Bewusstsein


Ich-Bewusstsein nenne ich das bewusste Erleben eigener mentaler Zustände bei gleichzeitigem Wissen um die Ich-Identität. Zum Ich-Bewusstsein gehören unsere Wünsche und Hoffnungen ebenso wie all die anderen Zustände des Seelischen, die zu empfinden und zu erleben wir in der Lage sind, auch irreale Drogenerlebnisse oder das Aufstellen von unstimmigen Hypothesen. Die bewusste Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Welt kann ebenfalls darunter subsummiert werden.

Die so gegebene Definition impliziert direkt eine Reihe von Merkmalen, die ein Automat haben müsste, um ein Bewusstsein zu sein: er muss eine Ich-Totalität darstellen, also einen subjektiven Gesamtzustand. Als solcher muss er (i) quasi permanent gedanklich tätig sein, und durch diese Aktivität in der Lage, (ii) in die äußere Welt verändernd einzugreifen. Darüber hinaus muss er sich im Ablauf der Zeit (iii) als Selbst immer neu identifizieren und (iv) vom Rest der Welt bewusst abgrenzen können.

Das Ich-Bewusstsein entsteht durch biochemische Prozesse im Gehirn. Man kann es als einen makroskopischen Zustand interpretieren, der sich aus dem Gleichklang vieler mikro-chemischer Prozesse in allen Ganglien ergibt. Es ähnelt damit entfernt den sogenannten makroskopischen Quantenzuständen, wie man sie aus der Physik etwa der Suprafluidität kennt.

Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen den chemischen Prozessen, die im Gehirn ablaufen und der Art, wie diese von uns empfunden werden; also z.B. die biochemische Rezeption und Umwandlung eines Lichtquants einer bestimmten Frequenz im Gehirn, nachdem es im Auge aufgetroffen ist, von seiner Wahrnehmung als Farbe 'grün'. Manche Autoren meinen, dass dieser Unterschied zumindest bei komplexeren intellektuellen Vorgängen philosophisch nicht ohne weiteres erklärt werden kann und nennen es das Qualiaproblem.

Jedoch soll man sich immer im Klaren sein, dass es die biochemischen Prozesse sind, die in ihrer Gesamtheit das Gesamt des Bewusstseins bilden, und dass natürlich das bewusste Empfinden die darunter liegenden Prozesse nie als solche wahrnimmt, sondern eben so, wie sie ihm übermittelt werden - so wenig wie wir im allgemeinen unsere anderen Körperfunktionen (der Leber, Niere etc) wahrnehmen können, außer wenn spezielle Nerven existieren, die gewissermaßen als Messfühler dienen. Die Art und Weise, wie diese 'Messungen' verarbeitet werden und im Gehirn ankommen, prägt selbstverständlich die Wahrnehmung des zu Messenden, das ja eine eigene, andere und vollständige Realität hat, durch das Bewusstsein, und es steht daher nicht die Naturfunktion selbst, sondern nur die derart erzeugten Bilder von ihr der Ratio zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung. Die Vernunft ist immer aufs Neue gezwungen, sich ein Gesamturteil über eine ihr nur partiell zugängliche Wirklichkeit zu bilden, und sie beziehungsweise das sie enthaltende Bewusstsein erliegt dabei nicht selten immensen Irrtümern. Ein spezielles Beispiel dafür ist die Selbstwahrnehmung des Bewusstseins, das sich als seelisch und unausgedehnt empfindet. In Wirklichkeit werden sowohl der objektive materielle Zustand wie auch die Wahrnehmung desselben letztlich von der Biochemie vorgegeben, die also eine (i) aktive (ii) Ich-Totalität als Voraussetzung für den (iii) permanenten Bewusstseinsakt erzeugt, die in die (iv) äußere Welt tätig eingreifen kann.

Ferner darf man sich nicht dazu verleiten lassen, gewisse Eselsbrücken, die manchen Klassikern der Philosophie geholfen haben, die Funktionsweise des Bewusstseins qualitativ zu verstehen, für fundamentale Eigenschaften des Bewusstseins selbst zu halten. Wenn etwa Kant das transzendentale vom empirischem Bewusstsein unterscheidet, so ist er später gezwungen, eine einheitstiftende Funktion des transzendentalen Anteils zu fordern, um zu der eigentlich ursprünglicheren, phänomenologisch offensichtlichen Einheit zurückzufinden, weil er erkannt hat, dass es zwar Momente der Konzentration gibt, in denen das bewusste 'Ich bin' hinter die Ratio zurücktritt, dieses aber im Hintergrund immer präsent ist und die Art und Weise färbt, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Diese Färbung geht so weit, dass jeder von uns eigentlich in seinem eigenen Universum lebt.

Denn in Wirklichkeit ist die Einheit zuerst da und muss nicht erst gestiftet werden. Außerdem ist sie auch nur eine Empfindung in dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Sinn, und entspricht keineswegs der unterliegenden objektiv-physikalischen Funktionsweise des Gehirns, die sich aus lauter Mikroprozessen zusammensetzt.

Weitere ebenso übliche wie künstliche Trennungen betreffen die Intentionalität und Phänomenalität unserer Bewusstseinspozesse, d.h dass es Zustände unseres Bewusstseins gibt, die in besonderer Weise auf etwas gerichtet sind, z.B. ein Wunsch und Wille oder die Angst vor etwas, wobei sich diese Gerichtetheit auch ins Abstrakte auflösen kann, etwa in dem Willen zu herrschen oder irgendetwas Beliebiges in blinder Wut zu zerstören, oder in der Angst vor der Angst.

Man sollte sich nämlich darüber klar sein, dass alle Bewusstseinszustände neben ihrem Erlebnisgehalt immer einen Absichtsgehalt haben (auch dies eine Art 'Färbung'!), weil wir permanent von unseren Instinkten und Egoismen begleitet werden, die uns dazu aufrufen, nicht untätig zu bleiben, sondern etwas für unser Fortbestehen zu tun. Dazu gehören im weiteren Sinne auch 'politisches Bewusstsein' oder wenn etwa jemand einer religiösen Glaubensrichtung folgt. n solchen Fällen wird die Wahrnehmung und Interpretation der Wirklichkeit dann mehr oder weniger vollständig von dem um die Ideologie erweiterten Instinkt bestimmt. Er lässt den Gläubigen oftmals anders handeln als den Durchschnittsmenschen und erscheint diesem dadurch zuweilen unberechenbar.

Eine weitere so notwendige wie triviale Bedingung für die Existenz eines Bewusstseins ist das Merkmal der reflexiven Zugänglichkeit, also die Tatsache, dass man über sich selbst und alles, was man innerlich erlebt, nachdenken kann. Manchmal wird dazu als notwendig erachtet, dass ein solcher selbst-reflektierter mentaler Zustand sprachlich beschreibbar sein muss, um zu einem Bewusstsein zu gehören, eine Forderung, die die Vorkommen tierischen Bewusstseins ausschließen würde.

Diese wäre jedoch ein zu großes Zugeständnis der Philosophie des Geistes an die spachphilosophishe Dogmatik. Ein besonderer Reiz mancher Bewusstseins-zustände liegt doch eben darin, dass sie sich sprachlich nur schwer fassen lassen und dass ihr wahrer Kern und ihre Vielfalt jenseits des sprachlichen Ebene zu finden sind. Man kann ihnen vielleicht einen Bezeichner geben, aber jeder darüber hinaus gehende Versuch, sie sprachlich zu erfassen, würde ihnen nur teilweise gerecht werden. Ganz abgesehen von der allgemeinen Binsenweisheit, dass jede sprachliche Beschreibung an Begriffe gebunden ist, die dasjenige, worauf sie pointen, niemals vollständig zu erfassen vermögen. Dies gilt auch und gerade für die Inhalte unseres Bewusstseins, die ja allesamt nicht sprachlicher, sondern ursprünglich biochemischer Natur sind.

Um ein Bewusstsein herzustellen, reicht es andererseits nicht hin, dass der Zustand zu anderen Zuständen sowie zu Reizreaktionen aus der Umwelt in einem kausal beschreibbaren Zusammenhang steht. In dem Fall wäre es nämlich ein leichtes, Maschinen mit Bewusstsein auszustatten. Was benötigt wird, ist ja eben der komplexe Gesamtzustand eines Gehirns/Automaten, der als solcher über eine beständiges Ich-Bewusstsein mit den obigen Eigenschaften (i)-(iv) verfügt.


 
  Unterbewusstsein = das Unbewusste


Das Unterbewusstsein wird von denjenigen Vorgängen im Gehirn gebildet, die zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht Teil des Ich-Bewusstseins sind.

Der Ausdruck 'Unterbewusstsein' wird gelegentlich kritisiert und gesagt, man solle besser vom Unbewussten sprechen, weil weder Bewusstsein noch Unbewusstes einen räumlichen Aspekt von oben oder unten beinhalten. Im Hinblick auf die Metapher, die das Bewusstsein mit einer sichtbaren Oberfläche vergleicht, und das Unbewusste mit etwas Unerkanntem, darunter Liegendem, finde ich ihn allerdings plausibel. Dabei versteht sich, dass Bewusstes und Unbewusstes nicht speziellen Orten im Gehirn entsprechen, sondern unterschiedlichen Organisationszuständen des Psychischen und des diesem assoziierten organischen Eiweiß-Materials, das auf verschiedene Hirnregionen verteilt ist, deren Zusammenspiel unsere psychische Existenz konstituiert.

Anstelle der Oberflächenmetapher passt eher das Bild eines zeitlich veränderlichen Zustandes - ich nenne ihn 'Bewusstseinstrom', da die zeitliche Variabilität eines Zustandes einen Strom definiert - der sich nicht frei sondern quasi automatisiert aus dem Gesamtfundus des Hirninhaltes bedient und so beständig neu zusammensetzt. Er kann dabei sowohl auf direkt präsente Erinnerungen wie auch auf Vages, Vorbewusstes und Unbewusstes zurückgreifen, also auf alles, was das Gehirn in irgendeiner Form an psychischem 'Material' zur Verfügung stellt. Dieser Rückgriff erfolgt oftmals nicht willentlich, sondern unwillkürlich, intuitiv-unvermittelt oder instinktiv, d.h. unbewusste oder bislang unbeachtete Elemente stoßen scheinbar grundlos plötzlich und eruptiv in den Bewusstseinstrom vor, um seine Kraft und Richtung zu verändern. Mit anderen Worten, der Automatismus selbst ist nur selten ein bewusster oder gar ein willentlich gesteuerter Vorgang. Wie an verschiedenen Stellen dieser Arbeit hervorgehoben, macht ihn jedoch gerade dieser spontane Aspekt zu einem wesentlichen Element unserer Freiheit und Kreativität, ohne die intellektueller oder sonstiger Fortschritt niemals denkbar wäre.

Besonders frappierend wirkt das Unbewusste, wenn uns z.B. anlässlich eines aufwühlenden Ereignisses eine Situation, an welche wir jahrzehntelang nicht mehr gedacht hatten, plötzlich als intensive Wahrnehmungserinnerung wie plastisch vor Augen tritt - aus dem unbewussten Teil unserer Gedächtnisses scheinbar von selbst hervorgespült. In Wahrheit ist dieser Vorgang des unwillkürlichen Hervortretens, auf den in Film und Literatur oft zurückgegriffen wird, wahrscheinlich etwas höchst Dynamisches, das wir wie alle Aktivitäten des Unbewussten aber nicht direkt wahrnehmen können.

Sartre hat in seinem Hauptwerk 'Das Sein und das Nichts' die Kategorie des Unbewussten abgelehnt, da nach seiner Meinung alle Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Emotionen, aus denen wir bestehen, zum Bewusstsein dazu gehören, es sei nur eben nicht alles erkennendes Bewusstsein. Die Argumente, die er vorbringt, kann man allerdings auch so lesen, dass er den Begriff des Bewusstseins um einige Aspekte erweitert, die normalerweise unbewusst genannt werden.

Wir werden Sartre und seine sehr spezielle Trennung von Ich und Bewusstsein an anderer Stelle noch ausführlich analysieren. Seine Kritik an der Freudschen Interpretation des Unbewussten ist allerdings insofern berechtigt, als man dieses nicht in erster Linie als einen Ort der Alpträume und Neurosen interpretieren sollte, sondern als einen Zustandsbereich, wo alles abgelegt ist, was momentan nicht Teil des 'direkten' Bewusstseins ist. Es sind dies sowohl scharfe Vorstellungen und Erinnerungen, die dem Bewusstsein sozusagen 'naheliegen' und auf die es bei Bedarf jederzeit instantan zugreifen kann, als auch verschwommene und rudimentäre etwa aus der Phase der Kindheit, die unter einer Fülle anderer Eindrücke verborgen sind und meist nur durch den Zufall eines äußeren Ereignisses wieder an die Oberfläche gespült werden.

Die Vagheit solcher Erinnerungen zwingt unseren Geist, die vorhandenen Gedächtnismoleküle zu modifizieren oder gar in einer die Erinnerung verändernden Weise ganz neu zu bilden. Als Konsequenz können Inhalte des Unbewussten durch neue Erfahrungen modifiziert, überlagert und etwa durch innere Abwehr- oder Verdrängungsprozesse vollständig transformiert werden. Auch manches scheinbar Irreale gehört dazu, das von unserem Ich-Bewusstsein als falsch und fremd abgelehnt wird, wenn es wie spontan in es einfällt.

Vor allem hat das Unbewusste einige wichtige, die Psyche entlastende dynamische Funktionen, die von unserem Willen kaum beeinflusst werden können, sondern diesen und auch unser Handeln im Gegenteil wesentlich mitbestimmen. Dazu gehören zum Beispiel die Ablagerung unbewusster Überzeugungen, die mittelbar in das bewusste Verhalten einfließen, oder intuitive Geistesblitze, die auf scheinbar unerklärliche Weise plötzlich in unser Bewusstsein treten, in irgendeiner Form aber doch bereits vorher vorhanden gewesen sein müssen. Auch die Fähigkeit, durch eine Verbindung von mehreren bekannten Mustern plötzlich eine neue Erkenntnis zu gewinnen, ist nicht oder jedenfalls nicht allein im Ich-Bewusstsein angesiedelt. Wenn also ein Genie, statt längst ausgetretene Pfade detailverliebt nachzuanalysieren, einem Geistesblitz folgend, Altbekanntes zu Neuem synthetisiert, ist mindestens teilweise sein Unbewusstes im Spiel in Gestalt einer besonderen Art der Intuition.

Es geht aber nicht nur um äußeren Erkenntnisgewinn, sondern auch um die Fähigkeit des Unbewussten, Emotionen zu initiieren und mehr oder weniger pragmatisch mit ihnen umzugehen. Alle unwillkürlichen und daher kaum steuerbaren Handlungsimpulse gehen nicht auf einen bewussten Willen des Ich zurück. Man denke an das Handeln im Zorn, das sich vom Bewusstsein um so weniger beeinflussen lässt, je größer der Jähzorn ist, und sich im Extremfall zur absoluten, jede Umsicht hinwegfegenden Gewaltorgie steigern kann.

Hier darf wieder der Hinweis nicht fehlen, dass die Menschen verschieden sind und nicht jeder in gleicher Weise unter dem Affekt des Jähzorns oder der Unbeherrschtheit zu leiden hat. Und vielleicht soll man diesen Hinweis zum Anlass nehmen zu vermuten, dass auch die unterschiedlichen Sichtweisen der philosophischen Schulen ursprünglich auf Differenzen in individuellen Hirnapparaten zurückgehen. Zum Beispiel wird jemand, der es gewohnt ist, seine Ideen bereits im frühesten, nicht ausgesprochenen Zustand in sprachlicher Form zu denken, bei der Selbstanalyse seines Bewusstseins der Sprache eine viel größere Bedeutung zumessen als einer, dessen Denken sich am liebsten im Bereich vager, intuitiver Vorstellungen bewegt oder für dessen Weltverständnis das Visuelle oder Geometrische eine größere Rolle spielt als jede Art von Zeichensystem.

Weiterhin kann man das Unbewusste als Ort des seelischen Wachstums interpretieren, das die gesamte Entwicklungsgeschichte des Individuums begleitet und etwa den für Sartres Philosophie so bedeutsamen Drang zu Freiheit und Rebellion überhaupt erst generiert, der entscheidend zur Menschwerdung des Individuums beiträgt.

Eine besondere Rolle spielt die Fähigkeit des dynamischen Unbewussten, Träume zu generieren, vor allem, aber nicht nur während des Schlafens. Träume sind die einzige Form der Halluzination, von der auch gesunde Menschen heimgesucht werden. Nachdem sie aber so häufig vorkommen, muss man sie wohl als eine der primären Komponenten des menschlichen Geistes ansehen. Dass sie die biologische Funktion von Träumen bis heute nicht schlüssig anzugeben weiß, zeigt wie wenig die moderne Neurobiologie von den Bewusstseinsvorgängen verstanden hat. Träume kommen fast nur im REM Schlaf vor, aber während man dem REM-Schlaf im Allgemeinen eine Festigung des Gedächtnisses zuschreiben kann, ist eine Korrelation des Gedächtnisses mit dem REM Traum bisher nicht belegt worden.

Da sie keinen relevanten Beitrag zu diesen Fragen liefern kann, zieht sich die naturwissenschaftlich geprägte Hirnforschung nicht selten auf den Standpunkt zurück, dass Träume gar keine besondere Funktion haben, sondern nur wirren Gedankensalat darstellen, der sozusagen vom Tage übrig geblieben ist. Träume sind danach eine Reaktion des Vorderhirns auf 'weißes Rauschen' im Hirnstamm. Sie sind zufällig und dienen keinen realen Zwecken. Evolutionsbiologisch entstanden sie als letztlich irrelevantes Nebenprodukt unseres Denk- und Schlafapparates.

Angesichts der Elaboriertheit vieler Träume scheint diese Sicht allerdings wenig überzeugend, und auf der psychologischen Ebene existieren ja auch schon lange Erklärungsmuster für das Wie und Warum unserer Träume, zum Beispiel, dass Träume wesensverschiedene Erfahrungsbereiche des Individuums auf irrationale Weise verknüpfen, um später im Wachzustand zu scheinbar intuitiven kreativen Lösungen von Problemen zu kommen, oder dass Träume beim Verarbeiten von Konflikten helfen können. Nur das letztere erscheint mir halbwegs stichhaltig. Träume, an die ich mich erinnern kann, haben zwar teilweise mit meinen täglichen Problemen zu tun und kombinieren sie auch manchmal neu, doch Lösungen liegen ihnen normalerweise fern. Gewisse Alpträume beziehen sich auf die schwerwiegendsten Traumata meines Lebens, aber indem sie mich wieder da hinein ziehen, verstärken sie eigentlich nur oder holen zurück, was ich eigentlich schon lange verdrängt hatte. Dies lässt sich vielleicht so interpretieren, dass bereits bei mittleren Konflikten Träume überfordert sind und ihren Beitrag zur Konfliktverarbeitung nicht mehr leisten können.

Eine weitere wesentliche Bedeutung der Träume sehe ich darin, dass sie die Erfahrungen, die sich im Laufe der Zeit in unserem Kopf zu einem riesigen unübersichtlichen Haufen von Erinnerungen anhäufen, ordnen und umschichten, so dass das Bewusstsein später besser darauf zugreifen kann. In Träumen laufen Rudimente unserer Erfahrungen in veränderter Form und in einer anderen Reihenfolge ab, ein Prozess, der diese Umschichtung erleichtert und vielleicht erst ermöglicht.

Das Unbewusste ist etwas sehr Dynamisches, in dessen innersten Bereichen sich permanent vom Ich-Bewusstsein nicht wahrgenommene molekular-geistige Vorgänge abspielen. So bringt es - scheinbar unerklärlich - spontane Einfälle an dessen Oberfläche, und sorgt vermutlich auch gezielt dafür, dass andere nicht dorthin gelangen. Es ist dann Aufgabe des Bewusstseins, unter den ankommenden Impulsen weiter zu selektieren, wobei auch diese Selektion nicht von ihm allein vorgenommen, sondern von unbewussten Impulsen begleitet und beeinflusst wird.

Daneben bewältigt das Unbewusste ununterbrochen alle möglichen anderen Herausforderungen: es sorgt dafür, dass unser natürlicher ('gesunder') Egoismus nicht zu kurz kommt, beziehungsweise auch in der anderen Richtung, dass er nicht überbordet; es stellt dem Bewusstsein ein intuitives Sicherheitsempfinden und eine Angstschwelle zur Verfügung, die im Effekt wie ein automatisches Assistenzsystem in einem Auto oder Flugzeug wirken, jedoch bei mutigen und ängstlichen Persönlichkeitsstrukturen höchst unterschiedlich ausfallen; und es sorgt in vielen Fällen kaum wahrnehmbar und quasi automatisch für die Vermeidung unangenehmer Affekte.

Überhaupt die Persönlichkeitsstruktur! Sie wird ganz wesentlich durch das Unbewusste festgelegt. Ich gehe so weit zu behaupten, dass der größte Teil von dem, was unsere 'Persönlichkeit' ausmacht, etwas Unbewusstes ist. Das Bewusstsein hat lediglich die Möglichkeit, unter Aufbietung seines Willens manche und vor allem die extremen 'Ausrutscher' des Unbewussten willentlich zu modifizieren. Inwieweit ihm dies gelingt, ist auch wieder eine Frage des Naturells. Man bemerke, dass von dieser Warte betrachtet der freie Wille durch das Unbewusste eher eingeschränkt als gefördert wird.

Was ist aus alldem zu schließen? Offenbar zwingen uns die Einsichten, die wir in den letzten Abschnitten über das Unbewusste gewonnen haben, die im vorigen Abschnitt gegebene Definition zu modifizieren: Bewusstsein ist ein makroskopischer Gesamtzustand des Gehirns, in den aus dem Unbewussten immerzu geistige Impulse hineinschießen. Unbewusst sind dabei alle Gehirnvorgänge und Teilzustände, derer wir uns nicht bewusst sind.

Davon gibt es eine ganze Menge. Denn während uns eine Vielzahl äußerer und innerer Eindrücke bestürmen, ist unser Gehirn unentwegt damit beschäftigt, den einen ununterbrochenen Bewusstseinsstrom, der den Kern unseres Ich ausmacht, zu erhalten und umzuformen. Das Unbewusste hält mal mehr mal weniger vernünftige wie auch instinktive Einfälle bereit, aus denen sich das Bewusstsein zu seinem Behuf dann bedienen darf. Und nicht nur ist es auf den Vorrat, den das Unbewusste ihm bietet, angewiesen, sondern dieses stellt ihm gleichzeitig intuitive Entscheidungshilfen zur Verfügung.

Vor allem die Instinkte sind im Unbewussten angesiedelt, wobei der Übergang zwischen bewusst wahrgenommenen und unterbewussten Instinkten allerdings fließend ist, ebenso wie der zwischen vernunft- und instinktgetriebenen Impulsen. Der Grund, warum ich bin, hat mit meinem 'Ich denke' wenig zu tun - höchstens insoweit das 'Ich denke' Instinktcharakter besitzt. Man würde sich wundern, was bei genauerer Betrachtung alles Instinkt ist, wovon man glaubt, es werde von der Vernunft determiniert. Selbst die tiefer liegenden Fundamente unseres Verstandes gehören dazu! Wobei 'Instinkt' vielleicht nicht das richtige Wort ist. Die Impulse, die aus dem Unbewussten bei allen möglichen Gelegeheiten hochkommen, sind ja mit meinem Bewusstsein und den dort ablaufenden Erkennungsprozessen auf engste verkoppelt.

Man könnte versucht sein, aus der Dominanz der Instinkte zu schließen, dass wir keinen freien Willen haben, jedenfalls keinen vernünftigen Willen. Empfindungen wie Schönheit, Ekel, Zufriedenheit und so fort, und dazu gehört eben auch das Empfinden eines Willens, sind ursprünglich tierischer Natur und werden durch sprachliche Artikulation nicht erzeugt, sondern nur ausgekleidet, einer Sprache, die lediglich der verlängerte Arm der Gefühle und Leidenschaften ist, die wiederum maßgeblich vom Unbewussten bestimmt werden. Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass das spontane Element unserer Bewusstseinsvorgänge zugleich ein wesentliches Element unserer Freiheit wie auch unserer Unfreiheit ist. Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, gibt es in diesem Werk ein separates Kapitel über Kausalität, Notwendigkeit, Determination und Freiheit.

Sowohl das Bewusstsein wie auch das Unterbewusste sind in der Lage, geistige Brücken zu anderen Menschen zu bauen, so dass eine Gesamtstruktur entsteht, die wir sozial oder gesellschaftlich nennen. Diese stellen das Sein des Menschen auf eine höhere Stufe, weil sie ihn befähigen, größere Aufgaben zu erledigen als die, zu denen ein einzelnes Sein in der Lage ist. Es ist zwar richtig, dass der wahre technische und intellektuelle Fortschritt meist von den Ideen einzelner Individuen ausgeht. Diese gelangen dann aber erst in gemeinsamer Arbeit zur vollen Entfaltung, derart, dass eine verwobene Gemeinschaft im Überlebenskampf besser zurechtkommt als ein isoliertes Individuum.

An verschiedenen Stellen in diesem Werk wird beschrieben, wie wichtig die Anderen bzw die Gesellschaft für die Konstitution der menschlichen Ich-Identität sind. Tatsächlich beeinflussen sie nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Unbewusste. Wobei notwendig auch die Umkehrung gilt: das von der Gesellschaft gebildete 'intersubjektive Feld' wird von der Menge der Unterbewusstseine kontrolliert, die sie konstituieren.

Wie kann aber das Unbewusste des Einzelnen an der Konstruktion der Gesellschaft teilhaben, da doch nur das von den Anderen von uns Wahrgenommene in das Gesamt der Interaktionen einfließt, das man Gesellschaft nennt? Antwort: weil Mimik und Verhalten vom Unbewussten mit gesteuert werden.


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