Die letzte Freundschaft Ich weiss nicht, ob es die dunkle Kneipe noch gibt, in der wir zum ersten Mal ins Gespraech kamen. Es war in Hamburg, im Herbst irgendeines Jahres in den fruehen 80ern. Wir arbeiteten beide im Anfaengerpraktikum Physik, ich als studentische Hilfskraft, er als Chemiestudent, der einen Schein fuers Vordiplom braucht, und wir begingen den Abschluss des ersten Praktikumsteils. Guenter und ich fanden schnell heraus, dass wir viel gemeinsam hatten; vor allem Interesse an Naturwissenschaften, Informatik und Politik (auf meine Neigung zur Kunst reagierte er nicht). Unter allen Gespraechsthemen trat aber sein Hass auf den Freund seiner Schwester besonders hervor. Da ich aehnliche, wenn auch nicht so weitgehende Probleme mit der eigenen Schwester hatte, eroeffnete sich ein weites Gespraechsfeld. Er war 14 Monate juenger als ich und hat mich anfangs bewundert und stillschweigend als Autoritaet akzeptiert. Das aenderte sich im Fortgang der Freundschaft; und als sie nach 5 Jahren endete, hatte sich unser Verhaeltnis in mancher Hinsicht umgekehrt. Obwohl schon 25, wohnte er noch bei seiner Mutter; der Vater war frueh gestorben. Die Familie lebt seit Generationen in einem Hamburger Vorort, in einer Strasse, die ihren Namen traegt und vom Wohlstand der Jahrhundertwende zeugt. Zu der Zeit als ich ihn kennenlernte, besassen sie nur wenig mehr als das verwinkelte grosse alte Haus. Waehrend sich ringsherum in den alten Buergerhaeusern neuer Mittelstand breitmachte und sie mit grossem Aufwand renovierte, verbarrikadierten sich die Hansens hinter Tannen, Efeu und Rhododendron und der Patina vergangener Tage. Unter dem Dach lebte seine Schwester zurueckgezogen zusammen mit ihrem Verlobten. Obwohl ich Guenter schliesslich oft besuchte, lernte ich die beiden nur aus seinen Erzaehlungen kennen. Der Mann sei ein fremder Eindringling und Schmarotzer, der ihn noch dazu an der Entfaltung seiner Persoenlichkeit hindere. Dass der Grund seiner Abneigung Eifersucht war, ist mir, wiewohl offensichtlich, erst spaeter klargeworden. Der Hass ging so weit, dass er sich halb im Scherz alle moeglichen Arten der Folter und des Todes fuer den zukuenftigen Schwager ausdachte und erwog, seine maennlichen Bekannten, mich eingeschlossen, auf seine Schwester anzusetzen. Dass Guenter bei seiner Mutter lebte und Ideen dieser Art verfolgte, mag ihn als einen Sonderling erscheinen lassen, und in gewissem Sinne war er das auch (genau wie ich), aber da er gut aussah und sehr gewinnend sein konnte, hatte er einen Schlag bei Frauen. Das andere Geschlecht war auch der Motor, der unsere Freundschaft in Gang hielt. Eigentlich machten wir beide staendig Experimente, wie man es fertigbringt, mit einer weiblichen Wesen gluecklich zu werden, und bedurften einander, um die Ergebnisse zu besprechen. Zugleich lag in jeder Beziehung zu einer Frau der Keim zum Ende unserer Freundschaft, da wir uns dann seltener sahen und die Gespraeche oberflaechlicher wurden. Er hat meine konfuse Frauensuche immer akzeptiert und auch meine larmoyante Trauerarbeit, wenn wieder eine der kurzen Bekanntschaften in die Brueche gegangen war. Einmal liess ich mich mit einer Ehefrau ein, die sich von ihrem Mann trennen wollte. Als sie sich aus Angst vor seiner Gewalttaetigkeit nicht nach Hause traute, unterstuetzte uns Guenter umstandslos mit tatkraeftiger Hilfe und seelischem Zuspruch. Mein Verhaeltnis zu Ingrid (so hiess die Frau) steht im Mittelpunkt der Geschichte, die sich an diese melancholischen Vorbemerkungen anschliesst. Es ist unmoeglich fuer mich, die Atmosphaere jener Tage mit Worten wiederzugeben, in denen ich so ganz anders lebte als heute. Ich war dumm und jung und befand mich, aehnlich wie ein Heroinabhaengiger (ohne dass ich jemals das Gift genommen haette), in einem Rausch der permanenten Selbstueberschaetzung, der die oede Lebenswirklichkeit in goldenes Licht tauchte und mich zum Mittelpunkt des Universums machte. Ich stand unter dem Dauerstress eines Menschen, der vom Leben viel erwartet - wissenschaftliche Erfolge, politische Veraenderungen, eine attraktive Frau - und nicht erkennt, wie beschraenkt seine Mittel sind. Erst viel spaeter ist mir klargeworden, dass ich niemals in der Lage sein wuerde, andere durch meine Ideen zu begeistern - weder 'from outside' noch als 'Opinion Leader' - da ich die Ausstrahlung eines toten Fisches habe (um es drastisch zu formulieren). Unter den Nachwehen dieser Erkenntnis leide ich heute noch - und blicke voll Neid auf die vielen grossen und kleinen Geister, die es geschafft haben, sich zum Nabel der Welt zu machen. Ich wohnte damals mit mehreren Kommilitonen in einer 4-Zimmer Altbauwohnung in Hamburg-Altona, Stresemannstrasse 136. Werner, mein zweitbester Freund, war ein ruhiger Charakter, den ich in der Thermodynamikvorlesung kennengelernt hatte. Unter all meinen Freunden lastete der Alpdruck 'Frau' auf ihm am wenigsten. Es schien ihn nicht zu stoeren, jahrelang als Single allein zu leben. Ganz unaufgeregt hat er schliesslich mit Ende 30 die Frau fuers Leben gefunden. Heidi, eine Paedagogikstudentin, repraesentierte mit ihren haeufig wechselnden Maennerbekanntschaften das weiblich-offene Element unserer Wohngemeinschaft. Sie war eine attraktive, sportliche Frau, die aus mehrfach enttaeuschter Liebe wahllos Affaeren einging und keine Ordnung in ihr Leben brachte. Oft setzte sie den gesamten Inhalt unserer Haushaltskasse in Suessigkeiten oder Fruchtjoghurte um, so dass der Brotkasten am Wochenende leer blieb. Ich gestehe, auch ich habe mit ihr geschlafen, nicht lange nachdem sie bei uns eingezogen war. Und es haette von mir aus gern mehr daraus werden koennen. Doch da sie auf schoene dunkelhaarige Maenner fixiert war, liess sie mich schnell fallen. Falls ich eifersuechtig auf ihren naechsten oder uebernaechsten Liebhaber war, so hielt ich mich jedenfalls unter Kontrolle und entwickelte im Laufe der Jahre eine Art bruederliche Freundschaft zu ihr. Kuerzlich war noch meine Schwester in die Stresemannstrasse gezogen und ersetzte eine Reihe von Mitbewohnern, die es nicht lange bei uns ausgehalten hatten. Mit ihr ging ich oft in hochgeistiges Theater, in Opern und sonstige Kulturveranstaltungen. Von der Stadtpolitik saftig subventioniert, waren die Eintrittspreise auch fuer Studenten erschwinglich. Unsere Wohnung war laut - die Stresemannstrasse ist eine der vierspurigen Hauptverkehrsadern der Hansestadt. Im Hintergarten verkehrte die S-Bahn, die im Minutentakt mit kreischenden Bremsen in den Holstenbahnhof einfuhr. Ich habe mein Fenster, das zur Strasse hin lag, meistens geschlossen gehalten. Die vier Raeume, die uns als Schlaf- und Arbeitszimmer dienten, gruppierten sich um die Wohnkueche, in der das soziale Leben stattfand. In jedem Zimmer stand ein Kohleofen, den man im Winter mindestens zweimal taeglich befeuern musste, wenn man nicht frieren wollte. Das Haus war vor dem Krieg fuer Arbeiterfamilien aus Altona entworfen worden und von guter Bausubstanz. Die Wohnungen waren geraeumig, und anders als bei vielen staedtischen Neubauten, wo die Zimmerdecken drohend niedrig haengt und an jedem Quadratmeter gespart worden ist, genuegten selbst die beiden als Kinderzimmer vorgesehenen Raeume den Anspruechen von Studenten, die mit einem BAFoeG Darlehen von 700 Mark auskommen mussten. Die Waende waren weiss oder meist einfarbig gestrichen, wobei sich die Farbe nach dem Temperament des jeweiligen Bewohners richtete. Jeder von uns besass ein Bett oder wenigstens Matrazen, einen Schrank oder Kommode, einen Schreibtisch, eine Stereoanlage und ein oder zwei bis zur Decke reichende Regale, die je nach Anspruechen, Vorlieben und Finanzlage von IKEA oder einem anderen preiswerten Anbieter oder vom Sperrmuell stammten, und meist auf kreative Weise im Zimmer aufgestellt wurden. Die Einrichtung der Kueche war praktisch, bis auf das niedrighaengende Waschbecken, das beim Spuelen zu Kreuzschmerzen reizte, und einen weissgefliesten Ofen, der zum Heizen und Kochen gedient hatte, bevor er in den 60er Jahren um einen Elektroherd ergaenzt worden war, der auf eleganten Stelzen daherkam. Im Zentrum der Kueche aber stand ein grosser sauberer Linoliumtisch, an dem wir uns abends oft versammelten, wenn wir von der Uni heimkamen und keine Verabredung hatten. Dort wurde gegessen, geraucht und geredet, und jeder Gast war herzlich willkommen. Bei Heidi waere Guenter gern zum Zuge gekommen. In seinen Augen war sie ein huebsches nettes Maedchen mit vielen Komplexen, die sie durch dummes Geschwaetz uebertoente. Er verliebte sich in ihre langen Beine, ihr lockiges Haar und wohl auch (nachdem er sie schliesslich besessen hatte) in ihr Geschlecht. Sie schlief ein paarmal mit ihm; doch als er sie zu sehr bedraengte, erhielt er den Laufpass. Es hoert sich vielleicht so an, als herrschten in meinem Bekanntenkreis lockere Sitten; doch dies trifft keineswegs zu. Werner zum Beispiel hatte selten eine Frau und ich selber schlief nur mit solchen, mit denen ich mir eine dauerhafte Beziehung mindestens vorstellen konnte. Auf dem Hoehepunkt unserer Freundschaft waren Guenter und ich fast wie ein Ehepaar und sahen uns wohl alle 2 Tage, indem entweder er nach der Uni in der Stresemannstrasse vorbeikam oder ich ihn draussen in Klein-Flottbek mit dem Auto besuchte. Ich fuehlte mich dort wie zu Hause. In warmen Sommern sassen wir in Korbstuehlen auf der hoelzernen Veranda und spannen verrueckte Ideen. Wir erwogen, Computer mit ausserirdischer Intelligenz zu programmieren, oder eine Firma zu gruenden, die Raketen mit Photonenantrieb ins All schiesst. Wenn wir schwiegen, traeumten wir von tollen Frauen mit Schlafzimmeraugen und grossen Bruesten, waehrend pollentrunkene Schmetterlinge ueber die windgeschuetzte Gartenlichtung zu den Rosenbeeten taumelten. Einmal drehten wir einen Film, d.h. wir liehen uns eine Videokamera und interviewten uns gegenseitig. Mit Havannas im Mundwinkel meditierten wir ueber die Zukunft der Welt und der Geschlechter. Guenter bestand darauf, zum Bundeskanzler gewaehlt zu werden. "Du wirst nicht lange Kanzler bleiben", erwiderte ich, "ich werde gegen dich putschen." Dann verlangte ich ein Fahrrad. Waehrend ich freihaendig die abschuessige Wiese vor dem Haus herunterrollte, rief ich die Revolution aus. Als ich ins Rutschen kam und schliesslich am Boden lag, kicherten wir wie Kinder und konnten uns nicht beruhigen. Der Film, dieser Fehltritt, verstaubt heute irgendwo in seinen Regalen. In der dunklen Jahreszeit fuehrten wir lange, melancholische Gespraeche in der Kueche meiner Wohngemeinschaft oder in seinem grossen, fensterlosen Schlafzimmer, wo er kleine, seltene Pflanzen in einem Terrarium zuechtete. Das Ende unserer Freundschaft kam ungefaehr ein Jahr nach meiner Trennung von Ingrid. Ich hatte ein kurzes, trauriges Verhaeltnis mit seiner Schwester, die sich von ihrem Verlobten getrennt hatte und die Maenner aus Guenters Bekanntenkreis ausprobierte. Danach zog er sich voellig von mir zurueck und kraenkte mich mit Bemerkungen wie der, dass er nur noch in die Stresemannstrasse komme, um Heidi irgendwie zu verletzen. Hierauf habe ich ihn hinausgeworfen und bin ihm seither nicht mehr begegnet. Ich habe nie wieder einen Freund wie ihn gefunden. Abgesehen vom Sex mit Ingrid war er das beste, was mir jene Zeit zwischen 20 und 30 gegeben hat. 2. Ich war damals Mitte 20 und jobbte als Aushilfslehrer an einer Schule in Bahrenfeld - eine dieser nichtssagenden Lehranstalten, wo Hase und Igel einander gute Nacht sagen. Die Lehrerschaft bewegte sich im Mittel auf die 40 zu, ein Alter, in dem sich die meisten Menschen, und zumal deutsche Studienraete, geistig zur Ruhe setzen. Ich nahm die Arbeit nicht sonderlich ernst. Indem ich meinen Primanern ein modernes Bild der Physik vermittelte, hielt ich mich nicht an den Lehrplan. Da ich schulische Leistung verachtete, gab ich allen Schuelern am Jahresende die Note 'sehr gut'. Der Schulleitung, die mich daran hindern wollte, kam ich frech; denn ich war jung und hatte Kraft und Lust zu streiten. Ich bestand auf meiner Notengebung. Konsequenterweise wurde ich im naechsten Schuljahr nicht weiterbeschaeftigt. Da man sich beeilte, mein Verhalten hoeheren Ortes bekannt zu machen, habe ich seit damals als Lehrer in Hamburg keine Chance mehr. Eine Akte mit meinem 'Schandtaten' verstaubt in irgendeinem Regal in der Hamburger Kulturbehoerde, zur allfaelligen Benutzung, falls ich mich jemals dort bewerben sollte. Mir kann's recht sein. Mein Trachten ging nie dahin, Anderen Weisheiten, Kenntnisse oder Ueberzeugungen einzupauken. Lieber vertraue ich mich meinen Tagebuechern und Festplatten an und hoffe, dass spaetere Generationen auf sie aufmerksam werden. Ich stelle mir vor, wie einer meiner Nachkommen - Leseratte wie ich - sie in alten Kisten findet. Er wird sich in die Notizen, Aufsaetze und Prosa vertiefen; und vielleicht werden sie seine eigenen Texte befruchten. Er wird verstehen, was ich ueber die fuenfte Dimension schrieb, die die Utopie ist, und die Ewigkeit. Mein Ausflug in die paedagogischen Gefilde hatte einen Aspekt, den ich bei meiner derzeitigen Taetigkeit vermisse - den weiblichen. In meinem Beruf sind Frauen die Minderheit, bei Schuelern und Lehrern halten sie sich dagegen mit den Maennern die Waage. Leider verlieren Frauen ueber 40, auch Lehrerinnen, den Reiz der Fruchtbarkeit, fuer den mein Testosteron einen hoeheren Sinn hat. Nach einem kurzen Studium der Figuren und Physiognomien hielt ich mich an die Schuelerinnen, deren pubertaere Unmittelbarkeit mich faszinierte. Ich bin sehr vorsichtig zu Werke gegangen: wie jeder Paedagoge muss auch ein junger Aushilfslehrer darauf achten, sich seinen Schuelerinnen nicht in unrechtmaessiger Weise zu naehern. Das liess mir wenig Spielraum, und ich habe wegen meiner Vorsicht schliesslich nie von diesem Wein getrunken. An der Schule gab es ein mittelgrosses Spiegelteleskop, das ich mir auslieh, um mit der Klasse abends die Sterne zu studieren. Eines Freitagnachmittags lud ich die Rohre, Stangen und Stative mit Guenters Hilfe in den Kofferraum meines alten Opel. Wir hofften, dass keine Schraube fehlte und es sich im Dunkeln zusammenbauen liess. Schliesslich standen wir mit unserem montierten Teleskop gluecklich auf einem weiten dunklen Feld. Die Sterne leuchteten. Die Schueler gesellten sich dazu. Sie standen in kleinen Gruppen, die Maedchen etwas abseits und kaum gegen den Nachthimmel zu erkennen. Waehrend Guenter und ich einen nach dem anderen am Refraktor vorbeilotsten, warteten wir auf eine Gelegenheit. Doch die Nachtluft war kuehl und der Kosmos abweisend. Die Schueler langweilten sich. Ich stellte fest, dass Teleskope nicht der richtige Weg sind, um mit jungen Maedchen ins Gespaech zu kommen. Es wurde Mai. Das Schuljahr ging zu Ende. Bald wuerde ich aller Lehrerverantwortung ledig sein und hemmungslos Schuelerinnen vernaschen koennen. - Doch leider, ich bin kein Casanova, und wie man sehen wird, kam auch noch Anderes dazwischen. Zuerst lud ich meine Klasse zu einer Party ein, die ein Kommilitone, mit dem ich gut bekannt war, weil er am gleichen Institut seine Doktorarbeit schrieb, in seiner geraeumigen Wohnung in Eppendorf feiern wollte. Er hatte mich bestuermt, die Schuelerinnen herzubitten, da er die Schoenheiten, von denen ich schwaermte, gern selber kennenlernen wollte. Karsten lebte in einer '2er WG', zusammen mit Robert, einem gutaussehenden Jurastudenten, der auf mehreren Feuern kochte und sich nicht entschliessen konnte, mit einer seiner Freundinnen zusammen zu ziehen. Ich werde nie verstehen, wie es Robert und wenige andere Glueckspilze erreichen, dass sie staendig angerufen und belagert werden und Dutzende gebrochener Herzen ihrem Weg saeumen. Mir schwant, dass sie aus Worten und aus Schoenheit und Ausstrahlung unbekannte Zaubertraenke mischen, die sie den Frauen verabreichen. Seine derzeitige Favoritin kam aus Marburg und war so versessen auf ihn, dass sie jedes Wochenende in Hamburg antanzte - eine aeusserst bequeme Situation, da er sich unter der Woche mit anderen Gespielinnen amuesieren konnte. Warum die Hessin trotzdem bei ihm blieb? Ich weiss es nicht. Sie war so fraulich und begehrenswert, dass ihr alle zu Fuessen lagen. Nur ein Wort, und sie haette jeden von uns haben koennen. Doch sie wollte Robert und sonst niemand. Karsten dagegen litt, wie der Rest von uns, an der verbreiteten Krankheit akuten Frauenmangels. Obwohl sportlich und interessant, ein quirliger Typ, mit dem sich niemand je langweilen wuerde, fand er keine Partnerin fuers Zusammenleben. Sein Fehler war vielleicht, dass er nur huebsche Frauen in Betracht zog. Seine letzte Freundin, eine unglaublich schoene 20jaehrige, hatte ihn wegen eines Zahnarztes und Tenniscracks verlassen, von dem sie sich bald darauf schwaengern liess - fuer Karsten eine Schmach ohnegleichen. Attraktive Frauen haben einfach zuviele Moeglichkeiten ... Alle zwei Monate liessen die beiden so unterschiedlich erfolgreichen Maenner eine riesige Fete steigen, mit Musik und Alkohol und Dutzenden von Gaesten, hauptsaechlich Twens und Studenten der hoeheren Semester. An Weiblichkeit herrschte kein Mangel, da Robert ein weites Umfeld von Frauenbekanntschaften hatte (das sich fuer seine Freunde leider als nicht weit genug erwies). Voller Hoffnung warteten wir an jenem Abend auf die jungen Maedchen, meine Schuelerinnen, die in hellen Scharen Karstens Wohnung stuermen sollten. Wie gross war unsere Enttaeuschung, als nicht eine von ihnen sich auf der Party blicken liess und nur ein paar der Jungen sich zu uns verirrten. Es war 9 Uhr 30 vorbei, als sich ein aufgebrachter Karsten mir mit anklagender Miene zugesellte und raunte, er fuehle sich betrogen. Auf die pubertierenden Buerschchen koenne er gut und gerne verzichten! Ich konnte seine Gefuehle gut nachempfinden und verzieh ihm die Ruppigkeit. Nach seiner letzten Fete hatte ich ihn auf einem Sofa hemmungslos weinen sehen. Baeuchlings lag er da und schluchzte ins Kissen, waehrend wir, seine verkaterten Freunde, die Wohnung aufraeumten. Um es vorwegzunehmen: an diesem Abend im Mai ist er wieder leer ausgegangen. Erst ungefaehr zwei Jahre spaeter, nach einer langen Durststrecke, hat er gluecklich eine neue Freundin gefunden. Am Nachmittag vor der Fete war ich mit meiner Schwester in Worpswede gewesen, einem Dorf unweit von Bremen, das in den 20er Jahren als Landflucht progressiver Kuenstler bekannt geworden und mit seinem idyllischen Ambiente zu einer Erwaehnung in allen Reisefuehrern gekommen ist. Es war ein schoener Maientag, mit reichlich blauem Himmel und Schaefchenwolken, mit Reetdachhaeusern voller impressionistischer Gartengemaelde, mit Birken- und Buchenalleen und viel Schilf an Seen, Fluessen und Kanaelen. Und nun sollte er so frustrierend fuer mich enden? Um 10 waren die meisten meiner Schueler wieder fort - sie haben wohl instinktiv gespuert, wie unerwuenscht sie dem Gastgeber waren. Die Party aber steuerte ihrem Hoehepunkt zu. Staendig stroemten neue Gaeste in die Wohnung und diffundierten in alle Raeume. Eine Altbauwohnung in Eppendorf ist fuer Feten wie geschaffen: Bereits der marmorierte Hausflur schafft eine feierliche Empfangsathmosphaere. Die Zimmer sind gross und mit Eichenparkett ausgelegt, auf dem die Patina gehobener Ansprueche liegt. Jeder Raum laesst sich nach Belieben umgestalten, indem man einzelne Moebelstuecke kurzerhand beiseite schiebt. So gab es eine Tanzhalle (in Karstens grossem Arbeitszimmer), einen Sitz-, Schwatz- und Stehpartyraum (in Roberts grossem Schlafzimmer) und zum Essen die grosse Wohnkueche mit Salaten und Getraenken. In der Kleiderkammer, die reichlich Platz fuer 4 Wandschraenke und ein breites Bett bot, stapelten sich die Jacken und Pullover der Partygaeste. Ich schaetze, dass am Ende mehr als 100 Besucher in der Wohnung waren - von denen ich hoechstens ein Viertel kannte. Waehrend die meisten gerade in Fahrt kamen, fand ich mich mit dem Los des Losers ab, fuer den sich nicht mal ein paar Pipi-Maedchen interessierten. Ich war in einer merkwuerdig schwebenden Stimmung und fuehlte mich melancholisch und ausgeschlossen wie ein Fremder von einem anderen Stern. Nach dem Essen war in Roberts Zimmer kein Platz zu finden. Daher sass ich verdrossen auf einem unbequemen Stuhl am Rande der Tanzflaeche. Waehrend ich gelegentliche Belanglosigkeiten mit meinem ebenso ungluecklichen Stuhlnachbarn wechselte, beobachteten wir ein paar mehr oder weniger attraktive Frauen, von denen einige allein und andere mit Partnern tanzten. Die Zeit verging. Das Gehopse und Geschunkle, das Gestikulieren und die laute Musik interessierten mich schon lange nicht mehr. Ich ging noch einmal hinueber ins andere Zimmer und quetschte mich auf ein Sitzkissen. Eben wollte ich die Beine ausstrecken und mich entspannt zuruecklehnen, da trat eine Frau herein. Sie schwankte ein wenig; denn sie hatte getrunken, und sie schwenkte ein leeres Weinglas, um ihre Bewegungen zu koordinieren. Dann rief sie, mit einer Stimme, die lautes Sprechen nicht gewohnt ist: "Gibt es denn hier niemanden, der tanzen will?" Ihr Blick fiel auf mich - vielleicht weil ich vorn sass und sie beobachtete, waehrend die Meisten sich unterhielten. Ich wurde ziemlich nervoes. Immer wenn ich eine begehrenswerte Frau treffe, befaellt meine Stimme ein leichtes kaum merkliches Zittern. Die Haende werden feucht und Verlangen verdraengt den Verstand. Mein Herz macht Huepfer und unter dem Bauchnabel zieht sich das Zwerchfell zusammen. Nur nach aussen bleibe ich cool. Jetzt fuhr durch die Nebel meines Bewusstseins ein einziger klarer Gedanke: "Von allen auf der Party ist das die, mit der ich am liebsten schlafen wuerde!" und ich antwortete ueber die Geraeuschkulisse hinweg: "Ich wuerde schon tanzen ..." Obwohl sie meine Antwort registriert und mir zugenickt hatte, verliess sie befremdlicherweise das Zimmer. "So what?" dachte ich und zuckte innerlich mit den Schultern. Ich folgte ihr nicht. Nach einiger Zeit kam sie zurueck, beugte sich zu mir herunter und fragte, ob mir meine Antwort ernst gewesen sei. Sie sprach so leise und unsicher, als koenne sie nicht glauben, dass jemand mit ihr tanzen oder sich ueberhaupt mit ihr abgeben wolle. Ihre Hilflosigkeit loeste bei mir eine unbestimmte Zaertlichkeit und Sehnsucht aus und ruehrten an meine Beschuetzerinstinkte. Wir begaben uns auf die Tanzflaeche und tappten ein bisschen herum. Da sie der Alkohol schwindelte, lehnte sie sich an mich und bald tanzten wir eng aneinander gedraengt. Ich spuerte ihren Busen, den ich unter dem engen weissen T-Shirt schon vorher wahrgenommen hatte, und bekam vor Begierde ganz weiche Kniee. Schlug jetzt die Stunde der Verfuehrung, die jeder in meiner Lage kaum erwarten kann und der er sich doch nicht gewachsen fuehlt? Aber ich fing mich wieder, und als ich begann, mit der Hand ueber ihren Ruecken zu streicheln, sagte sie geschaeftsmaessig: "Ich muss dir sagen, dass ich verheiratet bin." Das weckte mich aus meinen Traeumen. Ich stoehnte innerlich vor Enttaeuschung und meine Haltung versteifte sich. Sie bemerkte die Irritation und nahm meine Hand. Uebergangslos sagte sie: "Ach komm" und zog mich von der Tanzflaeche, in einen dunklen toten Winkel des schlecht beleuchteten Raumes. Mein Gewissen knierschte wie ein verrostetes Scharnier, aber der Trieb war zu stark. Ich dachte: "Andere haben die schoensten Frauen zuhause und ich habe gar nichts", und entschuldigte damit dies und alles folgende Fehlverhalten. Es gibt im Leben eines Mannes seltene Momente vollkommenen Gluecks, wenn eine Frau, die ihm wirklich gefaellt, die Augen auf ihn richtet und ihn nicht wieder los laesst. Wenn sie seinen Blick noch und nochmal gierig erwidert, schmilzt er dahin wie Butter in der Sonne. Riesige Brecher ploetzlich aufflammender Leidenschaft branden in immer neuen Wellen gnadenlos ueber ihn hinweg. Ueberwaeltigen ihn. Zuerst ist er trunken und taumelt vor Freude, dann bricht ein Raketenfeuer los, in dem immer neue Treibsaetze gezuendet werden und das ihn ins Weltall katapultiert, weit zu den Sternen. So empfand ich diese Minuten. Ich waehnte, zwei verwandte Seelen haetten sich getroffen, die mehr ineinander sahen als das Geschlecht des anderen. (Klingt gut! Aber wer nimmt mir das ab?) Ich dachte: "Wenn ich sie auf ewig so festhalten koennte!" Wir lagen zusammen auf einem schmalen, rotbraunen Sofa. Voller Wollust beruehrte und streichelte ich ihren. Noch mehr als dieser aber erregten mich ihre leidenschaftlichen Reaktionen. Wir kuessten uns wie wilde, verdurstende Tiere. Vergessen all die Schuelerinnen! Vergessen das Elend frustrierender Frau-loser Wochen und Monate! Vergessen alle Zweifel an meiner Verfuehrungskunst, vergessen, alles vergessen! Endlich eine Party, in der die Post abging! Ingrid war Ende 20 und neu in Hamburg. Sie und ihr Mann Ulrich waren alte Bekannte Karstens aus Muensteraner Studententagen und gegen 9 gemeinsam in seiner Wohnung erschienen. In ihrer Ehe waren sie sich so fremd geworden, dass sie sofort auseinanderstrebten, um die Fete wie Singles zu erleben. Als wir aus den Tiefen der Lust emportauchten, geschah alles ganz zwangslaeufig. Ich sah sie an. Ihre Augen schimmerten unter langen Wimpern und sie sagte: "Ich will jetzt mit dir schlafen." Mir ging es genauso. Trotzdem haette ich die Sache lieber verschoben, da ich selten uebereilte Entschluesse fasse und den Ehemann im Nebenzimmer und nichts ueber seine Aggressionsbereitschaft wusste. Schliesslich liess sich der Hinweis, sie sei verheiratet, auch als Warnung vor Ulrich auffassen. Sie wollte jedoch unter keinen Umstaenden auf ihre Triebabfuhr verzichten. Ich habe mehrfach bei Frauen erlebt, dass man sie in ihrer Begierde gefangen halten kann, wenn die Erregung einen kritischen Punkt ueberschreitet. In solchen Momenten kann sich der Mann ein gleichsam distanziertes Verhaeltnis zum weiblichen Draengen erlauben, ohne befuerchten zu muessen, dass ihm ihre Vagina entgeht. Fieberhaft und ohne Skrupel erwog sie die Moeglichkeiten. Da fielen ihr die Kleiderkammer und das Gaestebett ein. Mit gesenkten Koepfen schlichen wir durch den leeren Wohnungsflur. Die Kammer war so voller Jacken und Pullover, dass man sich kaum bewegen konnte. In der Tuer steckte innen ein Schluessel, den ich kurzerhand umdrehte. Wir hofften instaendig, dass niemand kaeme; jedes Klopfen oder Hantieren an der Klinke - ganz zu schweigen von einem Ehemann, der sich gewaltsam Zutritt verschafft - wuerde unsere Befriedigung mindern. Hastig raeumten wir das Bett frei und fielen, ohne uns um das sonstige Durcheinander zu kuemmern, uebereinander her. Ich zerrte an den engen Jeans, die sich mehr zierten als die Frau, die in ihnen steckte, dann streifte ich ihren Slip ab, waehrend sie sich am Guertel meiner Hose zu schaffen machte, die mir zusammen mit der Unterhose auf die Knie rutschte. Nach einem kurzen Blick auf die nur noch mit einem T-Shirt bekleidete Eva und ihren herrlischen Unterleib warf ich mich auf sie und drang hemmungslos in sie ein. Ich kam fast sofort. Ich entleerte mich in ihr. Alles, was sich wochenlang in Hirn und Hoden aufgestaut hatte, floss aus mir heraus. Ich kuesste ihren Hals, ihre breiten, weichen Lippen und knetete abwechselnd und in schneller Folge Hintern und Brueste, an deren direkter Beruehrung mich der Stoff ihrer Bluse hinderte, bis ich sie kurzerhand hochschob. Die schiere Groesse ihres Busens (ich liebe grosse Brueste ueber alles) ueberwaeltigte mich, stachelte meine Leidenschaft immer wieder an. Ich kam zum zweiten- und schliesslich - atemlos - zum dritten Mal. Ich glaube, dass Ingrid mein unstillbares Verlangen dieses Abends wie eine Trophaee fuer immer bei sich tragen wird. Nach dem Verkehr rollte ich mich von ihr ab, stand auf und knoepfte scheinbar emotionslos die Hose zu. Leicht benommen nahmen wir mit einem fluechtigen Kuss Abschied. Da mir der Ehemann nicht ueber den Weg laufen sollte, verliess ich unverzueglich die Party, indem ich mich durch die Wohnungstuer davon machte, die von der Kleiderkammer in drei Schritten zu erreichen ist. Wenn Ingrid mich wiedersehen wollte, wuerde sie meine Nummer von Karsten erfahren. Trotz aller Vorsicht hatten wir bei mehreren Gaesten mit unserer Knutscherei Aufmerksamkeit erregt, und Ulrich bekam im Laufe des Abends anzuegliche Bemerkungen ueber verschaerftes Flirten von Ehefrauen zu hoeren. Die Vorwuerfe, die er Ingrid daraufhin machte, liessen sie voellig kalt. Sie hat mir spaeter gesagt, dass ihr nichts mehr wehgetan haette als das Gefuehl des Verlassenseins, waehrend sie aus der Kammer allein in die lauten Partyraeume zurueckkehrte. Die Wirkung des Alkohols war verflogen, und die droehnenden Schlager und nichtssagenden Gespraeche schienen ihr voellig banal. Grenzenlose Sehnsucht - nach mir! - machte sich in ihr breit, und ihre Gedanken drehten sich um Fragen von der Art "Werde ich ihn wiedersehen?" und "Hat er ueberhaupt noch Interesse an mir, nachdem ich so leicht zu haben war?". Unterdessen sass ich im Auto. Ich nahm mir Zeit, bevor ich den Motor anwarf. Ich zitterte vor Aufregung und Glueck und wurde von einem seltsamen Gefuehlswirrwarr bestuermt. Ich fuehlte mich befriedigt und zugleich verbrannt, befreit wie melancholisch. Um von keinem Bekannten gesehen zu werden, fuhr ich schliesslich ein paar hundert Meter die Strasse hinunter. Ich stoppte den Motor, schloss die Augen und bedachte den Vorgang. Die Entscheidung, ob wir uns wiedersehen wuerden, blieb ihr ueberlassen. Ich brauchte im Moment nur auf ihren Anruf zu warten; das war eigentlich sehr bequem. Ich hatte Sorgen genug mit meinem Gewissen. Dann fuhr ich versonnen nach Hause - durch menschenleere Strassen und Gassen, die Lichter und Reflektionen der Nacht hatten einen besonderen Glanz, eine konzentrierte Naehe, als waere ich durch die Ereignisse in eine andere, intensivere Wirklichkeit katapultiert worden. Daheim ging ich sofort in mein Zimmer, loeschte das Licht und streckte mich auf das Schlaflager hin. Waehrend ich auf dem Ruecken lag und an die Zimmerdecke starrte, lauschte ich auf die Geraeusche der Umgebung und dachte ueber Ingrid nach. 3. Um der Wahrheit gerecht zu werden: die beschriebene Szene in der Kleiderkammer hat es nie gegeben, nur in meiner Fantasie hat sie sich abgespielt und geistert noch heute manchmal durch meine Gedanken, fast so, als habe sie sich tatsaechlich ereignet. Ausser ein paar Kuessen und Beruehrungen ist an jenem Abend nichts geschehen. Doch haben sie in Ingrid ein solches Verlangen ausgeloest, dass sie alle Hemmungen ueberwand, die eine Frau gewoehnlich daran hindern, einen mehr oder weniger Unbekannten anzurufen. Am Telefon sprach sie leise, schuechtern und voller Furcht, ich koenne zu abweisen. Wie aus weiter Ferne hoerte ich sie sagen, dass sie mich wiedersehen wolle. So sehr ich innerlich vor Zuneigung ueberstroemte, und allein ihre Stimme ein Herzflimmern bei mir ausloeste - wie wenn auf selten gespielten Saiten eine Schlagermelodie zum Klingen gebracht wird - so tat ich doch ganz neutral, ich wollte sie in diesem Stadium nicht mit Ueberschwenglichkeiten erschrecken. "Ja, gern", sagte ich nur und fragte, wann wir uns treffen sollten. Ihren Vorschlag, am Dienstag nachmittag, nach einer ihrer Vorlesungen, in einer entlegenen Ecke des Campus zusammen zu kommen, nahm ich sofort an. Fuer mich war es ein eher umstaendliches Rendezvous; ich musste zur Hauptverkehrszeit von meiner weit ausserhalb gelegenen Arbeitsstaette in die Hamburger City fahren, in die Grindelallee, wo die meisten Gebaeude und Hoersaele der Universitaet wie gebueckt und geschuetzt vor den Winden der See in einem Karree beieinanderliegen. Obendrein wuerde sie wenig Zeit fuer mich haben und alsbald nach Hause muessen. Doch ich haette alles Erdenkliche auf mich genommen, ich sehnte mich nach ihr und fuehlte mich mit ganzer Seele zu ihr hingezogen - wie ein Verdurstender zum Wasser, ein Ertrinkender ans Land oder wie ein Hungriger an die reich gedeckte Tafel, wenn ich auch nicht darueber nachzudenken wagte, in welche Richtung sich unsere Bekanntschaft entwickeln wuerde. 10 Minuten vor der Zeit stand ich ziemlich aufgeregt an der verabredeten Stelle. Eine frische Brise wehte ueber den Platz, den ich von meinem leicht erhoehten Standort gut ueberblicken konnte, und fegte am Himmel die Wolken vor der Sonne fort. Als sie aus der Drehtuer des Phil-Turms trat, einem ockerbraunen Hochhausblock, in dem man vor Jahren die widerstrebenden (weil aus ihren Jugendstilvillen vertriebenen) geisteswissenschaftlichen Fakultaeten zusammengepfercht hatte, und mit wehendem Rock auf mich zu schritt, freute sie sich sichtlich, mich schon in der Fruehjahrssonne wartend zu sehen. Waehrend des ganzen Seminars war sie unruhig auf der unbequemen Holzbank hin und her gerutscht und sich, je naeher das Ende heran rueckte, immer sicherer geworden, dass ich es mir anders ueberlegt hatte und die Verabredung nicht einhalten wuerde. Als sie mich dann doch in meinem windgeschuetzten Winkel entdeckt hatte, war ihr Herz fast stehengeblieben, und waehrend wir nun zu einem Brunnen schlenderten, wo man sich auf einer Steinplatte niederlassen und dem bunten Treiben auf dem Campus zusehen konnte, pulsierte es heftig. Um diese Stunde war man dort ziemlich allein - nur selten verirrte sich der Blick eines vorbeieilenden Studenten zu uns herueber - und hatten keine Schwierigkeiten, unseren intimen Kontakt fortzusetzen. Wir schauten uns an, die Augen vor Glueck und Verlangen geweitet, ich nahm ihre Haende und dann umarmte ich sie, und sie lehnte sich an mich, und es dauerte nicht lange, da kuesste ich ihren Mund, strich mit den Fingern ueber ihre Bluse und schliesslich, ich konnte nicht anders, fuhr ich ihr von oben in den BH. Ich wollte endlich ihre nackten Brueste beruehren. Als ich die Brustwarzen erreichte, seufzte sie auf. Nur die Furcht, irgendein Bekannter koenne uns entdecken, hielt uns davon ab, weiter zu machen. Wir liessen voneinander ab und besprachen, wann und wo wir uns eingehend und unbeobachtet miteinander beschaeftigen konnten. "Ich moechte mich mal richtig ungestoert mit dir unterhalten", sagte ich, und sie hauchte: "Ich auch". Wir verabredeten uns Freitag Vormittag um 9 Uhr 30 in meiner Wohnung und wussten beide, oder erwarteten jedenfalls, dass wir uns dort lieben wuerden. Ihr Freitags-seminar, meinte sie, koenne sie unbedenklich ausfallen lassen, ohne das Pensum des laufenden Semesters zu versaeumen. Es ist ein beneidenswerter - und nicht der einzige! - Vorzug des Studentenlebens, dass man seine Arbeit ziemlich frei einteilen und der Liebe oder sonstigen Hobbies unterordnen kann. Von anderen Vorteilen, wie den langen Semesterferien, in denen man reisen kann, soweit die knappen Mittel tragen, ganz zu schweigen. Noch heute sehne ich mich, in Erinnerung an jene heitere Zeit der Jugend, nach dieser Art der Lebensfuehrung zurueck. Denn auch ich hatte keine Schwierigkeiten mit der vorgeschlagenen Stunde. Ich wuerde freitags eben erst mittags an dem wissenschaftlichen Institut erscheinen, wo ich promovierte, und bis zum Abend durch arbeiten. Als wir uns trennten, konnte ich mein Glueck nicht fassen. Ich wurde kaum Herr meiner Vorfreude, auch wenn gelegentliche leise Zweifel, ob sie den Termin einhalten oder Anstand oder Geringfuegigkeit der Empfindungen sie zu einem Sinneswandel veranlassen wuerden, meine Stimmung verfinsterten. Ich hielt es durchaus fuer moeglich, dass sie es sich anders ueberlegte und troestete mich mit dem Gedanken, dass ich mich an den Glanz ihrer Augen und die Fuelle ihres Busens auf jeden Fall zeitlebens erinnern wuerde. Ist es nichtswuerdig, wenn ich, seis in Neben- oder in Hauptsaetzen, die koerperliche Anziehungskraft immer wieder hervorhebe, die sie auf mich ausuebte? Doch in der fruehen Phase unserer Begegnung spielte das koerperliche Element die Hauptrolle. Jede Einzelheit, die ich wahrgenommen hatte, allein schon der Klang ihrer Stimme oder die Buchstaben ihres Namens versetzten mich in sexuelle Erregung. Natuerlich liebte ich auch ihr ganzes Wesen, soweit ich es bisher kennengelernt hatte, ihre Art zu sprechen und sich zu bewegen, wie sie sich benahm und kleidete, alles sogen meine Sinne in sich auf. Aber wir lernen den inneren Charakter eines Menschen immer zuletzt kennen, im Zentrum einer Liebe zwischen Mann und Frau stehen zuerst ihre Leiber ... und als ich abends allein im Bett lag, fiel mir nichts eiligeres ein, als mich selbst zu befriedigen. In den folgenden Tagen versuchte ich, den Gedanken an das bevorstehende Ereignis zu verdraengen, indem ich mich auf meine Arbeit konzentrierte. Anders als heute sicherte ich damals nicht in erster Linie mein Auskommen, sondern glaubte noch an den hoeheren Wert wissenschaftlicher Taetigkeit. Am Freitagmorgen ueberfiel mich gleich beim Aufwachen die Freude, sie wieder zu sehen, wie ein himmlischer Paukenschlag. Ich stand auf und versuchte, waehrend ich fruehstueckte, die Ruhe zu bewahren. Dann putzte ich mein Zimmer und, sobald die Anderen die Wohnung verlassen hatten, auch Kueche und Bad. Ich wollte einen guten Eindruck machen, obgleich mir klar war, dass sie mehr Wert auf Ordnung und Sauberkeit legte, als in unserer Wohngemeinschaft jemals moeglich sein wuerde. Schnell war es 9 Uhr 30, 32, 35. Im Treppenhaus hoerte ich Schritte, die sich aber wieder verliefen. Endlich, um viertel vor 10 klingelte es an der Wohnungstuer. Als ich aufmachte, stand Ingrid vor mir, mit einem schiefen Laecheln und so perfekt geschminkt und zurechtgemacht, wie es sich fuer eine wichtige Verabredung gehoert. Ich haette mir keine Sorgen um den Eindruck machen muessen, den die Wohnung auf sie machte. Sie war viel zu nervoes und besorgt ueber den Eindruck, den sie selber machte und entschuldigte sich zweimal fuer ihr Zuspaetkommen, es seien eben doch mehrere Stationen vom Dammtor, wo sie gewoehnlich aussteige, zum Holstenbahnhof. Ich bat sie herein und dirigierte sie zuerst in die Kueche. Scheu oder Scham hinderten mich, sie gleich in mein Zimmer zu fuehren, wo das Bett ihr sofort ins Auge springen musste. Dort kochte ich Tee. Ich meinte, so liessen sich Spannung und Hemmungen am schnellsten mildern, und begann ein unverfaengliches Gespraech ueber das Wetter. Ich wollte zu dieser fuer jeden Studenten so fruehen Stunde nicht gleich mit der Tuer ins Haus zu fallen. Waehrend wir tranken und uns ueber die Raender der Tassen ansahen, plagten sie aehnliche Zweifel, die mich in den letzten Tagen heimgesucht hatten, ich koenne es mir anders ueberlegt haben und sie um den Genuss bringen, von mir beschlafen zu werden. "Er trinkt so emotionslos seinen Tee, vielleicht bereut er unsere Verabredung und wartet nur auf den richtigen Moment, mich auf elegante Weise loszuwerden", dachte sie beklommen, waehrend sie meinen Blicken auswich, und wie kaelte Haende legte sich dieser Verdacht auf ihre Schultern. Doch dann richtete sie sich wieder auf. Schliesslich, selbst wenn es so waere, liess sich daran wohl nichts aendern. Ich wusste nicht, was in ihr vorging, doch bemerkte ich instinktiv, dass die Situation mir zu entgleiten drohte. Wir sassen wortlos da, Fremde, durch einen grossen Tisch voneinander getrennt und in der Hand heisse Teebecher, an denen wir uns festhielten. In meiner Hilflosigkeit fiel mir nichts besseres ein, als plump zu fragen, ob sie sich auf meinen Schoss setzen wolle. Damit loeste ich den Knoten. Ohne zu zoegern kam sie meiner Aufforderung nach, und die neue Aufstellung ermoeglichte uns verstaendlicherweise, einen viel intimeren Umgang zu pflegen. Nun konnten wir uns nach Herzenslust kuessen und beruehren, und ich spuerte, wie ihr Hintern sich gegen meine Schenkel drueckte. Nach kurzer Zeit waren wir beide so erregt, dass wir an nichts anderes denken konnten, als uns so schnell wie moeglich unserer Kleider zu entledigen und ins Bett zu huepfen, wo sich jetzt - leicht variiert - die oben beschriebene Kleiderkammerszene abspielte. Danach waren wir beide erschoepft und befriedigt; doch anders als bei manchen Begegnungen dieser Art fuehlten wir uns noch heftiger zueinander hingezogen als zuvor, und waehrend die Zeit voranschritt, unterhielten wir uns lange ueber toutes les monde, wir waren neugierig aufeinander, wie dies nur eben Verliebte sind, jeder trachtete zu wissen, wie der andere lebte und was ihn bewegte, unser Gespraech war ein breiter stetiger Fluss und brach erst ab, als Ingrid schliesslich gehen musste. Ihr Bus. Wir wollten beide unbedingt die Bekanntschaft fortsetzen, trafen uns jedoch, obwohl wir es vor Ungeduld kaum aushielten, erst eine Woche spaeter wieder - zur selben Uhrzeit, da unser Verhaeltnis vor ihrem Mann geheim bleiben sollte, wofuer nur das Freitag-Vormittag-Seminar in Frage kam, und am gleichen Ort, da wir befanden, dass meine Wohnung den idealen Rahmen fuer unsere Vergnuegungen abgab. Ich sollte nicht von 'Vergnuegungen' sprechen. Unsere Begegnungen waren mehr als das, sie waren das hoechste Glueck, ein Sinnestaumel ohnegleichen und die Befreiung zweier Seelen, die nur die Dunkelheit kannten, ans Licht. Wir trafen uns am naechsten und auch am uebernaechsten Freitag, und so weiter, und auf diese Weise wurden unsere Verabredungen eine feste Einrichtung, kostbare Institution unserer Wollust und verlaessliche Insel in einem Meer von Unsicherheit, das unsere Beziehung umgab. Mit jedem Mal wurden Begruessung und Umgang vertrauter und intensiver. Unsere Leidenschaft zu befriedigen war wie das Loeschen eines verzehrenden Feuers (ich weiss, es klingt abgedroschen). Sobald sie in mein Zimmer getreten war, umarmten und kuessten wir uns, und unsere Zungen umspielten sich, bis uns die Sinne vergingen, und sie schmolz vor Hunger, und das unbaendige Tier in meiner Hose gab keine Ruhe. Einmal fragte ich, ob ich sie ausziehen duerfe. Sie nickte und ich entkleidete sie ganz sacht und behutsam; ich nahm mir viel Zeit, ihre zarte Haut an allen moeglichen und unmoeglichen Stellen zu kuessen, und wir liessen uns an diesen herrlichen Tagen, denen ich heute voll Wehmut und Sehnsucht gedenke, doch sie sind vergangen und werden nie wiederkehren, solche Stunden erlebt man nur einmal im Leben oder gar nicht ... liessen uns bei allem viel Zeit. Niemals erniedrigten wir unsere Liebe zu einem kurzen schaebigen Fick. Zuerst knoepfte ich die Bluse auf, darunter kam ihr Buestenhalter zum Vorschein, eine geniale koerperfarbene Erfindung aus duennem glaenzenden Stretchmaterial, so weich wie die Haut, die dem Busen Halt gab, und die Brustwarzen nur um so deutlicher hervortreten liess. Ich konnte nicht widerstehen, umfasste beide Brueste von unten und wog sie vorsichtig. Zugleich rieb ich die Knospen zwischen Daumen und Zeigefinger, und waehrend unsere Muender sich beruehrten, spuerte ich, wie sie vor Lust halb wahnsinnig wurde. Schliesslich oeffnete ich den BH und liess ihn heruntergleiten, fuhr mit den Haenden mehrmals ueber den nackten Busen, beugte mich herab und leckte und lutschte an ihren Warzen. Dann wandte ich mich ihrer weinroten Cordhose zu. Ich oeffnete den Reissverschluss und wollte sie herunter ziehen, doch stellte ich fest, dass ich zuerst die Pumps abstreifen musste. Ich tat auch dies gewissenhaft ruhig und voll inniger Vorfreude. Inzwischen waren wir auf dem Boden gelandet, und ich zog ihr die Hose und zugleich Struempfe und Slip herunter, ich strich ueber die Innenseiten der Schenkel und glitt mit den Haenden zum Hintern hinauf, dem weiblich gerundeten, den ich intensiv streichelte. Nach diesem Vorspiel war sie offen und bereit und so feucht wie ein See, und mein Glied hart wie eine Bohrmaschine (wenn der Vergleich erlaubt ist), durch und durch steif, und waehrend ich langsam, ja bedaechtig, in sie eindrang, und sie mich aufforderte, sie vorzunehmen und zu bumsen, bis sie nicht mehr japsen koenne, empfand ich nichts als pure Lust. Erst spaeter, vor dem zweiten Orgasmus, waehrend ich mich ohne Eile in ihr bewegte, konzentrierten wir uns auf die anderen, die Liebesgefuehle, die wir fuer einander empfanden. Dabei lagen wir gewoehnlich auf der Seite, so dass wir uns ansehen konnten, waehrend unsere Haende sich fanden. Gelegentlich hielten wir inne, um in unseren Augen nach seltenen Empfindungen zu suchen oder liebevolle Sentenzen zu fluestern. Erst kurz vor dem Hoehepunkt, wenn die Lust uebermaechtig wurde, rollte ich sie herum, so dass sie auf den Ruecken lag, mit beiden Armen umschloss ich ihre Hueften, legte meine Haende auf die Pobacken und befriedigte mich an ihr in langen harten Stoessen. Dabei zoegerte ich den Samenerguss so lange als moeglich heraus, immer ein Stueck weiter ueber die Klippe, und sie hob die Beine und streckte mir ihren Unterleib entgegen, sie stoehnte und schrie, waehrend die Lust sie zum Hoehepunkt trieb. Diese Stellung war ihr die liebste, und wenn wir auch andere ausprobierten, von hinten oder sie auf mir sitzend mit Bruesten, die wie grosse Fruechte ueber meinen Mund hingen, kamen wir doch immer wieder darauf zurueck. Sie hatte die Angewohnheit, waehrend des Aktes leidenschaftlich zu stoehnen, was sich fuer Aussenstehende animalisch angehoert haben mag. Fuer mich waren es die schoensten Toene auf Erden, eine Offenbarung, welche mir ihre Erregung erschloss. Sie habe beim Verkehr mit anderen Maennern nie derartiges von sich gegeben, versicherte sie und unterstrich damit das Besondere ihrer Gefuehle. Nachdem wir uns zweimal geliebt hatten, ging sie zur Toilette, und als sie zurueckkam, bat ich sie, eine Sekunde stehen zu bleiben, ich wollte den Anblick des nackten Koerpers in mich aufnehmen und fuer immer im Kokon meiner Erinnerungen verwahren; schliesslich konnte ich nach Lage der Dinge nicht wissen, wie oft ich ihn zu sehen bekommen wuerde. Spaeter, als wir uns besser kannten, erzaehlte sie mir, sie haette schon an jenen ersten Freitagen alles fuer mich getan, bereit, die abartigsten Forderungen zu erfuellen, auf jede noch so ausgefallene Perversion einzugehen; sie sei aber dieser Bitte nur zoegernd nachgekommen, da sie fuerchtete, dass ihr Koerper mir missfallen, dass irgendein Makel meine Leidenschaft schwaechen oder gar abtoeten koennte. Gewoehnlich setzten wir uns nach dem Hoehepunkt aufrecht nebeneinder aufs Bett, lehnten ruecklings an der kuehlen Wand und sprachen ueber alles, was uns durch den Kopf ging. Kunst, und besonders Literatur, war unser Lieblingsthema. Ich weiss nicht mehr genau, welche Autoren und Prosawerke wir auf diese Weise durchnahmen, eigentlich sprachen wir ueber alle, die Gebrueder Mann, Sartre und Beauvoir, Beckett und Voltaire, die Schwestern Bronte, ueber Hoelderlin und Stendhals 'Rot und Schwarz', Flaubert und Fitzgerald, ueber alles, was Literaturenthusiasten in den Sinn kommt. Manches, vor allem Stendhal, habe ich damals anders gelesen und verstanden als heute. Die Rezeption eines Romans haengt mindestens ebenso sehr vom Alter wie vom Charakter und den Interessen des Lesers ab. Und noch weiter: nicht nur unsere Gefuehle, auch Vernunft und Moral und das ganze intellektuelle Schema, nach dem wir ein Kunstwerk beurteilen, sind altersabhaegig. Ein ungluecklicher Leser, der den richtigen Zeitpunkt verpasst! Er wird das Buch nie verstehen und nur totes nichtssagendes Geschreibsel finden, wo juengere Zeitgenossen in berauschte Ekstase verfallen. Ich moechte nachdruecklich betonen, dass ich unseren nach-koitalen Gespraechen denselben, wenn nicht groesseren Wert, beimesse als dem Koitus selbst. Dennoch fuerchte ich, triebgesteuerte Leser koennten meinen, dass wir mit dem schoengeistigen Geplauder nur die Leere zwischen dem Eigentlichen, dem Sexuellen, ueberbrueckten. Und tatsaechlich spielte der Eros in unseren Gespraechen eine wichtige Rolle. Ingrid wuerde zum Beispiel unvermittelt kichern, und eine Bemerkung von Camus ueber das Wesen oeffentlicher Beduerfnisanstalten zum Anlass nehmen, zu zitieren, was sie auf verschiedenen Damentoiletten gelesen und sich eingepraegt hatte - "Lang und schmal, der Frauen Qual, kurz und dick, der Frauen Glueck", um nur ein, wenngleich extremes, Beispiel zu nennen - und in diesem Zusammenhang mein steifes Dingsda loben und allen Ernstes erklaeren, seit sie mich kenne, koenne sie den zweiten Teil dieses Mottos voll und ganz bestaetigen. Ja, sie hatte es faustdick hinter den Ohren und konnte den Maennern ganz schoen Honig ins Maul schmieren. Eines Abends fand ich folgende Notiz in meinem Briefkasten: "Morgen nachmittag finden mehrere Sonderveranstaltungen und Vorlesungen ueber Jack Kerouac und die Beatnik-Literatur statt, im Phil-Turm, Hoersaal B, ab 16 Uhr 15. Hast Du Lust, mich dort zu treffen?" Natuerlich ging ich hin, ich interessierte mich brennend fuer alles, was sie beschaeftigte. Wir sassen dann haendchenhaltend in dem grossen Hoersaal, zusammen mit einem Dutzend anderer Liebhaber der amerikanischen Literatur und lauschten den bedaechtigen Worten eines spindelduerren Dozenten, Kenners und Verehrers des toten Dichters, und ich ueberlegte, wie der rebellische Kerouac sich fuehlte als Fixstern am Himmel der Literaturgeschichte, und vielgepriesen von trockenen Aestheten. Ingrid hat im Spaetsommer Geburtstag, also erst am Ende des Semesters. Trotzdem ueberlegte ich mir schon jetzt, ihr eine bestimmte antiquarische Ausgabe der 'Frau von 30 Jahren' zu schenken. Balzac ist fuer mich ein zeitloser, in vielem sogar ein moderner Autor, und ich fand, dass seine Charakterbeschreibung, so weit sie auch zurueckliegt, in manchem auf meine Geliebte zutraf. In Gedanken beschaeftigte ich mich gern mit ihrem innerem Wesen und nahm jede Inspiration begeistert auf, die mir neue Raeume auf diesem Feld eroeffnete. Eines Freitags musste ich fruehmorgens - der Termin liess sich nicht verschieben - zum Bezirksamt Altona, das unweit der Elbe an der Palmaille gelegen ist. Es ist in einer ehemaligen Residenz untergebracht, die wie der Regierungssitz eines Operettenstaates aussieht, und von der Stresemannstrasse schnell zu erreichen. Man nimmt einfach den 115er Bus, der die Max-Brauer-Allee herunterfaehrt. Am Donnerstag rief ich sie an und fragte, ob sie in meiner WG auf mich warten wolle. Dann bat ich Werner, ihr aufzumachen, sobald sie klingelte. Als ich zurueck kam, sass sie ueber meine Tagebuecher und Aufzeichnungen gebeugt, und anschliessend diskutierten wir stundenlang, nicht nur ueber die letzten Eintragungen, die sich hauptsaechlich mit ihr beschaeftigten, sondern auch ueber die Gedichte und Anschauungen, die dort niedergelegt sind. Was sie ueber meine fruehere Freundin fand, hat ihr allerdings weniger gefallen; obwohl laengst erloschen, loesten die beschriebenen Gefuehle hilflose Eifersucht aus. Nach meiner Meinung beweist dies alles zu genuege, dass unsere Zuneigung ernsthafter Natur war und sogar weiterging als bei vielen anderen Liebespaaren. Unter den Frauen, mit denen ich geschlafen habe, war es mit ihr am schoensten. Der Liebesakt war von Anfang an vollkommen; ohne Vorbehalte oder Verkrampfungen liessen wir uns ineinander fallen, so, als haetten unsere Koerper schon lange auf diese Verschmelzung gewartet. Zum Teil hing das sicher damit zusammen, dass wir uns immer vormittags trafen. Zu dieser Stunde sind Koerper und Geist leistungsbereit und besonders empfindsam. Die Welt wird als helles Ensemble von Objekten erlebt, an denen der Mensch seine Kraft erprobt. Jeder Beischlaf, der nach einer abendlichen Kulturveranstaltung oder wohl gar einer Zechtour stattfindet, muss dagegen zurueckfallen. Der Hauptgrund aber, warum ich so gern mir ihr geschlafen habe, waren natuerlich die Gefuehle, die Leidenschaft, die zaertliche Liebe und die innige Zuneigung, die ich fuer sie hegte. Sie machten den Geschlechtsakt mit ihr jedesmal aufs neue unvergleichlich. Ich behaupte sogar, sie waren so stark, dass ich mich auch ohne Sex unsterblich in sie verliebt haette. Grosse Empfindungen, gewiss. Zu gross, um auf Dauer gluecklich zu werden? Nein! Denn waehrend all dieser Wochen befand ich mich in einem seltsamen Zustand vollkommener Ruhe und Ausgeglichenheit. Ingrid signalisierte mir von Anfang an, ich sei fuer sie das Mass aller Dinge und der Mittelpunkt der Welt, und bescherte mir damit einen Seelenfrieden, wie man nur aus Kindertagen kennt. Sie gab mir so viel! Ich habe nie vorher in meinem Leben und nie nachher bedingungslos so viel geschenkt bekommen. Wozu sollte ich mir Sorgen machen, da die Zukunft unserer Affaere sowieso nicht in meiner Hand lag? Nimm alles, was sie zu geben bereit ist und mach dir keine unnuetzen Gedanken! So dachte ich damals - und wahrlich, ich hatte recht damit. Unsere Rendesvous waren die Hoehepunkte der Woche. Wir sehnten uns staendig nacheinander. Doch da sie mir ihre Liebe, und ich ihr die meine, so deutlich und immer aufs neue bestaetigte, zweifelte ich nie am Fortbestand unseres Arrangements und lebte auch zwischen den Freitagen in vollkommener Harmonie mit der Welt. Ich arbeitete damals wie ein Besessener - sogar an den Wochenenden traf man mich im Buero - ohne doch jemals erschoepft zu sein, und wenn ich gelegentlich den Kopf vom Schreibtisch hob und aus dem Fenster in die Ferne blickte, schien ueber allem ein hellrosa Himmel zu haengen. Ich dachte an Ingrid, und eine tiefe Zufriedenheit - ueber alles, was ich bekommen hatte und niemand mir je wuerde nehmen koennen - breitete sich in mir aus. Natuerlich bemerkte meine Umgebung die Veraenderung. Die Eingeweihten dachten sich ihren Teil, waehrend die Unwissenden ueber meine ungewohnt lebensbejahende Gemuetsverfassung und fortwaehrend gute Laune raetselten. Unter allen Freunden habe ich Guenter, mit dem ich damals viel Zeit verbrachte, am meisten von meinem Glueck erzaehlt. Nicht selten sass ich abends traege, satt und zufrieden bei ihm zu Hause. Neidlos verzeichnete er meinen Zustand und befand, die Stimmung koenne mir nur guttun, ich haette Liebe und Sex schon viel zu lange entbehrt und solle geniessen, was das Leben mir biete. Die Sommerwochen glitten dahin, und mit ihnen die Freitage. Eines Morgens hatte Heidi Ingrid im Flur unserer Wohngemeinschaft kennengelernt, und nannte sie seither - nicht ohne eine Spur von Eifersucht und ihre Verfuegbarkeit charakterisierend - 'deine Freitagsmieze'. Sie selber hatte in jenen Zeit eine unglueckliche Affaere mit einem dunkelhaarigen Programmierer, mit dem sie gern zusammengeblieben waere, der sie nach unser aller Meinung jedoch nur ausnutzte. Bei Gespraechen in der WG hatte ich ihn Bello getauft, in einem Anflug von Neid auf seinen Erfolg, und weil mich sein grosser Schnautzer an einen Hund erinnerte. Meine Beziehung zu Heidi ist immer ambivalent gewesen. Ich habe ihre Eitelkeit gehasst und den Hochmut, mit dem sie auch freundliche Bewunderer und Bewerber behandelte, habe die Wurstigkeit verachtet, mit der sie ihre WG-Pflichten erfuellte, und fuehlte mich zugleich durch ihr ansonsten herzliches Wesen und ihre erotische Ausstrahlung angezogen (jedenfalls bis ich Ingrid kennenlernte). Vor Jahr und Tag hatte ich mit ihr geschlafen; jedoch, kaum dass der Liebesakt vorbei war, hatte sie bereut, sich ueberhaupt mit mir eingelassen zu haben, und mir missmutig mangelnde Fertigkeit vorgeworfen; hatte genoergelt, dass ich zu schnell gekommen sei und mich dadurch so verunsichert, dass ich beim zweiten Versuch tatsaechlich die Kontrolle verlor. Der Verkehr mit Ingrid war ganz anders. Ihre Bewunderung und Liebe machten mich zu einem wahrhaft souveraenen Liebhaber. Ich bildete mir ein, dass sie oft und lange beschlafen werden wollte, und wurde durch andauernden Erfolg bestaetigt. Dabei war sie so verliebt in mich, dass sie jedem Wunsch nachgekommen und jede Art von Sex mit mir praktiziert haette - wie Monica Lewinsky alles fuer ihren Praesidenten getan hat. In ihrem Gefuehlsueberschwang waere sie bereits gluecklich gewesen, wenn ich mich mit ein oder zwei 'Quickies' schnell an ihr befriedigt und dann von ihr abgelassen haette. Aber so, wie wir miteinander eins wurden, war es natuerlich viel schoener. Je oefter wir uns sahen, desto vertrauter wurden wir. Nach einigen Freitagen, die sie in meinem Bett verbracht hatte, nahm sich das an sich schuechterne Maedchen allerlei Freiheiten und Frivolitaeten heraus. Wenn ich zum Beispiel vor oder zwischen den Geschlechtsakten eilig zur Toilette verschwunden war und mit erwartungsfroh aufgerichtetem Glied wieder ins Zimmer trat, wartete sie zuweilen nackt vor der Tuer, frech griff sie nach meinem besten Stueck, lotste mich sanft durch den Raum und zog mich verlangend aufs Bett. Wenn sie eintraf, hatten meine Mitbewohner das Haus meist schon verlassen und gingen ihren Geschaeften nach, so dass wir nackt herum spazieren konnten, ohne irgend jemand zu belaestigen. Wenn sie auch als Studenten keine festen Tagesplaene hatten, verliessen Werner sowohl wie Heidi als auch meine Schwester gewoehnlich gegen 9 Uhr das Haus, und bekamen meine Geliebte nur selten zu sehen. Ich hatte ihnen das Noetigste mitgeteilt, damit sie nicht ganz im Dunkeln tappten. Sie wussten, was sich abspielte, doch kannten sie keine Details. Im uebrigen nahmen sie die Vorgaenge gleichmuetig auf. In unserem Bekanntenkreis gab es noch ganz andere Eskapaden. Zwar schauten sie neugierig, falls sie bei Ingrids Ankunft noch daheim waren, und ueberlegten wohl auch, was sich aus dem Verhaeltnis entwickeln wuerde, doch ansonsten gingen sie unbeeindruckt ihrer Wege. Karsten gegenueber, als meinem Kollegen, bestritt ich jedes Interesse an ihr. Ich wollte verhindern, dass sich die Affaere am Institut herumsprach. Ausserdem kannte er ihren Ehemann! Ich sah also keine andere Moeglichkeit, das Verhaeltnis vor ihm geheim zu halten, als alles abzuleugnen. Eines Tages erwaehnte er beilaeufig, vor einigen Wochen sei er von ihr um meine Telefonummer gebeten worden, und fragte, ob sie tatsaechlich angerufen habe. Ich erwiderte: "Ja, hat sie, und ... ich habe auch mit ihr gesprochen", um dann mit Nachdruck hinzuzufuegen: "Ich glaube, ich habe ihr deutlich klar gemacht, dass ich mich nicht engagieren will". Diese Aussage liess keinen Spielraum fuer Vermutungen, und da auch die wenigen Eingeweihten dicht hielten, erfuhr er erst in einem sehr spaeten Stadium von dem Verhaeltnis. (Und als er davon erfuhr, verlor er das Vertrauen zu mir - und ich leider einen Freund). Waehrend des ganzen Sommers traf ich mich nur einmal abends mit ihr, an einem Donnerstag. Sie hatte, aus Gruenden, die ich vergessen habe, den Freitagstermin absagen muessen und meinte dazu, einerseits sei das nicht schlimm, sie koenne sowieso nicht mit mir schlafen. Im Moment sei das Risiko einer Schwangerschaft besonders hoch, und sie wolle das Schicksal nicht herausfordern. Sie benutzte die 'natuerliche' Verhuetungsmethode, bei der sie jeden Morgen Temperatur messen musste, und war mit dem Erfolg zufrieden. Der Temperaturverlauf entspreche durchweg den theoretischen Erwartungen, sagte sie, so dass man die gefaehrlichen Tage zweifelsfrei ausgrenzen koenne. Das Verfahren habe bisher noch nie versagt. Andererseits war sie traurig, dass wir uns 14 Tage lang nicht sehen sollten. Sie konnte die verbleibenden Freitage bis zum Semesterende an einer Hand abzaehlen, und waehrend der vorlesungsfreien Zeit wuerde es schwierig sein, sich mit mir zu verabreden. Die langen Ferien bis zum Winter wuerden unertraeglich werden; und dieser Gedanke naehrte zugleich ihre groesste Sorge - ich koenne in der Semesterpause 'eine Andere' kennenlernen. Wir sollten uns, meinte sie, waehrend des Semesters jede Woche unbedingt einmal sehen, und schlug vor, am Donnerstag ins Kino zu gehen. Ihr Mann habe abends zu nichts Lust. Er haenge immer nur vor dem Fernseher oder beschaeftige sich mit seinen Anlagegeschaeften. Eine Ausrede werde ihr schon einfallen. Da sie ueber 50 Kilometer ausserhalb wohnte und zwischen Vorlesung und Kinobesuch nicht erst heimfahren wollte, hatten wir verabredet, dass sie gegen halb sechs bei mir vorbeikam. Ich hoerte frueher als gewoehnlich mit der Arbeit auf, und so sassen wir zusammen in meinem Zimmer und unterhielten uns angeregt. Zwischendurch sahen wir Nachrichten und setzten uns aufs Bett, weil man von dort am besten zu zweit fernsehen konnte - bis ich auf den Gedanken kam, sie zu liebkosen. Da liessen wir die Nachrichten Nachrichten sein und konzentrierten uns ganz auf den Austausch von Zaertlichkeiten. Zuerst hatte sie nichts dagegen, als ich ihr an die Waesche ging. Anders als sonst trug sie keine Bluejeans, sondern einen gebluemten Rock, und das machte es einfach, voranzukommen. Nachdem ich anfaenglich nur hineingefasst hatte, um ihren Po zu streicheln und so weiter, zog ich schliesslich das Hoeschen ganz herunter, spielte mit ihrer Scham und drang schliesslich mit dem Mittelfinger in sie ein. "Die Kleine da unten ist ja ganz nass und erwartungsfroh", fluesterte ich ihr ins Ohr. "Lass sie mich mal kurz mit meinem Glied kitzeln ... nur ein bisschen ..." und draengte mich gegen sie. Davon war sie wenig begeistert. "Du weisst doch, das geht nicht", seufzte sie ungehalten. Worauf ich erwiderte, ich werde ganz vorsichtig sein, es wuerde garantiert nichts passieren. Sie konnte es dann selber kaum abwarten, griff nach meinem Schwengel und brachte ihn in die richtige Position. Nun nahm ich die Sache selber in die Hand und strich mit ihm ueber ihre feuchte Scheide. Wir lagen jetzt mehr als wir sassen. Sie hockte oder lehnte mit ihren Schenkeln auf meiner Huefte, waehrend meine Eichel ueber ihren Schlitz hinweg fuhr. Vier oder fuenf Mal hin und her, dann hatte ich sie soweit. Es gelang mir, ihn durch einen sanften Stoss in sie hinein zu manoevrieren. Sie stoehnte. "Leise", sagte ich. Heidi und Werner sassen beim Abendessen und mussten nicht alles mitkriegen. Ein paar Stoesse hatte ich frei. Danach bekam sie es mit der Angst zu tun und versuchte, sich durch Zurueckziehen ihres Unterleibes von meinem Penis freizumachen. Doch hatte sie nicht mit den Tuecken des Sexus gerechnet, der nach der Darwinschen Lehre am maechtigsten ist, wenn er die besten Aussichten auf Fortpflanzung hat; denn natuerlich folgte er der Bewegung, lustvoll stiess ich ihr nach. Dabei umarmte ich ihre Schultern, liebkoste ihr Ohr und fluesterte beruhigend, keine Angst, sie habe nichts zu befuerchten, ich werde schon aufpassen. Sie liess mich gewaehren, war selber ganz ausser sich vor Begierde, und mit sanften Stoessen, wobei ich versuchte, unter allen Umstaenden die Beherrschung zu bewahren, schaukelten wir ins Nirwana der Lust. Schliesslich verlor ich Halunke doch die Kontrolle ueber meine Triebe und ergoss mich in ihr, ganz vorsichtig, so dass sie nichts davon bemerkte (oder bemerken wollte), ohne jedes Bedauern, im Gegenteil voller Befriedigung ueber diese Gewissenlosigkeit, die die Natur den Maennern mitgegeben hat, damit wir uns reproduzieren. Noch heute bewundert sie meine Beherrschung, wenn sie an jenen Abend zurueckdenkt, und glaubt, auch ein unbefriedigter Mann koenne ihr hoechste Lust verschaffen. Spaeter zog sie sich das Hoeschen wieder an und ich meine Hose und es war noch Zeit genug fuers Kino. Wir sahen uns einen dieser Abenteuerfilme an, die in der Zukunft spielen. 'Die Klapperschlange', mit Kurt Russell. Wir nahmen den Film nicht halb so ernst, wie der Regisseur wohl erwartete. Beim Abspielen des Titels fragte sie mich, was denn Klapperschlange auf Amerikanisch heisse, und raetselte, als es auch mir nicht gleich einfiel, "vielleicht 'clapperworm' oder so", und dann kicherte sie albern. Einmal kam der Freitagstermin durch meine Schuld nicht zustande, woraufhin meine Geliebte tagelang unruhig und zappelig war und mich zweimal von daheim anrief, waehrend der Ehemann im Nebenzimmer fernsah. Sie hatte sich mit einer Flasche Rotwein Mut angetrunken und konfrontierte mich mit der aengstlich vorgetragenen Vermutung, ich wuerde sie wohl nicht mehr lieben, das sei der wahre Grund, warum ich abgesagt haette. Ausserdem glaube sie, fuegte sie unvermittelt hinzu, ihr Mann habe Verdacht geschoepft und sie wisse nicht, wie oft wir uns noch sehen koennten. Panik schwang in ihrer Stimme. Tage spaeter erhielt ich folgende Post von ihr: Henstedt-Ulzburg, 15.6.81, Samstag nachmittag Mein Liebling! Um Dir in Gedanken nahe zu sein und dem Wochenende etwas von seiner Trostlosigkeit zu nehmen, sitze ich am Schreibtisch und verfasse meinen ersten Brief an dich. Es ist im Moment das einzige, wozu ich mich aufraffen kann. Es erleichtert mich und vermindert die Rast- und Ruhelosigkeit, die zur Zeit mein Leben beherrscht. An der Uni, wo ich viel zu tun habe, legt sie sich zeitweise, aber hier zu Hause ist es furchtbar, besonders wenn Ulrich da ist. Wenn ich abends heimkomme, kann ich nichts essen. Ich sitze kaffeetrinkend in der Kueche und rauche, waehrend ich an dich denke. Ich habe zu nichts Lust, weder zum Lesen noch zum Fernsehen und kuemmere mich auch nicht um die Literatur fuers kommende Semester. Ich kann dir bei unseren Telefonaten nicht richtig zeigen, wie sehr du mir fehlst. Ich zaehle wie ein Kind vor Weihnachten die Tage, bis ich dich wiedersehe. Ich habe solche Sehnsucht danach, einmal eine ganze Nacht mit Dir zu verbringen und morgens neben Dir aufzuwachen. Das Wochenende dehnt sich endlos vor mir. Es ist jetzt 18 Uhr und noch gute 6 Tage, bevor wir uns wieder treffen (vielleicht sogar mehr, falls du am naechsten Freitag wieder eine 'unaufschiebbare' Verabredung hast). Ich bin drauf und dran, zu dir zu fahren, aber natuerlich haelt mich mein Realitaetsbewusstsein davon ab. Liebster, ich waere so gern fuer immer mit dir zusammen. Ich kuesse dich zaertlich. Deine Ingrid Der Brief loeste bei mir eine Welle inniger Empfindungen aus. Jeder Liebende hoert gern, wenn seine Liebe derart uneingeschraenkt erwidert wird, und liebt nur um so tiefer. 4. Am einem der Freitage, der Sommer und sein Semester waren fast vorueber, verliess sie mich erst nachmittags. Sie war vor Glueck und Hochgefuehl wie in Trance und vergass ihre Aktentasche und alles, was sie sonst dabei hatte, zwei Haarspangen und eine feingoldene Kette, die sie vor unseren Schaeferstunden gewoehnlich ablegte und auf meinen Nachttisch deponierte. Erst am Dammtor bemerkte sie das Malheur. Aufgeloest rief sie bei mir an. Ohne zu zoegern oder lange zu ueberlegen, erbot ich mich, sie mit dem Auto heimzufahren. Sie solle einfach kehrtmachen. Ich werde am Hauseingang auf sie warten. Meine Arbeit muesse heute eben ganz ausfallen. Als sie neben mir im Wagen sass, erklaerte sie, ich brauche sie nicht ganz hinaus in die Vorstadt zu bringen. Es reiche, wenn sie an einer Bushaltestelle in Eidelstedt abgesetzt werde. Doch verkehre der Bus nur alle zwei Stunden, und die Zeit drohe knapp zu werden... "Wir werden es schon schaffen", beruhigte ich sie. Ich freute mich, ihr helfen zu koennen. In meinem Eifer, ja, meiner Tollheit, fuhr ich viel zu schnell und brach manche Verkehrsregel. Ich ueberholte jedes Auto, das sich uns in den Weg stellte, und endlich - gleich um die Ecke musste schon die Haltestelle kommen - endlich sahen wir den Bus und kamen in derselben Sekunde hinter ihm zum Stehen, in der auch er stoppte. Waehrend sie schon die Tuer oeffnete und ausstieg, bedankte sie sich, dass ich meinen Nachmittag geopfert hatte, und fuegte hinzu, sie wisse nicht, wie sie sich dafuer erkenntlich zeigen koenne. Sie koenne mir ja die Fahrtkosten erstatten, warf ich halb im Scherz hin. Sie aber nahm das fuer bare Muenze, fuehlte sich verletzt und zurueck gestossen, und waehrend der Bus sie nach Hause schaukelte, meinte sie zu erkennen, dass ich ihre Liebe nicht wirklich erwidere, da ich fuer einfache Freundschaftsdienste Geld verlangte. Sie war damals etwas hysterisch. Sie hatte sich heftig verliebt und erwog, ihren Mann zu verlassen und alle Konsequenzen, die das nach sich ziehen wuerde, auch finanzieller Art. Sie wuerde eine eigene Wohnung brauchen und, da sie nicht vorhatte, sich von ihm unterstuetzen zu lassen, sich Arbeit suchen muessen. Diese Probleme gingen ihr staendig im Kopf herum. Doch wozu sich beunruhigen, wenn der Neue sie nicht genug liebte und gar nicht vorhatte, auf Dauer mit ihr zusammen zu sein? Sie konnte sich nicht vorstellen, allein zu leben. Wenn ich sie nicht wollte, wuerde sie doch lieber bei Ulrich bleiben. Unruhe erfuellte all ihre Gedanken, und ihre Gefuehle schwankten zwischen himmelhochjauchzend, wenn sie bei mir war, und zutodebetruebt, sobald sie wegfuhr. Dann kam mein Geburtstag. Um ihn mit mir zu feiern, hatte sie sich den ganzen Tag 'freigenommen'. Inzwischen war ihr egal, ob er Verdacht schoepfte. Ihr Seminar machte heute eben einen groesseren Ausflug. Natuerlich freute ich mich und erwartete sie um halb zehn in der Stresemannstrasse. Statt wie gewoehnlich in mein Zimmer zu verschwinden, zeigten wir uns den Anderen. Es war ein Samstag. Wir fruehstueckten ausgiebig mit ihnen, und anschliessend backten wir den Geburtstagskuchen. Besser gesagt: sie backte und gab die Anweisungen, waehrend ich die Hilfstaetigkeiten uebernahm. Wir hatten viel Spass dabei. Wir ulkten und lachten die ganze Zeit und balgten schliesslich um die letzten Teigreste. Zwischendurch beruehrten wir uns, als wuerden wir unserem Glueck nicht trauen. Nachmittags flanierten wir, vor und hinter uns andere Paerchen, liessen uns treiben entlang einem Fussweg durchs Niendorfer Gehege, und landeten schliesslich bei einer Anhoehe, von wo sich die Stadt bis zu den Elb-Bruecken ueberblicken laesst. Wir setzten uns ins Gras, sie schmiegte den Kopf an meine Schulter und begann, ueber ihren Mann zu sprechen und ueber den Zustand ihrer Ehe. Ich nahm an, sie wolle sich einfach nur Luft verschaffen ueber die Verhaeltnisse, in denen sie lebte und hoerte bloss mit einem Ohr hin, auch fuerchtete ich, mich zu verletzen, wenn ich zuviel ueber ihr Zusammenleben mit dem Anderen erfuhr. Stattdessen genoss ich die Stunde, ich schloss die Augen und badete in ihrer Naehe. Ich genoss die allgegenwaertige Ruhe, den Duft des Grases und die Melodie ihrer Stimme, die von irgendwo aus der Sommerlandschaft herueber zu kommen schien. Sie sprach ueber Gewissensnoete und wie leid sie das Luegen sei, diskutierte eine moegliche Scheidung und warnte vor Ulrichs Jaehzorn, vor dem sie sich fuerchte. Sie wisse nicht, zu was er imstande sei, wenn er die Wahrheit erfahre. Sie eroerterte auch finanzielle Folgen. Ich aber dachte noch immer, ihre Rede sei rein hypothetisch und reagierte nur mit allgemein troestenden Worten. Zu fest sass das Bild von Ingrid als einer gebundenen Frau. Am Nachmittag, wir wussten, dass fuer uns der Tag um 20 Uhr enden wuerde, fuhren wir zu einem Fest, das auf einem Bauernhof vor den Toren Hamburgs stattfand. Anlass war die Fertigstellung einer Biogasanlage. Mehrere junge Ingenieure aus meinem weiteren Bekanntenkreis hatten sie in ihrer Freizeit fuer den Bauern entwickelt. Das Ding machte einen mangelhaften und behelfsmaessigen Eindruck, wie ein ueberdimensionaler Schweinekoben, aus dem an allen Ecken und Enden Schlaeuche und Leitungen herausfuehrten. Die Party aber war ein Ereignis. Von ueberall her kamen entfernte Bekannte - und Bekannte von Bekannten - und versammelten sich unter dem freiem holsteinischen Himmel, um zu feiern, zu tanzen, die kostenlose Gruetzwurst zu essen oder mit Freunden ueber die Feldwege in den Sonnenuntergang zu spazieren. Ein recht gemischtes Voelkchen war zusammen gekommen. Neben Alternativen, die wenig Wert auf ihr Aeusseres legten, sah man viele, die sich in bunten Kleidern wie fuer ein staedtisches Tanzfest zurecht gemacht hatten. Ich hatte oefter Feten mit Ingenieuren gefeiert, bei denen kaum Frauen anwesend waren. Hier nicht. Hier gab es kein Missverhaeltnis zwischen den Geschlechtern, so dass die Party ihrem Zweck voll gerecht wurde. Alle ungebundenen Hamburger Ingenieure wollten hernach Biogasanlagen bauen, zumal es oeffentliche Zuschuesse fuer diese Form umwelt-freundlicher Energiegewinnung gab. Bis heute ist mir nicht klar, ob das Freibier damals aus baeuerlichen Ertraegen oder aus Steuermitteln bezahlt worden ist. Das Anwesen umfasste zwei separate Gebaeude: das Haupthaus und eine fensterlose Scheune, beide efeuumrankt und aus weinroten Klinkern errichtet. Die Scheunentore waren verschlossen. So verhinderte der Bauer, dass neugierige Staedter sich an den Landmaschinen zu schaffen machten. An der Einfahrt standen zwei Eichen, ratlose Riesen, die dem lebhaften Treiben von oben zusahen. Wir schlenderten zur Rueckseite des Hofes, wo Heu zu losen Haufen aufgeworfen war, und inmitten dieser laendlichen Umgebung fanden wir zwei Maenner, die sich als Guenter samt Schuldfreund entpuppten. Detlev war ein trockener Jurastudent mit Brille und strohfarbener Buerste, der aussah, als ob er kein Waesserchen trueben koenne, und hatte bei Frauen einen noch schwereren Stand als der Rest von uns. Sie sassen rauchend auf Gartenstuehlen, die sie irgendwo organisiert und aufs Gras geschleppt hatten. Ihre Gesichter waren den Feldern zugewandt. Als wir auf sie zugingen, wehte uns der suessliche Geruch von Marihuana entgegen, ein Genuss, der Guenter seit der Schulzeit mit Detlev verband, besonders in mageren Zeiten, wenn ihm eine Gefaehrtin fehlte. Als ich sie ansprach, blickten sie mit glasigen Augen zu uns auf. Mit ihnen war sichtlich nichts anzufangen. Hastig zog ich Ingrid fort, zurueck zum Hauptritual, das vor dem Haupthaus stattfand und jetzt, mit der einsetzenden Daemmerung, im Ansteigen war. Aus Lampions schien farbiges Licht auf. Gleich wuerde sich der Bauernhof in eine romantische Staette verwandeln, ideal fuer alle Liebenden. Wir aber hetzten zum Bahnhof, wo der letzte Zug nach Henstedt mir Ingrid aufs neue entfuehrte. 5. Am Dienstag, den 3.7.1981, hatte sie Geburtstag und diesmal gingen wir abends chinesisch essen. Wieder huepfte mein Herz, weil sie den Tag lieber mit mir als mit Ulrich verbrachte. Eigentlich hasse ich es, in Kneipen oder Restaurants tatenlos herum zu haengen. Das Dolce Farniente liegt mir nicht. Mit einer interessanten Frau kann ich mich jedoch stundenlang dort aufhalten, um mit ihr zu reden oder sie nur anzuschauen und bei Gelegenheit nach ihrer Hand zu fassen. Wenn man sie mit seiner Geliebten verbringt, nimmt die Zeit, die fuer sich genommen weder gut noch schlecht ist und von einem gewoehnlichen Sterblichen mit ebenso gewoehnlichem Tun ausgefuellt werden will, einen anderen Charakter an, vorausgesetzt, man ist bereit, auf den veraenderten Rhythmus einzugehen und sich auf ihren Schwingen forttragen zu lassen. Nachdem wir Geschichten aus der Vergangenheit ausgetauscht hatten, ohne uns auch nur eine Sekunde gelangweilt zu haben, fuhren wir in die Stresemannstrasse und liebten uns. Die Stunden rueckten voran, und etwa um Mitternacht, waehrend sie mit geschlossenen Augen nackt auf dem Ruecken neben mir lag, traf sie ihre Entscheidung. Sie wolle bis morgen bleiben, erklaerte sie, und hielt dabei den Kopf wie abweisend zur Seite. Ich war ueberrascht und fragte mich, wohin das fuehren mochte. Wuerde sie sich letztendlich gegen ihren willensstarken Gatten durchsetzen, oder war zu befuerchten, er koenne so viel Druck ausueben, dass sie am Ende von mir abliess? Egoistisch wie ich war, fuerchtete ich um die Freitagstreffen, diese bequeme und unuebertroffene Weise, meinen Sexualtrieb zu befriedigen. Das Licht der Schreibtischlampe quaelte sich durch Zigarettendunst auf unser Lager. (Warum verliebe ich immer in Frauen, die rauchen?) Ich war zum reden zu muede. Sie aber wartete auf meine Reaktion und lag ganz steif vor Spannung. Sie hatte in diesem Moment die Konsequenz aus der Trostlosigkeit ihrer Ehe gezogen, da sie das Doppelleben nicht mehr aushielt, und wollte die Trennung schleunigst hinter sich bringen. Nun fuerchtete sie, ihre Sorge, ich koenne sie zurueckweisen, weil ich keine dauerhafte Beziehung eingehen wollte, werde sich im naechsten Moment bestaetigen. "Vielleicht gehoert er zu den Maennern, die eine Frau nicht bis zum naechsten Morgen im Bett ertragen", dachte sie, waehrend sie auf meine Antwort wartete, und wappnete sich innerlich gegen einen Hinauswurf. Dabei hatte ich immer wieder bekraeftigt, dass ich jede Wahl annehmen, jede Entwicklung mittragen und sie niemals noetigen oder bedraengen wuerde. Und wie ich den bisherigen Status Quo kommentarlos akzeptiert hatte, wuerde ich sie jetzt nicht fortschicken, da sie bleiben wollte. Genau das sagte ich ihr schliesslich. Dann loeschte ich das Licht. In der Dunkelheit nahm ich ihre Naehe besonders intensiv wahr, und im Moment des Einschlafens ueberfiel mich eine wahnsinnige Freude, die anhielt, als ich am Morgen erwachte. Wir schliefen ohne Stoerung. Als sie nicht nach Hause kam, vermutete Ulrich zwar schon, dass sie ihn betrog oder gar verlassen wollte. Doch wie sollte er uns nachstellen, da er ihren Liebhaber nicht kannte? Er war nun allerdings auf dem Sprung, es herauszufinden. Um 6 Uhr morgens rief er bei ihrer Freundin an, mit der sie angeblich abends verabredet gewesen war. Die wand sich zuerst, doch als er ihr mitteilte, Ingrid sei die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen und er wisse sowieso schon alles - aus Briefen, die er gefunden habe - rueckte sie mit der Wahrheit heraus. Wer der Mann sei, koenne sie aber nicht sagen, nur, dass man sich auf Karstens Fete kennengelernt habe. Er war verzweifelt. Vorgestern noch hatte sie mit ihm geschlafen, seit Wochen zum ersten Mal, und er war sicher gewesen, dass es ihr Spass gemacht hatte. Er dachte an den Koerper, der unter ihm gelegen, an die verhangenen Augen und an die Finger, die sich vor Lust in sein Fleisch gegraben hatten. Warum betrog sie ihn? Gut, mit der Ehe stand es schon lange nicht zum besten ... doch wenn sie ihn schon betrog, warum liess sie sich dann noch von ihm voegeln? Er wusste darauf keine Antwort. Was von ihr als Trostpflaster gedacht war, empoerte ihn als besonders infame Taeuschung und steigerte seinen Hass, seine Wut und seine Verwirrung. Als er bei Karsten anrief, versuchte der, ihn zu beschwichtigen. Seines Wissens habe Ingrid mich seit der Fete nicht wiedergesehen. Doch spuerte er die Erregung in Ulrichs Stimme und weigerte sich, ihm meine Adresse zu mitzuteilen. Denn Ulrich war ein Mensch, der das kleinste Malheur als persoenliche Kraenkung auffasste. Nicht selten liess er in Restaurants das Essen zurueckgehen; im Schwimmbad legte er sich wegen Nichtigkeiten mit dem Bademeister an. Wie schwer musste ihn der Verlust seiner Frau treffen, die er als kostbares Eigentum betrachtete! In ihm loderten Fackeln des Zorns und der Vergeltung. Wenn ich in erreichbarer Naehe gewesen waere, ich haette um mein Leben fuerchten muessen. Das ist keine Uebertreibung. Er haette sich auf mich gestuerzt und auf mich eingeschlagen, bis ich umgefallen waere und mich dann zu Tode getreten, ja, genau das wuenschte er sich. Fieberhaft suchte er im Schreibtisch und in den Schraenken seiner Frau nach Belegen fuer ihre Untreue, wurde aber nicht fuendig. Er kehrte das unterste zuoberst und richtete ein namenloses Chaos an. Im Bad fiel sein Blick auf ein Schminktaeschchen. Wie irre griff er hinein und stiess alles zu Boden. Dabei barsten Parfuemflaschen, und Nagellack spritzte auf sein Hemd. 10 Uhr. Wir hatten bis eben im Bett gelegen, einer in des anderen Armen, in gluecklicher Unkenntnis unseres moeglichen Schicksals, und nicht gewusst, wie weiter vorzugehen sei. Um 11 musste ich an die Uni. Ich hatte mich schon verabschiedet und stand im Hausflur, war aber unentschlossen, ob ich tatsaechlich gehen sollte. Durch die offene Kuechentuer sah ich Ingrid mit Geschirr hantieren. Wuerde ich sie verlieren, wenn ich jetzt ging? Wuerde sie sich von ihm ueberreden lassen, zurueckzukommen? Endlich wendete ich mich ab und verliess die Wohnung. Eine kluge Entscheidung; denn nun fand sie aus Lethargie und Passivitaet heraus. Sie rief Karsten an und erfuhr: "Ulrich ist in heller Aufregung und sucht ueberall nach dir. Er will wissen, wo du steckst." Daraufhin erklaerte sie, dass sie sich von ihm trennen wollte, um mit mir zusammen zu leben, und schilderte ihm, als langjaehrigem Bekannten, ausfuehrlich ihre Beweggruende. Das machte ihn zwar zum Mitwisser intimer Gefuehle, klaerte aber zugleich ihre Gedanken. Karsten hatte eine in kritischen Situationen wohltuende Art, das Fuer und Wider eines Argumentes reiflich zu erwaegen und wortreich zu interpretieren. Ploetzlich klingelte es an seiner Wohnungstuer. Ulrich hatte es zu Hause nicht mehr ausgehalten und war zu ihm gefahren. Als er begriff, mit wem Karsten telefonierte, nahm er ihm den Hoerer aus der Hand und fragte scharf, wo sie sich denn herumtreibe. Ingrid war verbluefft, hatte sich dann aber schnell wieder unter Kontrolle. Am Telefon konnte er ihr schliesslich nichts tun. Eigentlich hasste sie es, andere vor den Kopf zu stossen. Vor Auseinandersetzungen mit Ulrich fuerchtete sie sich geradezu. Ich hatte ihr jedoch beim Fruehstueck eingeschaerft, in diesem Fall muesse sie unbedingt Naegel mit Koepfen machen. Sie koenne die Situation nicht laenger in der Schwebe halten. Das hatte sie sich eingepraegt und sagte ihm nun die ganze bittere Wahrheit. Er war so ausser sich und voller Rachegefuehle, dass Karsten Mord und Totschlag fuerchtete und darauf bestand, ihn in die Stresemannstrasse zu begleiten. Inzwischen sass ich in einer langweiligen Besprechung und dachte an meine Geliebte (die meine Gefaehrtin werden wollte), dachte an ihre schminke-zerlaufenen Augen, an ihren heissen Atem, wenn ich sie in den Armen hielt, an alles, was wir ausgetauscht, was wir uns anvertraut hatten, und verglich uns im Geist mit verschiedenen bekannten Liebespaaren aus der Geschichte, und schliesslich dachte ich auch an betrogene, eifersuechtige Ehemaenner, denen man aus dem Weg gehen sollte. Als ich zurueckkam, stand meine Zimmertuer offen. Ingrid war fort. Voller Panik glaubte ich zuerst, sie sei zu ihm zurueckgekehrt. Indes fand ich weder einen Brief noch sonst eine Mitteilung, und bemerkte dann, dass Werner zu Hause war. Er berichtete ironisch von dem 'Drama', das sich in meinem Zimmer abgespielt habe - das war seine Art, mit den Vorgaengen umzugehen - und wies auf das zerstoerte Tuerschloss hin, das ich bisher nicht bemerkt hatte. Als ich erfuhr, Karsten sei dabeigewesen, beruhigte ich mich. Ich rief bei ihm an, und er erklaerte in einer eigentuemlichen Melange aus Herablassung, Unmut und (vielleicht) Neid, ja, die beiden seien bei ihm in Eppendorf. Sie wuerden sich wahrscheinlich trennen. Ich spiele dabei uebrigens nur eine Nebenrolle. Er, Karsten, werde dafuer sorgen, dass ihr nichts geschehe. Er habe schon in der Stresemannstrasse und eben noch einmal verhindert, dass sie geschlagen werde. Er werde fuer niemanden Partei ergreifen, aber verhindern, dass jemand sich verletze. Von mir erwarte er eine gewisse Kompromissbereitschaft. Nein, Ingrid koenne ich im Moment nicht sprechen. Mir fiel nichts besseres ein, als ihm zu danken. Ich konnte die Situation nicht einschaetzen, da ich den Charakter der Beteiligten nicht genau genug kannte. Was dachten und sagten sie gerade? Wuerde Ingrid dem Druck standhalten? Gab es geheime Bindungen oder Schwuere zwischen den Eheleuten, die mein Glueck noch verhindern konnten? Ich war voller Unruhe - und hatte doch keinen triftigen Grund, an ihrer Liebe zu zweifeln. Meine Schwester rief aus Berlin an, wo sie ihren Freund besuchte, und ich erzaehlte ihr alles. Sie naehrte meine Befuerchtungen mit dem Hinweis, Karsten sei womoeglich nicht zu trauen. Da erstand vor meinen ueberreizten Sinnen ein Schreckensbild, bedrohlich wie turmhohe Gewitterwolken: Karsten stellte sich auf Ulrichs Seite und es gelang den beiden, Ingrid zur Rueckkehr zu ueberreden. In duestersten Farben malte ich mir aus, wie die Eheleute einander gegenuebersassen, waehrend Karsten an die Wand gelehnt dastand und die Situation ueberlegen und rational analysierte mit Argumenten, die Ingrid zu meinem Nebenbuhler zuruecktrieben. Wenn sie erst wieder in der ehelichen Wohnung war, wuerde sie fuer mich unerreichbar sein. So argwoehnte ich und informierte dann Guenter. Der liess sich kein Erstaunen anmerken. Zu meiner Affaere hatte er sich immer neutral verhalten, ohne der Beziehung besondere Aussichten einzuraeumen. Jetzt war er sofort bereit, mir zu helfen. Als ich ihm meine Sorgen schilderte, schlug er vor, Ingrid gewaltsam aus Karstens Wohnung zu befreien. Diese Idee schien mir denn doch zu dramatisch. Im Stillen hielt ich ihm zugute, dass er Karsten nicht leiden konnte und wohl auf eine Pruegelei mit ihm aus war. Erneut rief ich in Eppendorf an. Als Karsten sich weigerte, mit mir zu sprechen und gleich den Hoerer auflegte, waehnte ich meine schlimmsten Befuerchtungen bestaetigt. Noch einmal waehlte ich seine Nummer. Niemand meldete sich. Vielleicht, fuerchtete ich, waren sie schon fort, auf dem Weg zurueck in Ulrichs Wohnung ... Endlich eine Stimme. Robert. "Du rufst zum voellig falschen Zeitpunkt an", fluesterte er. Ich glaubte, dass gerade jetzt gegen mich entschieden werde und bat ihn, mir zu sagen, wie die Sache fuer mich stehe. Da sagte er ein Wort, das mich von meinen Sorgen erloeste, "positiv", und fuegte widerwillig hinzu, man habe Ulrich gerade soweit beruhigt, dass man ihn guten Gewissens allein nach Hause lassen koenne. Ingrid werde vorlaeufig in Eppendorf bleiben. Ich war erleichtert, und zugleich meldete sich mein Gewissen gegenueber dem Ehemann, den ich bemitleidete und dessen Verlustschmerz ich nachempfinden konnte. Schliesslich liebte ich die Frau genauso leidenschaftlich wie er. Tatsaechlich kamen nun Karsten und Ingrid der Reihe nach ans Telefon; Karsten aufgedreht wie immer und geschmeichelt, dass er in dieser Sache eine so wichtige Rolle spielte. Er gab mir ein paar gute Ratschlaege und zerstreute endgueltig mein Misstrauen. Ingrid sprach leise. Anscheinend hatte sie geweint. Ja, er habe sie zu schlagen versucht, aber Karsten und Robert haetten ihn daran gehindert. Sie befuerchte, dass er in seiner Wut geradewegs zu mir fahren werde. Er habe Morddrohungen ausgestossen. Bei dieser Mitteilung taten sich tiefe Schluchten unter mir auf. Es war, als falle ich geradewegs in die dunkle Wolkendecke, die sich erst vor einer Minute aufgeloest hatte. Am liebsten haette ich mich irgendwo versteckt. Ich bin kein Held und habe mich noch nie geschlagen. Was wuerde ich tun, wenn ich ihm gegenueber stand? Zum Glueck ist der Berserker nie in der Stresemannstrasse aufgetaucht; er hat sich stattdessen in irgendeiner Kneipe volllaufen lassen, bis er nicht mehr gerade stehen und erst recht keine Faust mehr schwingen konnte. Ingrid sprach von unserer gemeinsamen Zukunft, von ihrer Liebe und dass sie fuer immer bei mir bleiben wollte. Ihre Worte wirkten wie Balsam auf meine gereizten Nerven. Zwei Tage spaeter traf ich sie wieder. Eigentlich hatte Karsten versprochen, vormittags Sachen aus ihrer Wohnung herauszuschaffen, Kleider, Schuhe und was man sonst zum Leben braucht, hatte dann aber einen wichtigen Termin vorgeschuetzt, so dass sie mich um 'Begleitschutz' bitten musste. Sie schaetzte jedoch das Risiko, Ulrich zu treffen, gering ein, da er zu Verwandten nach Muenster gefahren sei. Ausser Karsten hatte er keine Freunde in Hamburg, die ihn troesten konnten. Als wir in Henstedt ankamen, sprang uns ein hungriger Setter aus der Dreizimmerwohnung entgegen, den ich mir mit meiner neuen Partnerin eingehandelt hatte. Eigentlich bin ich kein Freund grosser Hunde, die in grossstaedtischen Wohngemeinschaften mit wenig Platz ihren Jagdtrieb sicher nicht ausreichend befriedigen koennen. Doch ich war damals jung und flexibel und akzeptierte Zinta ungeruehrt. Schliesslich hatte Heidi seit Monaten einen Schaeferhund zu Gast, den jemand auf dem Weg nach Poona zurueckgelassen hatte. Meine Schwester und Werner konnten sich ja auch noch einen Klaeffer zulegen ... Die Wohnung war modern eingerichtet, aber wie in den meisten Neubauten waren die Raeume zu klein und zu niedrig. Ich bewegte mich wie im Traum. Ich wusste, alles Fremde hier war der Geliebten vertraut. Untaetig sass ich am Wohnzimmertisch und spuerte die virtuelle Praesenz des Nebenbuhlers, waehrend mein Blick ueber Regale, Gardinen und Unterhaltungselektronik glitt. Schliesslich ging ich zoegernd ins Schlafzimmer, wo Ingrid hastig, ja fahrig, ihre Koffer packte. Ich stand an der Tuer und beobachtete, wie sich ihr grosser Schrank langsam leerte. Ich befand, dass sie sehr schoene Kleider und viel Geschmack hatte. Ich mochte auch ihre Schuhe, Blusen und Pullover - besonders natuerlich, wenn sie sie trug. "I like the way you walk, I like the way you talk". Wie sie sich kleidete und bewegte, alles war mir lieb und teuer. Mit einem Wort: ich hielt die ganze Person fuer aufregend und begehrenswert. Mit einem riesigen Hundekorb und mehreren Koffern unter den Armen verliessen wir die Wohnung. Es war kurz vor Mittag und hochsommerlich heiss, die Sonne knallte auf den Asphalt. Wir sassen schon im Auto, als ihr einfiel, dass sie die Tuer zum Balkon nicht verschlossen hatte. Zwei Minuten spaeter sah ich sie im Rueckspiegel aus dem Haus und auf den Parkplatz rennen, dahinter eine titanische Erscheinung, ein King Kong, der nach ihr greifen wollte. Ich begriff sofort, jetzt wuerde es zum Showdown kommen. Die Zeit verengte sich, lief rasend schnell und zaeh zugleich an meiner Ohnmacht vorbei. Die Gestalt packte ihre Schultern und brachte sie zum Stehen. Ingrid schrie auf und ich sah, wie er sie schlug. Ich stieg aus dem Wagen und bewegte mich mechanisch auf die beiden zu. Die Frau wand sich unter seinem Griff. "Hat sie sich denn nie Respekt verschafft, dass sie ihm so etwas durchgehen laesst?" wunderte ich mich. Als ich in Hoerweite kam, rief sie "Nicht! Nicht!". Sekunden spaeter standen wir uns Auge in Auge gegenueber. Ich wartete, was er sagen wuerde. Da holte der Gedemuetigte zu zwei harten, schnellen Schlaegen aus, die mich niederstreckten. Neben mir lag auch meine Brille zerbrochen im Staub, und ich war voller Angst, Schreck und Wut ... doch dann kehrte meine Vernunft zurueck. "Eine Rauferei ist doch kindisch", dachte ich, "ich muss mir anders Respekt verschaffen", und griff, nur fuer den aeussersten Norfall, nach einem mittelgrossen Stein, der zufaellig neben mir lag. Ich sprang auf und bruellte ihn an, wenn er uns nicht ziehen lasse, wuerde ich ihm den Schaedel einschlagen. Seine Raserei schlug in verhaltene Furcht um; denn ich war ihm koerperlich ebenbuertig und schwer einzuschaetzen. Er war ratlos. Am liebsten haette er Ingrid in seine Wohnung verschleppt, wusste aber nicht, wie das zu bewerkstelligen war. Ich schrie, er solle die Entscheidung seiner Frau gefaelligst akzeptieren. Schliesslich sei es ihr unmissverstaendlicher Wille, ihn zu verlassen. Endlich gab er sie frei. Bat und bettelte, sie moege bei ihm bleiben. Sie versuchte ihn zu beruhigen, sie koennten sich spaeter noch sehen und ueber alles reden. Ich dachte: "Das Wichtigste ist, dass wir so schnell wie moeglich hier wegkommen!", und waehrend er wie angewachsen stehen blieb und der aufgeregte Hund um uns herumsprang wie ein Indianer um sein Lagerfeuer, suchte ich die Bruchstuecke meiner Brille zusammen. Die Situation war nicht unkomisch. Wir zogen uns zum Auto zurueck. Ich fuerchtete, der Mann koenne uns noch ein zweites Mal anfallen. Stattdessen hetzte er mit haengenden Schultern zu seinem Scirocco, der irgendwo hinter der Wohnanlage abgestellt war. Waehrend ich anfuhr, blickte Ingrid beklommen umher. Sie glaubte, er werde uns folgen und plane, mein Auto zu rammen. Doch ich war schneller als er. Bevor sein Wagen auf der Strasse auftauchte, fuhr ich am Haus vorbei und bog in einen abseitigen Feldweg. Zwischen dichten Straeuchern hielt ich an. Nichts als schattige Stille und Wiesenfrieden ringsherum. Ich war sicher, dass er uns hier nicht finden wuerde und beruhigte Ingrid, die zappelig neben mir sass. Dann stillte ich das Blut, das mir aus der Nase rann, und sortierte, was von meiner Brille uebrig war. Hinter uns auf dem Ruecksitz hechelte der Hund. Eine halbe Stunde spaeter wagten wir uns auf die Autobahn. Es war drueckend heiss, der Asphalt reflektierte die Sonne wie ein Spiegel. Am Horizont zogen Gewitterwolken auf, matte harmlose Schatten, die ueber Nacht die ersehnte Abkuehlung bringen wuerden. Immer wieder spaehten wir umher, weil wir fuerchteten, er koenne uns mit seinem schnellen Wagen doch noch aufspueren. Obwohl von den Schlaegen benommen, hatte ich ihr das Steuer nicht anvertraut. Sie machte einen zu konfusen und veraengstigten Eindruck auf mich. Ausserdem war sie mit den Macken meines klapprigen Fahrzeuges wenig vertraut, und wuerde im Fall eines 'Angriffs' eventuell falsch reagieren. Das Klopfen des alten Motors beruhigte mich. Ich war mit dem betagten Auto hochzufrieden. In kritischen Situationen hatte es mich noch nie im Stich gelassen. Man konnte alle Arten von Gepaeck - Hunde wie auch untreue Ehefrauen - damit transportieren, und nur relativ selten wurde man von einer Polizeistreife angehalten, zwecks Pruefung, ob der TUEV abgelaufen war. Was sollten wir tun? Ingrid vermutete, Ulrich werde, wenn er uns auf der Strasse nicht fand, zu Karsten fahren, und meinte, auch wir muessten uns dorthin begeben, um die Krise durchzuboxen. Sie sah ganz bedrueckt aus. Ich hatte vom Boxen die Nase voll. "Wozu soll das fuehren?" fragte ich mich. Was war, wenn er so aggressiv blieb und weiterhin nicht mit sich reden liess? Ueberhaupt, was wollte sie ihm noch sagen? Sicher, irgendwann wuerden sie sich aussprechen. Aber heute war dafuer nicht der richtige Zeitpunkt. Zuerst musste man ihn abkuehlen lassen. Ihm ein paar Tage geben, sich auf die Situation einzustellen. Gespraeche mit uns wuerden ihn im Moment nur weiter anstacheln. Statt meine Ueberlegungen auszusprechen, bestand ich darauf, zuerst muessten die Reste der Brille, die mir dauernd von der Nase rutschten, zusammengeloetet werden. Allein schon, damit ich bei Karsten sicherer auftreten koenne. Am besten lasse sich das bei Guenter erledigen, der einen Loetkolben besitze. Sie war von dem Plan zunaechst wenig begeistert, liess sich dann aber ueberzeugen. Als wir in Flottbek ankamen, standen Wolken wie schwarze Waende am Himmel. Boeen warmen Windes wehten um alle Ecken und wirbelten Staub auf. Ingrid war von dem stimmungsvoll-dekadenten Ambiente der Siedlung fasziniert und folgte mir zoegernd durch die offene Verandatuer ins Wohnzimmer mit seinen verschossenen Samtvorhaengen und Seidenbezuegen. Mein Freund war gerade mit Pruefungsvorbereitungen beschaeftigt, packte aber gleich die Buecher zusammen, um sich ueber den neuesten Stand informieren zu lassen. Draussen knallten Donnerschlaege wie Chinaboeller, grosse Regentropfen schlugen geraeuschvoll gegen die Fensterscheiben. Ulrich wuerde kaum auf die Idee kommen, uns hier zu suchen. Trotzdem hatte mich sein filmreifer Auftritt am Vormittag nervoes und wachsam gemacht, fast so wie den Hund, den die fremden Menschen und die ungewohnte Umgebung zusaetzlich irritierten. Setter sind von Natur unruhige Tiere, die kaum stillsitzen koennen, und durch aeussere Einfluesse leicht aus der Fassung zu bringen. Guenter beruhigte Zinta durch Streicheln und mich mit Witzeleien. Waehrend sich seine Mutter um meine Begleiterin kuemmerte, besprach ich mit ihm das weitere Vorgehen. Spaeter assen wir im Wohnzimmer zu abend und beschworen Ingrid, sich heute nicht mehr mit Ulrich zu treffen, sondern ueber Nacht mit mir in Klein-Flottbek zu bleiben. Nachdem wir alle Einwaende widerlegt hatten, gab sie nach. Wir redeten dann noch stundenlang und sahen uns - muede geworden - den Spaetfilm und die Nachtausgabe der Tagesschau an. Der Bundeskanzler hatte vergeblich versucht, die eigene Partei auf seinen Kurs einzustimmen. Das Votum der Fraktion wurde fuer ihn zum Menetekel. "Endlich", kommentierte Guenter, "kriegt der mal eins auf seinen grossen Krisenstab." Wir kletterten ueber eine Stiege in eine niedrige, staubige Kammer voller Geruempel, in die die Matraze kaum hinein passte. Aus Platzmangel, aber auch weil wir uns liebten, schliefen wir eng aneinander gedraengt. Am naechsten Morgen war unsere Nervositaet wie verflogen. Die Sonne schimmerte durch Dachbalken, Voegel zwitscherten, ein Hahn kraehte und eine muede Ingrid mit krausem Haar und Kindergesicht lag neben mir. Ich fuehlte mich rundum wohl und hatte keine Lust, mir von dem gewalttaetigen Ulrich noch einen Tag verderben zu lassen. Beim Anblick der schlafenden Geliebten kam ich auf eine Idee. "Wir verschwinden einfach aus Hamburg und fahren zu Dieter nach Hameln. Niemand wird wissen, wo wir uns aufhalten. Mein alter Freund hat viel Platz auf seinem Bauernhof. Wenn es auch kein komfortables Gaestezimmer gibt, so hat er doch Stroh, Matrazen und Scheunen genug, in denen man es im Sommer gut aushalten kann. Ferien auf dem Lande, Sommerfrische, das ist genau, was wir brauchen." So fluesterte ich ihr ins Ohr, doch sie nahm mich nicht ernst. Muede drehte sie sich von mir weg. Ueber meiner Nase tauchten die dunklen Knopfaugen des Hundes auf, die mich fragend anblickten. Es war wirklich zu eng hier. Schnell hinaus und herunter zur Morgentoilette! Die Sonne fiel durchs schmale Badezimmerfenster und beschienen ihren Hals und Wangen. Im Spiegel suchte sie meinen Blick. Ihre Augen gefielen mir eindeutig besser als die des Hundes. Beim Fruehstueck unterbreitete ich moeglichst ruhig und rational meine Vorschlaege von einer Flucht aufs Land, die die Gemueter aller Beteiligten abkuehlen wuerde. Ich hatte im letzten Sommer ein paar Tage bei Dieter verbracht und schilderte meine Eindruecke in den leuchtendsten Farben. Ich erzaehlte nichts von den Muecken und Schmeissfliegen und von der Hitze, die sich in alten Holz- und Fachwerkbauten staut. Nachdem Ingrid ueberraschend schnell eingewilligt hatte, rief ich ihn an und fragte, ob wir zwei Wochen bei ihm wohnen koennten; ich sei mit meiner neuen Freundin auf der Flucht vor ihrem gehoernten Ehemann. Dann verabschiedeten wir uns von Guenter und seiner Mutter, bei denen wir gluecklich waren. Ich schwoere, so gluecklich war ich nie! Auch mit den ausdrucksvollsten Worten der Poesie liesse mein Glueck sich nicht nachbilden! Die Unzulaenglichkeit jeder literarischen Anstrengung tritt hier offen zutage, die hinter allzu dichter Wirklichkeit zurueck fallen muss; im Vergleich zu jener kostbaren Vergangenheit ist sie, ist alles, wie absurdes Gestammel, wie totes Gerippe. Wir mussten noch einmal in meine Wohnung, und das war gefaehrlich, denn Ulrich kannte ja die Adresse. Doch als wir in der Stresemannstrasse vorfuhren, war die Luft rein und niemand zu Hause. Eilig stopfte ich Kleider, Seife, Handtuecher und Zahnbuerste in eine Reisetasche. Dann schrieb ich auf einen Zettel "Ich verreise. Bis bald. B." Nur nicht zu viele Informationen! Anschliessend fuhren wir ueber die Budapester- und die Ost-West-Strasse Richtung Billhorner Bruecken, wo die Autobahn beginnt. Vorher tankte ich noch an einer der weitraeumigen Tankstellen, die mit Plakaten wie "letzte Zapfsaeule vor der A1" werben. Mein offenes Holzfaellerhemd flatterte im kuehlen Morgenwind. Das Leben schien mir neu und aufregend. Wir fuhren allen Sorgen davon - ueber die Elbe und mehrere Autobahnkreuze Richtung Hannover. Stunden spaeter erreichten wir Fischbeck, einen kleinen Flecken ausserhalb Hamelns, wo Dieter die Haelfte einer leicht verluderten Hofstatt bewirtschaftete. Vor einem breiten rostigen Gatter blieben wir stehen. Auf dem Gelaende, das nach drei Himmelsrichtungen von Haeusern und Scheunen umrahmt war, tollten Kinder und Huehner. In der Mitte stank ein Misthaufen; links lag das Haupthaus, davor Rosen ueber breiten Boegen wuchsen, und neben der Haustuer stand eine Bank, auf der sich an Sommerabenden vortrefflich schwatzen liess. Dieter wohnte mit seiner Freundin im rechts gelegenen frueheren Gesindegebaeude und kam uns schon entgegen. Er oeffnete das Gatter und hiess uns willkommen. Wir begruessten uns freudig und ein wenig unsicher, eben wie vertraute Freunde, die sich seit einem Jahr nicht gesehen haben. Er war ein Drop-Out, ein ehemaliger Chemiearbeiter, der Gemuese voellig ohne Duenge- und Spritz-Mittel anbaute und auf dem Wochenmarkt feilbot, ein ernster Junge mit tiefschwarzer Lockenmaehne, den ich seit meiner Kindheit kannte und der viel Spiel und Streit und manche Ueberzeugung mit mir teilte. Zu viert sassen wir im Gras hinter dem Haus, wo eine weite Schafswiese zu einer Anhoehe hinauf lief. Ich berichtete von den Ereignissen in Hamburg, und er und seine Freundin hoerten aufmerksam zu und bestaerkten uns in unserem Vorgehen. Wir konnten im Haupthaus uebernachten. Ein grosses Gaestezimmer wartete dort auf uns. Die Nachbarn, die ich bisher nur vom Sehen kannte, hatten es zur Verfuegung gestellt. Auf einer schmalen Stiege wurden wir in die geraeumige Dachkammer gefuehrt, wo sich der Duft frischen Heus mit dem Geruch altschwarzen Holzes mischte. An den Waenden hingen einfache Teppiche und alte Photos, wohl noch aus der Kaiserzeit. Ein kleiner Tisch, ein Stuhl und ein breites Bett waren die einzigen Moebelstuecke. Auf dem Tisch lagen mehrere weisse handbestickte Leinenlaken. Neben der Tuer eine wuchtige Yuccapalme und hinten in der Ecke ein verstaubter aber funktionstuechtiger Plattenspieler. Ein kleines Fenster, das aus mehreren Butzenscheiben zusammengesetzt war, und (abends) eine 40 Watt Lampe unter dem Dachbalken beschummerten den Raum. Durch eine zweite Tuer gelangte man in eine weitere Kammer, in der Pflanzen zum Trocknen aufgehaengt waren. Tagsueber halfen wir Dieter auf den Feldern, als Ausgleich fuer seine Gastfreundschaft. Wir jaeteten und pflanzten, wir knieten in weicher brauner Muttererde, und richteten uns auf, wenn das Kreuz schmerzte. Abends sassen wir an einem grossen Holztisch im Freien, waehrend die Sonne langsam an Kraft verlor und Sterne heraufzogen. Die Naechte aber gehoerten Ingrid und mir allein. 12 glueckliche Naechte. Wir redeten und vereinigten uns, wir verschmolzen und fielen - trunken vor Glueck - in konzentrierten Schlaf. Manchmal hoerten wir eine der staubigen Schallplatten, die neben dem Grammophon herumlagen, Patti Smith oder Stefan Waggershausen, wir waren nicht waehlerisch. Am Wochenende fand, wie jedes Jahr im Spaetsommer, in der Naehe von Hameln ein drei-taegiges Open Air Festival statt. Ein steil abfallender Steinbruch, unten die Musiker, deren Tribuene und Lichtspiel gegen die gigantische Naturkulisse wie putziges Puppentheater wirkten. Als die Daemmerung hereinbrach, wurden hunderte von Zelten aufgeschlagen, auch oben an den Raendern des Bruchs, wohin die Musik seltsam schwermuetig herueberwehte. Ueberall Zelte, Bilder der untergenden Sonne hinter dem Kamm und schliesslich der Liebe, das sind die Erinnerungen, die mir im Gedaechnis geblieben sind. Am Mittwoch gab Dieter uns nachmittags frei. "Ihr solltet in Hameln bummeln gehen", empfahl er. Wir fuhren an bluehenden Feldern und Wiesen vorbei, die in eine bis an den Horizont reichende Mittelgebirgs-landschaft eingebettet waren. Pappeln und Eichen wechselten mit ueppigen bis ueber die Strasse haengenden Heckenrosen ab. Die Stadt mit ihren vielleicht 50000 Einwohnern liegt suedwestlich von Hannover im Weserbergland. Sie ist vom Krieg verschont geblieben und die schoenste unter allen deutschen Staedten, die ich kenne. Im Zentrum reihen sich ohne Unterbrechung schmale und breite fensterreiche Fachwerkhaeuser, einfache aber auch prunkvolle mit goldenen Schnitzereien. Darunter viele mittelalterlichen Gebaeude aus dickem schwarz geteerten Holz und mit meist weiss gestrichenen Buntglasfenstern. Hier, beschlossen wir, wuerden wir gern fuer immer leben. Zwischen den praechtigen Haeusern der Hauptstrasse zweigen schmale Gassen ab, durch die man zu Parallelen mit ebenso barockem Fachwerk, aber weniger Trubel und Geschaeften gelangt. Endlich konnte ich meine Brille von einem Fachmann richten lassen. Wie titanische Treppenstufen begrenzen Fachwerkshaeuser den leicht ansteigenden Marktplatz. Auf Terassen und unter Markisen, die von hoelzernen Saeulen gestuetzt werden, boten kleine Geschaefte ihre Sonderangebote feil. Cafes hatten weisse Holz- oder Plastiktische hinausgestellt, die sie mit grossen Schirmen vor Hitze und Helligkeit schuetzten. An Springbrunnen puetscherten Kinder. Auf dem lichtdurchtraenkten Rathausplatz assen wir Eis. Wir sassen nebeneinander in der Sonne und streckten wohlig die Beine. Es war einer jener seltenen Momente hoechster Zufriedenheit, eine Hoch-Zeit, an die man sich spaeter im Leben oftmals erinnert. Ach ja, was aus Karsten und Ulrich geworden ist? Sie mussten noch ein paar Jahre auf die Richtige warten und sich im Geiste damit abfinden, dass Ingrid und ich ein Paar sind. Kein Streit mehr, keine Handgemenge, einfach die Trennung.