2 alte Damen



N. war Elektronikingenieur und arbeitete bei Siemens. Wie jeden Abend fuhr er nach Dienstschluss mit der U-Bahn nach Hause. Er betrat den Wagen der Linie 9 und setzte sich auf einen Fensterplatz. Gegenueber sassen 2 Frauen, alt, Rentnerinnen, die eine klein, die andere groesser, beide mit verwaschenen gebluemten Kleidern, die an ihren gebeugten duerren Koerpern wie an Buegeln herabhingen, und runzligen eingefallenen Zuegen, grauen Haaren und fleckiger Haut. - Wie man es bei alten Frauen eben erwartet; es war lange her, dass sich ein Mann nach ihnen umgedreht hatte.

Die Groessere trug eine seltsame ovale, pferdekopfgrosse und nach oben offene Metallkiste auf den Knien, die sie mit beiden Armen sorgsam umfasst hielt. Durch die Oeffnung sah man Dutzende duenner Kabelstraenge ueber Platinen voll elektronischer Bauteile laufen.

Die Bahn ruckte an und waehrend er schlaefrig umherblickte, kondensierte N.'s Aufmerksamkeit an einigen Gespraechsfetzen, welche ihm merkwuerdig vertraut vorkamen. "... Translationssignal kommt nicht ... Abfluss der Speicherkapazitaet ... Baenderriss im Elektronenspektrum ... die UV Bereiche kannst du nur mit Vektoren beschreiben ... Nein, nein, das stimmt nicht ... 1 Gigahertz niemals erreichen ...", so ging es in einem fort. Die Beiden steigerten sich geradezu in einen Streit hinein, in dem die Groessere der Kleineren immerzu widersprach. Diese schien aber die solideren Kenntnisse zu besitzen; jedenfalls behielt sie die Ruhe, waehrend die Groessere immer aufgeregter auf ihrem Sitz hin und her rutschte, so dass ihr die Kiste fast herunterfiel, waehrend sie mit hoher Fistelstimme ihre Meinung verteidigte.

"Was haben die denn fuer Probleme?" dachte N. belustigt. Ziemlich ungewoehnlich, dass sich zwei alte Weiblein fuer Elektrotechnik interessierten.

"Du glaubst gar nicht, was mir die Kiste schon fuer Kopfzerbrechen gemacht hat", kraechzte die Grosse jetzt. "Bis gestern war mir voellig schleierhaft, warum sie ums Verrecken nicht mehr laufen will. Aber dann bin ich darauf gekommen, es muss am TK4003 liegen."

"Am TK4003? Das kann nicht sein. Der hat bei mir noch nie versagt."

"Aber wenn ichs dir sage. Am TK4003 verschwinden alle Frequenzsignale, ich habe extra nochmal nachgemessen, ich nehme an, die Hub-zu-Finch Uebersetzung stimmt nicht."

"Mensch, das kann doch nicht sein", wiederholte die Andere, "zeig mal her", und damit zog sie die Kiste naeher zu sich heran, ohne dass allerdings die Grosse sie ganz von ihrem Schoss gelassen haette, und machte sich an ihrem Inneren zu schaffen, wobei ihr Kopf schliesslich halb in der Kiste verschwunden war. Als sie wieder auftauchte, hielt sie einen Mikrochip in der Hand.

"Da haben wirs!", schrie sie erbost. "Gruenspan! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Kontakte sauberhalten. Saubere Kontakte sind das A und O in der Elektronik."

Sie fingerte mit duerren Spinnenfingern eine kleine Metallfeile aus ihren Unterroecken und begann, an dem Bauteil herumzukratzen. Zuletzt nahm sie noch ihre Fingernaegel zuhilfe. Schliesslich begutachtete sie ihr Werk von allen Seiten, unter dem fortgesetzten indignierten Blinzeln ihrer Nachbarin.

"So, das muesste reichen", sagte sie, drehte den Chip in die ihrer Meinung richtige Lage und versenkte ihn wieder in der Kiste. "Jetzt mach noch mal den Schalter an", befahl sie.

"Na wat nu", sagte die Andere, als in dem Kasten wieder nichts passierte. N. fragte sich, was die beiden ueberhaupt von dem rostigem Trum erwarteten. Aber da fuhr die Kleinere noch einmal entschlossen mit der Hand hinein und drueckte das Bauteil mit aller Kraft in seine Halterung. Die Juengere rief noch "Aua, du tust mir doch weh" und zog die Knie beiseite ... da ploetzlich erscholl ein hohes Pfeifen, Rauch drang durch alle Ritzen des Waggons und der Zug schuettelte sich heftig wie eine nasse Katze, so dass N. mit dem Kopf gegen die Scheibe stiess und vor Schmerz die Augen schloss. Als er sie wieder aufmachte, befand er sich in einem grossen Raum mit metallenen Waenden und futuristischer Einrichtung. Nicht weit von ihm standen die beiden Frauen, jedoch keine Spur von der U-Bahn noch den uebrigen Fahrgaesten.

Und das naechste was er hoerte, war die kleine Alte, welche triumphierend ausrief: "Wer sagts denn!"


Copyright: B. Lampe, 1999                                                zurueck