Das Nichts


In Hegels Philosophie spielt das Nichts eine große und positiv besetzte Rolle. Bei Hegel sind Sein und Nichts Antipoden jener obersten dialektischen Einheit, welche zum Begriff des Werdens führt. Das Problem von Hegels Ansatz besteht darin, dass er schlecht abstrakt ist. Während ich darlegen werde, dass ein gegebenes Nichts durchaus etwas Spezifisches sein kann, ist bei ihm das Nichts durch völlige Leerheit und Bestimmungslosigkeit gekennzeichnet, Eigenschaften, welche durch dialektische Vermittlung auch auf das reine Sein überspringen. Am Ende folgert er, dass Sein und Nichts nicht nur auf einer Stufe stehen, sondern sogar vollständig identisch sind.

Man sollte sich überhaupt hüten, Hegel zu glauben, der durch schlaue Reden alle Widersprüche der Welt gleichzeitig platt bügeln und nicht platt bügeln will. Sein und Nichts mögen auf einer Stufe stehen, und als abstrakte Begriffe sind sie trivialerweise Abstraktionen. Doch als solche beziehen sie sich auf Gesamtheiten von realen (physikalischen oder gesellschaftlichen) Zuständen, deren Beschreibung in Hegels Philosophie letztlich zugunsten einer völligen Vagheit und Distanzlosigkeit aufgegeben wird.

Tatsächlich handelt es sich hier um blühenden idealistischen Unsinn, wo auf gedanklicher Ebene Begriffe immer weiter reduziert werden, bis sie jegliche Bedeutung verlieren. In Wirklichkeit ist es doch so, dass das reine Sein nicht gedacht werden ohne die Fülle, die ihm zugehört, ohne das ganze Panoptikum und die Vielfalt der Phänomene, die in der Welt sind. Hegel hingegen geht hier noch einen Schritt weiter als manche Idealisten der kantianischen Schule (Rationalisten), mit ihrer Tendenz, Begriffe und Objekte (Dinge an sich) zu verwechseln, etwa den Begriff des Raumes mit dem Raum an sich. Nb, die Absolutierung der Ontologie, wie sie von manchen Existentialisten vertreten wird, geht in dieselbe schlecht abstrakte Richtung.

So wenig wie um Hegels Nichts soll es hier um das Nichts als sprachliche Verneinung oder logische Negation oder als psychische Empfindung gehen - also um Formen des Nichts, die ausschließlich im Gedachten oder bloß Vorgestellten als Definiertes vorhanden sind - und wo zuerst die Stoiker und nach ihnen einige (ebenfalls idealistische) Sprachphilosophien das Nichts ansiedelten. Auch das Potenzielle im Gegensatz zum Aktuellen ist nur ein Nichtsein, aber kein Nichts. Es enthält in seiner Rinde das Aroma des Nichts, ohne doch selbst ein Nichts zu sein. Es ist das Nur-Mögliche, das sich unser Gehirn ausdenken und worüber es reflektieren kann, das man jedoch mit dem Begriff des Nichts nicht vermischen sollte. Und übrigens ist das Potenzielle in manchen Fällen eher das Gegenteil des Nichts, weil in der Hoffnung auf ein Noch-nicht-sein eine viel größere Fülle als in der schnöden Realität liegen kann.

Ebenso wenig sollte man die Definition des Nichts auf eine bloße Absenz von Sein beschränken. Sondern mir geht es um diejenigen Formen von Nichts, denen wir in der physikalischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit objektiv ausgesetzt sind.

Davon gibt es mehrere Arten. Die abstrakteste Form des Nichts ist das absolute Nichts. Dieses 'existiert' ist hier das falsche Wort noch vor dem Sein. Das Nichts ist, wenn gar nichts da ist, auch kein Satz, der verneint werden könnte, ja nicht einmal ein Raum, in dem die Leere herrscht. Das absolute Nichts ist zuerst da, und wird zuletzt da sein, ganz gleich in welchem Sinne man dies zuerst verstehen will und wie schwierig es ist, das Nichts sprachlich oder begrifflich genauer festzulegen.

Auf anderen Ebenen der Existenz kommen Formen von Nichts vor, die sich genauer beschreiben lassen als das absolute Nichts, doch ebenfalls nicht primär an die Negation von Etwas gebunden sind. Es ist Nichts(=Vakuum) im Raum zwischen den Teilchen/Anregungen, die die Welt durchwandern. Selbst wenn man hier einen umfassenden Raum voraussetzen muss, in den diese Art des Nichts eingebettet ist, bleibt es doch Nichts - allerdings in einem abgeschwächten, weil nicht absoluten Sinn. Und es ist intellektuelles bzw geistiges Nichts in einem Universum ohne Gehirne und ihre Kommunikationsgemeinschaften. Wobei diese speziellen Nichtse aufsetzen auf etwas Seiendem (ohne dieses zu negieren). Sie existieren in diesem Seienden, bilden gewissermaßen dessen Ruheform und zugleich den Hintergrund für eine höhere (Anregungs)Stufe des Seienden. Als dieser ruhende Hintergrund sind sie Nichts.

Ein typisches Beispiel, das übrigens den Fall des leeren Raumes mit erfasst, sind jene Nichtse, die durch (spontan gebrochenen) Grundzustände gegeben sind. Den seienden Hintergrund bilden in diesem Fall die Mikrostrukturen, welche mehr oder weniger versteckt hinter ihnen stehen. Denn da der Grundzustand ruht, ist seine Dynamik für den makroskopischen Betrachter unsichtbar. Er nimmt sie nur über die Anregungen wahr, die ihm um so mehr als elementare Teilchen erscheinen, wenn er selbst zum System dieser Anregungen gehört.

Ein solches SSB-Vakuum hat eine objektive Existenz als Nichts, sofern keinerlei Anregungen auf ihm bestehen. Nullpunktsvibrationen des Grundzustandes, wie sie in der Quantenmechanik existieren, sind ein Artefakt des Messprozesses auf den Mikrostrukturen, und beeinträchtigen die Interpretation des SSB Grundzustandes als Nichts nicht.

Das Nichts in diesem Sinne ist zunächst keine Entität, sondern es beschreibt den Zustand einer Entität. In zweiter Linie, d.h. wenn man den sich bildenden Grundzustand in toto nimmt, ist das Nichts dann allerdings selbst eine Entität.

Unser Kosmos ist die erste und oberste Anwendung für diese Überlegugen. Ohne Anregungen wäre er für uns leer, ein SSB-Vakuum-Nichts. Und wie erst die große Leere ganz ohne Tetronen! Sie ähnelt dem Nichts, das die ersten Atomisten sich vorstellten, die über den Raum zwischen den Atomen nachdachten, und die damit Parmenides widerlegen konnten, der - wie später auch Carnap - behauptet hat, das Nichts sei nicht, da man es weder erkennen noch aufzeigen und auch nicht sinnvoll darüber sprechen könne. Zu behaupten, das Nichts werde in diesem Fall dadurch definiert, dass keine Atome anwesend sind, also durch Verneinung des Seins, geht nämlich am Hauptpunkt vorbei, denn trivialerweise kann man eine Definition immer als Negation formulieren. Das Nichts verhält sich in Bezug auf seine begriffliche (Un)Fassbarkeit nicht viel anders als die Dinge an sich, die ja auch durch Definitionen und Begriffe nur näherungsweise und niemals vollständig erschlossen werden können.

Man kann den Unterschied zwischen einem absoluten Nichts und dem relativen Nichts eines Grundzustandes nicht nur in der Physik, sondern auch in der Mathematik begreifbar machen. Bevor wir das tun, gilt es zu klären, dass es sich bei der Null, die ja ein naheliegeder Kandidat für das Nichts in der Mathematik ist, nicht um das Nichts sondern um eine Zahl handelt, z.B. die Zahl der leeren Elemente einer Menge oder das neutrale Element der Addition, und daher zunächst keineswegs um das Nichts. Allerdings ist die Null vielen Eigenschaften des Nichts zugeordnet, etwa wenn man nach der Zahl der Objekte im Nichts fragt.

Man kann das (absolute) mathematische Nichts mit dem Inhalt (der)einer leeren Menge identifizieren. In der Zahlentheorie wird oft argumentiert, dass es nur eine einzige leere Menge gibt, da Mengen über ihre Elemente charakterisiert werden und zwei Mengen genau dann gleich sind, wenn sie dieselben Elemente haben (Extensionalitätsaxiom der Mengenlehre). Wenn man dies voraussetzt, entspricht der Inhalt der leeren Menge dem absoluten sprachlichen Nichts im früher definierten Sinn bzw einem Pointer, der nirgendwo hinzeigt.

Wenn man hingegen Mengen auch über ihren Kontext definiert (Mengen von etwas), kommt man zu beliebig vielen verschiedenen leeren Mengen, in denen der leere Inhalt die Qualitäten des Kontext spiegelt. Bei einer leeren Menge von Äpfeln, die sich etwa aus dem Schnitt zweier Mengen von roten und grünen Äpfeln ergibt, handelt es sich um eine leere Menge mit einer Zusatzinformation, nämlich der, dass es um Äpfel geht. Eine solche leere Menge ähnelt dem physikalischen Nichts eines Grundzustandes, weil in einem solchen Vakuum die Qualitäten des ansonsten 'stillen' Hintergrundes potenziell vorhanden sind und jederzeit durchschlagen können.

In jedem Fall hat man es hier mit qualifizierten Formen des Nichts zu tun, die ein environment, eine - wenn auch versteckte - Mikrodynamik voraussetzen, anders ausgedrückt: ein System mit inneren Aufbauprinzipien, auf welchem das Nichts als quasi-stabiler Zustand existiert. Weitere typische Beispiele für Nichtse in diesem Sinne ist der Stillstand in einer sonst bewegten Welt oder der Tod in eine Welt der Lebenden.

Wenn sich Philosophie oder Sozialwissenschaften mit dem Nichts beschäftigen, geht es meist um das soziale Nichts, etwa in Fällen, wo keine gesellschaftlichen Strukturen existieren, sondern nur einzelne Individuen, oder es geht um das Individuum, das dem Tod als persönliche Nichtung ins Auge sehen muss, oder es ist von Sartres Nichts die Rede, in dem das Andere (der Mainstream) der Gesellschaft im Bewusstsein genichtet werden muss, damit dieses als Selbst entsteht. Nb, dass es auch bei denjenigen, die sprichwörtlich vor dem 'Nichts' stehen, nicht allein um die Abwesenheit von Ressourcen geht.

So kann das Nichts des menschlichen Individuums ebenfalls auf mehreren Ebenen der Existenz sichtbar werden, (i) als biologischer Tod, Übergang des Menschen zu toter Materie, (ii) noch weiter gehender als Nichtvorhandensein eines Intellekts auf einem Planeten, (iii) als Ausgeschlossensein/Isolation eines Individuums in einer es umgebenden schweigend-abweisenden oder einer gar nicht (mehr) existierenden Gemeinschaft oder (iv) als ein sich Ausschließen, ein Distanzieren von der Gesellschaft, in die man hineingeboren. Jede fundamentale Kritik an der Gesellschaft kann in diesem Sinne als Nichts bzw Nichtung verstanden werden.

Im Gegensatz zum absoluten physikalischen Nichts haben die genannten sozialpsychologischen Arten des Nichts ihren Platz wiederum auf einem Hintergrund, nämlich der Sozialheit des Individuums, das sich ihnen ausgesetzt sieht. Darum kann sich das Nichts auch im Schweigen offenbaren (dem eigenen oder dem der Anderen), oder im unverständlichen Gebrüll. Wenn es um das Schweigen der Anderen geht, handelt es sich um das o.g. gesellschaftliche Nichts, das im einfachsten Fall durch die Abwesenheit anderer Gehirne realisiert werden kann. Auch jede Form von Dogmatismus oder intellektueller Beschränktheit definiert in gewisser Weise ein Nichts, ebenso wie umgekehrt große künstlerische, wissenschaftliche oder soziale Erneuerungen radikale Nichtungen voraussetzen.

Auf der Seite der Individuen korrespondieren alle Arten des sozialen Nichts gewissen einer Gruppe gemeinsamen wenn auch nicht völlig identischen Bewusstseinszuständen. Denn wie bereits festgestellt lebt jedes Individuum in einer eigenen Welt seiner Anschauungen, die aber, wenn sie denen der Anderen in Bezug auf einzelne Merkmale ähnlich genug ist, zu kollektiven Bewusstseinszuständen und Meinungen sich vereinheitlichen können. Im Einzelnen sind die Denkvorgänge und Motive der Individuen durchaus verschieden, in Teilsummen und auch in ihrer Gesamtsumme machen sie gesellschaftliche Zustände aus, die gewissen Trends des Zeitgeistes entsprechen.

Es wurde bereits erwähnt, dass der Begriff des Nichts sowohl von antiken wie auch von modernen Philosophen kritisiert worden ist. Eine beliebte, letztlich polemische Frage der Kritiker: Ist das Nichts etwas Existierendes, Seiendes - oder ist es n-i-c-h-t, weil es ja Nichts ist? Carnap hat den Begriff des Nichts überhaupt als nicht sinnvoll verworfen, da es keine Entität sei. Wir haben aber gesehen und werden noch weiter sehen, dass es - selbst im Sonderfall des absoluten sprachlichen Nichts - auf jeden Fall etwas Existierendes, eine wenn auch vermittelte Entität darstellt, die zumindest etwas Existierendes voraussetzt. Der Begriff des Nichts hat einen Inhalt, der in dem besteht, was in jenen Paragraphen diskutiert wird. Er entspricht einem homogenen, nicht wahrnehmbaren Hintergrund, der gewissermaßen aus sich selbst herausgetreten ist, und die solcherart tabula rasa ist dann die vermittelte Leere, auf dem das Sein gedeihen kann.

Dieser Zusammenhang beschreibt auch die Art und Weise, wie das Sein und das Nichts zusammengehören. Es ist das Nichts kein einfaches Nicht-Sein; und auch kein Nicht-Etwas derart, das es nur eine logische Negation darstellen und allein in der Welt der Sprache existieren würde. Sondern die Nichtse, von denen in diesem Werk die Rede ist, existieren - entweder in der physikalischen Welt oder in der hirnbiologisch-sozialen Umgebung des Individuums.

Wenn man sich über das Nichts der Sprache Gedanken macht, so ist seine absolute Form diejenige, wo gar kein Satz steht, also das Schweigen. Dieses ist eindeutiger Ausdruck des gesellschaftliche Nichts, im Extremfall ein Planet ohne Sprechende/Intelligenz. Darüberhinaus kann man auch in der Sprache relative Nichtse haben, etwa die offizielle reduzierte Sprache in einer Diktatur oder die Sprache in manchen Experimentalromanen, in denen sprachliche Nichtse bewusst als Stilmittel eingesetzt wird.

Neben dem existentialistischen Nichts, das mit dem Sein des menschlichen Individuums unmittelbar zusammenhängt, weil es dessen Grenzen und Ende als biologisches und soziales Individuum charakterisiert, gibt es das Seins-unabhängige Nichts (bzw Seins-unabhängige Nichtse), welches vor allem Sein i-s-t, und daher noch nichter als der Tod, der das existentielle und absolute Nichts des Individuums charakterisiert. Es ist das nichteste Nichts überhaupt, weil es auch vor dem einfachen So-Sein der Substanz existiert.

Beschäftigen wir uns zunächst aber mit dem absoluten Nichts des Individuums. Die Angst vor dem Tod (wie auch ihr Gegenteil, die über-optimistische Konstruktion der eigenen Zukunft) ist von den Existentialisten immer wieder thematisert und ebenfalls als eine Form des Nichts interpretiert worden, weil sie in gewisser Weise den Tod vorwegnimmt, indem sie durch ihre Absolutheit das Individuum in seiner Panik dazu bringt, die äußere Realität fast vollständig auszublenden, ein Effekt, der mit dem Tod dann später endgültig wird. Wobei diese Angst sich auch auf das gesellschaftliche und physikalische Nichts beziehen kann, wenn einer etwa nachts auf den kalten und wie toten Weltraum blickt und erkennen muss, wie sinnlos und absurd die Existenz seines Bewusstseins ist. Diese Angst kann sich verselbständigen zu einer namenlosen Angst im Angesicht des dunklen, weitgehend leeren Kosmos, die man die Angst vor dem absoluten Nichts nennen könnte. Jene beiden Ängste - die vor dem eigenen Tod und die vor der Bedeutungslosigkeit des Daseins - stehen meist hinter dem schöpferischen Tun des Menschen, und vermischen sich mit der Einsicht in die Vergeblichkeit des eigenen Schaffens und darin, nach dem Tod einfach vergessen zu werden. Nur ganz wenigen Genien gelingt es, einen bleibenden Beitrag zur Kulturgeschichte der Menschheit zu leisten und eine Art halbe Unsterblichkeit zu erlangen, indem sie ihr Denken den Köpfen der Menschen gewissermaßen aufoktroyieren.

Im Sinne einer negativen Dialektik ist die Wirklichkeit das Nichts, weil sie schlecht ist, weil sie repressiv ist, weil sie Massenmord zulässt und keine Versöhnung, und dies bereits von allem Anfang an, weil Tiere einander töten und damit für einen ununterbrochenen Strom der (Ver)Nichtung sorgen.

Diese Wirklichkeit, die nach so komplizierten Gesetzen funktioniert, den Tod der fragilen Individuen aber zu dem einfachsten Prozess von der Welt macht, ist nicht besser als ein absurder, letztlich keine logischen Zusammenhänge erfordernder Alptraum. Nota bene, dass wir uns hier dem christlichen Verständnis von Realität als einem System von Gott geschaffener widriger Bedingungen nähern, in dem die Menschen sich zum Leben bewähren müssen.

In einem solchen Sinnzusammenhang kann das Nichts als moralischer Begriff interpretiert werden, nämlich als das Böse bzw die böse Seite der Realität. Wobei das Problem ist, dass dieses Böse gar nichts Ursächliches oder Absolutes sein muss, sondern als Folge von gar nicht einmal böse gemeinten Taten auftreten kann. Der Mensch erlebt Mängel, oder meint sie zu verspüren, und strebt danach, diese durch Eingriffe in Natur und Gesellschaft aufzuheben. Viele wollen in ihrer Gier alles haben, und drängen in diesem Bestreben die natürlichen Quellen des Daseins immer weiter zurück. Einige dieser Eingriffe erweisen sich als segensreich, andere jedoch stärken die Kräfte der Finsternis, weil sie Kaskaden von wenn auch möglicherweise unerwünschten Ereignissen auslösen, etwa einen Atomunfall in einem Kraftwerk, das der Energiegewinnung dient, oder wenn sich autoritäre Figuren an die Spitze einer eigentlich sozialen Bewegung setzen.

Auch manche Aktionen, zu denen sich ein Jugendlicher in der Pubertät berufen fühlt, um in der Distanz zur Restgesellschaft zu sich selbst zu finden, weil er sich als Bewusstsein im Sartreschen Sinne nur gegen das Nichts der Anderen definieren kann, sind hier als Beispiele zu nennen. Junge Menschen besitzten die Fähigkeit zu Ablehnung und Kritik in besonderem Maße, und sollen sich mit Regelübertretungen ihre Freiheit ertrotzen. Zuweilen hat jedoch die Kritik, mit der sie sich in der Welt beweisen wollen, haben die damit zusammenhängenden Hoffnungen etwas Maßloses, das notwendig enttäuscht werden muss. Da Befreiung, ja nicht einmal Versöhnung, in einem realen Sinn kaum je erreicht werden kann, orientieren sich die meisten dieser Menschen an einem bestimmten Punkt ihrer Laufbahn um, entweder indem sie die alten Ideale verraten, oder indem sie sie und ihr tägliches Leben derart zurechtbiegen, dass beide wenigstens halbwegs zusammenpassen.

In diesem Bezug muss auch der von Nietzsche ins Spiel gebrachte Wille zum Nichts gesehen werden. Es handelt sich um eine hormonell und biologisch (wenn es in einer Gesellschaft zu viele junge Männer gibt) gesteuerte Selbstmordattitüde, wie sie etwa im Terrorismus zum Ausdruck kommt, um eine letztlich Hilflosigkeit signalisierende Reaktion, wenn man mit dem Willen zur Macht nicht weiterkommt und meint, einer selbst definierten Gemeinschaft mit zerstörerischen Gewaltmethoden etwas hinterlassen zu können. Führt im Extremfall dazu, dass ganze Staaten via Krieg Harakiri begehen (Hitlerdeutschland).

In weniger extremen Fällen kann die Negation des Bestehenden durchaus fruchtbar sein, indem sie schöpferischen Individuen den Raum verschafft, den sie zu ihrer Entfaltung benötigen. Voraussetzung dafür ist auch eine geistige Unabhängigkeit, die sie sowohl von den Einflüssen des Mainstream wie von der Hysterie des Terrorismus fernhält. Allerdings stellt diese 'Kritik zur Befreiung' nur teilweise eine universelle ontologische Konstante dar, weil sie je nach Charakter den Individuen in unterschiedlichem Maße gegeben ist und im Falle des konformistischen oder opportunistischen Charakters, der sich von Anfang an bereitwillig in jedes bestehende Machtgefüge einsortiert, auch scheinbar ganz ausfallen kann.

Eine weitere Form des Nichts begegnet uns in einem Bereich, in dem gedanklich saubere, analytische Denker wohl nie damit rechnen würden: dem der Logik. Es ist hier interessant zu bemerken, dass gerade diejenigen unter den Logikern, die die Existenz des Nichts, oder allgemeiner von Nichtsen, am lautesten bestreiten und die die Logik und analytische Denkverfahren überhaupt von jeder Form der Metaphysik freihalten wollen, ihre Wissenschaft dem Nichts ausliefern, einfach, weil sie das logische Verfahren am Ende nur dazu verwenden, Systeme von Tautologien zu generieren.

Der Neopositivismus und der frühe Wittgenstein lehnen sogar die Annahme von kausalen Naturnotwendigkeiten ab, da sie dem vom Neopositivismus aufgestellten Sinnkriterium ('die Bedeutung eines Satzes liegt im Verfahren seiner Verifikation') nicht standhalten. Ihnen zufolge besteht die Welt nur aus logisch notwendigen Aussagen - wobei offen bleibt, ob diese Aussagen nur potenziell-virtuell zur Verfügung stehen oder zu jedem Zeitpunkt alle zugleich ausgesprochen werden müssen. Neben den Tautologien lassen sie nur noch die analytischen Sätze gelten, deren Wahrheit nicht auf Tatsachenwissen beruht, sondern auf dem Wissen sprachlicher Konventionen oder Regeln. Dabei werden begriffsanalytische Aussagen, bei denen die Bedeutung eines Wortes in Sätzen wie 'Hupen ist ein Geräusch' die Bedeutung des anderen Wortes enthält, d.h. nur einen Teil einer Definition ausdrückt, von grammatischen Aussagen, mit denen ein sprachliches Regelwissen ausgedrückt wird, unterschieden.

Man kann diesen Ansatz ohne weiteres als Versuch interpretieren, die Welt auf das Nichts (der Sprache) zu reduzieren, einer toten Version der Sprache zumal, in der nur Tautologien gelten und Regeln befolgt werden und der jede Widerspenstigkeit und Kreativität genommen ist. Anzumerken ist auch, dass viele der Irrtümer des Neopositivismus auf der (stillschweigend gewollten?) Verwechselung von Sprache und Wirklichkeit beruhen.

Insoweit stimme ich Heidegger zu, der es für dogmatisch hält, Logik und Sprachanalyse als einzige philosophische Methoden gelten zu lassen. Jene sind im Grunde - weil auf die Gesamtheit der Gehirne bezogen - massenpsychologische Ansätze, für das Begreifen des Seins und des Nichts eher untauglich und zudem praxisfern, weil sie an die Dynamik der äußeren Wirklichkeit nur indirekt herankommen.

Allerdings gibt Heidegger dem Drängen des logischen Dogmatismus doch teilweise nach, indem er zugesteht, dass bestimmte Teile der Erkenntnistheorie sich auf den analytisch zugänglichen Erkenntnisbereich des Seienden beschränken dürfen. Und er geht noch weiter und gibt zu, dass die methodische Welterschließung der Wissenschaften das Nichts nur als Negation eines Seienden, als Mangel, vorstellen kann.

Tatsächlich ist dies eine falsche Verengung, die wohl auf dem fehlenden Einblick von Logikern und Philosophen in die experimentelle Wissenschaft beruht. Wie in diesem Werk mehrfach diskutiert, lässt die Physik Nichtse in verschiedenerlei Formen durchaus zu. Für ein vollständiges Verständnis der Naturphänomene werden sie sogar wesentlich benötigt. Diese Nichtse sind alle durchweg mehr als eine bloße Negation von Seiendem, d.h. mehr als die Abwesenheit von etwas. Ein spontan gebrochener Grundzustand zum Beispiel, aus reiner Substanz und ohne Mignonanregungen, repräsentiert ein vollkommen leeres Universum. Es ist ein Grundzustand, den man ohne weiteres als Nichts interpretieren kann und der doch gleichzeitig ist, und sogar voll von Substanz. (Im normalen Sprachgebrauch ist dies das Vakuum des leeren Raumes.) Physikalisches Sein bedeutet in diesem Universum das Vorliegen von Anregungen. Diese stellen das Sein da, und sind doch nicht mehr als flüchtige wenn auch Energie behaftete Schatten, während das zugrunde liegende Nichts, auf dessen Hintergrund sich das Sein erhebt, viel dauerhafter und stabiler ist.

Das absolute physikalische Nichts ist hingegen bisher nie und nirgendwo erzeugt worden. Im gesellschaftlichen Bereich ist das einfacher; das absolute Nichts ist dort die nicht existierende Gesellschaft, also bevor die Menschheit auf der Erde erschien und diese nur ein ungeschlachtes Stück Natur war. Auch nach einer Naturkatastrophe oder einem Krieg kann der Einzelne vor dem Nichts stehen, oder wenn er nach dem Verlust von Angehörigen ganz allein ist. In so einem Fall trägt der überlebende Einzelne die Regeln der Gesellschaft mit sich herum als eine Art Restkeim, denn er kann mit ihrer Hilfe gesellschaftliche Strukturen zusammen mit anderen Partnern prinzipiell neu errichten.

In gewisser Weise lässt sich das Sein, welches auf dem Hintergrund des Nichts existiert, als das Gegenteil des Nichts interpretieren. In physikalischen Termini sind das die bereits mehrfach erwähnten Anregungszustände, philosophisch die Objekte bzw die Dinge-an-sich mit ihrem Sein-an-sich. Ein Ding-an-sich ist also keineswegs, wie von manchem Kantianer behauptet, ein reines Gedankending, denn es existiert in der Realität, die außer uns ist, die uns fremd ist, und die an sich selbst das oberste Ding-an-sich repräsentiert, in der wir uns nichtsdestoweniger häuslich einzurichten haben, indem wir uns ihr mit unseren Sinnen und unserem Verstand nähern, ohne sie aber jemals ganz begreifen zu können. Ich sehe das Ding-an-sich also im Gegenteil als das eigentliche Außen-Weltliche, an das wir mit Verstand und Begriffen eben nie herankommen.

Der Mainstream der analytischen Philosophie anerkennt heutzutage immerhin die Existenz von Naturnotwendigkeiten, versucht aber, diese schrecklich wilde Form des Denkens in ein sprachliches, aseptisches Korsett zu zwingen, d.h. in Systeme von wahren Aussagen über die Natur. Wie wir aus der Wissenschaftsgeschichte wissen, bedarf jedoch gerade die Interpretation der Natur der Intuition, weil jene einem ständigem Wandel und experimentell festgestellten Weiterungen ausgesetzt sind. Es steht allerdings zu befürchten, dass in nicht allzu ferner Zukunft, wenn die Kurve des Fortschritts verflacht, jene Bibliothekare des Wissens die Macht zurück erobern, die sich seit Kopernikus mit einer Rolle in der zweiten Reihe zufrieden geben mussten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das begriffliche Nichts, welches von der konventionellen Sprachphilosophie keine Anerkennung erfährt, ein Pointer ist, der als Pointer sehr wohl existiert, aber in der Wirklichkeit eben auf nichts weist, also auf kein existierendes Objekt. Dieser Art des Nichts sind auch einige von der klassischen Philosophie gebildeten Begriffe assoziiert, wie etwa das nihil privativum (das bloß Mögliche) oder das nihil negativum, welches überhaupt keinen Seinsbezug hat und entweder unmöglich, widersprüchlich oder unvorstellbar ist. Diese Dinge existieren ebenfalls nur als Pointer in unseren Köpfen, wo sie in Eiweißen kodiert sind, und haben von daher a priori einen anderen Seinsrang als reale Objekte.

Obwohl ihr Status auf diese Weise einfach geklärt ist, reiben sich an ihnen viele anti-metaphysische Philosophen von Kant bis Carnap, und bringen sie zudem mit anderen Formen des Nichts durcheinander. Die Nichtse zum Beispiel, welche die Existenzialisten meinen, gehören zur sozialen (Lebens)welt der Menschen; es sind die Nichtse der Freiheit oder der Unfreiheit und als menschliches Bewusstseinsding von physikalischen, biologischen oder gesellschaftlichen Nichtsen zu unterscheiden. Aber auch die anderen, materiellen oder geistigen Formen des Nichts, die oben vorgestellt wurden, stellen keine sprachlichen oder logischen Konstruktionen dar, sondern reale statische Hintergründe der dynamischen Welt. Von daher gibt es eine gewisse Berechtigung für die Aussage, dass ein Sein oft in ein Nichts eingebettet ist. Zusammengefasst sind solche Nichtse
-Grundzustände jeglicher Art. Hier handelt es sich um begriffliche Pointer auf reale Objekte, z.B. auf ein Molekül im Ruhezustand, auf den leeren Kosmos, d.h. ohne jede Teilchenanregung, usw.
-es spricht auch nichts dagegen, den leeren Raum zwischen den kleinsten existierenden Entitäten/Teilchen als Nichts zu bezeichnen. Dies setzt die atomistische Vorstellung der Existenz von solchen kleinsten Einheiten voraus, aus deren Replikation sich der Kosmos ergibt.
-das absolute Nichts im physikalischen Sinn. Obwohl dieses in einem Experiment nicht erzeugt werden kann, sondern nur Formen des Vakuums, die einen Grundzustand darstellen und in denen die Gesetze des Seins gewissermaßen hinterlegt sind, weil sie aus reiner Substanz bestehen, muss der Begriff des absoluten Nichts unbedingt zugelassen werden, so ähnlich wie man auch einen Begriff für das Element mit der Ordnungszahl 101 zulässt, selbst wenn man nicht in der Lage ist, dieses zu erzeugen.
-bio-soziale Nichtse wie der Tod (=das absolute Nichts des Individuums) oder Epidemien und Kriege, in denen alle kulturellen Bindungen verlorengehen und die im Extremfall zum Untergang eines sozialen Gefüges oder der menschlichen Rasse führen usw
-auch die Kritik an gesellschaftlichen Zuständen kann man im Sinne Sartres als eine Nichtung interpretieren, besonders wo sie ein vorgegebenes autoritäres Herrschaftsgefüge anzweifelt und gar verwirft.
-ebenfalls oben diskutiert wurden das sprachliche und das ethische Nichts
 


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