Schreckensherrschaft Auf einer unendlich weiten reinweissen Flaeche, sie koennte auch reinrot oder blau oder gelb gewesen sein, auch schwarz, trafen sich 3 nackte Herren, es koennten auch 2 oder 4, auch Damen koennten es gewesen sein, statt hautfarben durchsichtig, wenns stoert, und so weiter und so fort, die, ihrer vagen Erinnerung nach, ein gemeinsames Ziel verfolgten. Das heisst, an die Gemeinsamkeit des Zieles erinnerten sie sich, nicht aber an das Ziel selbst, nicht einmal daran, um welche Art von Ziel es sich handelte. Die Flaeche: ein sicherstaendiger Unterbeweggrund ihrer irrenden irrigen Blicke. Glatt stelle ich mir sie vor, matt schimmernd in einem unerklaerlichen Licht, welches die Luft, die sie atmeten, fluoreszieren machte. Die Luft: Flackern gewordene Schalltrichter mit Handmuscheln. Das Licht und die Luft, dass es Licht und Luft ueberhaupt gab, und Augen und Ohren und Muender, ist vielleicht das erstaunlichste an der ganzen Geschichte. Glatt auch die Herren, gesund einigermassen, nach Zigarren geluestend. Zigarren leider nicht da, noch Feuer. Menschen da, sonst NICHTS. Jedem Aussenstehenden musste ihre Lage trostlos erscheinen. Vielleicht, in einer hellen Minute, hielten sie selbst es insgeheim fuer moeglich, dass ausser ihnen und der weissen Flaeche nichts existierte, oder dass, was immer je existiert hatte, inzwischen laengst zerfallen war, Schotter auf den Pisten des wahren Lebens. Sie besassen jedoch kein durchgaengiges Zeitbewusstsein, welches diesen Zweifel haette bestaetigen koennen, der ihnen im uebrigen hoechst ungelegen kam, weil er ihren ununterbrochenen Debatten und Diskussionen hinderlich gewesen waere, ja, diese sogar in Frage gestellt haette. Daher beachteten sie ihn, wie auch andere Einwaende gegen die Gueltigkeit ihrer Beschluesse, nicht weiter. Hielten sich nicht unnoetig damit auf. Schubsten ihn in die Untiefen ihres Bewusstseins zurueck. Verdraengung als erste Buergerpflicht haelt bekanntlich jedes menschliche System am Laufen. Wo kaemen wir hin, wenn wir jedem Zweifel, jedem irrationalen Impuls nachgeben, aus jeder Grille des Verstandes einen kranken Elefanten des Gesellschaftslebens machen wuerden? Ihre Gespraeche waren, angesichts ihrer trostlosen Lage, von bemerkenswerter Lebendigkeit. Jeder von ihnen meinte, sich gegenueber den anderen in moeglichst allen Fragen, und besonders in der entscheidenden ihres gemeinsamen Zieles, durchsetzen zu muessen, weil er faelschlicherweise glaubte, sich mit Durchsetzen, mit dem Beharren auf seinem Standpunkt, einen wie immer gearteten Vorteil zu verschaffen, auch wenn er den Vorteil auf dieser Flaeche, die wahrlich nichts zu bieten hatte, ausser ihres matten Leuchtens, nicht haette benennen koennen. Nicht einmal einen Geruch hatte sie zu bieten. Voellig keimfrei schien sie zu sein, auch von daher kaum zu Auseinandersetzungen Anlass gebend. Wir nennen die Herren A, B und C, da wir ihre Namen nicht kennen, und sie selbst ihre Namen vergessen hatten. Ihr Streit schwoll an. Jeder schien bereit, alles aufzugeben, alle Bande, die zwischen ihnen frueher eventuell bestanden hatten, ja selbst die weisse Flaeche, die ihnen doch als Grundlage diente, aufs Spiel zu setzen, auf den ueblichen Haendedruck gegenseitigen Verstaendnisses zu verzichten, auf das uebliche Sich-Nieder-setzen zum Palaver, wenn er nur endlich die Oberhand, seinen Willen bekam. Es ging zunaechst um die Richtung, in die sie marschieren wuerden. Denn dass sie hier nicht stehen bleiben konnten, wenn sie ueberleben wollten, war jedem intuitiv klar. So sehr war ihnen an der Flaeche, Grundlage hin oder her, nicht gelegen, dass sie sich nicht eine schoenere Welt haetten vorstellen koennen, auf die man sich betten, in der man nach Essbarem graben konnte, und so weiter. Denn natuerlich waren sie hungrig und durstig und ein wenig froren sie auch. Sie meinten aber, durch gemeinsames Vorgehen ihre Ueberlebenschancen zu erhoehen. So nach dem Motto: gemeinsam sind wir staerker, selbst wenn wir uns die ganze Zeit in den Haaren liegen. Es gab im wesentlichen 4 Alternativen, den Himmelsrichtungen enstprechend. Wobei man vom Himmel ueber der Flaeche in dem Sinne nicht reden konnte. Der Himmel lag im Unklaren, in Nebelschleiern. Man haette nicht einmal sagen koennen, ob er hell oder dunkel war. Ebenso wenig haette man sagen koennen, was unter der Flaeche war. Dazu haette es Bohrmaschinen bedurft, einer Stromversorgung und so weiter, mit blossen Faeusten oder Fingernaegeln war an diese Flaeche nicht heran zu kommen. So gab es nur Rechts, Links, Vorwaerts oder Rueckwaerts. Wobei sich bereits an der Frage, was rechts, was links, was vorwaerts und rueckwaerts war, ein nicht enden wollender Disput entzuendete. A trat so entschieden fuer links ein, dass B und C, die sich nur in einem einig waren, naemlich, dass links komplett falsch war, dass links ins Verderben fuehrte, eine Koalition eingingen. Damit waren die Fronten klar gezogen, und der Streit trieb entlang dieser Front ziemlich bizarre Blueten. Er artete derart aus, dass ein unvoreingenommer Beobachter die sofortige Spaltung der Gruppe empfohlen haette. Tatsaechlich ist Spaltung keinem von ihnen auch nur einen Moment in den Sinn gekommen; nicht einmal eine vorlaeufige Trennung. Die Gefahren, die auf der unendlich weiten reinweissen Ebene moeglicherweise lauerten, liessen es ihnen angeraten erscheinen, kooperativ vorzugehen. So wurde mit Trennung hoechstens gedroht, diente Trennung allenfalls als rhetorischer Winkelzug, waehrend man hauptsaechlich die wenigen, keineswegs stichhaltigen Argumente fuer oder gegen jede der moeglichen Marschrichtungen zusammen trug. Da man sich vage der Richtung erinnerte, aus der man gekommen war, obwohl B selbst dieses Faktum zunaechst anzweifelte, bekam C's Meinung Auftrieb, der argumentierte, um zum Ziel zu kommen, muesse man auf dem Weg zurueckgehen, auf dem man gekommen sei, und das sei, VON SEINEM STANDPUNKT AUS, nun einmal rechts. A widersprach vehement, wagte aber nicht, nochmals links vorzuschlagen. Vorwaerts muesse es gehen, behauptete B kuehn, der auch einmal eine eigene Meinung haben wollte. Der Weg zurueck koenne wohl kaum der richtige sein, weil man dann doch nur an den Ort heimkehre, von dem man gestartet sei. Er wolle C nichts unterstellen, aber von uebertriebenem Patriotismus halte er, besonders unter den gegebenen Umstaenden, nichts. Uebertriebener Patriotismus fuehre nach seiner Erfahrung nirgendwo hin. Ins Unglueck gar wohl. Es muesse doch einen Grund gegeben haben, warum sie jenen Ort, ob es sich um ein zuhause im engeren Sinne handele, wisse er nicht, oder nur ein voruebergehendes Lager, verlassen hatten. Offensichtlich begann ihre Koaltition sich aufzuloesen. Er schlage genau die entgegengesetzte Richtung vor. Nach kurzem Zoegern und mit gesenkten Augen, denn er hatte Gewissensbisse, nicht bei links geblieben zu sein, schloss sich A dieser Argumentation an. Womit eine neue Allianz geboren war. Die neuen Verbuendeten schmueckten ihren Plan detailliert aus, versteigerten sich mit Verve in die kleinsten Details, bis sie zumindest sich selbst davon ueberzeugt hatten. C widersprach heftig und riet erneut zur Umkehr. Auch eine karge oder gar feindselige Wildnis koenne, wenn man sich mit ihren Widrigkeiten auskenne und wisse, wie ihnen zu begegnen sei, ein erstrebenswertes Ziel sein. Dagegen berge unbekanntes Gebiet die groessten Gefahren, behauptete er. Was A und B nicht gelten liessen. Er aber hoerte nicht auf sie. Ganz abgesehen davon, dass man ihm den Beweis des rechten Weges durchaus noch schuldig sei. A und B liessen nicht mit sich reden. Blieben stur und haetten C ohne weiteres ihren Plan aufgezwungen, zumal ihre koerperliche Ueberlegenheit eindeutig fest stand. A und B waren, zumindest im Vergleich mit C - wie gross sie in Wirklichkeit waren, vermag ich nicht zu sagen, es gab dortuntendortoben kein Laengenmass - muskuloese Riesen, ohne die sich einer wie C niemals in eine feindliche Ebene vorgewagt haette. Er war jedoch rhetorisch ausserordentlich beschlagen, so dass er sie eine ganze Weile hinhalten konnte. Der Streit eskalierte; man begann, sich anzuschreien und mit den Armen zu fuchteln, ohne dass es allerdings zu Handgreiflichkeiten kam. Das haette noch gefehlt, sich gegenseitig zu verletzen und so die gemeinsame Basis zu schwaechen, die notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Bedingung ihres Ueberlebens. Wobei, wenn ich mirs recht ueberlege, nicht ganz klar war, ob sie ueberhaupt sterben konnten. Zu sterben, war eine Furcht, die sie von irgendwoher mitgenommen hatten, ohne doch etwas von ihrem Organismus zu verstehen. Vielleicht war ihr Organismus rein vorgetaeuscht, waren sie rein geistige Wesen, die sich ihre Triebe und Gelueste nur einbildeten, deren Nikotinsucht, beispielsweise, nicht durch Molekuele in Synapsen ausgeloest wurde. Mir ist keineswegs klar, ob sie in dem Sinne gelebt haben. Wen es auf eine solche Welt verschlaegt, kann am Ende seiner selbst nicht sicher sein. Aber, wie gesagt, so existentielle Fragen stellten sie sich vorsichtshalber erst gar nicht. Fetzten sich lieber und vergassen darueber die Zeit, und erst als ihr Magen immer vernehmlicher knurrte, aber auch dies koennte Einbildung gewesen sein, Relikt einer fernen Zeit, vielleicht haben sich auch alle drei denselben Magen geteilt, vielleicht ist das Knurren eine kollektive Einbildung gewesen, vielleicht ... und stritten weiter, und nur ganz allmaehlich, obwohl sich ihre Gemueter keineswegs abkuehlten, wurden sie der Auseinandersetzung ueberdruessig und begannen, Komprosmissvorschlaege zu sammeln und auszuarbeiten. B stellte fest, dass er Kompromissvorschlaege liebte, was ihm vorher gar nicht bewusst gewesen war. Er verwickelte sich derart in seine Kompromissvorschlaege, spann sie in allen Einzelheiten aus, betonte vor allem jene Aspekte, die ihm als kompromissfaehig erschienen - dh wo er dachte, die anderen einnehmen zu koennen - dass sie nachgerade als sein geistiges Bekleidungsstueck bezeichnet werden koennen; um so mehr, als er nichts an hatte. C ging gleich darauf ein. Ihm war die Richtung inzwischen gleichgueltig, wie er offen verkuendete, bei dem Theater, das darum gemacht werde. A wiederholte mehrmals den Vorschlag, man solle um die richtige Richtung wuerfeln, was dann sofort die Frage provozierte, womit man wuerfeln sollte, ganz abgesehen davon, dass Wuerfel, selbst wenn sie vorhanden gewesen waeren, die richtige Richtung auch nicht gekannt haetten. Kurzentschlossen riss sich A ein Haar aus und warf es in die Luft. Die Richtung, in die es faellt, nehmen wir. Haarspitze, nicht -wurzel, wohlgemerkt. Das Haar fiel zu Boden. Noch ehe jedoch A und B erkennen konnten, dass der Zufall ihnen den Sieg geschenkt hatte, trat C auf das Haar, und im Treten drehte er sich. Den beiden anderen, die ihn ausser sich vor Wut anbruellten, bedeutete er gelassen ihren Sieg. ***weglassen:[PS: Wir sind schlussendlich ueber Ungarn gefahren. Es siegte die Sache, um die es in diesem Text gar nicht ging.]