicht nicht anerkannt wird ..."

"Ach, im Lauf der Monate ...", aeffte er sie nach. "Ich werde Ihnen mal was sagen: ich glaube, Sie haben uns von Anfang an betrogen." Zorn und alte Vorbehalte brachen jetzt aus ihm heraus: "Ich frage mich auch die ganze Zeit, wie sie die teuren Roecke und Pullover finanzieren, die sie sich staendig kaufen. Neulich habe ich das Preisschild an ihrem Parfuemflacon gesehen: 298 Mark!" Beim Nennen dieses Geldbetrages erreichte seine Stimme schwindelnde Hoehen. "Bei dem Gehalt, was wir Ihnen zahlen, koennen Sie sich doch eigentlich nur T-Shirts und Jeans leisten."

"Nun reichts aber, Hartmut", stellte sich Stefan vor die Haushaelterin. "Das gehoert nicht zum Thema. Es war doch klar, dass sie mit ihren paar Mark nicht weit kommt und sich manche ihrer Sachen aus der Haushaltskasse kaufen muss. Wir haben das beide gewusst und darueber hinweggesehen. Trotzdem", wandte er sich an A'ina und kam sich dabei vor wie ein Vater, der auf sein unwilliges Kind einredet, "wenn es um wichtige Dinge wie die Fahrerlaubnis geht, darf man mehr Ehrlichkeit erwarten. In Deutschland ist es nun mal so, dass hohe Ansprueche ans Autofahren gestellt werden. Man will damit die Unfallrate und die Zahl der Verkehrstoten senken. Daran haetten sie denken muessen, bevor sie sich ans Steuer setzten."

A'ina fand die Auseinandersetzung nervtoetend und gab sich unbelehrbar. "Ich glaube, dass ich besser Auto fahre als die meisten Deutschen mit ihren tollen Fuehrerscheinen", meinte sie. "Jeden Tag erlebt man auf euren Strassen haarstraeubende Fahrfehler, die einem Nigerianer nie passieren wuerden."

Hartmut hielt es fuer muessig, weiter herumzustreiten. Er ueberlegte, welche Konsequenzen man ueberhaupt ziehen konnte, wenn man ihr nicht kuendigen wollte. Ohne Auto wuerde das Einkaufen in Zukunft auf jeden Fall schwierig fuer sie werden ...

In den naechsten Tagen lenkte ihn eine bevorstehende Dienstreise von den Problemen mit A'ina ab. Einmal im Jahr wurde er zu seiner Zentrale nach Darmstadt eingeladen, um sich bei einem zweiwoechigen Lehrgang ueber die technischen Neuerungen in der Telekommunikation zu informieren.

Normalerweise machte ihm der Aufenthalt im Teleforschungsinstitut betraechtlichen Spass, da er die Technik liebte und die Abwechslung vom Einerlei des kleinstaedtischen Postbetriebs genoss. In diesem Jahr jedoch wollte bei ihm keine rechte Freude darueber aufkommen. Schon Wochen vorher lag ihm die Fahrt wie ein Stein im Magen. Am Tag der Abreise wurde er gegen 4 Uhr wach, noch bevor der Wecker klingelte; er lag im Bett und gruebelte. Seine Augen waren an die Zimmerdecke gerichtet. Wie klares Wasser flossen Gedanken und Sorgen in seinem Gehirn. "Ich weiss genau, warum ich hier im Moment nicht wegwill: ich moechte verhindern, dass Stefan tage- und naechte-lang mit A'ina allein im Haus ist; Stefan, der immer ein Laecheln fuer sie hat und heiter herumstolziert wie ein hueftenschwingender Cowboy; der sich nie traut, sie zurechtzuweisen, wenn sie im Haushalt Mist gemacht hat. Sie muss ihn als wohltuenden Kontrast zu mir empfinden. In meiner Gegenwart ist sie neuerdings oft still und gehemmt, ja bedrueckt, ich sollte sie vielleicht nicht so hart anfassen."

Es half nichts, er musste den Tag beginnen. Wenigstens war sie mit aufgestanden, um ihm das Fruehstueck zu machen und das Versprechen abzunehmen, jeden Abend anzurufen. Hartmut dachte: "Solche Vorschlaege kommen von meinem Bruder nicht. Erst muss eine Fremde daherkommen, damit hier wieder so etwas wie eine Familienathmosphaere entsteht. Stefan ist es egal, ob ich 2 Wochen oder 20 Wochen verschwinde. Im Gegenteil, der freut sich hoechstens, dass er endlich freie Bahn hat."

Trotz (oder wegen?) ihrer vielen Auseinandersetzungen hatte A'ina in den letzten Wochen eine zunehmende Schwaeche fuer ihren Mitbewohner entwickelt. Daher konnte sie sich Hartmut gegenueber nicht mehr unbefangen verhalten und wich ihm zuweilen sogar aus. Was sollte auch aus einer Neigung entstehen, die so offensichtlich nicht erwidert wurde?

Die folgenden Abende verbrachte A'ina geloest und entspannt mit einem gut gelaunten Stefan. Der unbekuemmerte Schuerzenjaeger unterhielt sie mit komischen Geschichten aus seinem Eisenbahnerleben. Er hatte sich enge Jeans zugelegt und gab sich selbstbewusst wie ein Filmstar.

Am dritten Tag begleitete sie ihn zur Skigymnastik in den Sportverein. Als sie verschwitzt heimkamen, ueberraschte er sie mit der Ankuendigung, er werde jetzt ein Abendessen kochen; denn er wolle sich ein wenig fuer all das revanchieren, was sie im Haushalt leiste.

Da er Hartmut in vielem aehnelte, fand A'ina ihn interessant genug und zeigte sich - zu ihrer Schande - seinen Verfuehrungskuensten nicht gewachsen. Anscheinend hatte sie ein loseres Verhaeltnis zum Sex, als Hartmut jemals gutheissen koennte.

Am Tag vor dessen Rueckkehr brachte sie Stefan schonend aber deutlich bei, dass sie die Affaere beenden wolle. Sie tat dies trotz der naheliegenden Erwaegung, dass sich mit seiner Hilfe leichter den deutschen Behoerden trotzen liesse. Denn sie ahnte instinktiv, dass ihr Verhaeltnis die Stabilitaet der Hausgemeinschaft gefaehrdete. Ausserdem hatte sie erkannt, dass sie Hartmut liebte und bereute ihre Nachgiebigkeit gegenueber Stefans Annaeherungsversuchen. Sie hoffte, dass sich die Episode vertuschen liesse und meinte, dies sollte leicht gelingen, da es ja keine Beweise dafuer gab.

Da kannte sie meine Vettern schlecht! Stefan, der wie ein liebeskranker Kater bestaendig um sie herumschlich, und Hartmut, der, aufmerksam geworden, seinen Bruder schliesslich inquisitorisch zur Rede stellte. Ziemlich schnell gab Stefan alles zu. Vielleicht hoffte er, A'ina wuerde ihre Entscheidung zuruecknehmen, wenn das Geschehene offen ausgesprochen werde, und das Verhaeltnis fortsetzen. Jedenfalls hatte er keinen Grund, Hartmuts nun folgende, ueberwaeltigende Reaktion vorauszusehen.

Nach einem ohrenbetaeubenden Wutausbruch schloss dieser sich fuer 24 Stunden in sein Zimmer ein. Dort hoerte man ihn ruhelos hin- und hergehen und stoehnen und schreien, als leide er unter schlimmsten Schmerzen. Zuweilen wurden Gegenstaende an die Wand geworfen, die dort mit lautem Krach zerbarsten; dann wieder war nichts zu hoeren und man konnte nur vermuten, dass er auf dem Bett lag und weinte oder sich den Untergang der Welt herbeiwuenschte. Jeder Versuch, mit ihm durch die verschlossene Tuer in Kontakt zu treten, schug fehl. Als er schliesslich am naechsten Abend aus seinem Zimmer trat, hatte er mehrere Koffer gepackt, mit denen er ins Hotel zog.
A'ina wusste nicht, was sie tun sollte und quaelte sich mit heftigen Vorwuerfen. Sie fuehlte sich um so hilfloser, da ihr Hartmut seine Gefuehle nie gestanden hatte - "im Gegenteil", dachte sie, "er hackt ja staendig auf mir herum" - und meinte, hier offenbare sich die schwierige, subtile Psychologie und unergruendbare Verletzlichkeit des deutschen Mannes.

Von Hartmut hoerte man in den naechsten Tagen nichts mehr. Sein Bruder vergewisserte sich, dass er wenigstens bei der Arbeit erschienen war. Er redete am Telefon auf ihn ein und versuchte ihn zu beruhigen, zwischen ihm, Stefan, und A'ina sei nichts ernstzunehmendes geschehen. Ueberhaupt, fuegte er hinzu, wenn er gewusst haette, dass ihm, Hartmut, soviel an ihr liege, haette er die Finger von ihr gelassen, so toll finde er sie auch wieder nicht. Aber da hatte Hartmut schon aufgelegt.

An einem der folgenden Tage verschwand das Maedchen. Sie hatte eine schriftliche Vorladung von der oertlichen Polizei bekommen, mit der Drohung, man werde sie in Gewahrsam nehmen, wenn sie ihr nicht Folge leiste. Wie dumm doch deutsche Aemter sind! Denn natuerlich fluechtete sie noch in der gleichen Stunde zurueck in die grosse Stadt.

Ihr Verschwinden loeste bei Stefan verstaerktes Bauchgrimmen aus, da er sich und seine Triebe an der Aufloesung der Hausgemeinschaft schuldig waehnte. Er beruhigte sich erst, als er den Brief der Polizeibehoerde fand, in dem A'ina ihre bevorstehende Abschiebung angekuendigt wurde.

Welch ein trostloses Weihnachten feierten meine Vettern in jenem Jahr! Hartmut war in sein Vaterhaus zurueckgekehrt und hing, ganz gegen seine sonstige Art, depressiven Stimmungen nach. Aus einem Fenster im ersten Stock blickte er stundenlang auf die verschneiten Strassen, ohne einen einzigen Gedanken zu fassen. Er war so voller trauriger Gefuehle, als waere er in einen tiefen dunklen Brunnen gefallen, aus dem es kein Entrinnen gab. Stefan lenkte sich mit seiner neuen 'Playstation' ab, auf der er stundenlang Animationen wie 'Tomb Raider III' oder 'Castrol Honda Superbike' spielte.

In den ersten Januartagen fand Hartmut zu seiner realistischen Lebenshaltung und einer ruhigeren Einstellung zurueck. Da sich an dem Geschehenen nichts aendern liess, konnte man nur versuchen, A'ina moeglichst wiederzufinden, bevor die Behoerden sie ausweisen wuerden. Dazu unternahm er alle moeglichen Schritte. Er telefonierte mit fast allen Beamten der lokalen Fremdenpolizei und fuhr persoenlich in die grosse Stadt, um im dortigen Auslaenderamt sein Interesse an dem Maedchen zu bekunden. Das fiel ihm nicht weniger schwer als sie beim Einkaufen zu begleiten - aber er meinte, dass er sich an derartige Situationen gewoehnen musste. Einige wohlmeinende Sachbearbeiter versprachen, ihn ueber alles auf dem Laufenden zuhalten. Im Moment konnte man nichts weiter fuer ihn tun, da A'inas Aufenthaltsort noch nicht festgestellt worden war.

10 Tage spaeter fand man sie fast erfroren mit ausgeschlagenen Schneidezaehnen und gebrochenen Armen gefesselt vor dem Polizeipraesidium. Ihr Pass und die abgelaufene Aufenthaltsgenehmigung steckten in der Jackentasche. Nachdem man sie ins Leben zurueckgeholt hatte, wollte sie jedoch ihre Peiniger partout nicht preisgeben und kam zur Abschiebehaft ins Gefaengniskrankenhaus.
Es spricht fuer Hartmuts pedantische Vorgehensmethoden, dass ihm dieser Vorgang noch am selben Tage zugetragen wurde. Unverzueglich machte er sich auf den Weg in die grosse Stadt. Spaeter sass er aufgewuehlt an ihrem Krankenbett und erregte sich masslos ueber die Wunden, die man ihr zugefuegt hatte. Dabei konnte er von Glueck sagen, dass man ihn ueberhaupt zu ihr gelassen hatte, da er mit ihr weder verwandt und auch nicht verschwaegert war. Die Umstaende machten ihm denn auch schnell klar, dass er sie nur behalten konnte, wenn er ihr die Ehe antrug. So wurde denn geheiratet, und das kam zugleich seinem Sinn fuer Perfektion entgegen.

Er hat damals richtig gehandelt; die stuermische glueckliche Verbindung mit A'ina besteht seit nunmehr ueber 30 Jahren.


Copyright: B. Lampe, 1999                                                zurück