Gesellschaft


In jedem menschlichen Hirn gibt es genau ein Ich-Bewusstsein. Es kommunizieren die Ich-Bewusstseine; sie einigen sich auf sprachliche und sonstige Regeln und können nach entsprechender Abstimmung konzertiert handeln. So gewinnen sie viel mehr Einfluss auf ihre soziale und natürliche Umwelt als wenn sie einzeln vorgehen würden. Nebenbei sei bemerkt, dass in dieser Hinsicht diejenigen Artgenossen im Vorteil sind, die solche 'soft skills', die zum Teil eine erhebliche Fähigkeit zur kommunikativen Feinabstimmung (vulgo: Wendigkeit) voraussetzen, am besten beherrschen. Die Anderen müssen dann irgendwie mitgezogen werden, durch Überredung oder durch Zwang.1

Es versteht sich von selbst, dass für ein einzelnes Ich-Bewusstsein nur das existieren kann, was es von der Außenwelt bzw von dem anderen Ich-Bewusstsein wahrnimmt und als was es dessen Handeln und Wirken interpretiert, oder was ihm von Dritten über den Anderen mitgeteilt wird. Letzteres, also die Rolle von Dritten, ist von essentieller Bedeutung in der modernen Gesellschaft, wo das Verhalten, die Pläne und die Entscheidugen der höheren Kreise den von ihnen Verwalteten immer nur indirekt vermittelt werden. Die Herrschenden treten nie persönlich an die Beherrschten heran, sondern sind von einem Kranz von Höflingen (und die wiederum von Journalisten und Exekutive) umgeben und gewissermaßen abgeschirmt, welche die Kommunikation in beiden Richtungen durchführen. Damit bestimmen sie auch das Bild, das die Herrscher von den Beherrschten und der allgemeinen Lage und Stimmung in Land oder Unternehmen haben.

Die so gegebene einfache Beschreibung auch komplexer Gesellschaften entspricht einer rein idealistischen Interpretation, insofern sich alle genannten Prozesse mental, d.h. nur in den Köpfen der Beteiligten abspielen. Gesellschaft besteht nach dieser Vorstellung aus einer Summe von geistigen Vorgängen innerhalb der Menge der individuellen Ich-Bewusstseine. Hierbei kommt allerdings zu kurz, dass die Ich-Bewusstseine immer als Teil der materiellen Gesamtrealität zu betrachten sind. Als solche wirken sie in vielerlei Form auf diese ein, und diese wirkt auf sie zurück. Denn sie prägt das Ich-Bewusstsein, das sich an die Reaktionen der Anderen und der Umwelt anzupassen lernt. Derartige Prägungen, egal ob sie von den Ich-Bewusstseinen der Anderen (Eltern, Lehrer, Peergroups) gezielt gesteuert werden oder nicht, ergeben sich immer aufgrund von zwischengeschalteten materiellen Effekten, vergleiche etwa den Stock in der autoritären Erziehung, oder die Drohung damit. Und da ohnehin letztlich alles, alle Ursachen und Wirkungen, auch die Inneren des Bewusstseins, zur materiellen, physikalischen Welt gehören und in ihr erfolgen, darf man diese oder zumindest ihre dominanten sozialen Effekte von der Definition dessen, was Gesellschaft ausmacht, nicht ausschließen.

Ein solcher ganzheitlicher Ansatz vermeidet die offenkundigen Schwächen des Idealismus, die sich aus der Begrenzung der Gesellschaft auf reine Bewusstseinsprozesse ergeben. In seinem Rahmen lassen sich verschiedene scheinbar diffizile Fragen auf relativ einfache Weise beantworten, z.B. die Frage, wie sich soziale Strukturen entwickeln, zu einem System zusammenfügen und wie das Individuum dazu gebracht wird, diese Ordnung mitzutragen und nach ihren Regeln zu handeln, oder noch vorher die Frage, ob das Handeln der Individuen die gesellschaftlichen Strukturen bestimmt oder umgekehrt.

Dafür muss man sich zunächst klarmachen, dass solche Strukturen aus inneren geistigen und äußeren materiellen Komponenten bestehen. Eine innere Komponente ist z.B. ein in den Ich-Bewusstseinen abgespeichertes Wissen um die Hierarchien in einer Institution, äußere Komponenten sind Größe, Lage und Einrichtung der Büros oder der an die Arbeitnehmer überwiesene Anteil an der Wertschöpfung eines Unternehmens. Um die Struktur zu realisieren, bedarf es ferner auch der Menschen, die an die von der Struktur vorgesehenen Plätze gestellt werden.

Sodann muss man beachten, dass in Bezug auf soziale Prozesse die Individuen nichts von der Gesellschaft wirklich Unabhängiges darstellen und dass die Gesellschaft nicht ohne die Individuen gedacht werden kann. Individuum und Gesellschaft bilden einen Verflechtungszusammenhang, ein Beziehungsgeflecht wechselseitiger Abhängigkeit. Allerdings spielen manche Individuen im Sinne der o.g. soft skills eine größere Rolle als andere, die an weniger Verknüpfungspunkten beteiligt sind. An dieser Stelle daher einmal mehr der Hinweis auf die Verschiedenheit der menschlichen Charaktere: Der eine schöpft darin Befriedigung, mit seinen Maschinen möglichst allein einen großen Acker zu bestellen, ein anderer fühlt sich beim andauernden Kommunizieren innerhalb einer großen Institution mit vielen Arbeitskollegen fast wie zuhause. Der eine kann, ohne mit der Wimper zu zucken, einem eben noch vergnügt pickenden Huhn den Kopf abschlagen, der andere hält das Leiden eines Tieres kaum aus, das auf der Straße überfahren wurde. Einer erfreut sich an dem Anblick blühender Bäume und Sträucher, die er zwischen seinen Äckern gepflanzt hat, damit möglichst viele Vögel dort nisten, die meisten anderen treibt die Gier, auch noch den letzten Streifen Erde umzupflügen, den ihr Feld von der Straße trennt. Alle aber gehören zur Gesellschaft und tragen zu deren Fortbestand bei.

Die Strukturen selbst kann man als geronnenes Handeln interpretieren, so wie die ihnen innewohnende Macht geronnene Gewalt ist. Geronnenes Handeln enthält Beiträge, die von vorhergehenden Generationen geleistet worden sind, indem sie die inneren und äußeren Komponenten einer Struktur festgelegt bzw konstruiert haben, die heute als Tradition und Vorbild, als Festigkeit des Faktischen diese Struktur stabilisieren, wie etwa die amerikanische Demokratie durch ihre checks and balances stabilisiert wird, indessen sich in Russland fast ebenso stabile Systeme von Diktaturen immer aufs neue replizieren (Zarismus, Bolschewismus, Militärdiktatur oder eine sogenannte gelenkte Demokratie).

Ein gutes Beispiel für das so gewonnene Gesamtverständnis liefert die Kultur einer Gesellschaft. Diese entsteht im Laufe der Zeit, als Folge der konzertierten Abstimmung und des Handelns der Individuen, zusammen mit der Geschichte.

Als eine der Metastrukturen der Gesellschaft hat auch die Kultur sowohl eine materielle als auch eine geistige Komponente. Die geistige wird von den Mustern und Normen des Denkens, Verstehens, Bewertens und Kommunizierens gebildet, die sich aufgrund natürlicher und eigendynamischer Anforderungen zusammen mit der Gesellschaft entwickelt haben; zur materiellen Komponente gehören etwa das sogenannte gute Benehmen und sonstige nach außen verbreitete Verhaltensweisen sowie auch die für die Ausprägung der Kultur wichtigen Institutionen wie Theater, Museen, Politik- und Wissenschaftsbetriebe und vieles mehr. Man sollte diesen gesamten Bereich, einschließlich der Ökonomie, der Organisation der Arbeits- und Sozialprozesse, des geistigen und technischen Entwicklungsfortschritts usw zu dem, was man unter Gesellschaft versteht, unbedingt hinzufügen. Vieles davon bildet sogenannte Makrostrukturen, die dem sozialen Mikrobereich, mit dem wir unsere Betrachtungen in diesem Kapitel begonnen haben, gänzlich entwachsen sind und über die kein Einzelner noch Kontrolle hat.

Denn Makrostrukturen, ob ihnen auch zuweilen einzelne Individuen ihren Stempel aufdrücken, entwickeln eine eigene Dynamik, die vom Willen der Individuen teilweise abgekoppelt sind und den Gesetzen der Massenpsychologie folgen. Man denke hier zum Beispiel an Börsenabstürze, die niemand gut findet oder gar provozieren möchte, und die letztlich Folge der Wirkung einer großen Zahl von Einzelaktionen sind. In anderen Fällen lässt es ein Teil eines Volkes freiwillig geschehen, dass ein Tyrann ihm seinen Willen aufzwingt, so dass viele Einzelne, die ursprünglich gar nicht bereit waren, ihm zu folgen, am Ende doch gezwungen sind, die Konsequenzen etwa aus seinem verbrecherischen Tun mitzutragen, wie beispielsweise diejenigen unter den vertriebenen Deutschen des 2. Weltkrieges, die mit Hitler ursprünglich nicht überein stimmten.

Kultur ist nichts durchweg Positives. Nicht nur aufgrund rigider Traditionen beschränkt sie den Freiraum dessen, was einzelne Individuen aushandeln können, von deren Geburt an. Die Kultur übt allein durch ihr Vorhandensein Macht über die in die vorhandene Gesellschaft Hineingeborenen aus. Viele Jugendliche machen in der Pubertät eine Phase durch, in der sie sich gegen die vorgegebenen Normen und Werte von Kultur und Gesellschaft zur Wehr setzen, weil sie ihrer selbstbestimmten Ich-Entwicklung entgegenstehen.

Alle Menschen sind sich zwar im Großenganzen ähnlich. Daher können sie sich nicht nur paaren, sondern auch miteinander reden und durch Kommunikationsprozesse (u.a. Abmachungen, Verträge) starke Gemeinschaften bilden. Dabei werden in den Köpfen ständig gemeinsam imaginierte Teilwelten aufgebaut. Jedoch sind die Bindungen in einem Gemeinwesen um so schwächer, je mehr Zwang im Spiel ist. Umgekehrt wirken tradierte Bindungen, die für den freiheitsliebenden Charakter ebenfalls eine Form unbewussten Zwanges darstellen, oft stärker, weil nicht nur der Traditionsbewusste sie durch (eine möglicherweise sogar liebevolle) Erziehung verinnerlicht hat.

Zugleich sind die Menschen aber auch verschieden. Dies garantiert eine Vielfalt in der Gesellschaft, die dem Fortschritt gut tut, wenn etwa ein Außenseiter diejenigen überflügelt, die allzu sehr im Alten verhaftet sind. Innerhalb der gemeinsam imaginierten Welten bildet jedes Ich Teilsichten aus, die sich vom Durchschnitt um einige Nuancen unterscheiden können, und es kommt nicht selten vor, dass sich verschiedene Teile der Gesellschaft weitgehend separate Welten konstruieren. Die sogenannten Parallelgesellschaften, aber auch der Klassenkampf und Bürgerkriege gehören in diesen Bereich.

Unter den verschiedenen Charakteren unterscheiden sich vermutlich am deutlichsten die Welten von Herrscher/Unternehmer-Typ und Beherrschten/Arbeiter-Typ. Ich meine hier allerdings nicht bezüglich der Bilder, die sie zur Welterklärung heranziehen, sondern bezüglich ihrer Reaktionen auf soziale Kommunikationsvorgänge. Dies soll an einem Beispiel erläutert werden. Wie an anderer Stelle dargelegt, wirkt der 'führende', 'namhafte' Intellektuelle, oder auch der sogenannte 'hochkarätige' Wissenschaftler, als Unternehmer seiner selbst, weil er mit seinen Ideen im Gespräch bleiben muss und auf eine Herde von Vermittlern angewiesen ist, Journalisten etwa, die auf dem Umweg über die Rezension seiner Schriften seinen Namen verbreiten.

Solch ein Mensch nimmt die Welt und ihr Potential-für-ihn ganz anders wahr als jene Arbeiter, die aufgrund mangelhafter soft skills wenig Möglichkeit haben, aktiv und effektiv in den Diskurs, d.h. die Weltsicht und den Zeitgeist einer Gesellschaft einzugreifen. Vielleicht liegt darin der Grund, dass jemand wie Sartre auf die Idee kommt, der menschlichen Freiheit zuzugestehen, sie könne sich über gesellschaftliche Zwänge hinwegsetzen. Genau das tun oder versuchen Unternehmerpersönlichkeiten unentwegt. Sie sind im Kopf anders verschaltet als die Mehrheit der 'Plebejer', und daraus ergeben sich auch in ihrer Philosophie spezifische Schwerpunktsetzungen. Später hat Sartre zwar die Rolle der Freiheit relativiert und einen Einfluss durch gesellschaftliche Zwänge zugestanden, doch immer noch aus der Sicht des freien Intellektuellen-Unternehmers.

Es ist doch so: Im familiären Umfeld verhält sich jeder, wie es ihm gefällt, zeigt seine wahren Gefühle, jedenfalls solange die Familie nicht auseinander driftet oder substantielle Streitigkeiten das Zeigen von Gefühlen zu einem Risiko machen. Je weiter man sich aber von der Familie entfernt und je größer und anonymer die gesellschaftlichen Makrostrukturen, in denen man sich bewegt, um so nebensächlicher und gar abträglicher werden die offene Aussprache und das ungeschminkte Zeigen von Gefühlen. In solchen Umgebungen scheint es klüger zu sein, sein eigenes Ich weitgehend aufzugeben, um zu einem Schauspieler zu werden, der in der Lage ist, die jeweils geforderte Funktion ohne Reibungsverluste auszufüllen, am besten lachend und bella figura machend. Nicht umsonst spricht man von einer Rolle, die jemand, der im privaten Kreis ganz anders erscheinen mag, unter dem gegebenen sozialen Umfeld einer Institution oder eines Arbeitsprozesses schlüpfen muss. Indem er die Rolle übernimmt, und möglichst nicht nur gleichmütig, sondern positiv und humorvoll ausfüllt, gibt er einen Teil seines Ichs und seine Überzeugungen auf, um in der Institution aufzugehen. Glücklich dabei diejenigen, deren Überzeugungen am Anfang leere Gefäße sind, die sich mit den übergeordneten Zielen der Institution füllen lassen, oder die zumindest bereit sind, zugunsten der materiellen Vorteile, die dieses mit sich bringt, auf ihre ursprünglichen Überzeugungen zu verzichten.

Man muss allerdings zugeben, dass wohl jeder Mensch eine ontologisch-soziale Differenz verspürt zwischen seinem eigenen wahren Ich und dem, als was die Gesellschaft ihn wahrnimmt. Ontologisch ergibt sich das Minimum dieser Differenz aufgrund der Absurdität unseres Daseins, von der das Ich nur allzu sichere Kenntnis hat, die es dem Anderen, dem es ja genauso geht, im täglichen Umgang und im Angesicht der prosaischen, deprimierend aussichtslosen Realität aber vorenthalten möchte.

Gesellschaften sind nicht homogen. Den Unternehmer- und den Arbeitertypus haben wir schon unterschieden, doch darüber hinaus bestehen sie aus Klassen, Einkommens- und Berufsgruppen, es gibt religiöse Unterschiede und solche der Hautfarbe. An den Bruchstellen treten häufig Konflikte auf, besonders wenn sie mit Verteilungsungerechtigkeiten korreliert sind. Allerdings entstehen aus Verteilungskämpfen nicht zwingend Revolutionen, sondern seltsamerweise neigen Menschen viel eher zu übertriebenen Gewalttätigkeiten, wenn sie sich in ihrer Identität als Mitglied einer Rasse oder Religion bedroht sehen.

Konflikte sind immer Interessenskonflikte. Diese 'Interessen' sind aber nicht immer vordergründig materieller Natur, sondern können sich auch aufgrund ideologischer, familiärer oder subjektiv hormonell bedingter Ansprüche ergeben. Auch wenn zuweilen so viel Porzellan zerschlagen wird, dass Ursachen und Folgen eines Konfliktes in einem geradezu absurden Verhältnis zueinander stehen, darf man in den meisten der genannten Fälle getrost davon ausgehen, dass die 'Interessen' bzw die Fallhöhe des Konfliktpotentials außer von hormonellem Übereifer zu einem beträchtlichen Teil letztlich doch von den 3 alten Kernfragen bestimmt werden, wer (i) sich den Bauch voll schlagen kann, (ii) sich fortpflanzen darf und (iii) am Ende die Arbeit macht. Der Versuch, andere für sich arbeiten zu lassen, ist ein uralter Wesenszug des Menschen und damit auch seiner Gesellschaften. Früher waren die Unterschichten dafür vorgesehen, heute versuchen es die Eliten eher mit der Automatisierung.

Obwohl es sie in dieser Reinform gar nicht gibt, unterscheide ich folgende generische Konflikttypen:
-Konflikte innerhalb einer Mikrostruktur (Familie, Freundeskreis usw)
-hormonell verstärkte Konflikte treten besonders dort auf, wo es viele junge Männer in einer Gesellschaft gibt. Diese sehen sich von der strukturellen Gewalt aus Traditionen, Kultur und Gesetzen eingeengt und wenden sich instinktiv dagegen. Diejenigen, die sich auf der Suche nach ihrer Ich-Identität oder eigenen Machtansprüchen 'zu sehr' auflehnen, geraten möglicherweise in den Sog des Terrorismus oder der Guerilla oder, wenn der Konflikt zum Bürgerkrieg eskaliert, unter den Einfluss von erstarkenden Warlords. In deren Gruppen herrscht das Gesetz des Stärkeren und keinesfalls eine erstrebenswerte Form der Freiheit.
Auf der anderen Seite entwickelt eine alternde Gesellschaft, in der die schiere Masse der Rentner quasi im Alleingang die Wahlergebnisse bestimmt, auch weil die wenigen Jungen statistisch seltener zur Wahl gehen, ganz eigene Gesetzmäßigkeiten. In der alternden Gesellschaft kommt es nur selten zu Straßenschlachten, man ist sich weitgehend einig in der Ablehnung von Gewaltmethoden, allenfalls wird mal ein Transparent hochgehalten, wenn man sich durch Bauplanungen bedroht fühlt, am Ende aber meist freiwillig die Straße geräumt.
-materielle und soziale Konflikte (Verteilungskämpfe), Konflikte aufgrund von Umweltzerstörung und Zerstörung der Lebensgrundlagen. Verteilungskonflikte sind praktisch immer da; es ist utopisch, zu meinen, sie würden irgendwann ganz verschwinden.
-ideologische Konflikte: Religion, Rassenwahn, Gleichheitsutopien. Die Anführer wissen oder ahnen meistens, dass die Träume unerreichbar sind (religiöse Erlösung, Reinrassigkeit, Gleichheit), heizen aber aus egoistischen Motiven die Konflikte an. Seit alters her ist die Funktion von Ideologien janusköpfig. Einerseits befriedigen sie bestimmte Bedürfnisse der Unterprivilegierten, von der Macht Ausgeschlossenen, andererseits sind sie der playing ground für diejenigen, sie sich dieser Träume und Hoffnungen bedienen, um sich selbst Macht und Privilegien zu verschaffen.
-das Streben nach Macht; damit einhergehend das Ausnutzen materiellen Konfliktpotentials oder sich Bedienen ideologischer Motive, um die Macht zu erringen

Es kommt ziemlich häufig vor, dass sich große Gesellschaften als Tyrannis organisieren. Dass nach einer Phase relativer Freiheit ein Einzelner, der sich darin gefällt, über dem Gesetz zu stehen, nach diktatorischer Macht greift, ist ein immer wiederkehrendes Muster nicht erst seit der Moderne. Um erfolgreich zu sein, muss er in den Institutionen über einen Satz von Seilschaften verfügen, die es ebenfalls mit der Demokratie nicht so genau nehmen. In besonders krassen Fällen bringt ein solcher pathologisch starker Anführer/Autokrat sein Volk dazu, einen Eroberungskrieg gegen die halbe Welt zu starten (Napoleon, Hitler).

Anmerkungen

1 Der Autor dieses Werkes gehört nicht zu denen, die gerne auf breiter Straße in gemeinsamer Arbeit ein weitgehend vorgezeichnetes Projekt verfolgen, sondern er geht lieber allein vorwärts. Er nimmt nur ungern Aufträge entgegen und lässt sich nicht befehlen, was er für seine Ziele und überhaupt für Fortschritt zu halten hat.


 
  Sein - Seiendes / Ontologie
Der Begriff des Seienden umfasst sowohl unser Bewusstes und Unbewusstes als auch die äußere Welt, welche (in jeder realistischen Philosophie) unabhängig von diesem Bewusstsein existiert. Zum Sein gehört also nicht nur alles Denk- und Vorstellbare, das sich in unseren Köpfen abspielt, sowie unsere normale tägliche Umgebung sondern auch all das, was außerhalb der direkten Wahrnehmung liegt und gewissermaßen jenseits der Ränder unseres persönlichen und physikalischen Kosmos existiert.

Im Ganzen unterscheide ich 2 plus 2 grundlegende Seinskomponenten:

(1a) Das Unbewusste, welches all jene Gehirnprozesse umfasst, an denen das Bewusstsein zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht beteiligt ist

(1b) Das subjektive oder Ich-Bewusstsein der Gehirne, das durch Interaktion mit anderen Bewusstseinen einen objektiven Charakter gewinnt und zusammen mit ihnen die menschliche Gesellschaft bildet. Jedes Ich definiert sich zugleich antagonistisch und einträchtig im Verhältnis zu den anderen Bewusstseinen, was den beiden Polen von Individualismus und Kollektivität entspricht. Seine 'Existenz' ist das Resultat der subjektiven Innenperspektive eines aus organischen Molekülen aufgebauten Gehirns. Alle möglichen emotionalen Zustände und Fähigkeiten wie Empathie, Verliebtsein oder Angst verleihen ihm 'gefühlt' einen anderen Charakter als der Summe von Strömen und Eiweißmolekülen, aus denen es gebildet ist, und dieses Muster des sich subjektiv anders Fühlens setzt sich in der Wahrnehmung der äußeren Welt fort. So bedeuten uns z.B. Musikstücke mehr als die Abfolge von Geräuschen, aus denen sie ja eigentlich nur bestehen.

(2a) Auch wenn sie auf der Ebene von Ich und Inter-Subjektivität ein eigenes Leben führen, gehören das Bewusste und das Unbewusste als Teil des aus organischem Material bestehenden Gehirns zur Gesamtheit der Materie im Kosmos. Die Erscheinungsformen der Materie entsprechen verschiedenen Anregungen (=Schwingungsmoden) der einen Substanz, welche den Kosmos vollständig ausfüllt. Obwohl die Materie in Formen so fest wie Diamant vorkommt, ist ihre Festigkeit nur relativ. Letztlich sind alle diese Anregungszustände nur flüchtige, wandelbare Schatten, die sich jederzeit auflösen lassen. Metaphorisch ausgedrückt: wir und alle Materie sind nicht die Bäume eines Waldes, auch nicht die Blätter eines Baumes, ja nicht einmal der Wind, der durch die Blätter rauscht. Sondern wir sind das Rascheln der Blätter.

(2b) die Substanz als das fundamentale Material des Daseins ist elastisch, besitzt aber eine diskrete Substruktur aus inneren Tetraedern, das heißt sie wird von einer sich wiederholenden Sequenz von vier Fundamentalobjekten, den sogenannten Tetronen gebildet. Deren Eigenschaften spiegeln sich in den Eigenschaften der Anregungszustände, aus denen wir zusammengesetzt sind.

Für die Untersuchung des Ich-Bewusstseins und der Gesellschaft ist (2b) allerdings völlig unerheblich. Ohnedies haben die Inhalte des Gehirns (1a,1b), die in der Form von Eiweißmolekülen vorliegen und nur für uns dies und jenes bedeuten, eine andere Seinsbasis als das reale Sein der Materie, das ein einfaches So-Sein darstellt, in dem das Funktionieren und selbst die Abgrenzung von 'Gegenständen' zunächst gar nicht vorkommen, weil sie bereits eine Beimischung unseres Wahrnehmungswillens und unserer von Interessen gesteuerten Erkenntnis sind. Das Ich-Bewusstsein entspricht gewissermaßen einem laufenden Softwareprogramms, dessen reale Basis im Computer völlig unabhängig von der Bedeutung und Funktion, die das Programm haben mag, als System von Magnetisierungen von Speichermaterial existiert, welches in dieser Analogie die Rolle der Eiweißmoleküle im Gehirn einnimmt.

Auf diese Weise kann man einsehen, dass sich die Menschen zusätzlich zur physikalischen Wirklichkeit eine eigene, kollektive Bewusstseinsrealität imaginieren. Ohne dass man seine naturalistische Grundhaltung aufgeben müsste, ist in dieser Nebenrealität Platz für ideelle, moralische, egozentrische, betriebswirtschaftliche usw Konzepte und etwa auch für das Böse als vom Menschen zu verantwortendes Handeln.

Jene Gefühle der Verlorenheit und Unversöhntheit in und mit der Welt, die den Ausgangspunkt der meisten kritischen und existentialphilosophischen Theorien bilden, gehören ebenfalls zum Ich-Bewusstsein als Teil dieser imaginierten und letztlich unvollständigen doch für uns essentiellen Nebenrealität, in die am Ende der Tod als physisches Finish hineinbricht, von dem es keine Heilung geben kann. Nicht einmal der Gattung Mensch wird es vergönnt sein, auf immer zu überleben. Wie alle anderen wird auch sie am Ende vom Globus verschwunden sein.

Aus dieser Sicht wird offenbar, dass es kein objektives geschichtliches Telos geben kann und angebliche Gesetzmäßigkeiten wie die des historischen oder dialektischen Materialismus, die derartiges behauptet haben, nur eingebildet sind. Auch Hegels Weltgeist ist nichts als eine kollektive Selbsttäuschung philosophischer Köpfe. Es gibt zwar durchaus auch Gesetze, denen die gesellschaftliche Entwicklung folgt, weil es auch in Soziologie und Ökonomie Ursachen und Wirkungen gibt, aber diese sind meist nicht so zwingend wie in den Naturwissenschaften. Und sie lassen sich aushebeln, durch technische Innovationen beispielsweise oder eine spontan aufkommende neue Geistesströmung. Daher gibt es zwar einen Fortschritt in der Geschichte zu konstatieren, doch ist er ständig vom Entgleisen bedroht und zu jedem konkreten Zeitpunkt unklar, in welche Richtung er führt.

Darin liegt allerdings auch ein Basiselement der Freiheit, zumindest für die 'Eliten' einer Gesellschaft. Diese können nicht nur zwischen verschiedenen Fortschrittsoptionen wählen, sondern der Welt auch weitgehend ihren Stempel aufdrücken. Der Druck der Machthaber und der Traditionen ist es auch, der den Einzelnen meist so handeln lässt, wie die Gesellschaft von ihm erwartet. In welchem Sinne er trotzdem noch als Individuum frei ist, wird später im Teil über Existenzphilosophie erörtert.

An dieser Stelle will ich stattdessen zur allgemeinen Seinsproblematik zurückkehren, die auch das Sein der Materie (2a+2b) umfasst. Das Sein ist diejenige Eigenschaft des Seienden, bezüglich der sich alle oben aufgezählten Komponenten der Wirklichkeit gleichen und die es uns erlaubt, sie zu einem Gesamtkosmos der Realität zusammenzufassen. Eine Frage in diesem Zusammenhang, die sich die abendländische Philosophie seit jeher gestellt hat: ist diese Eigenschaft mehr als ein oberflächliches, ziemlich triviales Ordnungsmerkmal oder reicht sie in tiefere Schichten der Psyche und der Materie hinein? Und verweist sie darüber hinaus sogar in eindeutiger Weise auf ein zentrales Grundprinzp als notwendige und hinreichende Bedingung für die Eigenschaft des Seienden, zu sein - also auf eine monistische Struktur im Sinne einer einen Substanz?

Ich würde diese Fragen verneinen, jedenfalls insoweit sie implizieren, dass die Seinsebenen (1ab) und (2ab) identisch sind oder einen gleichberechtigten gemeinsamen Ursprung haben. Wie bereits früher diskutiert, liegt stattdessen eine Hierarchie der Seinsebenen vor, d.h. (1ab) ergibt sich aus der Subjektivität des Bewusstseins innerhalb der durch (2ab) gegebenen physikalischen Realität. Zwar wird das Erkennen derselben durch (1ab) modifiziert, nicht aber ihr Wesen beziehungsweise ihr Sein.

Während die Materie aus Anregungen der einen Substanz besteht, schaffen unsere Bewusstseine 'nur' eine imaginierte Seinsebene, die für-uns ist und die es uns allerdings erlaubt, zu denken und z.B. die Grundprinzipien der physikalischen Dynamik der Materie und ihrer Substanz zu erkennen. Ich habe das 'nur' in Anführungsstriche gesetzt, weil dies natürlich eine äußerst wichtige Funktion ist, da der gesamte Rest der existierenden Materie nur tot herumliegt (bzw hitzig-aufgeregt durch den Raum wirbelt) und sozusagen nichts mit sich anzufangen weiß. Solange nämlich die Wirklichkeit nur existiert, ohne erkannt zu werden, gibt es nichts außer dem (fraglos wahren) So-sein der Materie. Dieses So-sein ist zwar Folge einer komplizierten physikalischen Dynamik, doch diese bedeutet wenig, solange niemand sie erkennt und nutzbar macht.

Das Monismus-Pluralismus-Problem stellt sich auf der Seinsebene von Bewusstsein und Gesellschaft anders als in der Physik. Während dort durch die Tetronen eine monistische Struktur vorgegeben ist, kommt hier ein Einheit stiftendes Prinzip dadurch zustande, dass alle menschlichen Gehirne ähnlich strukturiert sind und sich zu einer kommunikativ interagierenden Menge, der Gesellschaft, zusammenschließen können. Allerdings ist diese Einheit nicht völlig undurchlässig, es handelt sich um eine dialektische Einheit, in deren Rahmen Gegensätze ausgelebt werden und sich andauernd Freiräume und Spannungsfelder bilden, indem sich zum Beispiel der Einzelne oder auch Gruppen von den Anderen abzugrenzen versuchen, ein subtiler Prozess, der für beide Seiten nicht unkritisch ist, da er zu Zerfall und Auflösung und zum gewaltsamen Tod von Individuen führen kann.

In vielen Philosophiekonzepten seit Platon hat das Allgemeine, Umfassende und Einheitliche (beispielsweise eine Gattung) einen höheren ontologischen Rang als das Spezielle, Vereinzelte und Komplexe (beispielsweise ein einzelnes sinnlich wahrnehmbares Objekt). Aufgrund der früher diskutierten Bedeutung von Randbedingungen und multikausalen Vielteilcheneffekten lehne ich diese Ansicht als einseitig ab. Sie entsteht ohnehin nur aufgrund des landläufigen Missverständnisses, welches Pointer auf Dinge mit den Dingen-an-sich verwechselt. Innerhalb der menschlichen Bewusstseine sind sowohl das Allgemeine als auch das Spezielle nur Denkstrukturen(=Pointer), die - von den Eiweißen abgesehen, als die sie abgespeichert sind - zunächst gar keine ontologisch-materielle Existenz aufweisen.

Es ist auch nicht so, dass das Allgemeine in einem kausalen Sinne oder gar ontologisch das Besondere bewirkt und dass es aus diesem Grunde jenem übergeordnet wäre. Sondern die Wirkungen kommen im Besonderen durch Besonderes zustande. Zum einen spielen beim Verhalten des Besonderen die genannten Vielteilcheneffekte in der Form des ungeregelten Zufalls und der Freiheit hinein. Wie die Natur den Kosmos im Speziellen ausgestaltet hat, lässt sich also aus einem allgemeinen Prinzp kausal nicht ableiten. Man kann höchstens ganz allgemein sagen, es sind Materiehaufen hingeworfen, die sich als Galaxien organisieren. Um das anschaulich zu begreifen, muss man nur in den Himmel der Sterne und auf die Erde der Wölfe schauen: da sieht man, welch ungeordnetes Chaos anstelle einer Wohlordnung des Allgemeinen unsere Welt ist.

Dieser konkret spezielle Kaffeesatz des Daseins ist im ethischen oder ästhetischen Sinn vielleicht böse und unvollkommen, doch als Wirklichkeit ist er wahr, hermetisch, unleugbar materiell und vollständiger als unsere Gedanken, die sich irren können und oft in inkonsistenten Weltbildern zuhause sind. Manche haben noch das Glück, als allgemein verbreitete Ideen für Generationen im Bewusstsein der Gesellschaft Bestand zu haben, und einige sind so stationär, für Jahrhunderte zu überdauern, im Idealfall, weil sie der Wahrheit über die Dinge-an-sich sehr nahe kommen. Im allgemeinen ist jedoch der Inhalt unserer Köpfe voller ungereimter Einbildungen, aus unpräzisen Begriffsfiguren schlampig zusammengefügt, und damit alles andere als vollkommen.

Zum anderen existiert das aus Begriffen, Abstraktionen und Universalien zusammengesetzte Allgemeine nur in unseren Köpfen. - Allerdings können wir mit seiner Hilfe Regeln und Gesetze und weitere nützliche Einsichten über die Dynamik der materiellen und sozialen Welt herleiten. Denn auch wenn diese Welt der geistigen Wesenheiten nur im Kopf existiert, haben doch die meisten Erkenntnisse, am Anfang und am Ende eine Beziehung zur Wirklichkeit. Als Pointer reflektieren sie Eigenschaften der Wirklichkeit, und wenn wir sie analysieren, liefern sie uns nicht selten nützliche Verhersagen für das Verhalten der Materie und, sofern sie Gesellschaft oder Individuen betreffen, auch des Geistes.

In der Konsequenz dieses Kapitels lässt sich festhalten, dass die häufig vorausgesetzte Hierarchie zwischen allgemeinen Ideen oben und der speziellen Materie unten gewissermaßen auf den Kopf gestellt werden muss. Aristoteles hat einen Anfang gemacht, indem er die Ideen der platonischen Ideenlehre als Wesensbegriffe der sinnlich erfahrbaren Einzelgegenstände interpretiert. Dabei darf man ihm allerdings nicht allzu weit folgen, da er die Begriffe fälschlicherweise in das Innere der Dinge verlegt. Er will sie universell machen, aber übersieht, dass sich die fraglos vorhandene Universalität einfach aus dem genetisch bedingten ähnlichen Aufbau der die Welt betrachtenden Gehirne ergibt. Tatsächlich existieren die Begriffe zuallererst in unseren Köpfen und pointen nur auf etwas, was in den Dingen-an-sich liegt. Primär liegen sie im Bewusstsein, betreffen und reflektieren aber gewisse Seinsaspekte der materiellen und psychischen Dinge. Das ist eben genau die Art und Weise, wie wir in der Welt sind und in die Realität eingreifen können.

Zu guter Letzt sei noch betont, dass alle hier diskutierten Punkte unter dem Gesichtspunkt der beiden Seinsebenen (1ab) und (2ab) - dem physikalischem Sein und dem imaginierten Bewusstsein der menschlichen Köpfe - analysiert worden sind. Diese beiden Ebenen finden sich übrigens in unterschiedlicher Form bei vielen Autoren, etwa bei Descartes und dessen Zwei-Substanzen-Lehre mit einer ausgedehnten und einer denkenden Substanz. Auch die beiden 'Seinsregionen' Sartres lassen sich hier wiedererkennen, wobei er als Existenzialist dem Sein des Bewusstseins (des ich, des Anderen und der Gesellschaft) eine viel wichtigere Rolle zumisst als dem physikalischen Sein. Das physikalische Sein erschöpft sich bei ihm in einer Gesamtheit von vordergründigen Erscheinungen, aus denen die materielle Wirklichkeit besteht, wohingegen das Bewusstsein eine Auslegung von sich und der Welt, ein Seinsverständnis, besitzt. Auf der erkenntniswissenschaftlichen Ebene entspricht dies der obigen Feststellung, dass die Welt ohne Erkenntnis nur da-liegende Substanz wäre.


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