Sein/Seiendes - Ontologie Natur

 

Der Begriff des Seienden umfasst sowohl unser Bewusstes und Unbewusstes als auch die äußere Welt, welche (in jeder realistischen Philosophie) unabhängig von diesem Bewusstsein existiert. Zum Sein gehört also nicht nur alles Denk- und Vorstellbare, das sich in unseren Köpfen abspielt, sowie unsere normale tägliche Umgebung sondern auch all das, was außerhalb der direkten Wahrnehmung liegt und gewissermaßen jenseits der Ränder unseres persönlichen und physikalischen Kosmos existiert.

Im Ganzen unterscheide ich 2 plus 2 grundlegende Seinskomponenten:

(1a) Das Unbewusste, welches all jene Gehirnprozesse umfasst, an denen das Bewusstsein zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht beteiligt ist

(1b) Das subjektive oder Ich-Bewusstsein der Gehirne, das durch Interaktion mit anderen Bewusstseinen einen objektiven Charakter gewinnt und zusammen mit ihnen und der kulturellen Umgebung die menschliche Gesellschaft bildet. Jedes Ich definiert sich zugleich antagonistisch und einträchtig im Verhältnis zu den anderen Bewusstseinen, was den beiden Polen von Individualismus und Kollektivität entspricht. Seine 'Existenz' ist das Resultat der subjektiven Innenperspektive eines aus organischen Molekülen aufgebauten Gehirns. Alle möglichen emotionalen Zustände und Fähigkeiten wie Empathie, Verliebtsein oder Angst verleihen ihm 'gefühlt' einen anderen Charakter als der Summe von Strömen und Eiweißmolekülen, aus denen es gebildet ist, und dieses Muster des sich subjektiv anders Fühlens setzt sich in der Wahrnehmung der äußeren Welt fort. So bedeuten uns z.B. Musikstücke mehr als die Abfolge von Geräuschen, aus denen sie ja eigentlich nur bestehen.

(2a) Auch wenn sie auf der Ebene von Ich und Inter-Subjektivität ein eigenes Leben führen, gehören das Bewusste und das Unbewusste als Teil des aus organischem Material bestehenden Gehirns zur Gesamtheit der Materie im Kosmos. Die Erscheinungsformen der Materie entsprechen verschiedenen Anregungen (=Schwingungsmoden) der einen Substanz, welche den Kosmos vollständig ausfüllt. Obwohl die Materie in Formen so fest wie Diamant vorkommt, ist ihre Festigkeit nur relativ. Letztlich sind alle diese Anregungszustände nur flüchtige, wandelbare Schatten, die sich jederzeit auflösen lassen. Metaphorisch ausgedrückt: wir und alle Materie sind nicht die Bäume eines Waldes, auch nicht die Blätter eines Baumes, ja nicht einmal der Wind, der durch die Blätter rauscht. Sondern wir sind das Rascheln der Blätter.

(2b) die Substanz als das fundamentale Material des Daseins ist elastisch, besitzt aber eine diskrete Substruktur aus inneren Tetraedern, das heißt sie wird von einer sich wiederholenden Sequenz von vier Fundamentalobjekten, den sogenannten Tetronen gebildet. Deren Eigenschaften spiegeln sich in den Eigenschaften der Anregungszustände, aus denen wir zusammengesetzt sind.

Für die Untersuchung des Ich-Bewusstseins und der Gesellschaft ist (2b) allerdings völlig unerheblich. Ohnedies haben die Inhalte des Gehirns (1a,1b), die in der Form von Eiweißmolekülen vorliegen und nur für uns dies und jenes bedeuten, eine andere Seinsbasis als das reale Sein der Materie, das ein einfaches So-Sein darstellt, in dem das Funktionieren und selbst die Abgrenzung von 'Gegenständen' zunächst gar nicht vorkommen, weil sie bereits eine Beimischung unseres Wahrnehmungswillens und unserer von Interessen gesteuerten Erkenntnis sind. Das Ich-Bewusstsein entspricht gewissermaßen einem laufenden Softwareprogramm, dessen reale Basis im Computer völlig unabhängig von der Bedeutung und Funktion, die das Programm haben mag, als System von Magnetisierungen von Speichermaterial existiert, welches in dieser Analogie die Rolle der Eiweißmoleküle im Gehirn einnimmt.

Auf diese Weise kann man einsehen, dass sich die Menschen zusätzlich zur physikalischen Wirklichkeit eine eigene, kollektive Bewusstseinsrealität imaginieren. Ohne dass man seine naturalistische Grundhaltung aufgeben müsste, ist in dieser Nebenrealität Platz für ideelle, moralische, egozentrische, betriebswirtschaftliche usw Konzepte und etwa auch für das Böse als vom Menschen zu verantwortendes Handeln.

Jene Gefühle der Verlorenheit und Unversöhntheit in und mit der Welt, die den Ausgangspunkt der meisten kritischen und existentialphilosophischen Theorien bilden, gehören ebenfalls zum Ich-Bewusstsein als Teil dieser imaginierten und letztlich unvollständigen, doch für uns essentiellen Nebenrealität, in die am Ende der Tod als physisches Finale hineinbricht, von dem es keine Heilung geben kann. Nicht einmal unserer Gattung wird es vergönnt sein, auf immer zu überleben. Wie alle anderen wird auch sie am Ende vom Globus verschwunden sein.

Aus dieser Sicht wird offenbar, dass es kein objektives geschichtliches Telos geben kann und angebliche Gesetzmäßigkeiten wie die des historischen oder dialektischen Materialismus, die derartiges behauptet haben, nur eingebildet sind. Auch Hegels Weltgeist ist nichts als eine kollektive Selbsttäuschung philosophischer Köpfe. Es gibt zwar durchaus auch Gesetze, denen die gesellschaftliche Entwicklung folgt, weil es auch in Soziologie und Ökonomie Ursachen und Wirkungen gibt, aber diese sind meist nicht so zwingend wie in den Naturwissenschaften. Und sie lassen sich aushebeln, durch technische Innovationen beispielsweise oder eine spontan aufkommende neue Geistesströmung. Daher gibt es zwar einen Fortschritt in der Geschichte zu konstatieren, doch ist er ständig vom Entgleisen bedroht und zu jedem konkreten Zeitpunkt unklar, in welche Richtung er führt.

Darin liegt allerdings auch ein Basiselement der Freiheit, zumindest für die 'Eliten' einer Gesellschaft. Diese können nicht nur zwischen verschiedenen Fortschrittsoptionen wählen, sondern der Welt auch weitgehend ihren Stempel aufdrücken. Der Druck der Machthaber und der Traditionen ist es auch, der den Einzelnen meist so handeln lässt, wie die Gesellschaft von ihm erwartet. In welchem Sinne er trotzdem noch als Individuum frei ist, wird später im Teil über Existenzphilosophie erörtert.

An dieser Stelle will ich stattdessen zur allgemeinen Seinsproblematik zurückkehren, die auch das Sein der Materie (2a+2b) umfasst. Das Sein ist diejenige Eigenschaft des Seienden, bezüglich der sich alle oben aufgezählten Komponenten der Wirklichkeit gleichen und die es uns erlaubt, sie zu einem Gesamtkosmos der Realität zusammenzufassen, der 'Welt'. Eine Frage in diesem Zusammenhang, die sich die abendländische Philosophie seit jeher gestellt hat: ist diese Eigenschaft mehr als ein oberflächliches, ziemlich triviales Ordnungsmerkmal oder reicht sie in tiefere Schichten der Psyche und der Materie hinein? Und verweist sie darüber hinaus sogar in eindeutiger Weise auf ein zentrales Grundprinzp als notwendige und hinreichende Bedingung für die Eigenschaft des Seienden, zu sein - also auf eine monistische Struktur im Sinne einer einen Substanz?

Ich würde diese Fragen verneinen, jedenfalls insoweit sie implizieren, dass die Seinsebenen (1ab) und (2ab) identisch sind oder einen gleichberechtigten gemeinsamen Ursprung haben. Wie bereits früher diskutiert, liegt stattdessen eine Hierarchie der Seinsebenen vor, d.h. (1ab) ergibt sich aus der Subjektivität des Bewusstseins innerhalb der durch (2ab) gegebenen physikalischen Realität. Zwar wird das Erkennen derselben durch (1ab) modifiziert, nicht aber ihr Wesen beziehungsweise ihr Sein.

Wie aber können sich auf dem Hintergrund der einen Substanz Materie und Bewusstsein bilden? Mein Standpunkt ist ja, dass es die eine Substanz in Form der Tetronmaterie (2b) durchaus gibt. Während die Materie aus Anregungen der einen Substanz besteht, schaffen unsere Bewusstseine 'nur' eine imaginierte Seinsebene, die für-uns ist und die es uns allerdings erlaubt, zu denken und z.B. die Grundprinzipien der physikalischen Dynamik der Materie und ihrer Substanz zu erkennen. Ich habe das 'nur' in Anführungsstriche gesetzt, weil dies natürlich eine äußerst wichtige Funktion ist, da der gesamte Rest der existierenden Materie nur tot herumliegt (oder hitzig-aufgeregt durch die Raumzeit wirbelt) und sozusagen nichts mit sich anzufangen weiß. Solange nämlich die Wirklichkeit nur existiert, ohne erkannt zu werden, gibt es nichts außer dem (fraglos wahren) So-sein der Materie. Dieses So-sein ist zwar Folge einer komplizierten physikalischen Dynamik, doch diese 'bedeutet' wenig, solange niemand sie erkennt und nutzbar macht.

Das Monismus-Pluralismus-Problem stellt sich auf der Seinsebene von Bewusstsein und Gesellschaft anders als in der Physik. Während dort durch die Tetronen eine monistische Struktur vorgegeben ist, kommt hier ein Einheit stiftendes Prinzip dadurch zustande, dass alle menschlichen Gehirne ähnlich strukturiert sind und sich zu einer kommunikativ interagierenden Menge, der Gesellschaft, zusammenschließen können. Allerdings ist diese Einheit nicht völlig undurchlässig, es handelt sich um eine dialektische Einheit, in deren Rahmen Gegensätze ausgelebt werden und sich andauernd Freiräume und Spannungsfelder bilden, indem sich zum Beispiel Einzelne oder auch Gruppen von den Anderen abzugrenzen versuchen, ein subtiler Prozess, der zwar produktiv sein kann aber für beide Seiten nicht unkritisch ist, da er zu Zerfall und Auflösung und zum gewaltsamen Tod von Individuen führen kann.

In vielen Philosophiekonzepten seit Platon hat das Allgemeine, Umfassende und Einheitliche (beispielsweise eine Gattung) einen höheren ontologischen Rang als das Spezielle, Vereinzelte und Komplexe (beispielsweise ein einzelnes sinnlich wahrnehmbares Objekt). Aufgrund der später diskutierten Bedeutung von Randbedingungen und multikausalen Vielteilcheneffekten lehne ich diese Ansicht als einseitig ab. Sie entsteht ohnehin nur aufgrund des landläufigen Missverständnisses, welches Pointer auf Dinge mit den Dingen-an-sich verwechselt. Innerhalb der menschlichen Bewusstseine sind sowohl das Allgemeine als auch das Spezielle nur Denkstrukturen(=Pointer), die - von den Eiweißen abgesehen, als die sie abgespeichert sind - zunächst gar keine ontologisch-materielle Existenz aufweisen.

Es ist auch nicht so, dass das Allgemeine in einem kausalen Sinne oder gar ontologisch das Besondere bewirkt und dass es aus diesem Grunde jenem übergeordnet wäre. Sondern die Wirkungen kommen im Besonderen durch Besonderes zustande. Ein wichtiger Faktor ist natürlich die Replikation, d.h. die praktisch unendliche Wiederholung von Basiselementen (z.B. Atomen und Molekülen). Zum anderen spielen beim Verhalten des Besonderen die genannten Vielteilcheneffekte in der Form des ungeregelten Zufalls und der Freiheit hinein. Wie die Natur den Kosmos im Speziellen ausgestaltet hat, lässt sich also aus einem allgemeinen Prinzp kausal nicht ableiten. Man kann höchstens ganz allgemein sagen, es sind Materiehaufen hingeworfen, die sich als Galaxien organisieren. Um das anschaulich zu begreifen, muss man nur in den Himmel der Sterne und auf die Erde der Wölfe schauen: da sieht man, welch ungeordnetes Chaos anstelle einer Wohlordnung des Allgemeinen unsere Welt ist.

Dieser konkret spezielle Kaffeesatz des Daseins ist im ethischen oder ästhetischen Sinn vielleicht böse und unvollkommen, doch als Wirklichkeit ist er wahr, hermetisch, unleugbar materiell und vollständiger als unsere Gedanken, die sich irren können und oft in inkonsistenten Weltbildern zuhause sind. Manche haben noch das Glück, als allgemein verbreitete Ideen für Generationen im Bewusstsein der Gesellschaft Bestand zu haben, und einige sind so stationär, für Jahrhunderte zu überdauern, im Idealfall, weil sie der Wahrheit über die Dinge-an-sich sehr nahe kommen. Im allgemeinen ist jedoch der Inhalt unserer Köpfe voller ungereimter Einbildungen, aus unpräzisen Begriffsfiguren schlampig zusammengefügt, und damit alles andere als vollkommen.

Zum anderen existiert das aus Begriffen, Abstraktionen und Universalien zusammengesetzte Allgemeine nur in unseren Köpfen. - Allerdings können wir mit seiner Hilfe Regeln und Gesetze und weitere nützliche Einsichten über die Dynamik der materiellen und sozialen Welt herleiten. Denn auch wenn diese Welt der geistigen Wesenheiten nur im Kopf existiert, haben doch die meisten Erkenntnisse, am Anfang und am Ende eine Beziehung zur Wirklichkeit. Als Pointer reflektieren sie Eigenschaften der Wirklichkeit, und wenn wir sie analysieren, liefern sie uns nicht selten nützliche Verhersagen für das Verhalten der Materie und, sofern sie Gesellschaft oder Individuen betreffen, auch des Geistes.

In der Konsequenz dieses Kapitels lässt sich festhalten, dass die häufig vorausgesetzte Hierarchie zwischen allgemeinen Ideen oben und der speziellen Materie unten gewissermaßen auf den Kopf gestellt werden muss. Aristoteles hat einen Anfang gemacht, indem er die Ideen der platonischen Ideenlehre als Wesensbegriffe der sinnlich erfahrbaren Einzelgegenstände interpretiert. Dabei darf man ihm allerdings nicht allzu weit folgen, da er die Begriffe fälschlicherweise in das Innere der Dinge verlegt. Er will sie universell machen, aber übersieht, dass sich die fraglos vorhandene Universalität einfach aus dem genetisch bedingten ähnlichen Aufbau der die Welt betrachtenden Gehirne ergibt. Tatsächlich existieren die Begriffe zuallererst in unseren Köpfen und pointen nur auf etwas, was in den Dingen-an-sich liegt. Primär liegen sie im Bewusstsein, betreffen und reflektieren aber gewisse Seinsaspekte der materiellen und psychischen Dinge. Das ist eben genau die Art und Weise, wie wir in der Welt sind und in die Realität eingreifen können.

Zu guter Letzt sei noch betont, dass alle hier diskutierten Punkte unter dem Gesichtspunkt der beiden Seinsebenen (1ab) und (2ab) - dem physikalischem Sein und dem imaginierten Bewusstsein der menschlichen Köpfe - analysiert worden sind. Diese beiden Ebenen finden sich übrigens in unterschiedlicher Form bei vielen Autoren, etwa bei Descartes und dessen Zwei-Substanzen-Lehre mit einer ausgedehnten und einer denkenden Substanz. Auch die beiden 'Seinsregionen' Sartres lassen sich hier wiedererkennen, wobei er als Existenzialist dem Sein des Bewusstseins (des ich, des Anderen und der Gesellschaft) eine viel wichtigere Rolle zumisst als dem physikalischen Sein. Das physikalische Sein erschöpft sich bei ihm in einer Gesamtheit von vordergründigen Erscheinungen, aus denen die materielle Wirklichkeit besteht, wohingegen das Bewusstsein eine Auslegung von sich und der Welt, ein Seinsverständnis, besitzt. Auf der erkenntniswissenschaftlichen Ebene entspricht dies der obigen Feststellung, dass die Welt ohne Erkenntnis nur da-liegende Substanz wäre.