Den Zweck seine Massnahme


I. Lautlehre

DIE LAUTE WERDEN HERVORGEBRACHT VERMITTELS DER LUFT, DIE BEIM ATMEN DURCH LUFTROEHRE, KEHLKOPF UND MUNDRAUM STROEMT.
"a". Schoen, wer so reden kann.

IM KEHLKOPF, DER DIE LUFTROEHRE ABSCHLIESST, SITZEN ZWEI STIMMBAENDER.
"aaaaaaaaaaa". Das verstehe ich noch.

MAN UNTERSCHEIDET LIPPEN-, ZAHN- UND GAUMEN-LAUTE.
Emm,zet,geh. Gebongt. - Aber sind Laute nicht mehr? Kann man sie nicht zum Ausdruck spontaner Gefuehle benuetzen? Der Ueberraschung, des Vergnuegens usw. Und jeder Affe kann sie verstehen, ohne eine Sprache zu sprechen.

1.VOKALE SIND LAUTE, DIE MAN HOEREN KANN, AUCH WENN SIE ALLEIN STEHEN.
Ich bin allein. Fuerchterlich allein. Ich kenne hier keine Menschenseele. Es faellt mir schwer, mit Leuten Kontakt aufzunehmen, deren Sprache ich nicht verstehe. Man kann mich nicht hoeren. Man kann meinen unertraeglichen Schmerz nicht hoeren. Ich kann mich den Leuten nicht verstaendlich machen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Laute, die sie von sich geben, eine Sprache darstellen.

2.DIE SILBE IST EIN EINHEITLICHER SPRECHVORGANG, DER AUS EINEM ODER MEHREREN LAUTEN BESTEHT, VON DENEN EINER EIN VOKAL SEIN MUSS.
Schon wieder Vokale. Ich bin wohl eher Konsonant. Ein Mitlaeufer, der nur durch einen Vokal sich zum Klingen bringen laesst. Im Moment ist ein Vokal nicht verfuegbar. Der letzte, der mich zum Klingen gebracht hat, war mein Schlepper. Der Bundesgrenzschutz und die Beamten der Auslaenderbehoerde haben das ihre getan. Aber vergeblich. Mein Vermieter versucht, sein Portomannee zum Klingeln zu bringen. Er ist zum Verzweifeln mit seinen unmaessigen Forderungen. Wie soll ich zu Geld kommen, wenn ich eure Sprache nicht spreche?

DIE SILBE HAT KEINE EIGENE BEDEUTUNG.
Was hat schon Bedeutung? Menschen jedenfalls nicht. Weder die, die sich eine anmassen, noch die anderen, denen jegliche abgesprochen wird.

3.DAS KLEINSTE SPRACHLICHE GEBILDE MIT SINNVOLLER BEDEUTUNG IST DAS WORT
Tau, Gras, Schnee, Ernst..... Abschiebehaft
Rueckkehr, Waschschuessel, Vorgang
babbeln, Backenbart, Vorschrift
melancholisch, Stroh, Strychnin, Dachstuhl
Meldestelle, Meltau, Verachtung, Stumpfsinn,
Eckzahn, Stosszahn, Edelmut

II. Die Wortlehre

Der Schmerz laesst nach. Nur ein Fluestern scheint von mir uebrig zu sein. Worte mit widerspruechlichen Bedeutungen rauschen ueber mich hinweg. Ich liege auf meiner Matraze und schaue mir das Spinnengewebe in der Ecke an. Ich habe viel Zeit. Es gibt wenig zu tun. Ich versuche, ihre Sprache zu lernen. Aber es klappt nicht. Entweder der die Deutschen ticken anders als ich, ich meine, verstandesmaessig, so dass ihre Erklaerungsversuche an mir abperlen wie Regen an einem alten Plastiksack; oder es haengt mit dem Koffer zusammen, den ich gefunden habe. Von dem ein seltsames Droehnen ausgeht, wannimmer ich mich auf ihre Sprache konzentrieren will.

Der Koffer ist mir am Bahnhof in die Haende gefallen. Stand mutterseelenallein dort herum. Stundenlang hat sich niemand um ihn gekuemmert. Ausser mir. Ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen. Ich habe bewusst den Eindruck vermittelt, wir gehoeren zusammen, der Koffer und ich, und warten auf etwas. Ich habe tatsaechlich gewartet. Bis ich mir sicher war, dass sein Besitzer nicht zurueckkommt, habe ich gewartet, und ihn mir dann geschnappt.

Er ist sehr schwer, der Koffer. Ein schoenes Stueck Arbeit, ihn heimzuschleppen. Ein schoener, stabiler Schalenkoffer. Nicht mehr neu, aber stabil. Als haette er schon einige Fahrten mitgemacht. Keine Weltreisen in Flugzeugen. Eher Bahnfahrten 2. Klasse, nach den Stickern. Lueneburg, Castrop-Rauxel, Paderborn, Jena. Aber auch Moskau, Leningrad, immerhin. Ich weiss nicht, was drin ist. Ich kann auch nicht nachsehen. Er ist verschlossen. Stabil verschlossen. Natuerlich weiss ich auch nicht, wer den Schluessel hat. Der Besitzer vermutlich. Ich weiss nur, dass er ziemlich schwer ist.

1.VIELE WOERTER LASSEN SICH FLEKTIEREN. ANDERE SIND UNVERAENDERLICH.
Ich bin auch flektierbar. Sonst waere ich schon laengst zerbrochen. Was, glauben Sie, hat man mit mir alles angestellt!
Man hat mich in kleinen Kammern transportiert.
Man hat mich hungern lassen.
Man hat mich durch Fluesse geschleift.
Man hat mich gefasst und verhoert.
Man hat mich angeschnauzt.
Man hat mich unterschreiben lassen.
tragen - trug - getragen (meine Last, den Koffer, der schwer ist)

Dummerweise (unveraenderlich) habe ich ihn mitgenommen. Inzwischen bereue ich es. Zumindest teilweise. Was soll ich mit einem Koffer, den ich nicht zu oeffenen wage. Ich mache mich doch nur verdaechtig. Wenn sie ihn bei mir finden, meine ich.

2.SUBSTANTIVE SIND MAENNLICH, WEIBLICH ODER SAECHLICH.
der Knecht ... das bin ich
der Eingang ... in das Land, wo die Milch und der Honig fliessen.

Mein Grossvater dachte sich alles, die ganze Natur, beseelt und von lebenden Wesen erfuellt. Alles, was gross und stark, trotzig und kaempferisch war, bezeichnete er als maennlich. Das Gegenteil, aber auch das fruchtspendende, naehrende und waermende, als weiblich. Ich waere auch gern stark und kaempferisch. Andererseits, ehrlich gesagt, wuerde ich damit hier genausowenig weiterkommen.

VOR JEDES SUBSTANTIV LAESST SICH EIN, BESTIMMTES ODER UNBESTIMMTES, GESCHLECHTSWORT SETZEN.
Fragen Sie mich nicht, wann ich zuletzt mit einer Frau geschlafen habe. Es ist sehr lange her. Bei uns im Wohnheim gibt es keine Frauen. Nur Ahmed erhaelt manchmal Besuch von seinen Schwestern; aber die sind Muslime. Also Tabu. An die deutschen Frauen kommt unsereiner auch nicht ran. Ich meine, versucht habe ich es schon. Treibe mich manchmal an der Diskothek beim Hafen herum. DORT AESEN DES OEFTEREN REHE. Ich kenne auch ein, zwei von uns, die in dieser Hinsicht recht erfolgreich sind. Ich nicht.

Unser Heim ist kuerzlich, gewissermassen, privatisiert worden. Der neue Herr ist genauso unberechenbar wie der alte.

3.ZUR BEZEICHNUNG EINER VIELHEIT STEHEN SUBSTANTIVE IM PLURAL.
Vielheit ist subjektiv. So eng ist es bei uns, dass wir uns staendig auf den Fuessen stehen. Ein voller Koffer kann zuviel oder zuwenig sein, je nachdem, was er enthaelt.

die Lust - die Lueste. Also, dieses Thema lassen wir jetzt.
das Fenster - die Fenster. Als Fenster kann man das nicht bezeichnen, durch was bei mir das Taglicht faellt.
Furcht - Befuerchtungen. Eine Furcht kann eine ganze Menge sein. Eine Menge, von der man erdrueckt wird. So dass man keine Luft mehr kriegt vor Angst. Furcht, dass das Loch, in welches man gefallen ist, kein Ende hat. Dass es immer noch weiter nach unten geht, und man nie wieder herauskommt.
Glueck - Gluecke. Was ist das, Glueck?
Warm - Waerme. Die deutschen Winter sind kalt. Die deutschen Oeloefen warm.
Erbe - Erbschaften. Was ich zu erben hatte, haette gut in einen Koffer gepasst. Nun habe ich einen Koffer geerbt.
Pein - Peiniger. Der groesste von allen ist unser Vermieter. Im Ernst. Ich habe auf meinen Fahrten, von denen ich, vielleicht, meinen Kindern erzaehlen werde, wirklich einiges erlebt. Aber keiner, den ich waehrend der ganzen Zeit kennengelernt habe, kann es an Herzlosigkeit mit ihm aufnehmen. Er ist ein wahrhaft unerbittlicher Geizhals.
Zank - Zaenke. Habe ich auch genug erlebt, keine Bange. Am schlimmsten ist es, wenn wir uns hier, in diesem beengten Maeusekaefig, streiten. Waehrend die Raten um uns herum schleichen.
Geld - Gelder. Unser Vermieter ist ganz heiss darauf. Jeden Cent, den wir von der Behoerde ausgehaendigt kriegen, wuerde er uns am liebsten sofort abnehmen. Das heisst, wenn sie uns ueberhaupt etwas geben. Zur Zeit ist er besonders ungeniessbar. Er sucht etwas. Ihm geht etwas ab. Ihm geht ein Koffer ab. Ihm geht dieser Koffer derart ab, dass man glauben koennte ... Ich habe mich schon gefragt, ob es vielleicht der ist, den ich im Bahnhof gefunden habe. So viele Koffer gehen schliesslich nicht verloren, oder?
Messer, Gabel, Loeffel, Lumpen.
Doktoren und Inspektoren.
Matejalien.

4.NACH DER AUFGABE, DIE DAS SUBSTANTIV ALS GLIED DES SATZES ERFUELLT, RICHTET SICH SEINE BEUGUNG (DEKLINATION).
NOMINATIV Alle wollen wissen, woher ich komme, aber keiner fragt nach meinem Namen. Und wenn ich erst wieder weg bin, werden sie gar nichts mehr von mir wissen wollen. Der Hase wird geschossen. Es nutzt ihm null-komma-nichts, dass er im Nominativ steht.
GENITIV ... ausser, wessen Koffer das ist, den ich da unter meinem Bett versteckt habe. Der Wert eines Koffers ist schwer zu schaetzen, wenn man den Inhalt nicht kennt. Des Habs und Gut. (Besitz ich nicht. Ich besitze ueberhaupt nichts.). Die Dramen Heinrichs von Kleist. Damit kann ich auch nicht dienen.
DATIV UND AKKUSATIV Ich werde den Koffer nicht rausruecken. Vertraue den Fremden nicht! Sie werden dich anklagen.

SAEMTLICHE FEMININA SIND IM SINGULAR ENDUNGSLOS.

5.DAS ADJEKTIV BEZEICHNET EIGENSCHAFT ODER ZUSTAND EINES DINGES.
ein gediegener Koffer
ein verschlossener Koffer
ein sehr gut verschlossener Koffer

Ein graufarbener, jedoch verlorener Pass. - Was man mir nicht abgenommen hat. Aber, ich meine, ein auf einer dunklen Feuchtwiese zwischen Kuhfladen weg geworfener Pass ist nunmal ein verlorener Pass. Man braucht da gar nicht zu luegen. Man braucht nur nicht alles erzaehlen. So gut sind meine Sprachkenntnisse nicht, dass ich ueber solche Spitzfindigkeiten stolpern wuerde. Sie haben ohnehin heraugefunden, woher ich komme. Danach war mir alles egal, und nachdem ich mich aussagewillig zeigte, und meinen Antrag gestellt hatte, haben sich mich in diese Bude oder Butze gesteckt. Alles, nur nicht in Abschiebehaft.

6.DAS ADJEKTIV KANN GESTEIGERT WERDEN.
die hoechste Not

Die hoehere Schule laesst sich mit einer hohen Schule zwar nicht vergleichen, aber eine juengere Dame ist aelter als eine junge Dame. Die Sozialhelferin ist eine juengere Dame. Die Auslaenderbeauftragte ist nicht einmal mehr eine juengere Dame. Ein tapfererer Mensch als ich.

7.PARTIZIPIEN ALS AUS VERBEN GEBILDETE ADJEKTIVE
immer mehr verloren gehende Sprache
Der groesste Aufkleber auf dem Koffer ist aus Jena. Und der Absender, dessen Name unleserlich, muss aus Weimar kommen. Ich weiss, ich habe bisher nichts von einem Absender erwaehnt. Aber wenn man einen gefundenen Gegenstand nicht zurueckgeben will, kuemmert man sich nicht um Namen, die daraufstehen oder nicht daraufstehen. Unleserlich oder nicht.

Ich habe mir eine Karte besorgt. Die beiden Staedte liegen ganz nah zusammen. Ein Katzensprung. Welcher Weimarianer klebt sich einen Sticker aus Jena auf seinen Koffer? Und umgekehrt. Moskau schon eher.

ein verschwiegener Freund

Der eine ist beruehmt geworden. Er ist gepriesen worden. Er ist gefeiert worden. Der andere ist entlassen worden. Er ist erschlagen worden. Er ist zertreten worden. Ein dritter hat nicht gesollt. Ein vierter nicht gewollt. An einer Gesamtschule des Leben koennten schwaechere Menschen zwischen verschiedenen Zweigen wechseln. Das Leben ist aber keine Gesamtschule.

8.AUCH ADJEKTIVE WERDEN DEKLINIERT.
Diese Regel ist so kompliziert, ich werde sie nie begreifen. Die meisten Freunde, die ich kenne (hier kennengelernt habe. Wenn man von Freundschaft ueberhaupt reden kann. Es ist eher eine Art beruflicher Kontakt, aus Not geboren, wenn auch durchaus mit einer freundschaftlichen Komponente.) verstehen sie nicht, und kommen trotzdem ganz gut zurecht. Einer ist sogar dabei, der will Unternehmer werden. Import-Export. Dafuer reicht es, die Grundformen zu beherrschen. Um einen guten Gewinn zu machen, muss niemand wie Goethe daherreden.
nach langem, tiefem erquickendem Schlaf
in einer einzigen Nacht

9.ADJEKTIVE KOENNEN EINEM SUBSTANTIV, EINEM ANDEREN ADJEKTIV ODER EINEM VERB ZUGEORDNET SEIN.
Ich bin in einer schwierigen Situation. Das hat sogar mein Kontaktbeamter konzediert, dass ich in einer schwierigen Situation bin. Ob der Besitzer des Koffers durch den Verlust in einer aehnlich schwierigen Situation ist? Sicher in keiner aehnlichen Situation. Trotzdem glaube ich, meine Not ist groesser als seine.

typisch deutsch.

Goethische Gedichte.

Er macht sich anheischig (der Wissenschaftler).

Ich bin es leid, in einer schwierigen Situation zu sein. Mir alles gefallen lassen zu muessen. Dass andere ueber mein Schicksal entscheiden. Trotzdem werde ich mir bis auf weiteres alles gefallen lassen. Ich bin zu schwach, mich selbst aus dem Sumpf zu ziehen.

fehl am Platze

kopfueber in die Kacke

Ich irrte umher. Ich irre immer noch umher. Zuerst auf Feuchtwiesen, und nun in einer grossen fremden Stadt. Ich frage mich manchmal, was ich hier suche. Frage ich mich manchmal, was ich hier suche?

10.ADJEKTIVE KOENNEN SUBSTANTIVIERT WERDEN.
nicht substantiiert, wohlgemerkt.
ich bin arm - Der Arme.

Echte Adverbien, bitteschoen, nicht adjektivisch gebrauchen! Der zue Koffer aergert mich einfach. Er hat kein Recht, zu zu sein, nachdem er schon tagelang unter meinem Bett liegt.

Was wohl drin ist? Wenn es etwas Verderbliches waere? Gar eine Bombe? Aber er riecht nicht nach Bombe. Er riecht ueberhaupt nicht. Den meisten Dingen kann man ihre Natur anriechen, und was ihre Bestimmung ist. Der Koffer riecht gar nicht. Es koennte auch eine Pornosammlung sein. Schwer genug ist er ja. Ob dann ein Wissenschaftler nach ihm suchen wuerde?

11.MIT DEM PERSONALPRONOMEN DRUECKT DER REDENDE AUS, WIE ER DIE DINGE VON SEINEM STANDPUNKT SIEHT.
Wenn ich das nur koennte. Meinen Standpunkt vertreten, meine ich. Ich kann zwar 'ich' sagen und mich auch wie ein Ich benehmen. Aber vom Standpunkt der Deutschen bin ich ein unwichtiges, stoerendes, hoechstens durch den Umstand der Stoerung bedeutsames, und folglich zu eliminierendes Ich. Sie interessieren sich nicht dafuer, wie sie mir helfen koennen, oder was ich von ihren rueden Umgangsformen und fragwuerdigen Verordnungen halte. Ihr Ziel ist einzig und allein, ihre Gesetze und Vorschriften moeglichst effektiv auf mich zur Anwendung zu bringen. Um moeglichst wenig Arbeit mit mir zu haben. Wehe aber, wenn sie festsstellten, dass gar keine Vorschrift existiert, die sich auf mich anwenden laesst. Dass mein Fall sich von ihren Rastern und Prozeduren nicht erfassen laesst. Dann rasten sie aus. Koennen sich kaum zurueckhalten. Halten sich auch nur zurueck, weil es gegen Nichtzurueckhaltung Gesetze gibt.

12.MIT DEM POSSESSIVPRONOMEN STELLT DER REDENDE KLAR, WEM EIN BESITZ GEHOERT.
Das haben sie schon laengst klargestellt, dass mir gar nichts gehoert. Oh, sie haben eine genaue, von jedermann knochenernst zu nehmende Einteilung in mein und dein. Wehe, jemand verstoesst gegen diese Einteilung. Diebstahl ist ihnen anscheinend das erste Gebot. Nur wenn sich kein Eigentuemer melden wuerde, koennte ich den Koffer behalten. Nun, es wuerde sich bestimmt einer finden. Wenn. Wo kein Fund, da kein Besitzer, sage ich nur.

13.DAS RELATIVPRONOMEN BEZIEHT SICH AUF EIN VORHERGEHENDES WORT UND VERKNUEPFT DADURCH HAUPT- UND GLIEDSATZ.
Der Asylsuchende, der den Koffer nicht zurueckgab, wurde bald darauf ausgewiesen.
Der Fuchs, der das Huhn gepackt hatte, entwischte.

14.INTERROGATIVPRONOMEN
Warum bist du hier?
Warum bist du nicht in Indien geblieben?
Was hast du mit dem Koffer gemacht?
Was war in dem Koffer?
Wer hat dir geholfen?
Wieviel hast du ihm dafuer bezahlt?
Mit wem hast du darueber geredet?

Teilweise sinnlos, die Fragen.

15.INDEFINITIVPRONOMEN
Irgendwer hat mich hergebracht.
Keiner haette es da ausgehalten.
Nichts. Ich sage jetzt nichts mehr.
'ETWAS' IST EINERSEITS INDEFINITPRONOMEN, ANDERERSEITS ZAHLWORT
Hilf mir. Ich gehe hier ein. Gib mir etwas von deinem Reichtum ab. Nur ein kleines bisschen.
Wo kaemen wir hin! Wir kaemen ins Hundertste und Tausendste. Und immer mehr von euch wuerden nachkommen, es wuerde kein Ende nehmen, weil ihr euch wie die Karnickel vermehrt, und wir muessten euch alle verkoestigen. Nur einzelne, nur die besten werden auserwaehlt.

Die Bewerber marschierten in Reihen zu vieren, wie es die Anstaltsleitungen befohlen hatte. Zu viert versuchten sie zu tuermen.

16.DAS VERB ODER TU-WORT
Ich habe den Koffer aufgestemmt. Ich habe den Keil in die Ritze gefuehrt und mit dem Hammer ordentlich draufgeschlagen. Da ist der Deckel wie von selbst aufgesprungen.

Leider ist der Verschluss jetzt kaputt; und ich fuerchte, er laesst sich auch nicht reparieren. Weil, ein Plastik-nippel ist bei dem Schlag in mehrere Teile zersprungen. Billige Konstruktion das. Jetzt kann ich endgueltig nicht mehr zurueck. Bisher haette ich mich immer noch herausreden koennen, ich wollte den Koffer zurueckgeben, ganz bestimmt. Damit ist es jetzt vorbei. Ich habe mich endgueltig strafbar gemacht. Eine Straftat ist ein Ausweisungsgrund, soviel habe ich immerhin schon verstanden.

Ich muss sagen, der Inhalt des Koffers hat mich fuer diese miese Aussicht nicht gerade entschaedigt. Nur Papier war drin. Keine Geldscheine, wo denken Sie hin, nur handbeschriebenes Papier. Billets und Mauskripte. Schoen gebunden zwar. Aber nichts wert, fuerchte ich.

Die Manuskripte liegen auf dem Tisch. Was tun sie dort? Sie entfalten ihre Wirksamkeit.

17.NACH DER ART IHRER KONJUGATION UNTERSCHEIDET MAN STARKE
Ich trug den Koffer.
UND SCHWACHE VERBEN.
Sie fragten mich aus.

Er mied die Grenzbefestigungen. (hat ihm trotzdem nichts genuetzt)
Er lief vor den Haeschern davon. (aber keine Schongs. Gegen Nachtsichtgeraete hast du keine Schongs.)
"Wo ist dein Pass. Ohne Pass kannst du nicht einreisen."
"Ich truege einen Pass bei mir, wenn man mir nicht empfohlen haette, ihn wegzuwerfen."
Das konnte ich natuerlich damals nicht sagen. Weil ich kein Deutsch verstand. Ich verstand ueberhaupt keine Sprache ausser meiner eigenen. Also machte ich "Hoeh?" Das verstanden sie, das versteht jeder, und brachten mich in einen vergitterten Wagen. Obwohl ich bestimmt kein anderes Verbrechen begangen habe, als nachts ueber eine feuchte Wiese zu wandern. Also eigentlich, wo gibts denn sowas, was massen die sich an. Das ist ja wie im Mittelalter. Also, dieser Boden gehoert ihnen? Aber wie? Wie soll das laufen. Welche Bestimmung ist in dem Boden vorhanden, dass eine Person oder Gruppe einer anderen den Zutritt verbieten kann. A priori ist der Boden nur Boden. Ein Kind wird geboren. Waechst zu einem Menschen heran. Und hoert ploetzlich, da darfste nicht hin, da auch nicht. Privatgrundstueck. Ich raffe. Du raffst. Er rafft.
Ich druecke. Du drueckst. Er drueckt. Zum Glueck haben wir unseren Geburtendruck. Die andern koennen sich ausrechnen, wann sie aussterben. Mit oder ohne Beamtenstatus.

18. TRANSITIV Der Beamte befragt den Asylanwaerter.
INTRANSITIV Der Asylant begegnet dem BGS-Beamten mit Skepsis.

19.HILFSVERBEN ZUR BILDUNG VON ZUSAMMENGESETZTEN VERBALFORMEN
Ich kann nicht schlafen.
Ich musste meinen Guertel abgeben.

20.REFLEXIVE VERBEN
Ich erinnere mich. Einmal als Kind hatte ich mich beim Essen verschluckt. Im selben Moment droehnte ein Flugzeug im Tiefflug ueber mich hinweg. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt noch nie ein Flugzeug gesehen, und habe mich wahnsinnig erschreckt. Seit der Zeit assoziiere ich Schluckauf mit Flugzeuglaerm. Immer wenn ich ein Flugzeug hoere, kriege ich einen Schluckauf.

21.ALS AUSDRUCK DES ZEITGESCHEHENS STEHEN SECHS ZEITFORMEN ZUR VERFUEGUNG.
Wem die Glocke laeuten wird, dem muss nicht unbedingt die Stunde schlagen.

Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben noch viel zu erwarten habe. Zuviel falschgemacht. Das Hiersein ist mir vergaellt. Zurueckgehen hat aber genauso wenig Sinn. Also schicksalsergeben abwarten, was sie mit mir anstellen werden. Eine maechtige Buerokratie, die sich der Antragsteller bedient, um in immer schneller kreisenden Bewegungen sich auszudehnen. Sie dehnt sich um so mehr aus, je effektiver sie wird. Was durchaus kein Widerspruch ist. Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass das kein Widerspruch ist. Lager um Lager, Stadt um Stadt werden von ihr erfasst. Und im Zentrum dieses Hurrikans sitzt der Amtsleiter. Der Bundesamtsleiter. Oberbundesamtsdirektorpraesident, den ich, als einfacher Asylbewerber, normal nie zu sehen kriege. Hoechstens die fortgeschrittennen Oberasylanten, die haben eine, wenn auch nur theoretische Chance, ihn zu sehen zu kriegen. Am liebsten aber bespricht er sich mit seinen Unteramtsleitern. Die wissen schon, wie mit uns umzugehen ist.

22.EINE PERSON ODER SACHE KANN TAETIG SEIN, ODER ETWAS ERLEIDEN.
Im einen Fall ist sie aktiv, im anderen passiv.
Von einem Mann wird ein anderer Mann angesprochen.
Manche muessen zu ihrem Glueck getragen werden.
Einem Schlepper tausend Rupien in die Hand zu druecken, ist keine erhebende Aktivitaet. Die Folgen koennen gewaltig sein, oder auch nicht, je nach Standpunkt.
Eine Aktivitaet, die zum Leiden fuehrt.
Er ging ueber die Strasse und wurde ueberfahren.
Er hat Pech gehabt. Warum sind Sie ueber die Strasse gegangen, fragt mich unaufhoerlich mein Ausweisungsbeamter. Ich weiss es selbst nicht. Nicht mehr. Frueher wusste ich es. Tja, wenn ich gewusst haette.
Der Stein zerspringt, wenn man mit dem Hammer lange genug auf ihm herumkloppt. Der Stein ist gesprengt worden. Sein oder Haben. Das muttu einfach im Gefuehl sein.

23.MAN UNTERSCHEIDET DREI MODI VON VERBEN. NEBEN DER INDIKATIVFORM GIBT ES DIE MOEGLICHKEITSFORM UND DIE BEFEHLSFORM.
Steh auf!
a)Maennchen
b)Wenn du kein Deutscher bist
c)Hoer auf zu flennen.

DIE MOEGLICHKEITSFORM DRUECKT AUS WAS MOEGLICH IST. ABER AUCH, WAS NICHT MOEGLICH UND UNWIRKLICH IST.
Wenn etwas zugleich wirklich und moeglich ist, kann man sich darauf verlassen. Dass ein Beamter puenktlich mit seiner Arbeit beginnt, darauf kann man sich verlassen. Wenn etwas wirklich, aber nicht moeglich ist, muss man es bereinigen. Es kann doch nicht sein, dass. Kein Problem. Der Beamte ist, von zu Hause, an ganz andere Schwierigkeiten gewoehnt. Sich auf Paragrafen zu verlassen, ist noch die leichtere Uebung.

Er ist mit Lust gewandelt.
Ich haette ihn am liebsten geohrfeigt, als ich gesehen habe, dass er den Abwasch, fuer den er sonntags zustaendig ist, wieder nicht gemacht hat.
Meine Frau wuerde nie wagen, mich zu schlagen. Ausser in ihrer (Wunsch)vorstellung. Oder wenn sie stark betrunken ist.

Lesende Asylanten. Etwas, was nicht vorkommen sollte, aber seit neuestem vorkommt. Seit sie Koffer finden und man ihnen bereits vor der Anerkennung Sprachkurse gibt. Die Tanten vom Goethe-institut haben anscheinend nichts besseres zu tun. Aber bitte. Dann soll man sich nicht wundern, dass ploetzlich Brecht-Manuskripte bei ihm auf dem Tisch liegen. Er hat uns glaubhaft versichert, dass man sie ihm auf der Strasse angedreht hat. Fast geschenkt. Aber bitte. Brecht steht drauf. Brecht steht nicht auf unsere Liste. Ich stehe nicht auf Brecht, wahrlich nicht. Wo Brecht draufsteht, muss nicht unbedingt Brecht drin sein. Brecht kommt zwar hier aus der Gegend, und es wird, immer noch, eine Menge Brimborium um den Kerl gemacht, ich meine, sie veranstalten alle moeglichen Festivitaeten zu seinen Geburts- und Todestagen, aber ich habe ihn schon immer langweilig gefunden, da konnte mein Deutschlehrer noch so viel quatschen. Der ist sowieso jetzt in Rente, und sein Nachfolger interessiert sich fuer ganz andere Stoffe. Jaha.

Wenn ich nicht von der Schule haette abgehen muessen, haette ich Abitur gemacht und saesse heute nicht hier und muesste mich nicht mit diesen Idioten herumschlagen.

24.PRAEPOSITIONEN DRUECKEN AUS, IN WELCHEM VERHAELTNIS DINGE ZUEINANDER STEHEN.
Auf dem Weg ins gelobte Land wurden ihm zwei Buesche am Fluss zum Verhaengnis. Er kannte die Maenner, die aus dem Schatten traten, nicht. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und fuehrten ihn den Weg entlang. Wir fuhren in vom Staube grauen Wagen. Alles war vorbereitet.

Im Sprachkurs sitzen wir gemuetlich zusammen und fuehlen uns wohl. Zwei Stunden am Tag, wo man aus der Frust mal herauskommt. Den Depressionen, die sich bei mir unweigerlich einstellen, wenn ich nichts zu tun und auch sonst keine Ansprache habe. Meine Familie und Freunde von frueher sind alle weit weg. Es ist mir schon immer schwer gefallen, neue Bekanntschaften zu schliessen. Zumal wenn man die Leute nicht versteht und ihren kulturellen Background nicht kennt. Die Lehrerinnen sind richtig nett. Das heisst, bis auf eine, die Haare auf den Zaehnen hat. Wir sitzen zusammen und versuchen, ein paar deutsche Saetze zu radebrechen. Fuer von der Gerichtsbarkeit an ihn gerichtete Briefe uebernehmen wir keine Haftung.

25.DIE KONJUNKTION - DAS BINDEWORT
Konjunktionen, Bindungen - - datt isset, watt Ihnen hier fehlt. Ohne Freunde bist du Bettler.

26.WOERTER SIND WIE BAEUME. AUS EINER WURZEL ENTSPRINGT DER STAMM. AUS DEM STAMM SPRIESSEN AESTE UND ZWEIGE.
Deine Freunde koennen die Woerter nicht sein. Auch Saetze nicht. Du kannst sie lieben und ehren, doch erwarte nicht, dass sie dir mehr zurueckgeben als blosse Reflexe deiner Anschauungen.
binden - band - gebunden
Unverbindlichkeit - Armband - Buendnis
Und doch ist die Gesamtheit der Woerter und Saetze deine Sprache, deine Heimat, woran die meisten lebenslang gebunden sind. Nur wenigen Dichtern gelingt es, in fremder Sprache zu schreiben. Brecht war ein deutscher Dichter. Gebunden und verbunden.

WOERTER MIT GEMEINSAMER WURZEL BILDEN EINE SPRACHFAMILIE. DER GEMEINSAME URSPRUNG, DIE WURZEL, IST HEUTE IN VIELEN FAELLEN NICHT MEHR OHNE WEITERES FESTZUSTELLEN. JEDENFALLS NICHT VON LAIEN.
Die Familie. An die denke ich gern zurueck. Ich habe als Kind manchmal gehungert und bin ungerecht behandelt worden. Oft hatte ich Durchfall. Trotzdem denke ich gern an die Vergangenheit. Sie ist die Wurzel von allem, was ich bin.

Wieviele Freunde hatte Brecht, als er ins Exil ging. Reichlich. Solche Leute haben ueberall Freunde. Er konnte sogar seinen gesammelten Harem mitnehmen.
Trotzdem. Auch fuer solche Leute ist auswandern kein Zuckerschlecken. Brecht war damals nicht mehr der juengste. Nicht mehr voll auf der Hoehe. Hat nicht mehr alles voll kontrolliert. Hat den Koffer mit der Arbeit mehrerer Jahre aus den Augen verloren.

Ob meine Lehrerinnen so ganz auf der Hoehe sind, weiss ich nicht. Sie haetten ruhig bemerken koennen, dass ich im Besitz dieses Wunderkoffers bin. Der Vermieter jedenfalls hat was gemerkt. Er hat das Ding fuer den Schwarzgeldkoffer gehalten, der ihm kurz vor der deutsch-schweizer Grenze abhanden gekommen war. Ich bitte Sie. Ich war nie an der deutsch-schweizer Grenze. Ich bin ganz woanders aufgelesen worden. Es sei denn, der Koffer haette einen doppelten Boden. Fuer die Manuskripte koennte man garantiert ein huebsches Suemmchen herausholen. Aber das hat mein Vermieter nicht geschnallt. Soweit reicht sein Verstand nicht. Hat sie fuer Altpapier gehalten und nicht weiter beachtet. Weg damit. In seiner Wut wollte er mich zwingen, sie wegzuschmeissen. Haette sie fast selbst auf den Muell geworfen. Aber da ist er an den falschen geraten. Mein Koffer, habe ich gesagt, und das hat er verstanden. Mit Besitzverhaeltnissen kennt der Raffzahn sich aus. Da macht ihm auch der Oberanstaltspraesident nichts vor, der sich darin gewiss gut auskennt und mit Frau und Kindern in einer echten Komfortgegend wohnt. Aber mein Vermieter kennt sich noch besser aus, weil, er ist haerter dran an der Realitaet. Ich will 100 Euro mehr, sagt er, pro Bettplatz, versteht sich, und wenn er mit Kuendigung droht, nicken die Beamten ganz schnell, und der Oberbehoerdenpraesident unterschreibt ohne hinzusehen. Der Oberanstaltspraesident und seine Frau sitzen auf wohligen Polstermoebeln, liegen in wohligen Betten, stehen vor reichlich schnitzwerk-verzierten Schraenken. In Alis Heimat lagern 11 Prozent der Welterdoelreserven. Der amerikanische Praesident denkt an den Oberanstaltspraesidenten, indem er an die Welterdoelreserven denkt, damit es der Oberanstaltspraesident und seine Gattin schoen warm in ihrer Villa haben. Mit dem Besitz ist es so eine Sache. Man kann ihn bei sich tragen, oder auf ihm leben. Ein Seegrundstueck. Unbefugten ist der Zutritt verboten. Oder, wenn man etwas weiter entferntes benoetigt, muss man den Begriff des Besitzes ausdehnen zur Einflusssphaere. Nur ich bin immer der angeschmierte. Ich sitze hier fest, mit oder ohne Manuskripte. Ich spuere zwar die Macht der Rede, die aus dem Koffer kommt; aber im Moment ist die Macht des Faktischen staerker. Was hat der Oberanstaltspraesident, was ich nicht habe? Ich meine, mental. Vielleicht, weil er arbeitet, waehrend ich faulenze. Ich waere auch gern Oberanstaltspraesident. Aber klar, nicht jeder kann Oberanstaltspraesident sein. Einige muessen schliesslich den Garten machen und den Balkon renovieren, und andere muessen bloede herumhocken. So ist das Leben.

III. Die Satzlehre

Sprache ist alt. Sprache ist Herbst.
Die herbstlichen Blaetter unserer Wort-flora fallen auf ein weites Feld. Dort wechselwirken sie mit den Feldern anderer Worte. Sie fuegen sich zu Inhaltsstrukturen zusammen. DER SATZ IST DIE FINITE AUSPRAEGUNG EINES VERBALEN SYNTAGMAS.

Ein neuer Schmerz ist da, der Schmerz der wohlwollenden Ueberlegenheit. Die Welt ist mir viel zu logisch. Fremder Mann findet verschlossenen Koffer. Traut sich, nach langem Hin und Her, ihn aufzumachen. Ist zwar nur Papier drin, nichts als Papier. Aber ploetzlich kann er die Sprache, die ihm vorher soviel Probleme gemacht hat. Er beherrscht die Sprache besser als jeder Literaturprofessor. Eine ganz einfache Geschichte, die nie aufhoeren wird, wenn er den Koffer nicht hergibt.

Ein Mann war da. Einheimisches, schmaechtiges Kerlchen. Vor dem muss man keine Angst haben. Zumindest koerperlich nicht. Geistig schon eher. Wissenschaftler. Sehr logisch. Hat den Koffer gesucht. War so fanatisch hinter ihm her, dass ich, in heller Panik, alles abgeleugnet habe. Ich wusste ja nicht, was passieren wuerde, wenn ich ihm die Geschichte erzaehlt haette. Fragen Sie mich nicht, wie er mir auf die Spur gekommen ist. Wissenschaftler sind eben so. Schlau, auch wenn sie sprachlos sind. Er war ziemlich sprachlos. Vielleicht hat man mich gesehen, als ich das Trumm ins Haus geschleppt habe. Der Koffer passt nicht zu mir. Mit so einem Koffer faellt einer wie ich auf.

Er ist logisch, aber auch zaenkisch. Man muss zwar keine Angst vor ihm haben, wie vor den Kleiderschraenken von Grenz-, Justiz- und sonstigen Behoerden, aber es ist nicht leicht mit ihm umzugehen. Er ist logisch, aber ein schlechter Redner. Ziemlich unverstaendlich, was er mir erzaehlt hat.Ich habe den Eindruck, die Deutschen beherrschen ihre Sprache von Tag zu Tag schlechter. Vielleicht sollte ich sie mal meine Brechtschen Billets zu lesen geben. Wobei ich denke, die meisten sind mehr auf eine Gehaltserhoehung als auf diese ollen Zettels aus. Da stehen Sachen drauf, fuer die sich heute kein Mensch mehr interessiert. Hoechstens Literaturexperten. Andererseits, was wollen Sie mit einer Gehaltserhoehung? Sie haben doch schon alles. Was wollen Sie denn noch?

Es leuchtet ein, dass der Satz 'Thomas Mann schrieb zahlreiche Romane' sich nicht auf die selbstverstaendliche Faehigkeit des Mannes bezieht, Schrift zu produzieren.

Er war noch einmal da. Hat mich eindringlich gebeten. Wichtige Manuskripte eines namhaften deutschen Schriftstellers. Ich habe mich dumm gestellt und gefragt, was Manuskripte sind. Nichts gefaehrliches, hat er gesagt, und mich beruhigt und immer mehr eingelullt mit seinen Beruhigungen, und keine Ruhe gegeben, bis ich den Koffer herausgerueckt habe. Ich meine, nachdem er die Polizei aussen vor gelassen hat, und ganz hoeflich herumgekrochen ist. Nicht einmal in diesem forschen Tonfall der Asylbeamten oder Hausbesitzer, sondern in einer Sprache, wie ich sie spreche, devot eben, wenig selbstbewusst. Es muss ihn an manchem gemangelt haben, ohne den Koffer. Da konnte ich schlecht 'nein' sagen.

1.MAN UNTERSCHEIDET DREI SATZARTEN
FRAGESAETZE: Wo ist der Koffer?
AUSSAGESAETZE: Ich habe ihnen schon mehrmals gesagt, dass ich keinen Koffer besitze.
AUFFORDERUNGSSAETZE: Bitte steh auf (obwohl ich keine Lust habe, erhebe ich mich von meinem Lager. Wer faulenzt, wird leicht schlaefrig.) und zeige mir den Koffer.

2.SUBJEKT, PRAEDIKAT
Ich bleibe.
Ich gehe.
Ich laufe.

...UND OBJEKT
Der Richter weist den Mann aus.
Der Professor nimmt den Koffer an sich.
Die Dozentin ist zu alt.
Es stehen Maenner draussen.
Ich traue mich, mit dem Koffer zu tuermen.
Die Polizei fasste den Asylerschleicher.
Der Asylerschleicher waere von den Polizisten gefasst worden, wenn die Mauer ihnen nicht die Sicht versperrt haette.

3.DIE UMSTANDSBESTIMMUNG KANN IM SATZ AUFTRETEN ALS SINN-NOTWENDIGE ERGAENZUNG ODER ALS ERWEITERUNG.
Er weinte vor Verzweiflung.
Niemand kam ihm zu Hilfe.
Er lief trotz des Regens.
Seine Erregung eskalierte.
Bei groesserer Vorsicht waere er ihnen nicht entkommen.
Der Oberanstaltsleiter ist gestern mit seiner Frau zwei Wochen zur Erholung nach Bali geflogen. Der Vorsitzende der dritten Strafkammer hat sich ihnen angeschlossen.

Ich sehe deinen Fall als verloren, unkte der Anwalt; und der Richter ergaenzte: Du haettest dich besser vorsehen sollen, mein Junge.
Er hiess seinen Richter einen Dummkopf; doch jener verstand ihn nicht.

Er rannte. Das Laub faerbte sich gelb.

Der Unterricht laeuft gewoehnlich folgendermassen ab. Begruessung durch die Dozentin. Das Buch wird aufgeschlagen. Ein Text wird gelesen. Eine Uebung gemacht.

Die Furcht vor der Ausweisung verleitete den ...
Die Furcht, ausgewiesen zu werden, verleitete den ...
Die Furcht, dass er ausgewiesen werde, verleitete den ...
Die Furcht, er koenne ausgewiesen werden, verleitete den ...

Der Beschuldigte reiste am Montag, den 14. April, nach Koeln.

4.EIN SATZGLIED, DAS FORMAL NICHT UNBEDINGT NOETIG IST, NENNT MAN ERWEITERUNG. AUS SAETZEN ENTSTEHEN SATZGERUESTE, WENN MAN IHRE ERWEITERUNGEN WEGLAESST.
Er wohnte im Heim.
Er wohnte.

Der Wegweiser am Ende des Dorfes war umgefallen. Vielleicht haette er sonst zurueckgefunden.

Das Boot ist voll.

Den Koffer hat Brecht in Moskau zurueckgelassen. Eine der Frauen, die ihn gewoehnlich begleiteten, sollte ihn nach Skandinavien bringen, wo sich der Dichter mit dem Rest seines Trosses aufhielt. Bevor sie ihre Zusage einloesen konnte, wurde sie verhaftet und deportiert. Ueber das Schicksal des Koffers war nichts bekannt, bis ich in einem russischen Archiv eine Notiz fand. Diese fuehrte mich in das ehemalige Institut fuer sozialistische Literaturgeschichte und von dort zu einem dubiosen Kunsthaendler in der Schweiz, bei dem der Koffer aber nie angekommen ist, weil ihn die Kuriere auf dem Bahnhof verloren haben.

5.JEDE SPRACHE BESITZT EINE UEBERSCHAUBARE ANZAHL VON SATZBAUPLAENEN (SYNTAKTISCHEN STRUKTUREN), NACH DEREN MUSTER SICH ALLE SAETZE VOLLZIEHEN.
Die Endlichkeit der Sprache ist die Endlichkeit des Sprechenden ist die Grenze unserer Aufnahmefaehigkeit ist erschoepft.

Viele ruehmen die Sprache fuer ihre Endlichkeit, weil sie - trotz Endlichkeit - eine Unmenge von Kombinationen erlaubt. Ich meine, die Menschen sollten sich nicht zuviel einbilden. Eigenlob stinkt. Besser fragen, welche Faehigkeiten sie NICHT besitzen. Das waere viel interessanter. Und schwieriger. Also, mir fallen da auf Anhieb eine ganze Menge ein.

6.DAS WESEN DER WORTREIHE
verliebt, verlobt, verheiratet, gehungert, geschieden.
ersehnt, hingefahren, eingereist, Sprache gelernt, ausgewiesen, verurteilt, abgeschoben.

Als mein Antrag abgelehnt wurde, war ich im ersten Moment sprachlos. Das heisst, gegenueber dem Richter bin ich waehrend des ganzen Verfahrens sprachlos gewesen. Der Richter hat eine Sprache gesprochen, von der ich den Eindruck hatte: der versteht selber nicht, was er sagt. Der benutzt Worthuelsen als Versatzstuecke fuer eine Scheinlogik. Wie bei gewissen mathematischen Konstruktionen, wo die Axiome untereinander widerspruechlich sind. Trotzdem wagen sich immer wieder Leute aufs Glatteis. In diesem Fall ist es nicht der Richter, der einbrechen wird.

7.DAS WESEN DER SATZREIHE
Der Mann packt seine Sachen. Er haelt den Kopf gesenkt und packt seine Sachen. Fast moechte man meinen, er weint. Dabei ist er nur muede.

DAS GEDANKENVERHAELTNIS DER SAETZE EINER SATZREIHE KANN
KOPULATIV
In Koeln hat es geregnet und die Strassen sind feucht.
ADVERSATIV
Der Einsatz war gross; gering der Gewinn.
KAUSAL
Er wurde bestraft; er hatte gegen die Gesetze der BRD verstossen.
ODER KONSEKUTIV SEIN
Er verstiess gegen die Gesetze der BRD; er wurde bestraft.

8.DIE TEMPORA
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen mir alle in eins. Zeit bedeutet mir nichts mehr.

DAS PRAESENZ DRUECKT AUS, DASS DIE HANDLUNG, DER VORGANG ODER ZUSTAND IN DER GEGENWART ANDAUERT ODER ALLGEMEINGUELTIG IST.
Bei grosser Hitze flimmert die Luft.
Ein Knall. Oder hatte er sich den nur eingebildet? Sein Herz begann, wild zu klopfen. Er schiebt sich vorsichtig vor. Alles ruhig. Nur sein Herz hoert er klopfen. Aber da, eine Bewegung. Und ploetzlich ... die Zielperson schiesst. Mensch, dachte er und duckte sich hinter die Mauer.

DAS PERFEKT
Mit dem Perfekt hat man abgeschlossen.
Er hat keine Chance mehr gesehen fuer seinen Prozess, keinen Ausweg.

DAS PRAETERITUM
Es war einmal. Was sollte ihm der Koffer. Die groesste Ironie bestand darin, dass der Dozent den falschen Koffer mitgenommen hatte. Ob sich der Vermieter mit ihm raufen wuerde? Moeglich wars. Moeglich war alles. Absurd ist das Leben. Aber nur, wenn man es mit dem Leben anderer, weniger ramponierter Zeitgenossen vergleicht.

9.DER RELATIVSATZ
Ich weiss, oder kann mir wenigstens denken, was du beabsichtigst.

10.DER INDIREKTE FRAGESATZ
Der Richter soll untersuchen, wie der Vorfall abgelaufen ist und sich nicht mit sinnlosen Spekulationen aufhalten.
Niemand weiss, wann ihm die Stunde schlaegt.
Ein Mann bat um Hilfe.
Wer hat den Mann bei seiner Tat beobachtet?

11.DER KONSEKUTIVSATZ
Der Jaeger schoss auf den Hasen, ohne dass er ihn traf.
Die Luft war so klar, man konnte kilometerweit sehen.
Es haette klappen muessen, wenn der Jaeger keine solche Flasche gewesen waere.
Irgendwann raecht sich jeder Groessenwahn.

12.DER TEMPORALSATZ
Wenn die Tage kuerzer werden und der Sommer uns verlaesst, beginnt der Herbst.
Nachdem der Antrag abgelehnt ist, wird man abgeschoben.
Es sei denn, dass.
Seit es Menschen gibt, gibt es auch Nullen. Diese sorgen fuer den Unverstand, das Vorurteil und den reibungslosen Ablauf des Staatswesens.
Seit er seine Heimat verlassen hat, ist er in keinem festen Beruf mehr taetig. Den Wohnsitz hat er seit seiner Flucht auch aufgegeben.
Als es dunkel wurde, machte er sich davon.
Als er mit der Bahn fuhr, sahen ihn alle an. Vermutlich wegen der Hautfarbe. Niemand ahnte etwas.

13.DER KAUSALSATZ
Die Behauptung, der Mann sei zum Verbrecher geworden, weil wir ihn misshandelt haetten, wird von meiner Behoerde entschieden zurueckgewiesen.

14.DER KONDITIONALSATZ
Wenn ich in Madras geblieben waere, ginge es mir jetzt besser.
Wenn ich Geld haette, wuerde ich den Koffer nicht verkaufen.

15.DER KONZESSIVSATZ
Obwohl er standhaft bei seiner Behauptung blieb, glaubte man ihm nicht.

16.DER MODALSATZ
Die Katze faengt die Maus, indem sie sie mit aeusserster Vorsicht anschleicht.

17.DER FINALSATZ
Die Frage der Mittel.
Der Massnahme ihr Ziel.
Damit man ihn hereinliesse, wollte er mit dem Koffer zahlen.
Der Richter lehnte ab.
Wir muessen wachsam sein. Wir sind bestellt, um wachsam zu sein. Wir muessen Vorsorge treffen, dass Deutschland keinen Schaden nimmt.
Er versteckte sich, um nicht abgeschoben zu werden. Dabei wurde er in ein schreckliches Verbrechen verwickelt.

18.ANAKOLUTH - DER SATZBRUCH ... VERRAET MANGELNDES DENKVERMOEGEN
Wenn er denn unschuldig ist. Nun, er haette sich melden muessen.
Ich traeumte, die Bekanntschaft eines alten Mannes gemacht zu haben, welcher, wenn ich nicht gewusst haette, dass es Brecht ist, der, nach eigener Aussage, gleich hinter Goethe kommt, und auch dennoch hat er keinen angenehmen Eindruck auf mich gemacht. Mit dieser Moeglichkeit muessen wir bei unseren Bewerbern immer rechnen.

19.DER SATZABSCHNITT, EINE ART UMSTANDSBESTIMMUNG
Die Hunnen stuermten heran, ueber die Maehnen ihrer Pferde gebeugt, die Faust an gespannter Sehne.
Stehengeblieben! Ha! Haben wir, du Verbrecher, dich endlich.

20.MIT DEM KONJUNKTIV LAESST SICH EINE MOEGLICHKEIT ODER WAHRSCHEINLICHKEIT AUSDRUECKEN ODER, DASS DER SPRECHENDE ETWAS WIRKLICHES SICH ANDERS WUENSCHT.
Ich wuenschte, die Welt waere anders, als sie ist.
Ich wuenschte, ich koennte mich frei in ihr bewegen.
Ich wuenschte, ich muesste vor niemand mein Haupt beugen.
Ich wuensche mir eine Welt voller Freunde und Brueder.
(Das morsche Holz der Utopie.)

21.DIE INDIREKTE REDE IST DIE WIEDERGABE VON AUSSAGEN EINES DRITTEN. BEI DER INDIREKTEN REDE STEHT DAS VERB IM KONJUNKTIV.
... der Leser frage sich unwillkuerlich, ob er der Berichterstattung noch trauen koenne. Es koenne auch alles ganz anders gewesen sein. Der Arbeiter erzaehlte, er habe das Unglueck hautnah miterlebt, er habe sich aber rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Die Feuerwehr wurde zu recht gefragt, wie das geschehen konnte. Warum sie keine Vorkehrungen getroffen habe. Ein Ermittlunsverfahren wurde eingeleitet.

22.DIE NEGATION
Ich denke nicht daran, weg zu gehen.
Diesen Stress beabsichtige ich nicht, mir noch einmal anzutun. Die Negation ist natuerlich das staerkste, was wir haben. Die hoechste und vollkommene Form des Widerstandes. Sie wird aber keineswegs um so besser, je abstrakter sie ist. Im Gegenteil. Die reine, abstrakte Negation ist das Boese. Erst wenn wir sie mit qualifizierten Argumenten fuellen, also z.B., warum wir dagegen sind, dass Heimat- und Staatenlose einfach abgeschoben werden, entziehen wir uns seiner Anziehungskraft.

23.SATZPLAENE: UNTER DEN HAUPTPLAENEN GIBT ES DEN GRUNDPLAN, DEN SEITENPLAN UND DEN UMKEHRPLAN
...letzteren, wenn man nicht weiterweiss.(nehme ich an)
Weiter weiss ich nicht mehr.
In die Anstalt schlug der Blitz ein.

ALSO, ICH WERDE JETZT MAL TACHELES REDEN. SCHLUSS MIT DEM GEDOENS. NICHT BESPROCHEN HABEN WIR DIE NEBENPLAENE. DIE HABEN ES IN SICH. BESONDERS DIE MIT PERTINENZDATIV.
Er suchte den Freund.
Der Regen lief ihm in die Schuhe.
Man stiess ihn in die Seite.
Man boxte ihm in den Magen.
Man haute ihm ins Gesicht.
Er haette sich gern eine Kugel durch den Kopf gejagt. Stattdessen hat er sich Tinte ueber die Hose gegossen.
Er waere, da es regnete, gern zu Hause geblieben. Als er das Zimmer verlaesst, das er einige Wochen bewohnt hat, beginnt er zu weinen.


© Copyright: B. Lampe, 1995

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